:: 8/2011

Die Wirtschaftsleistung in Baden-Württemberg hat bereits wieder das Vorkrisenniveau erreicht

Reales Wirtschaftswachstum 2011 von rund 4 % zu erwarten

Das Tempo der wirtschaftlichen Erholung lässt den Beobachter staunen – nach dem tiefen Rezessionstal, dessen Sohle die baden-württembergische Wirtschaft vor rund 2 Jahren durchschreiten musste, hat die Wirtschaftsleistung nunmehr schon wieder das Vorkrisenniveau des 1. Quartals 2008 erreicht. Auch in der zweiten Jahreshälfte wird die Phase der Hochkonjunktur weiter anhalten, sodass das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Baden-Württemberg im Gesamtjahr 2011 um rund 4 % steigen dürfte. Freilich zeichnet sich mehr und mehr ab – auch der Gesamtkonjunkturindikator des Statistischen Landesamts zeigt das an –, dass der Scheitelpunkt des Booms in Sicht ist.

Das Auslandsgeschäft ist die wesentliche treibende Kraft der schnellen wirtschaftlichen Erholung im Land. Besonders Investitionsgüter aus dem Land sind international sehr gefragt. Nach wie vor steigen die Umsätze im Vorjahresvergleich an, wenngleich hier ein leicht rückläufiger Trend zu verzeichnen ist, der auf eine normale zyklische Abschwächung nach einem rasanten Aufholprozess hinweist.

Die Binnennachfrage entwickelt sich im Windschatten des Auslandsgeschäfts ebenfalls erfreulich. Die Entwicklung stellt sich ähnlich dar: Auch hier gilt, dass die Umsatzsteigerungen im Verarbeitenden Gewerbe hauptsächlich von der Nachfrage nach Investitionsgütern getragen werden, aber auch die Erlöse der Konsumgüterproduzenten steigen im Vergleich zum Vorjahr.

Die gute Geschäftslage der Konsumgüterhersteller ist auch eine Folge der ausgezeichneten Arbeitsmarktlage im Land. Der Beschäftigungsaufbau schreitet voran: Im 1. Quartal 2011 lag die Zahl der Erwerbstätigen um 93 000 über dem Vorjahreswert. Die Arbeitslosenquote betrug im Juni nur noch 3,9 % – der niedrigste Wert seit 2008. Im 2. Quartal belief sich die Zahl der ungeförderten offenen Stellen auf knapp 76 000, das waren fast 28 000 mehr als vor Jahresfrist. Die aktuelle Wirtschaftslage lässt allerdings auch die Verbraucherpreise ansteigen: Im 2. Quartal betrug die Inflationsrate 2,3 %, was in erster Linie auf die Entwicklung der Energiepreise zurückzuführen ist.

Von der Finanz- über die Wirtschafts- zur Schuldenkrise

Rund 2 Jahre hat es gedauert, bis die baden-württembergische Wirtschaft die Ausfälle der Wirtschaftsleistung des Krisenjahrs 2009 wettmachen konnte. Damit verlief die Erholung dynamischer als dies noch vor einem Jahr, geschweige denn zum Höhepunkt der Krise zu erwarten stand. Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose wies in Ihrem Frühjahrsgutachten 2009 auf verschiedene Studien hin, die anhand historischer Daten darlegten, dass die Wirtschaftsleistung nach Rezessionen, die durch eine Finanzkrise ausgelöst wurden, erst nach längerer Zeit wieder ihr Vorkrisenniveau erreicht, als nach Rezessionen ohne diesen auslösenden Faktor. »Alles in allem legt der historische Vergleich nahe, dass für Deutschland mit einem beträchtlichen Einbruch der Produktion zu rechnen ist und die Produktionslücke (…) voraussichtlich nicht vor 2015 wieder geschlossen sein wird«1. Zieht man die Zahlen zur Kapazitätsauslastung der deutschen Industrie heran, stellt man fest, dass der Wert sich nach Angaben der Deutschen Bundesbank im 2. Quartal 2011 mit 86,8 % allerdings bereits wieder ungefähr auf Vorkrisenniveau befindet. Was diesbezüglich für Deutschland insgesamt gilt, dürfte auf Baden-Württemberg übertragbar sein.

Was die letzte Krise von anderen unterschieden hat, war wohl nicht zuletzt das entschiedene Gegensteuern der wirtschaftspolitischen Akteure. Unterschätzt wurde sicherlich auch der Umstand, dass die Finanzkrise verschiedene Wirtschaftsräume unterschiedlich getroffen hat, und zwar die Industrieländer deutlich stärker als die meisten Schwellen- und Entwicklungsländer, die den Nachfrageausfall zum Teil kompensiert haben. Sind wir also noch einmal davongekommen? Es scheint so, zumal die Phase der Hochkonjunktur, in der sich die baden-württembergische Wirtschaft befindet, noch über das Jahr tragen wird. Die baden-württembergische Wirtschaft ist stark in die globale Arbeitsteilung eingebunden, und da die Weltwirtschaft auch weiterhin stärker wachsen dürfte als der Durchschnitt der alten Industrieländer, sind die Perspektiven für Baden-Württemberg durchaus erfreulich.

Rückenwind (und zwar zu starken) erfährt die heimische Konjunktur durch eine Geldpolitik, die zwar gesamteuropäisch ausgerichtet, für Deutschland und erst recht für Baden-Württemberg momentan aber eigentlich zu expansiv ist. Eine jüngst veröffentlichte Untersuchung zeigt, dass die Unterschiede innerhalb der Eurozone hinsichtlich Beschäftigungslücken und Inflationsraten so erheblich sind, dass der Leitzins für die »Kernstaaten« (unter anderem Deutschland) zu niedrig, für die »Peripherie« dagegen zu hoch ist2. Die im April eingeleitete Zinswende der EZB – Anfang Juli wurde der Leitzins erneut um 25 Basispunkte angehoben – nähert sich leicht der konjunkturellen Situation Deutschlands, sie wird das Problem der Peripherieländer aber eher noch verschärfen. Sollten die Kernländer die Notwendigkeit sehen, den Nachfrageeffekten der zu expansiven Geldpolitik zu begegnen, bliebe ihnen noch das Mittel der restriktiven Fiskalpolitik (was zudem die Lage der öffentlichen Haushalte entspannen würde).

Während die weltwirtschaftliche Lage und die geldpolitischen Rahmenbedingungen hierzulande Handlungsmöglichkeiten eröffnen, ist die von Schuldenkrisen geplagte Euro-Peripherie weniger gut dran. Die Geldpolitik dürfte aus ihrer Sicht noch expansiver sein, und für die Fiskalpolitik stehen die Zeichen eher auf Konsolidierung. Was langfristig grundsätzlich sinnvoll ist, bedeutet kurzfristig einen Nachfrageausfall, der bei der Bewältigung der Schuldenkrise nicht hilfreich ist. Nicht nur in den Peripherieländern der Eurozone, auch in den USA und anderen Industrieländern versucht man der Staatsschuldenproblematik mit Sparprogrammen Herr zu werden, um eine erneute Finanzkrise mit unabsehbaren Folgen für die Konjunktur zu verhindern. Auch wenn dies erfolgreich sein sollte, trifft der temporäre Nachfrageausfall natürlich auch die baden-württembergische Exportwirtschaft. Eine zusätzliche Belastung könnte aus einer weiteren Verteuerung des Euro erwachsen, die sich zum einen aus einer steigenden Zinsdifferenz gegenüber dem Dollarraum ergibt, zum anderen durch eine eventuell steigende Bedeutung des Euro als Reservewährung.

1 Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Im Sog der Weltrezession. Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2009, S. 70.

2 F. Nechio (2011): Monetary Policy When One Size Does Not Fit All, in: FRBSF Economic Letter, 2011–18.