:: 9/2008

Zur indikatorgestützten Berechnung des vierteljährlichen Bruttoinlandsprodukts für Baden-Württemberg

Ansätze für eine methodische Weiterentwicklung

Aussagen zu gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen leben von ihrer Aktualität und verfügen daher über eine geringe »Halbwertszeit«. Veränderungsraten des Bruttoinlandsprodukts einer gerade abgelaufenen oder noch laufenden Periode erfreuen sich seitens der Politik, der Wissenschaft und der Öffentlichkeit großer Aufmerksamkeit. Im Hinblick auf die konjunkturelle Entwicklung sind daher auch quartalsweise Veränderungen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von großem Interesse. Entsprechende Berechnungen werden vonseiten des Arbeitskreises »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« (AK VGR dL) für die Bundesländer allerdings nicht vorgenommen. Dieser weist BIP-Veränderungsraten für die Länder für das 1. Halbjahr und jährlich aus. Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg führt jedoch seit einigen Jahren eigene BIP-Quartalsberechnungen für das Land durch, die auf quartalsweise vorliegenden Indikatoren basieren. Im vorliegenden Beitrag wird am Beispiel der Bruttowertschöpfung für das Verarbeitende Gewerbe in Baden-Württemberg ein ökonometrisches Verfahren zur Verteilung jährlicher VGR-Werte auf nicht beobachtete Quartalswerte angewandt, das das bisherige Verfahren künftig in wesentlichen Punkten verbessern könnte: So werden neben Veränderungsraten auch absolute Werte errechnet, wobei die Konsistenz der indikatorbasierten Quartalsrechnung mit den Jahresergebnissen unabhängig vom Berechnungsstand gewährleistet ist.

Für die quartalsweise Berechnung der preisbereinigten Veränderungsraten des baden-württembergischen BIP wird auf Indikatoren zurückgegriffen, die einen engen inhaltlichen und damit auch statistischen Zusammenhang zu den Teilaggregaten des BIP (also der Bruttowertschöpfung nach Wirtschaftsbereichen und den Nettogütersteuern) aufweisen. Hierzu müssen die Indikatoren natürlich auch zumindest quartalsweise vorliegen. Für die Berechnungen der Bruttowertschöpfung (BWS: Differenz aus Produktionswert und eingesetzten Vorleistungen) der jeweiligen Wirtschaftszweige werden Indikatoren als Schlüsselgröße herangezogen, die in der Übersicht aufgeführt sind. Soweit möglich, wird dabei auf länderspezifische Indikatoren zurückgegriffen. Wo diese nicht vorliegen, muss mit Bundeswerten vorlieb genommen werden.

Für die Wirtschaftsbereiche A-B (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei) sowie C (Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden) liegen zwar geeignete und auf Quartalsebene verfügbare Länderindikatoren vor. Da diese Bereiche gesamtwirtschaftlich in Baden-Württemberg aber nur geringes Gewicht haben, wird der Einfachheit halber angenommen, dass sich das Wachstum dieser Branchen im Land genauso entwickelt wie im Bund. Da die Anteile der genannten Wirtschaftszweige in Bund und Land unterschiedlich sind, werden die Bundeswachstumsraten mit dem Anteil gewichtetet, den die jeweilige Branche im Vorjahr an der baden-württembergischen Wirtschaftsleistung hatte. Damit ergeben sich (hypothetische) baden-württembergische Wachstumsbeiträge. Ein ähnliches Verfahren mit deutschlandweiten Branchen-BWS-Werten als Schlüsselgrößen findet für die Bereiche I (Verkehr und Nachrichtenübermittlung), J-K (Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister) sowie L-P (Öffentliche und private Dienstleister) Verwendung. Für den Wirtschaftszweig E (Energie- und Wasserversorgung) wird ebenfalls die bundesdeutsche BWS-Entwicklung als Indikator für den Landeswert herangezogen, oder alternativ die Elektrizitätserzeugung im Land.

Grundsätzlich könnte dieses recht einfache und intuitiv einleuchtende Verfahren auch für die Berechnung der Wachstumsbeiträge der übrigen Wirtschaftszweige angewandt werden. Tatsächlich werden aber zur Berechnung der übrigen sektoralen Quartalswerte Länderindikatoren herangezogen, von denen man annimmt, dass sie zur jeweiligen landesspezifischen sektoralen BWS in engerer Beziehung stehen als die entsprechenden Bundeswerte. Dies sind Umsatzzahlen, für das Baugewerbe aber auch geleistete Arbeitsstunden, bzw. für das Verarbeitende Gewerbe zur Absicherung der Plausibilität neben den Umsätzen der Produktionsindex. Hinzugezählt wird als Korrektiv die Differenz zwischen den Veränderungsraten des Branchenumsatzes in Deutschland und der Bruttowertschöpfung in Deutschland. Um schließlich von der Landesveränderungsrate der BWS zu der des BIP zu gelangen, überträgt man die Differenz der Wachstumsraten von Bundes-BIP und Bundes-BWS auf das Land.

Jede indikatorgestützte Berechnung länderspezifischer BIP/BWS-Quartalswerte ist notwendigerweise eine Schätzung und damit grundsätzlich mit der Möglichkeit von Schätzfehlern behaftet. Nicht zuletzt im Umgang mit diesen Schätzfehlern unterscheiden sich die verschiedenen Verfahren. Problematisch an der bislang praktizierten Methode ist, dass diese Art der indikatorgestützten Berechnung eher ad hoc erfolgt – der Zusammenhang von Indikator- und Zielgröße wird postuliert, ohne dass dieser empirisch in irgendeiner Form untersucht würde. So wird auch jede Beobachtungsperiode für sich betrachtet, ohne Informationen aus der Vergangenheit zu nutzen. Die Möglichkeit von Schätzfehlern wird damit ausgeblendet. Die Konsequenz ist, dass sich die BWS-Schätzwerte der Wirtschaftszweige für die Quartale nur näherungsweise zu den tatsächlichen Jahreswerten aggregieren lassen. Selbst wenn die auf diese Weise ermittelten BWS-Werte um den Faktor korrigiert werden, um den Umsatz- und BWS-Entwicklung im Bund1 differieren, wird das Problem nicht gelöst, sondern nur verlagert.

Ein Weg, die zu berechnenden Variablen – deren wahre (oder auch »nur amtlichen«) Werte man nicht kennt – möglicherweise dennoch realitätsnäher abzubilden, besteht darin, sich die bereits vorhandenen Zeitreihen zunutze zu machen und den angenommenen Zusammenhang von Indikator- und Zielgröße mit ökonometrischen Verfahren zu quantifizieren. Eine »naive« Variante wäre, die Regression von jährlicher Indikatorreihe und jährlicher Zielreihe auf die entsprechenden Quartalsreihen zu übertragen. Eine solche Vorgehensweise würde allerdings wie beim bisher angewendeten Verfahren nicht sicherstellen, dass die solchermaßen geschätzten Quartalsreihen wieder die Jahreswerte ergeben.

Bereits 1971 wurde von Chow und Lin2 ein Verfahren unter anderem zur temporalen Disaggregation von Zeitreihen vorgeschlagen, das den Unzulänglichkeiten der bisher angewandten, eher intuitiven Methode Rechnung trägt. Das nach den beiden Autoren benannte Verfahren, das im Laufe der Zeit verschiedene Weiterentwicklungen erfahren hat, wird heute auch von Eurostat verwendet. Eurostat hat mit ECOTRIM auch ein Computerprogramm entwickelt, das das Chow/Lin-Verfahren der temporalen Disaggregation von Zeitreihen automatisiert.3 Nierhaus (2007)4 nutzt ECOTRIM zur Berechnung der vierteljährlichen Wirtschaftsleistung im Freistaat Sachsen. Cors (2008)5 berechnet unter Verwendung von ECOTRIM Quartalswerte allein für die BWS der Wirtschaftsbereiche Verarbeitendes Gewerbe und Baugewerbe Bremens.

Im Folgenden sollen die Möglichkeiten und Vorteile des Verfahrens anhand von quartalsweisen Berechnungen der Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes in Baden-Württemberg veranschaulicht werden (für die Grundzüge des Chow/Lin-Verfahrens vgl. i-Punkt). Die Ergebnisse des Verfahrens sind in der Tabelle wiedergegeben und im Schaubild dargestellt.

Wie anhand dieser Tabelle nachzuvollziehen ist, liefert die Quartalsberechnung für das Verarbeitende Gewerbe überzeugende Ergebnisse: Die Summe der absoluten Quartalswerte (Spalten 3 bzw. 5) entspricht dem Jahresaggregat (Spalten 4 bzw. 6). Entsprechend sind auch die preisbereinigten Quartalswachstumsraten zum Vorjahreszeitraum (Spalte 7) mit den jeweiligen Jahreswachstumsraten (Spalte 8) konsistent. Um dies zu sehen, müssen die Quartalswachstumsraten gewichtet addiert werden (gewichtete Quartalswachstumsraten in Spalte 9), da für die Jahreswachstumsrate gilt:

Formel für die Wachstumsrate

Ein entscheidender Vorteil des Chow/Lin-Verfahrens zur temporalen Disaggregation von Zeitreihen liegt darin, dass diese Konsistenz hinsichtlich der temporalen Aggregation immer gegeben ist, auch wenn die Ausgangsdaten revidiert werden, wie dies in der VGR regelmäßig und in der Fachstatistik mitunter der Fall ist. Ändert sich die Indikatorreihe der Umsätze oder die zu disaggregierende Reihe der jährlichen Bruttowertschöpfung (zum Beispiel durch neue Berechnungsstände), berechnet das Chow/Lin-Verfahren die Quartalswerte neu, ohne die temporale Aggregationsrestriktion zu verletzen. Des Weiteren eignet sich das Verfahren nicht nur zur nachträglichen Verteilung eines jährlichen BWS/BIP-Wertes auf einzelne Quartale, sondern auch zur Extrapolation am aktuellen Rand: Quartalswerte können somit berechnet werden soweit die erforderlichen Indikatoren vorliegen, was für die Konjunkturbeobachtung des Landes von besonderer Bedeutung ist. Wendet man dieses Verfahren, das sich für den bedeutenden Wirtschaftsbereich des Verarbeitenden Gewerbes als praktikabel erwiesen hat, auf die anderen Wirtschaftsbereiche an, für die Länderindikatoren vorliegen, können weite Teile der (gesamtwirtschaftlichen) BIP-Quartalsberechnungen auf ein konsistentes methodisches Fundament gestellt werden.

1 Für den Bund liegen für beide Zeitreihen Quartalswerte vor.

2 Chow, Gregory C./Lin, An-loh: Best Linear Unbiased Interpolation, Distribution, and Extrapolation of Time Series by Related Series, in: The Review of Economics and Statistics, 53/4 (1971), 372-375.

3 Vgl. Barcellan, Roberto/Buono, Dario: ECOTRIM Interface, User Manual, o. O. 2002 (pdf-Datei).

4 Nierhaus, Wolfgang: Vierteljährliche Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen für den Freistaat Sachsen mit Hilfe temporaler Disaggregation; Aktuelle Forschungsergebnisse des ifo Dresden 4/2007.

5 Cors, Andreas: Vierteljährliche Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für Bremen: Möglichkeiten und Grenzen, in: Statistisches Landesamt Bremen (Hg.); Statistische Hefte 1/2008, 3-9.