:: 10/2013

Seuchen – unausrottbare Geißeln der Menschheit?

Ob Pest, Cholera, Tuberkulose oder Influenza, kaum etwas hat die Menschen im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte neben den einschneidenden Kriegen stärker beeinträchtigt als Infektionskrankheiten, die umgangssprachlich oft als Seuchen bezeichnet werden. Sie haben über Jahrtausende den Tod von sogar mehr Menschen verursacht als die Kriege, die gleichzeitig wüteten. Nichts war unbarmherziger als die tödliche Geißel der Infektionskrankheiten. Weder Könige noch Bettler wurden von ihnen verschont. Keine Gesellschaftsschicht konnte sich vor ihrer gewaltigen Macht in Sicherheit wähnen. So wurden während des Dreißigjährigen Krieges in Europa mehr Menschen durch die Pest ins Jenseits abberufen als durch die unmittelbaren Kriegsereignisse. Viele Infektionskrankheiten haben weltweit bis heute nichts von ihrem Schrecken verloren.

Ein historischer Abriss der Infektionskrankheiten und Epidemien

Immer wieder stehen Infektionskrankheiten trotz immenser medizinischer Fortschritte im Blickfeld der Öffentlichkeit. In vielen Teilen der Welt zählen sie auch heute noch zu den bedeutsamsten Todesursachen. Nach wie vor stellen Infektionskrankheiten die Gesundheitssysteme weltweit vor enorme Herausforderungen. Wirksame Schutzmaßnahmen gegen Infektionen werden in Ländern mit mangelhaften hygienischen Verhältnissen und eingeschränktem Zugang zu sauberem Trinkwasser zusätzlich erschwert. Infektionskrankheiten begleiten als böses Omen die Menschheitsgeschichte wie der nachfolgende kurze historische Abriss zeigt.

Der Schrecken und die Not, die durch Infektionskrankheiten verursacht wurden, führten schon in der frühen Antike zu ersten schriftlichen Dokumentationen. Bereits um 1550 vor Christi Geburt wurde in Ägypten auf einem Papyrustext eine mit Husten, Schmerzen und Siechtum einhergehende Krankheit beschrieben. Es war vermutlich die Tuberkulose. Dieser Papyrus gilt als einer der ältesten Medizintexte und zeigt, welchen Schrecken die Tuberkulose, die bis heute als sehr gefährlich gilt, damals schon ausgelöst haben muss. Tuberkulose – früher in Deutschland als Schwindsucht bezeichnet – ist eine Infektionskrankheit, die durch die Bakterienart Mycobacterium tuberculosis verursacht wird. Die Tuberkulose befällt in erster Linie die Lunge. Von dort aus kann sich die Infektion über die Blutbahn auch auf andere Organe – wie die Knochen, die Harnwege, den Darm und die Haut – ausbreiten. Die Ansteckung erfolgt in der Regel durch die Einatmung infizierter Speicheltröpfchen.

Die Krankheit verlief bis zur Entdeckung und Anwendung von Antibiotika in den meisten Fällen tödlich. So war in den USA die Tuberkulose im Jahr 1900 noch die häufigste Todesursache überhaupt. Im Zeitraum 1902/1904 wurden im Deutschen Reich 285 918 Tuberkuloseerkrankte als Zugänge in den allgemeinen Krankenhäusern registriert. Die Gartenlaube, das damals auflagenstärkste illustrierte Blatt Deutschlands, prangerte im Heft 1 des Jahrgangs 1891 die durch Tuberkulose verursachten Zustände folgendermaßen an: »Der siebte Teil der Menschheit erliegt der Lungenschwindsucht, dass, um Zahlen in ihrer brutalen Nüchternheit sprechen zu lassen, in Deutschland jährlich durchschnittlich 160 000 Menschen dieser bisher ungezügelten Krankheit zum Opfer fallen, und dass diese sich größtenteils in einem sonst in der Vollkraft der Entwicklung stehenden Lebensalter befinden.« Wie stark die Tuberkulose wütete, zeigt sich auch noch Jahrzehnte später. Laut den Todesursachenstatistiken starben 1923 in Württemberg 3 608 Personen an Tuberkulose; das waren 9,9 % aller Gestorbenen. In Baden erlagen im gleichen Jahr 3 913 oder 12,1 % aller Gestorbenen der Tuberkulose. Weltweit stellt die Tuberkulose auch heute noch eine riesige Bedrohung dar. Mit derzeit etwa jährlich 2,5 Mill. Todesfällen verursacht Tuberkulose neben AIDS global die meisten Opfer unter den Infektionskrankheiten.

In einem anderen antiken Dokument wird berichtet, dass der jüdische König Asarja um 750 v. Chr. vom Aussatz befallen wurde, worauf man ihn bis zu seinem Lebensende vor die Stadtmauern verbannte. Unter Aussatz verstand man damals verschiedene mit Ausschlägen einhergehende Krankheiten, darunter vermutlich die Lepra. Lepra ist eine chronische Bakterieninfektion und führt zu entstellenden Flecken und Knoten auf der Haut sowie zu Nervenschädigungen. In Afrika, Asien und Südamerika, wo diese Krankheit heute noch häufiger auftritt, werden die befallenen Menschen in Leprastationen untergebracht und behandelt. Die Lepra ist heute zwar nicht ausgerottet, kann jedoch kontrolliert werden. Aufgrund der Behandlungsmöglichkeiten mit Antibiotika ist Lepra inzwischen in Ländern mit entwickelter Gesundheitsversorgung nahezu verschwunden. Die Krankheit stellt in vielen Ländern Asiens und Afrikas und Südamerikas aber noch ein ernst zu nehmendes Problem dar. Ein Großteil der aktuell Erkrankten lebt in heute Indien. Laut WHO waren 2008 rund 213 000 Menschen an Lepra erkrankt.

Bereits 323 v. Chr. erlag Alexander der Große nach der Eroberung Mesopotamiens, auf dem Höhepunkt seiner Macht, mit 33 Jahren einer plötzlichen Fiebererkrankung, höchstwahrscheinlich der Malaria, einer endemisch auftretenden Infektionskrankheit, die seit Langem einen hohen Todeszoll von der Menschheit fordert. Malaria wird auch Sumpffieber oder Wechselfieber genannt und ist eine Erkrankung, die von einzelligen Parasiten der Gattung Plasmodium hervorgerufen wird. Die Krankheit tritt hauptsächlich in den tropischen und subtropischen Gebieten durch den Stich einer weiblichen Stechmücke der Gattung Anopheles auf. Typische Symptome sind hohes, wiederkehrendes bis periodisches Fieber mit Schüttelfrost, Beschwerden und Krämpfen im Magen-Darm-Trakt. Bei Kindern kann die Malaria rasch zu Koma und Tod führen. Nach Angaben der WHO sterben weltweit jährlich knapp 1 Mill. Menschen an Malaria, etwa die Hälfte von ihnen sind Kinder unter 5 Jahren. 90 % aller Erkrankten leben auf dem afrikanischen Kontinent. Die Zahl der jährlichen Malariaerkrankungen weltweit wird nach Angaben des Robert-Koch-Instituts auf 300 bis 500 Mill. Fälle geschätzt.

Die erste große bekannte Pockenwelle – auch als »Antoninische Pest« bezeichnet – befiel 166 die Stadt Rom. Die Virusepidemie entvölkerte und destabilisierte in den folgenden 2 Jahrzehnten das Römische Reich. Sogar Kaiser Mark Aurel erlag wahrscheinlich dieser Krankheit. Die Pockenerreger beim Menschen sind Viren der Gattung Orthopoxvirus, sie sind die größten und bekanntesten Tierviren. Auch die Völker neu entdeckter Kontinente wurden schnell von diesen tückischen Erregern heimgesucht. So brachten die europäischen Eroberer die Pocken nach Amerika mit, wo sie unter den Indianern verheerende Epidemien auslösten, die zu Millionen von Todesfällen führten. Noch in den 1950er-und 1960er-Jahren gab es in Europa Pockenfälle, so zum Beispiel 1958 in Heidelberg (18 Krankheitsfälle, von denen zwei tödlich endeten). Bei Beginn der Erkrankung kommt es zu einem schwerem Krankheitsgefühl, Rückenschmerzen mit Fieber und Schüttelfrost und einem Rachenkatarrh. Bei den Pocken ist ein biphasischer Fieberverlauf typisch: Nach 1 bis 5 Tagen sinkt das Fieber und steigt nach einem Tag wieder an, danach kommt es zu den typischen Hauterscheinungen, die für diese Erkrankung auch namengebend waren. Gegen die Pocken gibt es kein Heilmittel, nur eine vorbeugende Impfung bietet Schutz. Die Impfung kann ihre Schutzwirkung auch noch entfalten, wenn sie bis etwa 5 Tage nach der Infektion vorgenommen wird. Seit dem letzten bekannten Krankheitsfall 1977 in Somalia sind keine Pockenfälle mehr aufgetreten. In Deutschland trat der letzte Fall 1972 in Hannover auf. Konsequente Impf- und Bekämpfungsprogramme der WHO und anderer Gesundheitsorganisationen führten dazu, dass 1980 die Welt von der WHO für pockenfrei erklärt werden konnte.

In Konstantinopel wurden im Jahre 542 durch die Justinianische Pest – eine aus Afrika in den gesamten Mittelmeerraum eingeschleppte Pestepidemie – binnen einiger Wochen zehntausende Menschen getötet.1347 erreichte die von Asien eingeschleppte Pest Sizilien. Binnen weniger Jahre verbreitete sich der sogenannte »Schwarze Tod« in ganz Europa und raffte schätzungsweise 20 Mill. Menschen dahin, was einem Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung entsprach. Dies sollte nicht die einzige Pestepidemie in Europa bleiben. Bis zur frühen Neuzeit wurde der Kontinent immer wieder von Pestepidemien heimgesucht. So starben im Dreißigjährigen Krieg mehr Menschen durch die Pest als durch unmittelbare Kriegseinwirkungen. Aus heutiger medizinischer Sicht ist nicht klar, ob diese Epidemien alle von dem erst 1894 entdeckten Pestbakterium yersinia pestis ausgelöst wurden. Ursachen könnten auch ein hämorrhagisches Fieber, Pocken, Fleckfieber, Cholera oder Typhus gewesen sein. Früher wurde der Begriff Pest oftmals gleichgesetzt mit dem Begriff Seuche unabhängig vom auslösenden Erregertypus. Noch heute erkranken weltweit etwa 2 000 Menschen pro Jahr an der Pest. Ihre Heilungschancen sind durchaus gut im Vergleich zu früheren Jahrhunderten. Gut 90 % der Infizierten überleben die Krankheit.

Fortschritte in Medizin und Hygiene

Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts kamen die Mediziner und Naturwissenschaftler den bis dahin geheimnisvollen Erregern vieler Infektionskrankheiten auf die Spur. Durch die Fortschritte im medizinischen Bereich und eine stark verbesserte Hygiene wurden die bis dahin schrecklichen Epidemien zumindest aus den Industrieländern weitgehend verbannt. In Großbritannien wurde 1796 von Edward Jenner die erste erfolgreiche Pockenschutzimpfung durchgeführt. Namen wie Max von Pettenkofer, Rudolf Virchow, Robert Koch und Emil von Behring sind eng verbunden mit der erfolgreichen Seuchenbekämpfung im 19. Jahrhundert. Durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse dieser und anderer Forscher verloren viele Infektionskrankheiten ihren Schrecken. Nichtsdestotrotz bleibt die Bedrohung der Menschheit durch Infektionskrankheiten hoch, da immer wieder neue oder veränderte Erreger auftreten und der notwendige hygienische Standard, der als unabdingbarer Grundschutz gegen Infektionen notwendig ist, nach wie vor noch nicht weltweit gewährleistet ist.

Neben den oben beschriebenen Infektionskrankheiten gab und gibt es viele weitere, die in der Vergangenheit und zum Teil noch heute die Menschheit bedrohen. Exemplarisch seien hier nur die Cholera, der Typhus, die Diphtherie, das Gelbfieber, die Kinderlähmung, die Syphilis und die Schlafkrankheit genannt. Auch neu entdeckte Erreger verbreiten Angst und Schrecken. So trat an einem Seitenarm des Kongo, dem Fluss Ebola, 1976 eine bis dahin unbekannte Fieberseuche auf. Von 318 Infizierten starben 280. Erst durch strikte Quarantänemaßnahmen konnten Expertenteams die Epidemie eindämmen. Der Ebola-Fluss wurde zum Namensgeber für den neuen äußerst gefährlichen Krankheitserreger, das Ebolavirus. 1981 wurde im Bulletin der US-Seuchenschutzbehörde über fünf junge Männer mit einem Pilzbefall der Lunge berichtet. Das seltene Leiden war nur von abwehrgeschwächten Patienten bekannt. Das Bulletin sorgte sehr schnell für Aufsehen. Es war die erste Beschreibung von AIDS in der medizinischen Literatur. In der chinesischen Provinz Guangdong trat 2002 ein zuvor unbekanntes gravierendes Lungenleiden auf. Als Erreger dieses »Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms« – kurz SARS genannt – wurde ein neuartiges Virus identifiziert, das sich in der Folge vor allem in Südostasien, aber auch in Kanada und anderen Ländern verbreitete. Ein neuartiges Grippevirus sprang 2009 in Mexiko von Schweinen auf den Menschen über und verursachte eine weltweite Erkrankungswelle. International wurden Maßnahmen zur Überwachung des Erregers ergriffen und eine breit angelegte Impfkampagne gestartet.1

Die Spanische Grippe

Anhand der Spanischen Grippe, einer Form der Influenza, lässt sich beispielhaft darstellen, welche verheerenden Folgen eine Epidemie auslösen kann. Influenza, auch Echte Grippe genannt, ist eine durch Viren der Gattungen Influenzavirus A oder B ausgelöste Infektionskrankheit beim Menschen. Influenzaviren dringen über die Schleimhaut der Atemwege, des Munds und der Augen in den menschlichen Körper ein. Nach einer Inkubationszeit von wenigen Stunden bis Tagen treten die ersten Symptome auf. Die Krankheitsanzeichen sind relativ unspezifisch und können somit mit vielen anderen akuten Atemwegserkrankungen verwechselt werden. Die wichtigsten Symptome einer Influenzaerkrankung sind: hohes Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen, starke Müdigkeit, Augentränen, trockener Husten, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen. In der Regel dauern die Symptome 7 bis 14 Tage an. Es können jedoch ein allgemeines Schwächegefühl und Appetitlosigkeit noch einige Wochen darüber hinaus auftreten. Oftmals sind nicht die Viren selbst das Gefährliche an der Influenza, sondern die bakteriellen Sekundärinfektionen, die auf eine Grippeerkrankung folgen. Bakterien können leichter in den Körper eindringen, sich vermehren und dort zu weiteren lebensbedrohlichen Krankheiten führen, da der Organismus aufgrund der Bekämpfung der Influenzaviren bereits geschwächt ist. Influenza in ihrer schwersten Verlaufsform kann bei vorerkrankten, immungeschwächten oder ohne jeden Impfschutz versehenen Menschen zu einer primären grippebedingten Influenzapneumonie führen, die innerhalb weniger Stunden tödlich sein kann.

Der Ausgangspunkt der Pandemie der Spanischen Grippe lag 1917 in Kansas in den USA. Als Ursprungsort der tödlichen Influenza wurde von Historikern Haskell County ausgemacht. Der Arzt Loring Miner hatte dort im Januar und Februar 1918 Patienten mit ungewöhnlich schweren Grippesymptomen behandelt. Sein Alarmruf an die örtlichen Gesundheitsbehörden blieb ungehört. Nachdem Ende Februar drei Bewohner von Haskell County zur US-Army eingezogen worden waren, verbreitete sich die Krankheit schnell, 3 Wochen später waren 38 Rekruten tot und 1 100 schwer erkrankt.

Durch die im Ersten Weltkrieg in Europa eingesetzten amerikanischen Soldaten kam die Grippe auf den europäischen Kontinent. Schnell verbreitete sich das Virus in ganz Europa und danach auf der ganzen Welt. Aufgrund der Pressezensur wurde in den kriegführenden Staaten Europas über die anschwellende Grippewelle kaum berichtet. Was jedoch nicht für das am Weltkrieg unbeteiligte Spanien galt. Hier ließ sich die Nachricht schwer unterdrücken, zumal in Madrid im Mai 1918 bereits jeder dritte Einwohner erkrankt war. So kam die neue Seuche zu ihrem Namen: »Spanische Grippe«. Durch die skurrile Geheimhaltung bei den kriegführenden Nationen kursierten hier alle möglichen Bezeichnungen bei den Kriegsgegnern, zum Beispiel »flandrisches Fieber« bei den Briten und »Blitzkatarrh« bei den Deutschen. Diese Form der Grippe tötete anders als üblich vorrangig Menschen zwischen 20 und 40 Jahren und nicht etwa Alte, Kranke und Kleinkinder. Die Behörden in Deutschland machten die Lage durch halbherzige Maßnahmen nicht besser. So wurden zwar Schulen geschlossen, um die Ausbreitung der Grippeviren zu erschweren, Kinos und Theater allerdings blieben geöffnet, weil die Regierung fürchtete, dass ohne solche Ablenkung Unruhen ausbrechen könnten. So kam es, dass im Königreich Württemberg 1918 rund 7 300 Menschen an den unmittelbaren Folgen der Influenza starben. Im Großherzogtum Baden betrug die Zahl der Todesopfer sogar 8 400.

Die Zahl der Toten in ganz Deutschland an den unmittelbaren Folgen der Spanischen Grippe lag über 186 000. Hierzu darf man noch einmal getrost die gleiche Anzahl an Grippeopfern rechnen, die an den mittelbaren Folgen der Influenzainfektion starben, da ihre Körper bedingt durch andere Grunderkrankungen zu schwach waren, um genügend Abwehrkräfte gegen die Krankheit zu entwickeln. Alles in allem ist eine geschätzte Zahl von mehr als 300 000 Todesopfern durch die Spanische Grippe für ganz Deutschland als sehr realistisch zu betrachten. Zumal es nicht bei einer Krankheitswelle blieb. Dem ersten Grippeschub im Mai und Juni 1918 folgte schon im Oktober eine zweite, noch weitaus heftigere Welle in Europa und von da aus auf der ganzen Erde. Die »Spanische Grippe« wurde zu einer Pandemie, von den USA über Europa bis hin zu entlegenen Regionen Russlands und Indiens, wo es geschätzte 17 Mill. Opfer gab. Bis hin nach Westafrika und den Philippinen wütete die tödliche Krankheit. Die Zahl der Menschen, die sich damals mit dem Virus infizierten, wird auf 500 Mill. geschätzt. Das entsprach einem Drittel der damaligen Weltbevölkerung. Nach neueren Hochrechnungen von Medizinhistorikern forderte die Seuche in den folgenden 2 Jahren um die 50 Mill. Menschenleben, das war mehr als das Dreifache der 15 Mill. Weltkriegstoten.

Der Erreger der Spanischen Grippe war vor allem deswegen so gefährlich, weil das Immunsystem vieler betroffener Patienten damals überreagierte. Neuzeitliche medizinische Erkenntnisse legen den Schluss nahe, dass sich die Erreger der Spanischen Grippe besonders schnell vermehrten und in einer überschießenden Reaktion des Immunsystems nicht nur die Viren, sondern auch gesundes Körpergewebe angegriffen wurde, wodurch es unter anderem zu tödlichen Blutungen in der Lunge kam.2

Die Gefahr bleibt

Heute gelten viele Krankheiten, die die schlimmsten Epidemien in der Geschichte der Menschheit ausgelöst haben, als heilbar oder ausgerottet. So infizierte sich in Europa seit Anfang des 18. Jahrhunderts niemand mehr mit der Pest. Mit konsequenten Impfprogrammen konnten viele einstmals bedrohliche Epidemien gestoppt werden. Dank des Einsatzes von Antibiotika hat sich außerdem die Behandlung von bakteriellen Infektionskrankheiten erheblich verbessert.

Obwohl viele Krankheiten eingedämmt werden konnten, tauchten in den vergangenen Jahrzehnten neue Erreger auf, die Potenzial für neue Seuchen mit sich bringen. Hier sei nur auf die weiterhin unheilbaren HIV-Infektionen hingewiesen, die bis 2010 in Baden-Württemberg zu 2 370 Todesopfern geführt haben. Wann und wo ein neues Influenzavirus auftreten wird, das sich zu einer Pandemie ausbreiten kann, ist natürlich nicht vorherzusagen. Die Gefahr, dass die Menschheit in absehbarer Zeit wieder von einer Infektionskrankheit dezimiert werden könnte, bleibt generell bestehen.

1 Quelle: Robert-Koch-Institut Berlin.

2 Die in diesem Kapitel aufgeführten Daten basieren auf diversen Veröffentlichungen der WHO.