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»Weniger ist mehr« – Ergebnisstabilität und Genauigkeit vor Aktualität

Neue Veröffentlichungstermine des regionalen Bruttoinlandsprodukts

An die statistischen Kennzahlen zur konjunkturellen Entwicklung werden seitens der Datennutzer überaus hohe Ansprüche gestellt: Einerseits sollen sie möglichst zeitnah bereitgestellt, andererseits dann aber möglichst nicht mehr revidiert werden. Für die amtliche Statistik ist dies ein Spagat zwischen Aktualität und Genauigkeit. Die frühzeitig veröffentlichten Ergebnisse des Arbeitskreises »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« zum Wirtschaftswachstum basieren notwendigerweise auf einer noch unvollständigen Datengrundlage und sind teilweise geschätzt. Auf Basis der zwischenzeitlich verfügbaren neuen statistischen Informationen werden diese vorläufigen Zahlen regelmäßig – mehr oder weniger stark – überarbeitet. Gleichwohl drängen Datennutzer, wie erst jüngst der Ausschuss für Währungs-, Finanz- und Zahlungsbilanzstatistiken (AWFZ) bei der Europäischen Kommission, auf eine weiter beschleunigte Bereitstellung amtlicher Konjunkturdaten.

Indessen hat der Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« beschlossen – im Rahmen seines Qualitätsverbesserungsprogramms mit dem Ziel den Revisionsbedarf der Länderergebnisse zu verringern – künftig die Berechnung der Fortschreibungsergebnisse des regionalen Bruttoinlandsprodukts in einem marginal verlängerten Zeitintervall vorzunehmen.

Erste Konjunkturdaten für die Bundesländer: Bisheriger Turnus1

Gemäß dem bisherigen Veröffentlichungsturnus der regionalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) publizierte der Arbeitskreis VGR der Länder – ein gemeinsames Forum aller Statistischen Landesämter – am 6. Februar 2009 erste Länderergebnisse des Bruttoinlandsprodukts für das Berichtsjahr 2008. Nach diesem Berechnungsstand wuchs das baden-württembergische Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2008 – gemeinhin der wichtigste Indikator für die regionale wirtschaftliche Entwicklung bzw. das regionale Wirtschaftswachstum – gegenüber dem Vorjahr real, das heißt vom Einfluss der Preisentwicklung bereinigt, um 0,7 %. Im Vergleich zum Zuwachs der bundesdeutschen Wirtschaft mit 1,3 % Plus verlief die konjunkturelle Entwicklung in Baden-Württemberg nur unterdurchschnittlich.

Die Veröffentlichung eines ersten Jahresergebnisses zur regionalen Wirtschaftsentwicklung erfolgte damit – wie gewohnt – bereits knapp 6 Wochen nach Ablauf des Berichtsjahres. Die frühzeitige Bekanntgabe der von den Datennutzern geforderten hochaktuellen Wachstumszahlen ist für die amtliche Statistik jedoch ein Spagat zwischen Aktualität und Genauigkeit. Zu diesem ersten Veröffentlichungstermin – jährlich Anfang Februar – stehen für die Länderdaten des Bruttoinlandsprodukts noch nicht alle für die Berechnungen in den VGR erforderlichen Ausgangsdaten zur Verfügung. Folglich werden die Ergebnisse zunächst auf unvollständiger Datengrundlage berechnet, teilweise erfolgen auch Schätzungen. Dieses vorläufige Ergebnis, die sogenannte 1. Fortschreibung (FS) des BIP, wird dann zu den nächsten Rechenterminen regelmäßig aktualisiert, indem die jeweils neu verfügbaren statistischen Ausgangsdaten in die Berechnungen eingehen. Datenbedingt aber auch zum Teil verursacht durch methodische Unterschiede zwischen den verschiedenen Berechnungsständen, die sich aufgrund der unterschiedlichen Datenlage ergeben, treten dabei immer wieder Abweichungen zwischen den Ergebnissen in unterschiedlicher Ausprägung auf.

Wie in den vorherigen Jahren wurde die 1. Fortschreibung des BIP 2008 (6. Februar) bis Ende März auf einer breiteren Datengrundlage überarbeitet und die aktualisierten Ergebnisse am 26. März 2009 zum Rechenstand der dann 2. Fortschreibung des regionalen BIP veröffentlicht.

VGR-Ergebnisse auf Bundesebene – Exkurs

Die VGR in Deutschland wird, anders als die Fachstatistiken, nicht von der kleinsten regionalen Ebene bis hin zum nationalen Ergebnis für Deutschland aufsummiert. Genau umgekehrt liegen zuerst nationale, vom Statistischen Bundesamt erstellte VGR-Ergebnisse für Deutschland vor, die danach auf die einzelnen Regionen, angefangen bei den Bundesländern »aufgeteilt« werden bzw. das regionale Ergebnis wird entsprechend auf die Bundeswerte abgestimmt. Damit wird die Konsistenz der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen in Deutschland gewährleistet.

Die vom Arbeitskreis VGR der Länder vorgelegte 1. FS 2008 auf Bundesländerebene (nur BIP) ist dabei abgestimmt auf das vom Statistischen Bundesamt bereits Mitte Januar (14. Januar 2009) erstellte erste Jahresergebnis des Wirtschaftswachstums 2008 für Deutschland insgesamt. Die daraufhin im Rahmen der 2. FS dargestellten tiefer gegliederten Ergebnisse zur Bruttowertschöpfung (BWS) für insgesamt 6 Hauptwirtschaftsbereiche nach Bundesländern sind wiederum abgestimmt auf den nächsten Berechnungsstand der Bundes-VGR, der Ende Februar (25. Februar 2009) vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten detaillierten BIP-Ergebnisse zum 4. Quartal. Jeweils zusammen mit den Ergebnissen für das 4. Quartal des Berichtsjahres publiziert das Statistische Bundesamt damit auch zu diesem Zeitpunkt erste überarbeitete Ergebnisse für das BIP des abgelaufenen Jahres.

Regional größere Abweichungen als auf Bundesebene

Das für Baden-Württemberg zur 1. FS ausgewiesene Wirtschaftswachstum 2008 wurde zur 2. FS um 0,1 Prozentpunkte nach unten auf 0,6 % korrigiert. Insgesamt ergab die aktuelle Neuberechnung zur 2. FS 2008 auf Länderebene Abweichungen der Veränderungsraten des jährlichen BIP (preisbereinigt, verkettet) um bis zu 0,5 Prozentpunkte von den zuvor veröffentlichten Ergebnissen (Schaubild 2). Die vom Statistischen Bundesamt für Deutschland dargestellte Veränderungsrate des preisbereinigten BIP zu den beiden Berechnungsständen blieb dagegen mit jeweils 1,3 % unverändert. Mit den an die ersten Veröffentlichungstermine der Bundes-VGR angepassten Schnellrechnungen des BIP nach Bundesländern wird zwar dem generell hohen Informationsbedarf auch an aktuellen regionalen Konjunkturdaten begegnet. Der Forderung nach möglichst hoher Aktualität steht jedoch die auf Länderebene in besonderem Maße noch merklich eingeschränkte Datenverfügbarkeit zu diesem frühen Rechentermin entgegen. Die Fortschreibungen des regionalen BIP weisen dadurch in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen und der Datensituation auf Länderebene zum Teil eine deutlich stärkere Ergebnisvolatilität auf als die entsprechenden VGR-Werte des Statistischen Bundesamtes für Gesamtdeutschland. Nachteil der beschleunigten Bereitstellung regionaler Konjunkturdaten ist damit eine im Vergleich zur Bundesrechnung geringere Ergebnisgenauigkeit und in der Folge ein höherer Überarbeitungsbedarf.

Mit der Veröffentlichung erster regionaler Wirtschaftsdaten zum 6. Februar wurden turnusmäßig auch die bereits publizierten Ergebnisse des BIP und der Bruttowertschöpfung (BWS) der letzten Jahre aktualisiert. Im Jahr 2009 waren dies die 3. Fortschreibung 2007 sowie die sogenannte Originärberechnung des BIP 2006, 2005 und 2004. Denn erst dann kann sich das Originärberechnungsergebnis regional auf eine weitgehend vollständige Datenbasis stützen. Die für eine »abschließende« Berechnung der Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen notwendigen Basisstatistiken liegen in der Regel aber erst nach 4 Jahren gänzlich vollständig vor. Erst dann gelten die VGR-Ergebnisse als endgültig und müssen nicht mehr regelmäßig revidiert werden – vorbehaltlich der in größeren zeitlichen Abständen (5 bis 10 Jahre) umfassenden Anpassungen (Revisionen) des Gesamtrechnungssystems an neue internationale Konventionen und methodische Verbesserungen. Die laufenden Revisionen der bisher veröffentlichten VGR-Ergebnisse werden notwendigerweise durchgeführt, um alle neu verfügbaren statistischen Informationen in die Berechnungen einzubeziehen. Das BIP wird damit sukzessive auf eine statistisch immer besser fundierte Datenbasis gestellt.

VGR-Kolloquium in Dresden – Transparenz als wesentliches Qualitätsmerkmal

Für das Berichtsjahr 2006 waren für die einzelnen Bundesländer zum Teil deutliche Abweichungen der Veränderungsrate des preisbereinigten BIP gegenüber den zuvor veröffentlichten Angaben zu verzeichnen (Schaubild 3). Der Revisionsbedarf der regionalen VGR-Ergebnisse 2006 – vor allem der großteils starke Rückgang des BIP zwischen den Ergebnissen der 3. und 2. Fortschreibung in den neuen Bundesländern – gab Anlass für Rückfragen verschiedener Datennutzer aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft beim Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder«. Am 11. Juli 2008 fand in Dresden das VGR-Kolloquium »Regionale Gesamtrechnungen« statt. Dort konnten den Teilnehmern die methodischen Aspekte der regionalen VGR sowie die in den unterschiedlichen Berechnungsphasen (1. bis 3. Fortschreibung und Originärberechnung) begründeten wesentlichen Einflussfaktoren der Abweichungen näher erläutert werden:

Kontinuierliche Verbesserung der länderspezifischen Datengrundlagen

Unterschiedliche methodische Konzepte der einzelnen Berechnungsphasen, entsprechend der jeweils unterschiedlichen Datenlage angepasst

Änderungen der Bundeseckwerte, die zwischen den einzelnen Fortschreibungsphasen der regionalen VGR – jeweils zu den neuen Berechnungsständen der nationalen VGR – erfolgen

Verlässlichkeit regionaler BIP-Zahlen vor Aktualität

Für die Nutzer der amtlichen BIP-Daten hat die Verlässlichkeit und Ergebniskonsistenz höchste Priorität. Sowohl auf dem VGR-Kolloquium als auch bei zwischenzeitlich geführten Diskussionen mit Datennutzern wurde einer Verbesserung der Genauigkeit bzw. einer geringeren Volatilität der Fortschreibungsergebnisse der regionalen VGR größere Präferenz beigemessen als höchstmöglicher Aktualität. Eine hohe Revisionsanfälligkeit kann die gesamtwirtschaftlichen Analysen und Konjunkturprognosen wie auch die Politikberatung erschweren und somit Zweifel an der Qualität statistischer Ergebnisse wecken.

Dieser Aspekt hat im Arbeitskreis VGR der Länder im Rahmen seiner laufenden Bestrebungen zur weiteren Qualitätsverbesserung zu einer Überprüfung der bisherigen Veröffentlichungstermine der Fortschreibungen zugunsten höherer Genauigkeit und geringerem Revisionsbedarf geführt. Nach intensiver Prüfung modifizierter Veröffentlichungszeitpunkte der Fortschreibungsergebnisse der regionalen Wachstumszahlen auf Bundesländerebene werden diese Überlegungen im nächsten Berechnungsprogramm der Länder-VGR ab Berichtsjahr 2009 umgesetzt.

Erste Jahresergebnisse des Bruttoinlandsprodukts nach Bundesländern erscheinen ab Berichtsjahr 2009 Ende März

Verschiedene methodische und datenbedingte Gründe sprechen dafür, die Berechnungen des ersten Jahresergebnisses für das Bruttoinlandsprodukt nach Bundesländern künftig etwas später zu terminieren. Die Veröffentlichung erster Regionalergebnisse des BIP durch den Arbeitskreis VGR der Länder, die bislang als sogenannte 1. Fortschreibung des BIP bereits am 6. Februar des Folgejahres publiziert wurde, erfolgt damit künftig in der letzten Märzwoche – so das BIP 2009 am Dienstag, den 30. März 2010. Mit diesem Veröffentlichungstermin ist weiterhin eine erste, ausreichend aktuelle, Ergebnisdarstellung gewährleistet.

Zu diesem Termin werden dann auch die aktualisierten Ergebnisse der früheren Berichtsjahre bereitgestellt, die bisher ebenfalls am 6. Februar veröffentlicht wurden. Im Jahr 2010 sind dies das BIP 2008 (ehemals 3. FS, neu 2. FS 2008) sowie das BIP 2007 und frühere Jahre (sogenannte Originärberechnung). Durch das Zusammenlegen von zwei Fortschreibungsphasen, der früheren 1. und 2. FS, werden die Korrekturhäufigkeiten der regionalen VGR deutlich reduziert: Die Übersicht zeigt die verschiedenen Berechnungsphasen des regionalen Bruttoinlandsprodukts im zeitlichen Zusammenhang anhand der jeweiligen Veröffentlichungstermine der VGR-Länderergebnisse am Beispiel des Berichtsjahres 2009.

Weitere Qualitätsverbesserungen werden realisiert

Durch die zeitliche Verschiebung und Zusammenlegung der Berechnungsphasen können verschiedene Qualitätsverbesserungen bei der neuen 1. Fortschreibung Ende März realisiert werden. Im Einzelnen sind dies:

1. Fortschreibung

  • Die Berechnungen stützen sich nunmehr auf Fortschreibungs-Indikatoren, wie beispielsweise Unternehmensumsätze, für das gesamte Berichtsjahr – bisher waren lediglich die Monate Januar bis Oktober bzw. 1. bis 3. Quartal einbezogen. Regionalspezifische konjunkturelle Entwicklungen der letzten beiden Monate bzw. des 4. Quartals des Berichtsjahres blieben folglich unberücksichtigt.
  • Die Fortschreibungs-Ergebnisse bleiben ein ganzes Jahr lang stabil – bisher wurden zur 2. Fortschreibung Ende März bereits wieder korrigierte regionale BIP-Werte veröffentlicht.
  • Die Länderwerte werden auf die Mitte Februar erstmals überarbeiteten, in der Regel weniger korrekturanfälligen Jahreseckwerte der nationalen VGR abgestimmt – bisher erfolgte die Abstimmung auf die BIP-Schnellmeldung des Statistischen Bundesamts von Anfang Januar.
  • Das regionale BIP wird künftig detailliert nach der Bruttowertschöpfung (BWS) für 6 Hauptwirtschaftsbereiche und das Verarbeitende Gewerbe publiziert – bisher wurden beim ersten Veröffentlichungstermin lediglich das BIP und die BWS im Verarbeitenden Gewerbe dargestellt.

Darüber hinaus lassen sich bei der künftigen 2. Fortschreibung – als Basis der 1. Fortschreibung neu – weitere qualitative Verbesserungen realisieren:

2. Fortschreibung

  • Für die Berechnungen der BWS im Verarbeitenden Gewerbe kann ein vollständigerer Lieferstand der vorläufigen Kostenstrukturerhebung (KSE), der sogenannten Schnell-KSE, verwendet werden. Aus der KSE können wesentliche Informationen zum Vorleistungseinsatz abgeleitet werden – die Schnell-KSE-Daten entsprechen damit – im Gegensatz zu bisher – annähernd der für die spätere Originärberechnung verwendeten endgültigen KSE-Daten.
  • In verschiedenen Dienstleistungsbereichen können länderspezifische Daten genutzt werden – bislang wurden behelfsweise, einheitlich für alle Länder, die Entwicklungen in der nationalen VGR unterstellt.

Fazit

Die Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) der Länder stellen das umfassendste statistische Instrumentarium der regionalen Wirtschaftsbeobachtung dar. Sie liefern für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft unverzichtbare Informationen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf regionaler Ebene. Wesentliche Anforderungen der Wirtschaftsforschung und Politikberatung an die Datenqualität sind insbesondere Genauigkeit und Ergebniskonsistenz. Der begrenzte Aktualitätsverlust der ersten Schnellrechnung regionaler Wachstumszahlen gegenüber der bisherigen Veröffentlichungspraxis des Arbeitskreises VGR der Länder dürfte daher auch aus Nutzersicht vertretbar sein.

Die aktuellen die Ergebnisse der regionalen VGR werden auf den Internetseiten des Arbeitskreises VGR der Länder unter www.vgrdl.de im kostenlosen Download bereitgestellt. Hier können ebenfalls ausführliche Informationen zu den geplanten Veränderungen der Berechnungsphasen und Veröffentlichungszeitpunkte abgerufen werden.

1 Ausführliche Darstellung in Thalheimer, Frank: Im Spannungsfeld zwischen Aktualität und Genauigkeit, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 10/2008, S. 15–21.