:: 6/2008

Im Blickpunkt: Kusterdingen im Landkreis Tübingen feiert 900-jähriges Bestehen

Der Ortsteil Kusterdingen der gleichnamigen Gemeinde – auf den »Härten« zwischen den Städten Tübingen und Reutlingen gelegen – wird 900 Jahre alt. Die Kommune im Landkreis Tübingen wurde mit der Gemeindegebietsreform Anfang der 70er-Jahre aus fünf ursprünglich selbstständigen Orten gebildet. In diesem Kurzbeitrag sollen zunächst die langfristige Bevölkerungsentwicklung der Gemeinde kurz skizziert und anschließend ausgewählte Ergebnisse zu deren aktuellen Struktur und Entwicklung mit Hilfe von Daten aus dem Landesinformationssystem Baden-Württemberg (LIS) vorgestellt werden.

Ein Blick zurück …

Der heutige Ortsteil Kusterdingen der gleichnamigen Gemeinde wird in diesem Jahr 900 Jahre alt (vgl. i-Punkt). Amtliche Einwohnerzahlen zur Entwicklung des Ortes liegen ab dem Jahr 1834 vor.1 Sie lassen bis zum Jahr 1849 ein Anwachsen der Bevölkerungszahl im Ortsteil Kusterdingen und in den anderen heutigen Ortsteilen Kusterdingens erkennen.

Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an folgte eine Zeit zurückgehender Einwohnerzahlen im Ortsteil Kusterdingen, aber auch in Mähringen und in Wankheim. Neben der Abwanderung der Bevölkerung in die Städte war hierfür eine starke Auswanderung ursächlich.2 Die Emigration begann bereits kurz vor 1750 und wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Massenerscheinung mit einem absoluten Höhepunkt in den Jahren der Hungersnöte von1852 bis 1855. Nach der Reichsgründung, als mit der Industrialisierung ein wirtschaftlicher Aufschwung einsetzte, verebbte der Auswandererstrom gegen Ende des 19. Jahrhunderts und hatte nur noch im 3. Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts eine nennenswerte Bedeutung. Mindestens 1 200 Personen hatten in den nahezu 200 Jahren ihre Heimat auf den Härten verlassen, um in Preußen, Ungarn, Russland, Siebenbürgen oder in Übersee eine neue Existenz aufzubauen.3

Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist die Bevölkerungszahl in allen Ortsteilen Kusterdingens – mit Ausnahme der Jahre während der beiden Weltkriege – fast stetig angestiegen. Besonders stark nahm die Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg im Teilort Kusterdingen zu: Innerhalb von lediglich zwei Jahrzehnten (1950 bis 1970) hat sich dort die Einwohnzahl um die Hälfte erhöht.

Mit der Gemeindegebietsreform Anfang der 70er-Jahre wurden die fünf ursprünglich selbstständigen Orte Immenhausen, Jettenburg, Mähringen, Kusterdingen und Wankheim zur neuen Kommune Kusterdingen zusammengeschlossen. Während Jettenburg auf freiwilliger Basis in die Gemeinde Kusterdingen zum 1. Oktober 1974 eingemeindet wurde, wurden Immenhausen, Mähringen und Wankheim kraft Gesetzes mit der Gemeinde Kusterdingen zum 1. Januar 1975 zusammengeschlossen.4

… und in die Gegenwart

Heute leben in den fünf Ortsteilen Kusterdingens zusammen5 knapp 8 300 Einwohner auf einem Gemeindegebiet von 24 km2. Kusterdingen ist damit gemessen an der Bevölkerungszahl als auch an der Gemarkungsfläche die sechstgrößte Kommune im Landkreis Tübingen. Mit 342 Einwohnern je km2 liegt die Bevölkerungsdichte unter der des Landkreises Tübingen (418), aber höher als im Landesdurchschnitt (301). Knapp ein Fünftel der Gemarkungsfläche ist mit Wald besiedelt – und damit nur etwa die Hälfte des entsprechenden Kreis- bzw. Landeswertes. Deutlich größer ist dort dagegen der Anteil der Landwirtschaftsfläche. Felder und Streuobstwiesen prägen deshalb das Landschaftsbild.

Weitere Ergebnisse zur Struktur und Entwicklung Kusterdingens sollen im Folgenden schlaglichtartig vorgestellt werden. Hierzu wurde auf den umfangreichen Datenbestand des Landesinformationssystems Baden-Württemberg (LIS) zurückgegriffen:

  • Kusterdingen – im »jüngsten« Kreis Baden-Württembergs gelegen – hat selbst eine relativ junge Bevölkerung: Das Durchschnittsalter lag Ende 2006 bei 39,7 Jahren, der Anteil der 65-Jährigen und Älteren bei nur gut 16 %. Landesweit war die Bevölkerung im Schnitt 41,7 Jahre alt und immerhin knapp 19 % waren 65 Jahre alt oder älter.
  • Kusterdingen hat seine Einwohnerzahl seit Ende 1997 um knapp 400 Personen erhöht; das Plus lag mit 5 % unter dem Kreisergebnis (6 %), aber höher als landesweit (3 %).
  • Der Bevölkerungsanstieg resultiert ausschließlich aus einer günstigen Geburten-Gestorbenen-Relation; und diese ist wiederum auf eine etwas höhere Geburtenrate als im Landesdurchschnitt6, vor allem aber auf die junge Altersstruktur der Bevölkerung zurückzuführen. Dagegen sind in Kusterdingen in den letzten Jahren etwas mehr Personen weg- als zugezogen, während der Landkreis Tübingen und auch das Land insgesamt im Betrachtungszeitraum ein deutliches Wanderungsplus erzielen konnten. Schaubild 2 zeigt die jährliche Bevölkerungsbilanz Kusterdingens seit 1997 und macht deutlich, dass seither die Zahl der Geburten in jedem Jahr über der der Sterbefälle lag, während der Wanderungssaldo in 4 Jahren negativ war.
  • Wesentlich dynamischer verlief die Arbeitsplatzentwicklung in Kusterdingen: Seit 1997 hat dort die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um gut ein Fünftel zugenommen – der dritthöchste Wert der 15 Kommunen im Landkreis Tübingen. Im Durchschnitt des Landkreises lag die Zunahme im gleichen Zeitraum nur bei + 7 %, landesweit sogar nur bei + 4 %.
  • Trotz dieser positiven Entwicklung der Beschäftigtenzahl ist das Arbeitsplatzangebot in Kusterdingen weiterhin unterdurchschnittlich: Im Jahr 2007 kamen hier 150 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte auf 1 000 Einwohner; im Landkreis Tübingen waren es immerhin 285 und landesweit sogar 354 je 1 000 Einwohner. Dieser unterdurchschnittliche Wert ist sicherlich auf die räumliche Nähe zu den beiden Arbeitsplatzzentren Reutlingen und Tübingen zurückzuführen.
  • Die Arbeitsplatzversorgung spiegelt sich auch in der Einpendler-Auspendler-Relation wider: Auf 100 Auspendler waren im Jahr 2007 nur 40 Beschäftigte nach Kusterdingen eingependelt. Der entsprechende Wert für Gemeinden, die eine ähnliche Größe wie Kusterdingen aufweisen (Kommunen mit zwischen 5 000 und 10 000 Einwohnern), liegt bei 60 Einpendlern je 100 Auspendlern.
  • Die Wirtschaftsstruktur Kusterdingens wird immer noch vom Produzierenden Gewerbe dominiert: Hier sind gut 60 % der Beschäftigten tätig, doppelt so viele wie im Landkreis Tübingen. Nicht zuletzt wegen der hohen landwirtschaftlichen Ertragsmesszahl (68)7 spielt in der Härtengemeinde auch heute noch die Landwirtschaft eine relativ bedeutende Rolle: Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe hat sich zwar einerseits in den letzten zwei Jahrzehnten auf ein Drittel verringert, andererseits wurden diese im Zuge des Strukturwandels insbesondere durch die Übernahme der Flächen von aufgebenden Betrieben stetig größer. In Kusterdingen hat sich die Betriebsgröße allein in den letzten 20 Jahren auf durchschnittlich 47 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche mehr als verdreifacht.
  • Die räumliche Nähe Kusterdingens zu den Zentren Tübingen und Reutlingen dürfte für die überdurchschnittlichen Baulandpreise in der Härtengemeinde mitentscheidend sein: Im Durchschnitt der Jahre 2004 bis 2006 mussten dort für einen Quadratmeter baureifes Land im Schnitt 275 Euro bezahlt werden; im Landkreis Tübingen und im Land insgesamt waren es durchschnittlich nur 182 bzw. 180 Euro. Trotz dieser hohen Preise liegt der Anteil der Einfamilienhäuser an den Wohngebäuden (65 %) über dem Durchschnittswert des Landkreises Tübingen (61 %). Und auch die durchschnittliche Wohnfläche je Wohnung ist um ca. 7 m2 größer als im Schnitt des Kreises.8
  • Die Steuerkraftmesszahl, die neben der Gewerbesteuer, den Grundsteuern A und B auch den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer umfasst, liegt in Kusterdingen mit 520 Euro je Einwohner deutlich unter dem Landesdurchschnitt (692 Euro je Einwohner); und auch verglichen mit Gemeinden, die hinsichtlich der Bevölkerungszahl Kusterdingen entsprechen, ist sie geringer (Kommunen mit zwischen 5 000 und 10 000 Einwohnern: 609 Euro je Einwohner.)
  • Erheblich günstiger ist dagegen in Kusterdingen die kommunale Schuldenlast (Kernhaushalt und Eigenbetriebe): Mit 266 Euro je Einwohner liegt sie deutlich unter dem Durchschnitt der Gemeinden im Landkreis Tübingen (737 Euro je Einwohner) und auch unter der hinsichtlich der Größe vergleichbarer Kommunen (693 Euro je Einwohner).

Weitere Ergebnisse lassen sich für Kusterdingen – und natürlich auch für alle anderen Kommunen des Landes – direkt über das Internet abrufen.

1 Vgl. Der Landkreis Tübingen – amtliche Kreisbeschreibung, Band II, herausgegeben von der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Tübingen, Stuttgart 1972, S. 406. (Zitierweise: Der Landkreis Tübingen).

2 Vgl. Der Landkreis Tübingen, S. 406.

3 Vgl. Schmid, Walter: Die Auswanderung auf den Härten – Hintergründe und Ziele einer historischen Entwicklung des 18. – 20. Jahrhunderts aus ortsgeschichtlicher Sicht, herausgegeben von Schmid, Hans-Jörg, 1995, S. 9 sowie S. 140.

4 Ausführlich beschrieben ist der Gemeindezusammenschluss bei: Bauer, Harald: Bilanz einer Gemeindefusion – Strukturen, Prozesse und Perspektiven am Beispiel der neuen Gemeinde Kusterdingen, in: Geschichtsspuren – Schriften zur Geschichte des Raumes Härten, Band 1, herausgegeben vom Geschichtsverein Härten e.V., 2003, S. 63 ff.

5 Ergebnisse der amtlichen Statistik sind nur für rechtlich selbstständige Gemeinden und damit nicht für Ortsteile verfügbar.

6 Die allgemeine Fruchtbarkeitsziffer lag im Durchschnitt der Jahr 1997 bis 2006 in Kusterdingen bei 54 und landesweit bei 47 Geburten je 1 000 Frauen im Alter von 15 bis unter 45 Jahren.

7 Es gibt in Baden-Württemberg nur 77 Gemeinden mit einer höheren Ertragsmesszahl, die höchste gilt für Kornwestheim (88). Die Ertragsmesszahl gibt Aufschluss über die Bodenqualität, das heißt die relative Ertragsfähigkeit bei ortsüblicher Bewirtschaftung. Die EMZ kann Werte zwischen 7 und 100 annehmen.

8 Insbesondere bei diesen Angaben im Bereich »Bauen und Wohnen« ist das starke Gewicht der Universitätsstadt Tübingen für die Kreisergebnisse zu beachten. Würden die Werte für die Stadt Tübingen aus dem jeweiligen Landkreisergebnis herausgerechnet, so wäre der Einfamilienhausanteil Kusterdingens unterdurchschnittlich und auch die Wohnfläche je Wohnung entspräche nur noch dem Landkreisdurchschnitt.