:: 8/2008

Nichtversetzte 2007 – Die Quoten sinken

Ende Juli des Jahres erhalten die Schülerinnen und Schüler der allgemeinbildenden Schulen in Baden-Württemberg ihre Jahreszeugnisse. Nicht alle von ihnen haben das Klassenziel erreicht. Immer wieder kritisieren Verbände, Gewerkschaften und Politik das System des »Sitzenbleibens«.

Der vorliegende Beitrag analysiert die Nichtversetzten des Landes im Jahr 2007 an den Schularten Grund- und Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Von den insgesamt fast 1,2 Mill. Schülerinnen und Schülern haben knapp 19 400 das Klassenziel nicht erreicht. Mit 3,6 % hatten die Realschulen die meisten Nichtversetzten. Allerdings sind die Quoten im Vergleich zum Vorjahr an allen betrachteten weiterführenden Schularten gesunken. Mädchen schneiden besser ab als Jungen. Bei jeder Schulart lassen sich eine oder zwei »kritische« Klassenstufen feststellen. Zwischen den Stadt- und Landkreisen schwanken die Nichtversetzten-Quoten erheblich: Zum Beispiel an den Hauptschulen von 0,5 % im Landkreis Waldshut bis zu 3,4 % im Stadtkreis Mannheim.

Kritik am System des »Sitzenbleibens«

Kritik am System des »Sitzenbleibens« gibt es bundesweit schon lange. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Politiker und Verbände wie der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) sprechen von »pädagogisch fragwürdigen«, aufwendigen Maßnahmen mit hohen Zusatzkosten. Gefordert wird stattdessen zum Beispiel die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler und die Umwidmung der Ausgaben in zusätzliche Lehrerstellen1.

In den letzten Jahren haben viele Bundesländer Modellversuche und Sonderprogramme aufgelegt bzw. die Möglichkeit der Nachprüfung geschaffen. Im April dieses Jahres haben in Nordrhein-Westfalen Vertreter der Lehrerorganisationen und das Ministerium für Schule und Weiterbildung eine »Initiative gegen das Sitzenbleiben« auf den Weg gebracht. Die Initiative ist auf 3 Jahre angelegt, wird wissenschaftlich begleitet, evaluiert und mit 100 zusätzlichen Lehrerstellen (bei maximal 300 beteiligten Schulen) ausgestattet2.

In Baden-Württemberg wurde zum Schuljahr 2004/05 die Möglichkeit der probeweisen Aufnahme in die nächsthöhere Klassenstufe gegeben (vgl. zum Beispiel § 1 (9) Versetzungsordnung Hauptschulen). Wer das Klassenziel nicht erreicht hat, kann unter bestimmten Voraussetzungen für einen Zeitraum von etwa 4 Wochen in die nächsthöhere Klassenstufe auf Probe versetzt werden – und bei entsprechendem Prüfungsergebnis dort bleiben. Im Jahr 2007 wurden von den Hauptschulen 192, von den Realschulen 371 und von den Gymnasien 578 Schülerinnen und Schüler gemeldet, die diese Möglichkeit in Anspruch nahmen3.

Nichtversetzten-Quoten an Haupt-, Realschulen und Gymnasien gesunken

Der Begriff »Nichtversetzte« wird in diesem Beitrag verwendet für diejenigen Schülerinnen und Schüler, die das Klassenziel nicht erreicht haben: Diese Schüler können dann wiederholen, auf Probe versetzt werden oder die Schule verlassen4.

Zum Ende des Schuljahres 2006/07 erreichten an den Grundschulen 2 665 Schülerinnen und Schüler (0,8 %, wie im Vorjahr) das Klassenziel nicht. Hier ist erst ab Klassenstufe 2 die Nichtversetzung möglich. An den Hauptschulen verfehlten 1,7 % (Vorjahr: 2,0 %), an den Gymnasien 2,7 % (Vorjahr: 2,9 %) und an den Realschulen 3,6 % (Vorjahr: 3,9 %) das Ziel der Klasse. Damit ist an allen betrachteten weiterführenden Schulen die Quote der Nichtversetzten gesunken, und zwar auf den jeweils niedrigsten Wert der letzten 15 Jahre. Nach wie vor weisen die Realschulen die höchsten Nichtversetzten-Quoten auf, gefolgt von den Gymnasien. An dritter Stelle stehen die Hauptschulen, ganz unten mit den niedrigsten Quoten die Grundschulen.

Mädchen schneiden besser ab als Jungen

Mädchen erreichten das Klassenziel – wie in den vorangegangenen Jahren auch – deutlich häufiger als Jungen. Während die geschlechtsspezifischen Nichtversetzten-Quoten an den Grundschulen noch recht eng beieinander lagen, gab es an den weiterführenden Schulen eindeutige Diskrepanzen:

männlichweiblich
Grundschule0,90,7
Hauptschule2,11,3
Realschule4,52,8
Gymnasium3,52,0

An den Realschulen war der Unterschied zwischen den Geschlechtern mit 1,7 Prozentpunkten am höchsten. Auch an den Gymnasien war der Abstand Mädchen zu Jungen mit 1,5 Prozentpunkten ähnlich hoch.

Klassenstufe 9 an Realschulen mit den höchsten Nichtversetzten-Quoten

Die »Erfolgsquote«, also der Anteil der Schülerschaft, der das Klassenziel erreicht, variiert nicht nur zwischen den Schularten und den Geschlechtern, sondern auch ganz erheblich zwischen den einzelnen Klassenstufen. An den Hauptschulen des Landes ist es in den vergangenen 10 Jahren insbesondere die Klassenstufe 8 gewesen, in der die anteilig meisten Schülerinnen und Schüler das Klassenziel nicht erreichten (2007: 2,6 %).

An den Realschulen haben zum Ende des Schuljahres 2006/07 7,1 % der Neuntklässler das Klassenziel verfehlt. Damit ist hier die Klassenstufe 9 offenbar mit einem besonders hohen Risiko der Nichtversetzung verbunden, und zwar über die gesamten letzten 10 Jahre hinweg. Auch die Nichtversetzten-Quoten der Klassenstufe 8 liegen jeweils noch deutlich über dem entsprechenden Durchschnitt aller Klassenstufen. In jedem der 10 betrachteten Jahre sind an den Realschulen die Nichtversetzten-Quoten von Klassenstufen 5 bis 9 jeweils stetig angestiegen und im letzten Schuljahr, der 10. Klasse, wieder stark zurückgegangen.

An den Gymnasien in Baden-Württemberg liegen die Nichtversetzten-Quoten in der Eingangsklassenstufe 5 in allen 10 betrachteten Jahren deutlich unterhalb der 1 %-Marke. Auch die Quoten der Jahrgangsstufe 6 sind noch vergleichsweise niedrig. An den Gymnasien scheint es überwiegend die Klassenstufe 10 zu sein, die das größte Risiko birgt, das Klassenziel nicht zu erreichen. Dies mag etwas verwundern, da mit dem erfolgreichen Absolvieren dieser Klassenstufe (ohne zusätzliche Prüfungen) der Erwerb eines dem Realschulabschluss gleichgestellten Abschlusses verbunden ist.

Zum Schuljahr 2004/05 wurde an den Gymnasien flächendeckend das 8-jährige Gymnasium (G8) eingeführt. Im Vergleich zu früheren Jahren mit dem 9-jährigen Gymnasium (G9) ist in der Klassenstufe 5 kein spürbarer Unterschied feststellbar, in der 6. Klassenstufe aber ein leichter Anstieg von 1,0 % im Jahr 2005 (noch G9) zu 1,5 % bzw. 1,6 % im Jahr 2006 bzw. 2007 (beide komplett G8). Im Schuljahr 2006/07 war der erste Schülerjahrgang des flächendeckenden G8 bereits in der 7. Klassenstufe. Zum Ende dieses Schuljahres (2007) verfehlten 2,5 % der Schülerinnen und Schüler das Klassenziel – etwas mehr als in den beiden Vorjahren, in denen noch das G9 vorherrschte. Allerdings gab es in früheren Jahren auch im G9 in der 7. Klassenstufe schon öfter Nichtversetzten-Quoten von 2,5 oder höher.

Quoten schwanken stark zwischen den Stadt- und Landkreisen

Auch zwischen den einzelnen Stadt- und Landkreisen fallen die Nichtversetzten-Quoten sehr unterschiedlich aus. Dabei sind die Vorjahreswerte teilweise den aktuellen Werten recht ähnlich, teilweise weichen sie aber auch spürbar voneinander ab.

An den Hauptschulen reichte die Spanne der Quoten zum Ende des Schuljahres 2006/07 von 3,4 % im Stadtkreis Mannheim bis zu 0,5 % im ländlich geprägten Landkreis Waldshut. Auch im Jahr zuvor hatte Mannheim mit damals 3,9 % die landesweit höchste Quote an Nichtversetzten und der Landkreis Waldshut immerhin die zweitniedrigste Quote. Von den 9 Stadtkreisen war im Jahr 2007 nur Baden-Baden besser als der Landesdurchschnitt.

An den Realschulen hatte im Jahr 2007 der Stadtkreis Karlsruhe mit 8,6 % die relativ meisten Nichtversetzten, der Landkreis Biberach mit 1,6 % die wenigsten. Diese Kreise belegten auch im Vorjahr ähnliche »Plätze«: Damals hatte der Stadtkreis Karlsruhe nach dem Stadtkreis Heidelberg die zweitmeisten Nichtversetzten, der Landkreis Biberach die viertwenigsten. Auffällig ist, dass im Jahr 2007 unter den 10 Kreisen mit den relativ meisten Nichtversetzten alle 9 Stadtkreise waren – und im Jahr 2006 immerhin 8 von ihnen.

Deutlich weniger als an den Realschulen schwankten die Nichtversetzten-Quoten an den Gymnasien. Den höchsten Wert mit 4,1 % wiesen hier im Jahr 2007 die Stadtkreise Heilbronn und Pforzheim auf, den niedrigsten mit 1,4 % der Landkreis Schwäbisch Hall. Hier waren im Jahr 2007 unter den 5 Kreisen mit den höchsten Nichtversetzten-Quoten 4 Stadtkreise – ebenso wie im Vorjahr.

1 Vgl. Pressemeldung des BLLV: Auslese im Schulsystem verschlingt Millionen, vom 7. Mai 2008.

2 Vgl. Pressemitteilung des Ministeriums für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen: Initiative gegen das Sitzenbleiben, vom 29. April 2008.

3 Unabhängig von der probeweisen Aufnahme in die nächsthöhere Klassenstufe gibt es an den Gymnasien weiterhin die Möglichkeit der »ausnahmsweisen« Versetzung nach § 1 (3) Versetzungsordnung Gymnasien; hier wurden im Jahr 2007 119 Fälle gemeldet.

4 Im Gegensatz zu den Nichtversetzten gehören zu den auch oft ausgewerteten »Wiederholern« freiwillige und nicht freiwillige Wiederholer.