:: 9/2008

Die Berufsakademie: Eine baden-württembergische Erfolgsgeschichte

Ausbildung oder Studium? An dieser Frage ist schon mehr als ein Abiturient fast verzweifelt. In Baden-Württemberg kann man seit über 30 Jahren beides miteinander verbinden. Die Berufsakademien im Lande mit der Kombination aus Praxis im Betrieb und Theorie an der Hochschule versprechen kurze Ausbildungszeiten, anschließend attraktive Anfangsgehälter sowie gute Aufstiegschancen. Kein Wunder, dass sich die Berufsakademien zum Erfolgsmodell entwickelt haben und immer mehr junge Menschen sich für dieses duale Studium entscheiden.

Ein Kind der 70er

Berufsnahe Bildung ist immer eine Stärke Baden-Württembergs gewesen. Zu erkennen ist dies an den zahlreichen Berufsfachschulen und -kollegs und an den vielen breit über das Land verteilten Fachhochschulen. Hinzu kommt noch die spezifisch südwestdeutsche Erfindung: die Berufsakademie (BA).

Geboren wurde die Alternative zu Uni- und Fachhochschulstudium in den 70er-Jahren. Daimler, Bosch und SEL erarbeiteten das »Stuttgarter Modell«, die Keimzelle der Berufsakademie. Im Zusammenspiel von Staat, Wirtschaft und sozialen Einrichtungen sollten praxisnahe, 3-jährige Studiengänge in den Fachrichtungen Wirtschaft, Technik und Sozialwesen entstehen.

Die ersten beiden Akademien wurden 1974 in Stuttgart und Mannheim unter heftigem Sperrfeuer gegründet, denn der Trend ging damals zu einer längeren Ausbildungszeit und größerer Theorielastigkeit. Als »Kaderschmiede der Wirtschaft« lehnten die Gegner das Modell Berufsakademie ab. Sie rieben sich daran, dass die kooperierenden Unternehmen die Lehrpläne beeinflussen, denn in den Fachausschüssen der Berufsakademien sind Wissenschaftler und Praktiker gleichermaßen vertreten.

Großer Zustrom an Interessenten

Den Bedenkenträgern zum Trotz hat sich die Ausbildungsspezialität aus dem Ländle durchgesetzt. 1974 gingen in Baden-Württemberg 164 Studierende in 51 Betrieben an den Start. Mittlerweile studieren knapp 21 000 Studentinnen und Studenten an den heute 8 Berufsakademien des Landes, die sich auf 11 Standorte verteilen und mit ca. 7 500 Betrieben kooperieren. An den 70 Hochschulen des Landes waren im Wintersemester 2007/08 rund 232 000 Studierende eingeschrieben.

Vorbei sind die Zeiten, in denen die Ausbildung an Berufsakademien als »Schmalspurstudium« diffamiert wurde. Die Berufsakademien sind randvoll und zwar nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in den 3 Bundesländern, die das baden-württembergische Modell übernommen haben. In Sachsen, Thüringen und Berlin, wo die BA seit 2003 in eine Fachhochschule integriert ist, durchlaufen mehr als 7 000 Studierende eine duale Ausbildung. Darüber hinaus gibt es in Hessen, Niedersachsen, Saarland und Schleswig-Holstein Berufsakademien, aber nur in privater Trägerschaft. An allen Berufsakademien in Deutschland studierten 2006 insgesamt über 30 000 Studentinnen und Studenten, davon zwei Drittel in Baden-Württemberg.

Zweigleisig zum Erfolg

Vor mehr als 30 Jahren übertrug man das Prinzip der »dualen Berufsausbildung« auf die Hochschulen. Das Erfolgsrezept ist einfach: Abiturienten bekommen eine praxisnahe Ausbildung, indem sie Mitarbeiter eines Unternehmens und zugleich Studierende an einer Berufsakademie werden. Theorie und Praxis sind dabei besonders eng verzahnt: Ausbildungsphasen in den Firmen wechseln mit Unterrichtsblöcken an der Berufsakademie ab. Neben dem hohen Praxisbezug bietet das duale Studium an den Berufsakademien auch noch finanzielle Sicherheit. Die Studierenden erhalten von den Unternehmen während der gesamten 3 Jahre eine Ausbildungsvergütung. Voraussetzung für die Aufnahme eines BA-Studiums sind das Abitur und ein Arbeitsvertrag mit einem innerhalb des »dualen Hochschulsystems« ausbildenden Unternehmen.

Finanzielle Sicherheit ist aber auch nach dem Berufsakademie-Abschluss so gut wie garantiert: Knapp 90 % der Absolventen verlassen die Akademie mit einem Arbeitsvertrag in der Tasche. Qualitätsmerkmal der Absolventen ist eine sehr hohe »Employability«. Diese schnelle Anpassungsfähigkeit an die Erfordernisse des betrieblichen Alltags wird von den Firmen sehr stark nachgefragt.

Ein allgemeiner Hochschulabschluss soll es werden

Hatten es die Absolventen von Berufsakademien schon immer leicht im Arbeitsleben Fuß zu fassen, mussten sie häufig, wenn sie anderswo weiterstudieren wollten, zahlreiche bürokratische Hürden nehmen. Das soll sich nun ändern.

Die baden-württembergische Regierung will die Berufsakademien »weiterentwickeln«, die Abschlüsse und die Qualität der Ausbildung sollen sich dem Niveau von Hochschulen angleichen. Künftig soll es eine Duale Hochschule Baden-Württemberg geben, die eine Körperschaft öffentlichen Rechts ist und nicht länger nachgeordnete Behörde eines Ministeriums. »Die Absolventen der Berufsakademien brauchen einen Abschluss, der international vergleichbar ist. Sie müssen insbesondere die Sicherheit haben, an jeder deutschen Hochschule einen Master machen zu können«, sagt Wissenschaftsminister Frankenberg. Die Umetikettierung der Berufsakademie wird seit Jahren diskutiert, aber erst der Wegfall des Hochschulrahmengesetzes im Herbst 2008 macht diese Reform möglich. Bislang haben die Berufsakademien keinen Forschungsauftrag. Auch das soll sich ändern, die Duale Hochschule Baden-Württemberg wird einen staatlichen Forschungsauftrag haben.

Stärken des dualen Studiums

Studium in kleinen Gruppen

Berufsakademien bieten den Studierenden sehr gute Rahmenbedingungen. Die Vorlesungen werden grundsätzlich in kleinen Gruppen abgehalten, die einen persönlichen Kontakt zu Dozenten und Mitstudierenden ermöglichen. Anonymität wie an vielen Universitäten und Fachhochschulen ist an Berufsakademien kein Thema.

Kurze Studiendauer

Das Studium an der Berufsakademie dauert in der Regel 3 Jahre und ist sehr straff organisiert. Dadurch ist der Altersdurchschnitt der Absolventen bei Berufseintritt mit unter 24 Jahren deutlich geringer als bei Absolventen anderer Hochschulen.

Praxisorientierung

Die baden-württembergischen Berufsakademien bieten eine attraktive praxisbezogene Alternative zum Hochschulstudium. Durch die enge Verzahnung von Theorie und Praxis wird die betriebliche Realität erfahren, praktisches Können wird schon während des Studiums erworben und vertieft. Die Studieninhalte werden dabei ständig den aktuellen Erfordernissen der Wirtschaft angepasst, so dass den BA-Absolventen der »Praxisschock« beim späteren Eintritt in das Berufsleben erspart bleibt.

Finanzielle Unabhängigkeit

Die Studierenden erhalten in der Regel von den Betrieben für die gesamte Dauer des Studiums eine monatliche Vergütung von ca. 800 Euro, sodass die auch heute an den Berufsakademien zu entrichtende Studiengebühr von 500 Euro pro Semester für den Einzelnen zumindest finanziell etwas abgefedert wird.

Dozenten

Neben den Professoren der Berufsakademie werden kompetente Dozenten aus der Lehre und der beruflichen Praxis als Lehrbeauftragte verpflichtet. Diese differenzierte Auswahl an Lehrenden gewährleistet sowohl Praxisnähe als auch Wissenschaftsbezug in den Vorlesungen. 40 % der Studieninhalte werden von hauptberuflichem Personal gelehrt, 60 % der Dozenten sind Praktiker aus den Ausbildungsbetrieben oder nebenberuflich Tätige von Hochschulen.

Geringe Studienabbrecherquote

Als Studienabbrecher gelten ehemalige Studierende, die zwar an einer deutschen Hochschule eingeschrieben waren, aber dann das Hochschulsystem ohne einen Abschluss verlassen haben. Von ca. 6 400 Studierenden, die 2004 ein BA-Studium im Land angefangen haben, konnten in Jahr 2007 fast 5 600 einen erfolgreichen Abschluss vorweisen. Das bedeutet, dass im Gegensatz zu den Universitäten und Fachhochschulen, an denen nach einer Untersuchung der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) ca. 20 % der Studienanfänger das Studium aufgeben, es an den Berufsakademien weniger als halb so viele sind.

Attraktiv für den Arbeitsmarkt

Unmittelbar nach Studienabschluss können die BA-Absolventen meistens anspruchsvolle Aufgaben im Betrieb übernehmen. 2007 haben 70 % der Absolventen einen Arbeitsplatz in ihrer Ausbildungsstätte bekommen. Nur knapp 4 % der Abgänger waren im Herbst 2007 auf Arbeitsplatzsuche, wesentlich weniger als Abgänger anderer Hochschularten.

Nachahmer weltweit

Mit der Berufsakademie Baden-Württemberg wurde eine der erfolgreichsten bildungspolitischen Innovationen in der Bundesrepublik geschaffen. Sie hat Nachahmer im In- und Ausland gefunden. So bestehen heute Berufsakademien in Indonesien, Kolumbien und Spanien. Selbst in China hat man sich die Berufsakademie zum Vorbild genommen. 2004 wurde in Shiyan (1 000 km südwestlich von Peking) die erste chinesische Berufsakademie nach dem baden-württembergischen Modell eröffnet. Eines aber darf man nicht außer Acht lassen: Voraussetzung für das Wachstum und für das Funktionieren der Berufsakademien ist eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen.

Die baden-württembergischen Berufsakademien sollen bis 2012, wenn wegen der im Jahr 2004 flächendeckenden Einführung des 8-jährigen Gymnasiums gleich zwei Jahrgänge Abitur machen, stark ausgebaut werden. Die Zahl der Studienplätze soll bis dahin um 50 % auf etwa 30 000 steigen, was aus der Sicht der Wirtschaft wegen der Dichte an mittelständischen Unternehmen im Südwesten gut zu schaffen ist.