:: 9/2012

Die Amtliche Statistik im ersten Jahrzehnt des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg

Durch die Volksabstimmung am 9. Dezember 1951 und die am 9. März 1952 folgende Wahl zur verfassungsgebenden Landesversammlung ergab sich am 25. April 1952 der Zusammenschluss der Bundesländer Württemberg-Baden, Baden und Südwürttemberg-Hohenzollern zu dem neuen Bundesland Baden-Württemberg. Die Gründung des neuen Bundeslandes führte auch zu einer organisatorischen Neustrukturierung im Bereich der Amtlichen Statistik. Mit Wirkung vom 1. Mai 1953 wurde in dem neuen Bundesland durch Bekanntmachung des Innenministeriums Baden-Württemberg ein Statistisches Landesamt mit Sitz in Stuttgart verfügt. Deshalb kann auch das Statistische Landesamt Baden-Württemberg im nächsten Jahr auf eine 60 Jahre währende Tradition zurückblicken.

Aller Anfang ist schwer

Durch die Verfügung des Innenministeriums wurde die Organisation der Amtlichen Statistik in den ehemals eigenständigen Bundesländern Württemberg-Baden, Baden und Südwürttemberg-Hohenzollern komplett umstrukturiert. Bis dato gab es drei Statistische Landesämter mit vier Standorten. Für Württemberg-Baden die Ämter in Stuttgart mit Ausrichtung auf den nordwürttembergischen Landesteil und Karlsruhe mit Ausrichtung auf den nordbadischen Landesteil, das Amt in Freiburg für (Süd-)Baden und das Amt in Tübingen für Südwürttemberg-Hohenzollern. Die Standorte Karlsruhe, Freiburg und Tübingen standen nun vor der Auflösung und wurden erst einmal zu Außenstellen des neuen Amtes in Stuttgart. Der Standort Stuttgart des bisherigen Statistischen Landesamtes Württemberg-Baden sollte die Basis des neuen Amtes werden. Das Stuttgarter Amt konnte auf eine sehr lange Tradition zurückblicken, die bereits 1821 im Königreich Württemberg durch die Einrichtung des Statistisch Topographischen Bureaus begann.

Zunächst sollten die statistischen Erhebungen und manuellen Aufbereitungen in den Außenstellen weiter durchgeführt werden wie auch die Vorarbeiten zur maschinellen Aufbereitung der Statistiken. Die Unruhe unter den Mitarbeitern in den aufzulösenden Ämtern war groß, befürchteten doch viele den Verlust ihrer Arbeitsplätze. Die Zahl der Mitarbeiter in den drei genannten Außenstellen sank bis Ende 1954 auf 40 Personen. Jedoch ging der Personalabbau in den Ämtern nicht so reibungslos vonstatten wie es ursprünglich geplant war. Die Leiter anderer Behörden in Karlsruhe, Freiburg und Tübingen wurden zur Übernahme von Personal der Landesämter aufgefordert. Landesminister, Landtagsabgeordnete und Oberbürgermeister wurden eingeschaltet und gebeten, bei sozialverträglichen Lösungen mitzuwirken. Der Bund der Steuerzahler trat auf den Plan, weil unwirtschaftliches Handeln unterstellt und vermutet wurde. Auch die Personalräte der drei aufzulösenden Ämter wiesen immer wieder auf die noch zu lösenden Personalfragen hin. Wie in allen vergleichbaren Situationen traten auch hier menschliche Unzulänglichkeiten in Erscheinung. Es gab immer wieder wilde Gerüchte über den drohenden Verlust der Arbeitsplätze. Diese Gerüchte wurden durch anonyme Briefschreiber noch zusätzlich geschürt. Das neu geschaffene Statistische Landesamt in Stuttgart hatte alle Hände voll zu tun, um die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen und die Wogen zu glätten.

Für die Mitarbeiter der drei aufzulösenden Ämter ergab sich zwangsläufig eine Fülle von Problemen. Der damalige Wohnungsmangel in Stuttgart ließ manchen, der sonst zu einem Umzug bereit gewesen wäre, an seinem bisherigen Wohnsitz bleiben. Vielen anderen, die aus persönlichen oder familiären Gründen nicht umziehen wollten, gelang es nur schwer, am alten Ort eine gleichwertige Arbeit zu finden. Aus diesem Grunde entschlossen sich letztendlich viele, unter Verzicht auf eine gleichwertige Funktion oder die Aussicht auf eine baldige finanzielle Besserstellung zum Umzug nach Stuttgart.

Der organisatorische Aufbau des Statistischen Landesamtes in Stuttgart war bereits Ende 1953 so gut wie abgeschlossen. Dies zeigt auch der bereits für das Jahr 1954 aufgestellte Organisationsplan des neuen Amtes:

AmtsleiterPräsident Dr. Jostock
Ständiger VertreterMinisterialrat Prof. Dr. Griesmeier
Abteilung I Allgemeine AbteilungOberregierungsrat Dr. Kessner
Abteilung II Bevölkerungs- und KulturstatistikMinisterialrat Prof. Dr. Griesmeier
Abt. III Ernährung und LandwirtschaftOberregierungsrat Dr. Wirth
Abt. IV Industrie- und HandwerksstatistikOberregierungsrat Dr. Niebuhr
Abt. V Allgemeine WirtschaftsstatistikRegierungsrat Dr. Ander
Abt. VI SozialstatistikOberregierungsrat Dr. Oelrich
Abt. VII FinanzstatistikOberregierungsrat Dr. Taras
Abt. VIII LandesbeschreibungMinisterialrat Prof. Dr. Griesmeier
Abt. IX GeophysikOberregierungsrat Prof. Dr. Hiller
Abt. X VeröffentlichungswesenPräsident Dr. Jostock

Aus den zuvor genannten Gründen konnten jedoch die Außenstellen erst mit Wirkung vom 31. März 1955 offiziell aufgelöst werden. Die letzten Abwicklungsarbeiten zogen sich sogar noch bis weit in das Jahr 1956 hin.

Ein weiteres Problem besonderer Art in der Gründungsphase des Statistischen Landesamtes bestand in der Beschaffung von geeigneten Büroräumen. Die einzelnen Abteilungen verteilten sich 1954 auf sechs und 1955 sogar auf zehn verschiedene über die Stadt verstreute Gebäude. Diese räumliche Zersplitterung erschwerte die Arbeit während der Aufbauphase noch zusätzlich. Erst in den 1970er-Jahren konnte das jetzige gemeinsame Amtsgebäude im Stuttgarter Süden bezogen werden.

Neuorganisation im Zeichen der Bundesstatistik

Die Neuorganisation der Amtlichen Statistik in Baden-Württemberg erfolgte zu einem Zeitpunkt, als auch die Aufgaben des Statistischen Bundesamtes durch das 1953 in Kraft getretene Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke festgelegt wurden. Die meisten die Amtliche Statistik betreffenden besatzungsrechtlichen Vorschriften wurden damit abgelöst. Mit diesem Gesetz wurden nicht nur die Aufgaben des Bundesamtes definiert, sondern auch das gesamte Organisations- und Verfahrensrecht sowie das materielle Recht der Amtlichen Statistik in der Bundesrepublik Deutschland neu geregelt. Die auf der Basis dieses Gesetzes erlassenen Bundesgesetze und Rechtsverordnungen sind auch heute die Rechtsgrundlage für viele vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg durchgeführte Statistiken.

Mit dem immer stärker werdenden Bedarf aus Politik und Gesellschaft an soliden und validen statistischen Informationen begann eine Lawine neuer Arbeiten auf das Statistische Landesamt Baden-Württemberg zuzurollen.

Der Schwerpunkt der methodischen Vorbereitungsarbeiten für die einzelnen neu anzuordnenden Statistiken lag zwar beim Statistischen Bundesamt, die Hauptlast der immer stärker anwachsenden Datenermittlung und -verarbeitung musste von den Statistischen Landesämtern erledigt werden. Weiterhin hatte das Statistische Landesamt auch die immer umfangreicher werdenden Anforderungen der einzelnen Landesministerien zu befriedigen. Zu guter Letzt waren auf den der Landesgesetzgebung unterliegenden Gebieten (zum Beispiel im Bildungswesen) neue Landesstatistiken vorzubereiten und durchzuführen und bereits bestehende Statistiken den neuen Erfordernissen anzupassen. Darüber hinaus galt es, die Landesstatistiken – soweit wie möglich – mit denen der anderen Bundesländer zu koordinieren, um ihre Ergebnisse zu Bundesergebnissen zusammenfassen zu können.

Weitere Anforderungen in diesen frühen Jahren ergaben sich durch die Einführung neuer Erhebungs- und Aufbereitungsmethoden. So waren beispielsweise beim Mikrozensus und bei den Einkommens- und Verbrauchstichproben eine Interviewer-Organisation im Lande aufzubauen, die Interviewer anzuwerben und zu schulen. Auch der verstärkte Einsatz maschineller Aufbereitungstechniken – hier speziell die rasante Entwicklung in der elektronischen Datenverarbeitung – erforderte eine immer engere und umfassendere Zusammenarbeit mit den anderen Statistischen Landesämtern und dem Statistischen Bundesamt.1

Die Wirtschaft wächst rasant …

Neben den großen Herausforderungen der fast kompletten Neuorganisation der Amtlichen Statistik in dem neuen Landesamt und den vielen technisch-methodischen Arbeiten, die es zu bewältigen galt, kam auch die wissenschaftliche Auswertung des stetig anfallenden statistischen Materials in diesen frühen Jahren nicht zu kurz. Retrospektiv bleibt festzuhalten, dass die damaligen Statistiker bei auch heute noch durchgeführten Statistiken aufgrund der gesellschaftlichen Gegebenheiten ganz andere Rahmenbedingungen zu untersuchen hatten, als die Statistiker der heutigen Zeit. So entwickelte sich beispielsweise die Wirtschaft in den 1950er-Jahren mit einer Dynamik von der heutige Wirtschaftswissenschaftler in der Bundesrepublik nur träumen können. So vermeldeten die damaligen Wirtschaftsstatistiker des Amtes: »Das Wirtschaftsleben Baden-Württembergs ist so vielgestaltig, dass es schwer ist, dafür einen alles umfassenden Maßstab zu finden. Da ist die Erzeugung der Landwirtschaft und die Produktion einer hochentwickelten Industrie, da sind die Leistungen des Baugewerbes, des Handwerks, der freien Berufe und der Organe des Staates, um nur einige Wirtschaftsbereiche zu nennen. […] Die wirtschaftliche Entwicklung Baden-Württembergs im letzten Jahrzehnt, seine Wirtschaftskraft und seine wirtschaftliche Struktur lassen sich sehr anschaulich mit den bis jetzt vorliegenden Ergebnissen der Sozialproduktsberechnungen darstellen. Das Bruttosozialprodukt […] betrug im Jahr 1950 in Baden-Württemberg noch 13,3 Mrd. DM, im Jahr 1961 aber bereits 45,5 Mrd. DM. In dieser Zunahme von 32,3 Mrd. DM oder um 245 v.H. spiegelt sich der gewaltige wirtschaftliche Aufschwung, über dessen ganzes Ausmaß sich nur mit Hilfe dieser volkswirtschaftlichen Größen eine zahlenmäßige Vorstellung machen lässt. […] Die Höhe des Inlandsprodukts wird wesentlich bestimmt durch seine wirtschaftliche Struktur. Diese aber kann kaum besser dargestellt werden als durch den Anteil der Wirtschaftsbereiche am wirtschaftlichen Gesamtergebnis. Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftsstruktur und der Entwicklung des Sozialprodukts tritt besonders deutlich am Beispiel der Landwirtschaft und der gewerblichen Produktion zutage. Die Landwirtschaft erarbeitet aus Gründen, die als bekannt voraus gesetzt werden können, ein niedrigeres Sozialprodukt pro Kopf als die Industrie oder manche andere Wirtschaftszweige. […] Die wirtschaftliche Struktur Baden-Württembergs wird weitgehend geprägt durch eine hochentwickelte, vielseitige Fertigwarenindustrie. Fast die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts (49 v.H.) kommt durch die Leistung des Verarbeitenden Gewerbes zustande. Ein so hoher Anteil ist sonst in keinem anderen Land zu verzeichnen, selbst in Nordrhein-Westfalen beträgt er nur 43 v.H. […] Der aus diesen Zahlen abzuleitende Schluss, dass Baden-Württemberg als das verhältnismäßig am stärksten industrialisierte Bundesland gelten kann, findet seine Bestätigung in der Industriedichte, denn auch danach steht Baden-Württemberg mit 183 Industriebeschäftigten je 1 000 Einwohnern gleichfalls an erster Stelle vor Nordrhein-Westfalen mit 179.«2

Diese wenigen Sätze aus den damaligen Analysen zeigen die wirtschaftliche Dynamik in den Gründerjahren. Eine derart rasante Entwicklung ist vor dem Hintergrund des heutigen Ausgangsniveaus nicht mehr denkbar. Aber noch immer hat das Land eine sehr leistungsfähige Wirtschaft. Nachdem das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2009 in Baden-Württemberg mit −7,1 % regelrecht abgestürzt ist, konnte die heimische Wirtschaft diesen Einbruch bis zum Jahresende 2011 mehr als ausgleichen.

… und auch die Bevölkerung

Statistisch analytische Themenfelder wie der demografische Wandel oder die Integration der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, die aktuell im Fokus der Amtlichen Statistik stehen, hatten damals noch keinen Stellenwert. So konnten die baden-württembergischen Statistiker 1962 vermelden: »Die Wohnbevölkerung von Baden-Württemberg ist vom 30. Juni 1952 bis 6. Juni 1961, dem Stichtag der letzten Volkszählung, um rund 1 245 000 oder um ein Fünftel (19,1 v.H.) auf 7 758 000 Personen angewachsen, es handelt sich dabei zwar um vorläufige Daten, diese dürften sich aber nach Vorliegen der endgültigen Ergebnisse nur unbedeutend verändern. Infolge dieses erstaunlichen Bevölkerungsanstiegs hat sich der zahlenmäßige Anteil unseres Landes an der Bundesbevölkerung in der gleichen Zeit von 13,4 v.H. auf 14,5 v.H. erhöht. Baden-Württemberg hat somit im Verlauf der ersten 9 Jahre seines Bestehens als das der Volkszahl nach drittgrößtes Bundesland – es folgt auf Nord-rhein-Westfalen und Bayern – noch mehr festigen können. […] Die Bevölkerungszunahme vollzog sich von 1952 bis 1961 in einem Tempo, das zuvor nicht erreicht worden ist. In diesem Zeitraum sind im Jahresdurchschnitt 139 700 Personen neu hinzugekommen, das ist mehr als das Zweieinhalbfache des jährlichen Bevölkerungszugangs zwischen 1900 und dem ersten Weltkrieg, damals betrug die jährliche Zunahme der Einwohnerzahl im Gebiet des heutigen Landes Baden-Württemberg rund 54 000. […] Die außergewöhnliche Erhöhung der Volkszahl in dem Zeitabschnitt 1952 bis 1961 hat hauptsächlich die gleichzeitige Verstärkung der wirtschaftlichen Leistungskraft unseres Landes ermöglicht, wie sie die wertmäßige Steigerung des Bruttoinlandsprodukts in diesen 10 Jahren um rund 135 v.H. in umfassender Weise zum Ausdruck bringt. […] Der Bevölkerungsanstieg von 1952 bis 1960 ist überwiegend auf Zuwanderungen zurückzuführen, wenn auch nicht in so hohem Maße, wie es in den ersten Jahren der Nachkriegszeit der Fall war.«3 Ein glückliches Land, in dem trotz der schlechten Rahmenbedingungen der Nachkriegszeit, derartige statistische Erfolgsmeldungen an der Tagesordnung waren.

Von der Wohnungsnot bis zum Motorisierungsgrad

Die baden-württembergischen Statistiker der frühen Jahre hatten – wie auch heute – vielfältige gesellschaftliche Phänomene zu analysieren und nicht immer waren ihre Analyseergebnisse so positiv wie in den genannten Beispielen. Zu der durch kriegsbedingte Einwirkungen entstandenen Wohnungsnot in weiten Teilen des Landes kam in den Gründerjahren Baden-Württembergs ein erhöhter Nachfragebedarf an Wohnungen durch den starken Zustrom an Flüchtlingen und Heimatvertriebenen. Dies stand bis Ende der 1950er-Jahre im Fokus des Interesses bei der Analyse des Wohnungsbestandes. Die Beseitigung der Wohnungsnot führte zu starker Bautätigkeit und im unmittelbaren Zusammenhang zu einer starken Auslastung des Bauhauptgewerbes. Ein überaus leistungsfähiges Handwerk, steigende Löhne und kürzere Arbeitszeiten, ein starker Aufschwung des Güterverkehrs, die solide Steuerkraft des Landes, ein exorbitant hoher Anstieg der Güterausfuhr, der hohe Motorisierungsgrad sowie der Umbruch und die Neustrukturierung des Bildungswesens sind weitere Themenfelder über die damalige Statistiker berichteten und vielfältige Analysen anfertigten. Alles in allem wurden schon im ersten Jahrzehnt seit der Gründung des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg viele Grundlagen dafür geschaffen, dass die aktuelle Amtliche Statistik Baden-Württembergs national und auch international gut positioniert ist.

1 150 Jahre Amtliche Statistik in Baden-Württemberg, Stuttgart 1970, S. 86 ff.

2 Wachter, Georg. Die Wirtschaftskraft Baden-Württembergs in: Statistische Monatshefte Baden-Württemberg, April/Mai 1962, Stuttgart 1962, S. 94 ff.

3 Haas, Hermann. Rekord der Bevölkerungszunahme in: Statistische Monatshefte Baden-Württemberg April/Mai 1962, Stuttgart 1962, S. 101 ff.