:: 9/2008

»Deutsche und Italiener kennen sich seit vielen Jahrhunderten so gut, dass sie sich (manchmal) nicht verstehen«1

Walla: Herr Salvadori, als Generalkonsul Italiens kennen Sie Land und Leute im Südwesten Deutschlands besonders gut. Allenthalben sehen Sie hier im Süden italienische Einflüsse: auf die Architektur zum Beispiel, Sie hören klassische und moderne italienische Musik im Rundfunk, italienisches Essen ist nicht mehr wegzudenken, italienische Mode, wenn auch nicht in deren Hochform, findet man auch außerhalb Baden-Badens, italienische Autos sind wieder im Kommen – warum meinte Luigi Vittorio Ferraris, der ehemalige Botschafter Italiens in Berlin, »dass man sich zwar kennt aber manchmal nicht versteht.«

Salvadori: Ich bin mir nicht sicher, den Sinn dieses berühmten Satzes des Botschafters Ferraris genau erläutern zu können. Ich denke jedoch, mich nicht sehr zu täuschen, wenn ich Ihnen antworte, dass sich dieser Satz auf die Tatsache bezieht, dass es die Sprache selbst ist, das heißt die italienische Sprache für die Deutschen und wiederum die deutsche Sprache für die Italiener, die eine seit eh und je noch schwer zu überwindende Barriere für die Italiener und die Deutschen darstellt. Dieser Umstand führt, trotz des langen Umgangs miteinander, manchmal zu Missverständnissen.

Es gibt keine zwei anderen Völker, die durch die Geschichte und die geografische Nähe, durch den kulturellen Hintergrund und die Wirtschaft dermaßen aneinander gebunden sind, und innerhalb des europäischen Kontextes ständigen Kontakt zueinander haben, die sich jedoch bisweilen einander fremd sind und Gefangene alter irreführender Klischees.

Walla: Wie sieht das Angebot der italienischen Sprache in Baden-Württemberg aus?

Salvadori: Selbst wenn in Baden-Württemberg inzwischen vermehrt Italienisch an den Schulen angeboten wird und auch die Zahl der an diesem Unterricht teilnehmenden Schüler gestiegen ist, bleibt das Fach Italienisch im hiesigen Schulsystem immer noch stark hinter den Sprachen Englisch und Französisch zurück, und muss außerdem mit der spanischen Sprache konkurrieren. Ich meine damit nicht, dass Englisch durch Italienisch ersetzt werden soll, das wäre unsinnig. Ich kann aber feststellen, dass das derzeitige Italienisch-Angebot bei Weitem nicht der Nachfrage von Familien mit Schulkindern entspricht. Aufgrund einer Rechtsverordnung, die neben der Weltsprache Englisch weiterhin aus geschichtlichen und politischen Gründen das Fach Französisch begünstigt und dadurch anderen Präferenzen der Bevölkerung nicht genügend Rechnung trägt.

Walla: Und wie sieht das im Vergleich zu Italien und mit dem dortigen Interesse an Deutsch aus?

Salvadori: Abgesehen von oben genannter Zunahme des Italienischunterrichts in Baden-Württemberg gibt es ein deutliches Ungleichgewicht. Wenn man bedenkt, dass in Italien acht Mal so viele Schüler und Studenten Deutsch lernen wie dies umgekehrt in Deutschland für Italienisch der Fall ist. Die Zahl derjenigen, die in Deutschland Italienisch lernen, beträgt trotz der Begeisterung der Deutschen für unsere Sprache an den deutschen Schulen lediglich 55 000 und an den Universitäten der Bundesrepublik 25 000. Darüber hinaus läuft der Italienischunterricht an deutschen Universitäten Gefahr, wegen Engpässen im Haushalt und/oder infolge der Konkurrenz durch die spanische Sprache eingestellt zu werden. Selbst die Zahl derjenigen, die einen Sprachkurs an den Italienischen Kulturinstituten (7 000) oder bei der Dante-Alighieri-Gesellschaft (8 000) besuchen, entspricht nur einem Drittel derer, die in Italien am Deutschunterricht des Goethe-Instituts teilnehmen. Um es kurz zu fassen, der italienischen Sprache sollte bzw. könnte im deutschen Schulsystem eine bessere Stellung zukommen. Vor allem in einem Land wie Baden-Württemberg, das nicht nur aufgrund seiner geografischen Lage, seiner Geschichte und Kultur nahe an Italien liegt, sondern das auch durch den engen Austausch in Wirtschaft und Handel und die starken touristischen Ströme eng verbunden ist.

Walla: Früher gehörte eine ausgedehnte Italienreise zum Bildungskanon des Adels und des gebildeten Bürgertums. Wegen Dante oder Raffael wird heute niemand mehr seine Kinder Italienisch lernen lassen, warum denn dann?

Salvadori: Nennen wir also die Gründe: Baden-Württemberg übt auf den deutsch-italienischen Handelsaustausch eine starke Magnetwirkung aus. Das Land zieht 25 % des gesamten italienischen Exports nach Deutschland. Dieser beinhaltet nicht nur – wie es allgemein in der Presse den Anschein erweckt – die herkömmlichen Branchen wie Mode und Gastronomie, sondern überwiegend den Maschinen- und Anlagenbau sowie den Automobilsektor, sodass man sogar sagen kann, dass die von Deutschland mit großem Erfolg weltweit ausgeführten Güter auch italienische Technologie in sich tragen. Zahlreiche schwäbische Firmen, die entweder Niederlassungen italienischer Gesellschaften bilden oder wichtige Beteiligungen italienischen Kapitals aufweisen oder die enge Geschäftsbeziehungen zu Italien unterhalten, verstärken durch ihre Tätigkeit die wirtschaftliche Präsenz Italiens in Baden-Württemberg und die baden-württembergische Präsenz in Italien. Und es gilt sicher nicht nur im Badischen und Schwäbischen, dass man bessere Geschäfte macht, wenn man die Sprache des Partners versteht und sich nicht eines Mediums bedienen muss.

Walla: Das gilt sicher auch für Touristen.

Salvadori: Genau ein Drittel der deutschen Touristen, die Italien bereisen, stammt aus Baden-Württemberg. Hinzukommt die Tatsache, dass die italienische Gemeinschaft in diesem Bundesland 166 000 Bürger umfasst, die hier ihren festen Wohnsitz haben und dadurch eine nicht zu vernachlässigende Zugkraft für das »System Italien« bilden. Das sind Menschen mit zwei Muttersprachen möchte ich fast sagen. All diese Faktoren stützen und vergrößern die Italienisch-Nachfrage unter der Bevölkerung Baden-Württembergs, wodurch unsere Sprache ein großes Potenzial zur sprachlichen Integration in das lokale gesellschaftliche und kulturelle Leben besitzen kann. Um das Potenzial umzusetzen muss man bereits in der Schule ansetzen, wo sich das Erlernen von Italienisch als eine Bereicherung in der Bildung junger Menschen herausstellen kann, die später bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz möglicherweise von Vorteil ist.

Man muss sich also bewusst darüber sein, dass Italienisch nicht nur eine Sprache der Kultur und der Elite darstellt, die hilfreich ist beim Kunst- und Musikstudium, sondern auch eine Sprache der Gegenwart, in der Werte und Inhalte aus dem täglichen Leben in modernsten Ausdrucksformen der jüngeren Zeit mitgeteilt werden. Dies macht die italienische Sprache für eine breitere Öffentlichkeit attraktiv wie beispielsweise für Touristen und Geschäftsleute, die entsprechende Sprachkenntnisse im täglichen Leben bzw. in der Arbeitswelt einsetzen können, wie die Erfolge des italienischen Exports in vielen Bereichen bescheinigen.

Walla: Ohne politische Überzeugungsarbeit scheint mir das aber nicht zu gelingen.

Salvadori: Sicher, aber gerade in einem Land wie Deutschland – und erst recht in Baden-Württemberg – müssen wir mit Überzeugung und zielgerichtet eine Sprachpolitik voranbringen, bei der unser Augenmerk auf das deutsche Schulsystem zu konzentrieren ist. Wir müssen erreichen, dass auch die deutsche Bevölkerung Italienisch nicht erst im Erwachsenenalter lernt, sondern dem heutigen Trend entsprechend bereits von klein an, das heißt schon in der Schule. Gleichzeitig würde dies auch die Schullaufbahn der italienischen Kinder begünstigen, die von einem höheren Stellenwert der italienischen Sprache im lokalen Schulsystem und dem Italienischunterricht gemeinsam mit ihren deutschen Klassenkameraden nur profitieren könnten.

Walla: Wie wollen Sie das erreichen?

Salvadori: Die grundlegende Aufgabe einer konsularisch-diplomatischen Vertretung besteht darin, der Öffentlichkeit im Gastland ein Bild vom System Italien zu liefern, das die italienische Realität so vollständig, modern und wahrheitsgetreu wie möglich unter ihren verschiedenen Aspekten wiedergibt, und zwar so wie Italien sich heute darstellt mit seinen positiven Seiten, seiner Attraktivität und dabei aber auch mit den dort vorhandenen Problematiken …

Walla: … über die negativen Seiten und Ereignisse berichtet die Presse schon von sich aus …

Salvadori: Leider. Es erscheint dennoch offensichtlich, dass zu diesem Zweck die italienische Sprache für lokale Gesellschaften ein grundlegendes Kommunikationsinstrument darstellt. Somit kann auch der italienische Staat nicht umhin, eine Politik der Sprache zu führen. Es handelt sich hierbei um eine unausweichliche Herausforderung vor die uns die erweiterte Europäische Union mit ihren über zwanzig, formal gleichgestellten, Amts- aber nicht Verkehrssprachen stellt. Dies gilt umso mehr in einem Land wie Deutschland, das für Italien in jeder Hinsicht von wichtiger Bedeutung ist und in dem eine der größten, im Ausland lebenden italienischen Gemeinschaften weltweit ansässig ist.

Walla: Nochmals, wie wollen Sie das erreichen?

Salvadori: Die oben beschriebene Aufgabe ist nicht einfach zu bewältigen, jedoch auch kein unerreichbares Ziel, wie die in den letzten 2 Jahren erzielten, nennenswerten Ergebnisse belegen. Mit Sicherheit können unsere Ambitionen nicht dahingehen, mit der englischen Sprache – der mittlerweile einzigen weltweit verbreiteten Sprache – zu konkurrieren. Wir erkennen auch die aus historisch-politischen Gründen vorrangige Position der französischen Sprache an. Jedoch können und müssen wir trotzdem Italienisch unter den großen nationalen Sprachen in Deutschland fördern und verhindern, dass unsere Sprache als die Muttersprache einer ausländischen Minderheit oder aber als Sprache mit Elitecharakter für Studiosi und für die Freizeit betrachtet wird. Wir dürfen weder resigniert und untätig die vorrangige Behandlung der englischen und französischen Sprache hinnehmen, noch dürfen wir radikale Veränderungen zu unseren Gunsten innerhalb des lokalen Schulsystems erwarten. Was wir hingegen tun können und müssen ist, die vorhandenen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, da sie mehr Spielräume zulassen als in der Vergangenheit, um das Italienischangebot an den örtlichen Schulen bekannt zu machen und zu verbessern.

Gerade seit Kurzem bietet uns die hiesige Schulgesetzgebung eine konkrete Chance, um das Erlernen der italienischen Sprache an den Schulen des Landes in expotentiellem Maße zu steigern. Gemeint sind hierbei die Ganztagsschulen, welche unter anderem auch die Einführung von Fremdsprachen innerhalb des erweiterten Unterrichtsangebots vorsehen. Wie wir im letzten Schuljahr feststellen konnten, handelt es sich hierbei um eine einmalige Gelegenheit, das Italienischangebot möglicherweise um ein Vielfaches zu erweitern, insbesondere wenn auch die zukünftige Ausrichtung des muttersprachlichen Italienischunterrichts miteinbezogen wird. Dessen traditionelle didaktische Bedeutung erscheint für das Erlernen der Muttersprache seitens der Migrantenkinder mittlerweile überholt, da im Falle der Italiener nicht mehr von Auswanderern gesprochen werden kann, als vielmehr von Mitbürgern, die ihren festen Wohnsitz in diesem Land haben. Ohne dass wir erst von der deutschen Seite darauf hingewiesen werden müssen (siehe unter anderem den Fall Rastatt2, sind wir jetzt an der Reihe zu verstehen, dass der muttersprachliche Italienischunterricht ein hervorragendes Instrument für unsere Sprachpolitik darstellen kann und sich der finanzielle Aufwand nur auszahlen wird, wenn über einen Qualitätssprung die allmähliche Umwandlung vorgenannten muttersprachlichen Unterrichts in ein normales Fremdsprachenangebot vollzogen werden kann, welches auch für die deutschen Kinder und Jugendlichen zugänglich und attraktiv ist.

Walla: Herr Konsul, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Italienischunterricht an Schulen in den Regierungsbezirken Karlsruhe, Stuttgart, Tübingen

Vorliegende Veröffentlichung basiert auf einer Untersuchung die das Italienische Generalkonsulat in Stuttgart über das Angebot des Italienischunterrichts an sämtlichen Schulen in Baden-Württemberg – mit Ausnahme von jenen des Konsulatgebietes bzw. Regierungsbezirks Freiburg – vorgenommen hat. Im Schuljahr 2007/2008 wurde die Verbreitung des Italienischunterrichts erheblich verstärkt: Inzwischen wird das Fach Italienisch an 199 Schulen angeboten (vgl. 110 im Schuljahr 2006/2007) und dementsprechend ist auch die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die Italienisch lernen, von 6 440 im vorhergehenden Schuljahr auf mittlerweile 9 938 angestiegen. Was die Unterrichtsform anbelangt, so haben sich die Italienisch-Arbeitsgemeinschaften an Ganztagsschulen hervorragend entwickelt wie auch der Tandem-Unterricht. Letzterer sieht die gleichzeitige Anwesenheit einer italienischen Lehrkraft neben der des deutschen Klassenlehrers im Regelunterricht vor und hat – nach der erfolgreich verlaufenen Bewertung durch das Kultusministerium zu urteilen – gute Aussichten auf seine Weiterentwicklung. Leider stehen einer Ausweitung des Italienischunterrichts als dritte Wahlfremdsprache an Realschulen nach wie vor die geltenden ministeriellen Vorschriften im Wege, die eine solche nur an den Gymnasien zulassen. Hingegen wächst die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die bilinguale deutsch-italienische Züge besuchen und die somit das Interesse an einem solchen Bildungsangebot sowohl unter den italienischen als auch unter deutschen Familien bestätigen.

1 Zitat von Luigi Vittorio Ferraris, ehemaliger Botschafter in Berlin a.D.

2 Die Stadt hatte aus Furcht vor einer Parallelgesellschaft Ende 2006 den muttersprachlichen Unterricht an ihren Schulen verboten. Vgl. Focus, (Stand: August 2008).