:: 12/2009

Migrantinnen und Migranten in Baden-Württemberg

Handlungsansätze für eine kommunale Integrationspolitik

Die Integration der im Land lebenden Migranten ist eine Aufgabe, der sich die Kommunen und Landkreise Baden-Württembergs schon seit Langem stellen. Beispielsweise vollzog sich die Integration der (Spät‑)Aussiedler überwiegend im ländlichen Raum. Derzeit erfährt die Integrationspolitik große politische und öffentliche Aufmerksamkeit (zum Beispiel Nationaler Integrationsplan der Bundesregierung 2007, Integrationsplan des Landes Baden-Württemberg 2008). Angesichts des hohen Migrantenanteils will in Baden-Württemberg eine wachsende Zahl von Kommunen die Lebensbedingungen und Lebenschancen der ortsansässigen Bevölkerung mit Migrationshintergrund weiter verbessern – für ein gutes und gleichberechtigtes Zusammenleben. Dieser Artikel beschreibt einzelne Lebensumstände von Migrantinnen und Migranten in Baden-Württemberg anhand aktueller Mikrozensus-Auswertungen und stellt Ansatzpunkte für eine erfolgreiche kommunale Integrationspolitik vor, die bereits im Land praktiziert werden.

Warum kommunale Integrationspolitik?

Familien mit Migrationshintergrund leben vor allem in den alten Bundesländern und dort insbesondere im städtischen Raum, wobei Baden-Württemberg unter den Flächenländern Deutschlands den höchsten Migrantenanteil hat. Aber auch in kleineren Kommunen wächst der Migrantenanteil – und damit auch die Bedeutung dieses Handlungsfelds. Die Kommunen sind die unmittelbarsten Lebenswelten der Menschen, die Orte an denen Integration »passiert« – oder auch nicht. Angesichts von demografischem Wandel und Globalisierung mit Bevölkerungsrückgang und Fachkräftemangel sind Migranten für Kommunen ein wichtiges Entwicklungspotenzial – vorausgesetzt deren Integration gelingt.

Ist das nicht der Fall, dann wird die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe wesentlicher Bevölkerungsgruppen erschwert und der gesellschaftliche Zusammenhalt kann unter Spannung geraten. Defizite bei der Integration haben für die Kommunen außerdem auch monetäre Konsequenzen. Die kommunalen Sozialausgaben steigen zum Beispiel mit einem wachsenden Anteil von Jugendlichen ohne Berufsausbildung, denen der Einstieg ins Erwerbsleben nicht gelingt. Darüber hinaus können sich Defizite bei der Integration negativ auf die Wahrnehmungen der Lebensqualität vor Ort und auf die Qualität des Zusammenlebens auswirken. Es lohnt sich also, sich als Kommune für eine erfolgreiche Integration der Bürger/-innen mit Migrationshintergrund einzusetzen.

Wer zählt zu den Menschen mit Migrationshintergrund?

Der Begriff »Menschen mit Migrationshintergrund« wurde in den 90er-Jahren geprägt, um Migrationsfolgen unabhängig von der Staatsangehörigkeit wissenschaftlich analysieren zu können. Die Bezeichnung ist mittlerweile auch im alltäglichen Sprachgebrauch fest etabliert. Sie wird allerdings oft nicht im Sinn ihrer offiziellen Definition durch die amtliche Statistik sondern lediglich als Ersatzbegriff für die Kategorie Ausländer verwendet. Nach der Definition der amtlichen Statistik zählen zu den Personen mit Migrationshintergrund: »alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil«.1

Damit umfasst die Gruppe der »Menschen mit Migrationshintergrund«

  1. Alle in Deutschland lebenden Ausländer, also sowohl die Ausländer, die selbst zugewandert sind, als auch die in Deutschland geborenen Ausländer.
  2. Alle Deutschen mit Migrationshintergrund, das heißt folgende Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit:
    • Spätaussiedler und Eingebürgerte,
    • Kinder von Spätaussiedlern und Eingebürgerten,
    • Kinder ausländischer Eltern, die bei der Geburt zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben (»Ius Soli«-Regelung2),
    • Kinder mit einseitigem Migrationshintergrund, bei denen nur ein Elternteil Migrant ist sowie
    • eingebürgerte, nicht zugewanderte Ausländer.

Die Einführung des Auswertungskonzepts Migrationshintergrund durch die amtliche Statistik bedeutet gegenüber dem bisher hauptsächlich verwendeten Merkmal Staatsangehörigkeit einen deutlichen Informationsgewinn. Denn die Gruppe der Ausländer allein ist zu eng gefasst, wenn zum Beispiel in der Familien-, Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik spezielle Förder- und Unterstützungsbedarfe aufgrund von Migrationsfolgen beziffert werden sollen (siehe i-Punkt Seite 12).

Lebenslagen von Migrantinnen und Migranten in Baden-Württemberg

Grundsätzlich gilt nach wie vor: Migrantinnen und Migranten in Deutschland leben hauptsächlich in den industriellen Ballungszentren Westdeutschlands. Im Bundesländervergleich auf der Grundlage von Mikrozensus-Daten verzeichneten 2007 die westdeutschen Stadtstaaten Hamburg und Bremen mit jeweils 26 % den höchsten Migrantenanteil. Bei den Flächenländern führen Baden-Württemberg und Hessen mit Anteilen von 25 und 24 %, gefolgt von Nordrhein-Westfalen mit 23 %. Die Spitzengruppe liegt damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 19 %, wobei zu berücksichtigen ist, dass die ostdeutschen Bundesländer im Schnitt über einen Migrantenanteil von nur 5 % verfügen.

Die Struktur der baden-württembergischen Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist relativ heterogen. Die stärksten Gruppen bildeten 2007 mit einem Anteil von 23 % die Menschen türkischer Herkunft, gefolgt von Migranten aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens mit 14 % und aus Italien mit 12 %.3

Wie Schaubild 1 zur Verteilung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund auf die verschiedenen Gemeindegrößenklassen zunächst zeigt, steigt der Migrantenanteil mit der Gemeindegröße. Zugleich ist für die Ansiedlung von Migranten in Baden-Württemberg aber auch ein dezentrales Verteilungsmuster kennzeichnend, das die mittelständisch geprägte Wirtschaftsstruktur des Landes widerspiegelt: 2007 lebten rund 23 % der Migranten in Klein- und Mittelstädten bis 100 000 Einwohner. Auch für ländlich geprägte Klein- und Mittelstädte ist es also wichtig, Strategien und Maßnahmen im Bereich kommunale Integrationspolitik zu entwickeln. Dies insbesondere wenn man darüber hinaus bedenkt, dass die Migranten 2007 bei der für den Bildungsverlauf und für die zukünftige Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials entscheidenden Altersgruppe der unter 25-Jährigen einen Anteil von 34 % stellten.

Außerdem ist die Erwerbslosenquote bei den in Baden-Württemberg lebenden Migranten laut Mikrozensus 2007 mit rund 9 % mehr als doppelt so hoch wie bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund mit einem Anteil von rund 4 %. Dass bei der Bildungsintegration weiterhin erheblicher Nachholbedarf besteht, zeigt Schaubild 2 zum schulischen und beruflichen Bildungsniveau. Nach wie vor bleibt bei den Migranten ein deutlich höherer Prozentsatz ohne allgemeinbildenden Schulabschluss als in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass 2007 etwa 32 % der Migranten im Alter von 25 bis unter 35 Jahren über keinen beruflichen Abschluss verfügten.

Handlungsansätze für eine gelingende Integration auf kommunaler Ebene

Im Rahmen des Internetportals »Familienfreundliche Kommune« (i-Punkt Seite 15) wird unter der Rubrik »Migration und Integration« anhand von Praxisbeispielen dokumentiert, welche Handlungsansätze Kommunen in Baden-Württemberg in diesem Bereich bereits verfolgen. Grundsätzlich spielt Bildung eine Schlüsselrolle für eine gelingende Integration. Deshalb gilt es insbesondere auf kommunaler Ebene, Eltern mit Migrationshintergrund aktiv für das Ziel »gute Bildungserfolge für die eigenen Kinder« zu gewinnen. Dazu gehört beispielsweise, deren Kinder möglichst ab dem Vorschulalter über die Kindertageseinrichtungen gezielt und möglichst gut zu fördern und diese Förderung auch im Schulalter weiter aufrechtzuerhalten. Durch den Aufbau lokaler Kooperationsstrukturen kann die Vielfalt der bereits bestehenden Angebote besser miteinander verzahnt und auf die Zielgruppen abgestimmt werden. Gute Erfahrungen haben viele Kommunen außerdem zum Beispiel mit der Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtungen, Familienbildungsanbietern und Grundschule sowie zwischen Hauptschule, Jugendhilfe und Ausbildungsbetrieben gemacht. Ein weiterer zukunftsweisender Ansatz für die kommunale Praxis sind berufsbegleitende Qualifizierungsangebote für Geringqualifizierte mit Migrationshintergrund – eine Personengruppe, die in Zukunft bei steigenden Qualifikationsanforderungen des Arbeitsmarktes wachsenden Beschäftigungsrisiken ausgesetzt sein wird.

Neben Strategien und Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungsintegration ist es wichtig, vor Ort – vor allem in Quartieren mit hohem Migrantenanteil – Gelegenheiten für interkulturelle und interreligiöse Begegnungen zu schaffen, um ein gutes Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu fördern. Eine vorausschauende Planung für den Stadt-/Ortsteil wertet sozial benachteiligte Wohngebiete auf und versucht über an die örtlichen Gegebenheiten angepasste Maßnahmen, eine möglichst ausgewogene soziale und ethnische Mischung zu fördern. Ein weiterer bewährter Baustein einer nachhaltigen kommunalen Integrationspolitik ist es, bürgerschaftliches Engagement – zum Beispiel in Form von Patenschaften für den Übergang von der Schule in den Beruf – gezielt zu stärken. Dabei bietet es sich an, auch örtliche Vereine und Migrantenverbände mit einzubeziehen. Schließlich kann auch die Kommune als Arbeitgeber Zeichen für eine gelingende Integration setzen, indem sie zum Beispiel auf allen Qualifikationsebenen (mehr) Personal mit Migrationshintergrund einsetzt und ihre Dienstleistungen durch den Abbau von Barrieren für die Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen öffnet.

Zentraler Erfolgsfaktor für kommunale Integrationspolitik ist zunächst, dass das Thema von den wichtigsten kommunalen Entscheidungsträgern mit persönlichem Engagement vorangetrieben wird. Grundvoraussetzung für den Erfolg integrativer Maßnahmen sind gegenseitiger Respekt und gegenseitiges Vertrauen, das erst aufgebaut werden muss. Engagierte Migranten und deren Verbände können dabei als Türöffner und Multiplikatoren viel bewegen. Außerdem ist es wichtig, Integration als Querschnittsaufgabe zu verstehen und für eine konsequente Zusammenarbeit und Vernetzung aller relevanten Akteure zu sorgen. Von entscheidender Bedeutung ist in jedem Fall, dass eine niedrigschwellige Ansprache und eine aktive Beteiligung der Bürger/-innen mit Migrationshintergrund und ihrer Repräsentanten auf Augenhöhe gelingt. »Mit den Migranten und nicht für die Migranten handeln« kann dabei eine hilfreiche Devise sein. Schließlich hat es sich bewährt, alle Maßnahmen zur Verbesserung von Integration und Zusammenleben im Sinn eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses strategisch zu planen und durchzuführen: von der Zieldefinition über die Umsetzung von Maßnahmen hin zur regelmäßigen Reflektion und Erfolgskontrolle.

1 Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2007): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit – Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Fachserie 1, Reihe 2.2, S. 6.

2 Die »Ius Soli«-Regelung ist ein Rechtsprinzip, nach dem ein Staat seine Staatsbürgerschaft allen Kindern verleiht, die auf seinem Staatsgebiet geboren werden. Mit der Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts 2000 wurde für Kinder ausländischer Eltern unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer bis zur Volljährigkeit bestehenden doppelten Staatsbürgerschaft eröffnet. Bis zum 23. Lebensjahr muss dann die Entscheidung für eine Staatsbürgerschaft getroffen werden (vgl. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (2008), Presseheft: Lebenssituation von Menschen mit Migrationshintergrund in Baden-Württemberg (PDF). Ergebnisse des Mikrozensus. S. 5).

3 Soweit im Rahmen der Mikrozensus-Befragung von 2007 Angaben zur derzeitigen bzw. früheren Staatsangehörigkeit gemacht wurden.