:: 3/2015

Baden‑Württemberg 2020

Zur aktuellen demografischen Entwicklung im Land

Eine Aussage darüber, wie viele Menschen künftig in Baden‑Württemberg leben werden, ist sehr schwierig, weil das Wanderungsgeschehen enormen Schwankungen unterliegt. So lag der jährliche Wanderungsgewinn in den Jahren 2008 und 2009 bei nur rund 4 000 Personen. Im Jahr 2013 sind dagegen etwa 70 000 Menschen mehr ins Land gekommen als fortgezogen sind.

Schon seit der Gründung Baden‑Württembergs liegt der Hauptantrieb für das Bevölkerungswachstum bei den Wanderungen. Etwa zwei Drittel des Zuwachses entfielen auf Wanderungsgewinne. Nur ein Drittel darauf, dass mehr Kinder geboren wurden als Menschen starben. Bis zum Jahr 2020 rechnen wir mit unserer neuen Bevölkerungsprognose mit 2,7 % mehr Menschen im Land. Das wäre ein Plus von rund 280 000 auf dann rund 10,85 Mill. Menschen. Danach wird die Bevölkerung aus heutiger Sicht moderat zurückgehen, bis zum Jahr 2030 um etwa 0,5 % (Tabelle und Schaubild). Langfristig ist ein spürbarer Bevölkerungsrückgang zu erwarten, im Wesentlichen aber erst nach 2030. Aber das Ziel von Bevölkerungsvorausrechnungen ist auch, den Alterungsprozess darzustellen. Dieser ist unabhängig von der künftigen Zuwanderung und wird aufgrund der bestehenden Altersstruktur vorhersehbar ablaufen.

Stabile Bevölkerungsentwicklung

Mehr als ein Drittel der Bevölkerung lebt im Ländlichen Raum. Fast zwei Drittel der Bevölkerung wohnen aber in den verdichteten Gebieten des Landes. Über lange Zeit wuchs die Bevölkerung außerhalb der Verdichtungsräume stärker als innerhalb. In den 1990er-Jahren holten die Ländlichen Räume stark auf. In jüngerer Vergangenheit kam es zu einem erneuten Trendwechsel. Im Zeitfenster von 2005 bis 2010 verlor der Ländliche Raum i. e. S. 1,2 % seiner Bevölkerung und hatte damit den stärksten Bevölkerungsrückgang unter den Raumkategorien.1 Nur der Verdichtungsraum gewann in dieser Zeit Bevölkerung hinzu (+1,3 %), vor allem wegen der Zuzüge in die großen Zentren. Bis 2020 können die Verdichtungsräume aus heutiger Sicht mit einem Wachstum von 4,1 % rechnen und der Ländliche Raum insgesamt mit 0,9 %. Nach 2020 wäre mit Bevölkerungsrückgängen im Ländlichen Raum von gut 1 % bis zum Jahr 2030 zu rechnen.

Mehr Sterbefälle als Geburten

Im anhaltend niedrigen Geburtenniveau liegt eine Hauptursache des demografischen Wandels. Frauen haben heute nicht nur weniger Kinder – im Durchschnitt 1,4 Kinder je Frau – sie bleiben auch häufiger kinderlos. Derzeit ist etwa jede vierte Frau kinderlos, nur knapp 15 % haben drei und mehr Kinder. Anfang der 1970er-Jahre war nur knapp jede fünfte Frau kinderlos und rund 31 % – also doppelt so viele wie heute – hatten drei oder mehr Kinder.

Trotz des geringen Geburtenniveaus lag die Zahl der Geburten in Baden‑Württemberg bis 2005 über den Sterbefällen. Seit 2006 gibt es aber mehr Sterbefälle als Geburten im Land, also ein Geburtendefizit. Dieses lag im Jahr 2012 bei gut 11 000 und 2013 bei 10 400. Bis 2030 dürfte dieses Geburtendefizit auf etwa 30 000 ansteigen. In ländlichen Kreisen bekommen Frauen auch heute noch mehr Kinder als in den Stadtkreisen. Aber die Geburtenraten der Räume haben sich mit der Zeit angeglichen. So liegt zum Beispiel die durchschnittliche Kinderzahl je Frau im Landkreis Tuttlingen bei rund 1,6 und im Stadtkreis Heidelberg bei 1,1 Kindern. Für die Entwicklung der Geburtenzahlen ist aber auch die Zahl der potenziellen Eltern entscheidend. Und die nimmt kontinuierlich ab. Zwischen 1990 und 2012 betrug der Rückgang der Frauen im sogenannten gebärfähigen Alter, das sind die Frauen ab 15 bis unter 45 Jahre, fast 20 %.

Bei weiter sinkenden Geburtenzahlen und gleichzeitig steigenden Sterbefällen ist aber die Bevölkerungsentwicklung mehr denn je abhängig von der Zuwanderung. 2012 lag der Bevölkerungszuwachs bei 0,5 % wegen der vergleichsweise hohen Nettozuwanderung von fast 66 000 Personen. Im Jahr 2013 lag der Wanderungsgewinn noch einmal darüber, nämlich bei gut 70 000 Personen.

Steigende Differenz in den Wanderungssalden der Räume

Die großen Städte ziehen hauptsächlich die Zuwanderer an. Die hohen Wanderungsgewinne gleichen zurzeit die Geburtendefizite noch aus. Langfristig ist damit jedoch nicht zu rechnen, denn es ist aus heutiger Sicht unwahrscheinlich, dass sich die Zuwanderung dauerhaft auf so hohem Niveau hält. In Verbindung mit dem steigenden Geburtendefizit käme es dann zum Kippen der Entwicklung und zu dem aus heutiger Perspektive wahrscheinlichen Bevölkerungsrückgang etwa ab dem Jahr 2020. Aber die Zuwanderung gleicht nur das Geburtendefizit aus, der demografische Wandel findet dennoch statt. Auf die Alterung der Gesellschaft hat die Höhe der Zuwanderung nur geringen Einfluss.

Das Durchschnittsalter steigt

Heute liegt das Durchschnittsalter der baden-württembergischen Bevölkerung bei 43 Jahren. 1970 waren es erst 35 Jahre. Im Jahr 2030 wird der durchschnittliche Baden‑Württemberger voraussichtlich 45,7 Jahre alt sein. Der demografische Wandel vollzieht sich durch die Veränderung der Altersstruktur. Es sind die geburtenstarken Jahrgänge rund um die 1960er-Jahre, die nun sukzessive in die höheren Altersgruppen vorrücken. Die Älteren werden einen größeren Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachen, während der Anteil der Jüngeren weiter zurückgeht. Ein zweiter wichtiger Grund für die Alterung der Gesellschaft ist, dass durch die ständig gestiegene Lebenserwartung immer mehr Menschen ein hohes Alter erreichen.

Die Bevölkerungsentwicklung hat weitreichende Folgen für die Infrastrukturplanung. Dies sei kurz am Beispiel der bis zum Schuljahr 2020/21 reichenden Schülervorausrechnung erläutert. An den öffentlichen und privaten allgemeinbildenden Schulen werden im Schuljahr 2013/14 insgesamt gut 1,14 Mill. Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Die Modellrechnung ergibt bis zum Schuljahr 2015/16 einen Rückgang der Schülerzahl um 2,7 % und bis 2020/21 um 5,3 %. Die Zahl der Schüler läge dann bei 1,08 Mill. Der Schülerrückgang betrifft voraussichtlich alle Schularten, die Gemeinschaftsschule als neue Schulform ausgenommen.

Mehr Haushalte und kleinere Haushalte

Derzeit gibt es gut 5 Mill. Haushalte im Land. Die Größe der privaten Haushalte und deren Anzahl hängt eng mit der Bevölkerungsstruktur, der Zuwanderung und den sich ändernden Lebensformen zusammen. Derzeit ist der Trend zu kleineren Haushalten noch ungebrochen. So leben Ältere eher in Single- und Zweipersonenhaushalten. Schon die Zunahme der älteren Menschen führt voraussichtlich zu einem weiteren Anstieg dieser Haushaltstypen. Dagegen wird die Zahl der größeren Haushalte voraussichtlich weiter zurückgehen.

Was können Gemeinden für ihre Zukunft tun?

Das wichtigste Kriterium vor allem für jüngere Menschen ist ein ortsnahes Angebot an zukunftssicheren modernen Arbeitsplätzen. Dann folgt die allgemeine Infrastruktur: eine leistungsfähige Informations- und Kommunikationsinfrastruktur, gute Ausstattung mit Waren und Diensten, zeit- und kostengünstige Mobilität, ein differenziertes Schulsystem, verlässliche Betreuung von Kindern und Hochbetagten und vielfältige Freizeitangebote.

Kleinere Haushalte: Sie prägen mit im Schnitt älteren Bewohnern in Zukunft die Entwicklung. In stärker alternden Gebieten werden mehr altersgerechte Wohnungen gebraucht. Zum einen sollte ein Weg gefunden werden, dass nicht nur im öffentlichen Bereich, sondern auch im privaten barrierefrei neu gebaut und saniert wird. Damit können betagte Menschen länger zu Hause bleiben, wobei Barrierefreiheit auch Eltern mit Kleinkindern in vielfältiger Weise zugutekommt. Eventuell ist an eine entsprechende Formulierung in den Bauleitplanungen zu denken.

Generation Ü 70: Die Vielfalt des seniorengerechten Wohnens ist in den Ballungsräumen mit unterschiedlichen Konzepten schon weiter vorangeschritten als im Ländlichen Raum. Nicht nur die Angebote an Betreutem Wohnen, sondern auch die denkbaren Zwischenformen sind zum Teil noch zu wenig vorhanden. Dies wäre eine Koordinierungsaufgabe für die Kreistage.

Umnutzung: Es ist mehr flexible Infrastruktur erforderlich, wie die zurückgehenden Schülerzahlen zeigen. Statt Neubau und Zubau von Raum konzentriert sich die Aufgabe auf Sanierung und flexible Umnutzung. Demgegenüber stehen ein höherer Bedarf an altersbezogenen Einrichtungen und Dienstleistungen sowie Anforderungen an die Gewährleistung von Mobilität. Zu denken ist an Fahrbereitschaften, Begleitung bei verschiedenen Erledigungen, Hilfe bei Behördenangelegenheiten. Neben der Organisation von Ehrenamt zeigt auch in Pilotgemeinden der Einsatz von »Gemeindehelferinnen« gute Akzeptanz.

Ehrenamt koordinieren: Da der demografische Wandel seine Wirkung entfaltet und sich stetig weiter fortsetzen wird, zeigt jede Reaktion darauf Erfolge. Nicht mehr günstiges Bauland allein zieht junge Familien an und bewegt sie zum Bleiben, sondern die oben unter »Umnutzung« beschriebenen Faktoren. Diese müssen – soweit sie vor allem kommunalpolitisch beeinflussbar sind – weiter entwickelt werden. Nicht alles wird durch Verwaltung und Gemeinderat angepasst werden können. Wichtig sind die Motivation und die zielgerichtete Mithilfe durch ehrenamtliche Aktivitäten. Hier hat die Kommune mit ihren Gremien eine bedeutsame Koordinierungsfunktion.

Beratung aus einer Hand: Wichtig scheint vor allem im Ländlichen Raum das Management von Leerständen in Innerortslage zu sein, da das Wohnen im Ortskern wieder an Attraktivität gewinnt. In absehbarer Zukunft kommen Immobilien in Baugebieten der 1970er-Jahre an den Markt, die für die älteren Besitzer dann zu groß sind. Diese zu vermarkten – eventuell an junge Familien – wird eine Aufgabe sein. Eine kompetente Beratung aus einer Hand (Stadtverwaltung, Architekt, Hausbank) könnte Möglichkeiten aufzeigen. Eine Leerstandsbörse – die auch privat organisiert sein kann – könnte Objekte darstellen. In Einzelfällen sollte die Kommune zugunsten eines vielversprechenden Quartiers zum Beispiel für barrierefreies Mehrgenerationen-Wohnen auch in Vorleistung gehen, etwa bei Flächenübernahme oder Baureifmachung. Auch ein Abbruchkostenzuschuss bzw. subventionierte Entsorgungskosten für Abbruchmaterial können in Einzelfällen helfen. Eine objektive Beratung über erzielbare Preise von Einzelobjekten zum Beispiel gegenüber Erbengemeinschaften wäre ebenfalls sinnvoll.

Schnelles Internet: Dies gehört heute nicht nur zur modernen Wohnqualität, sondern sichert auch Gewerbestandorte und ist Voraussetzung für die Ansiedlung von Gewerbe und Dienstleistung. Eine gute Breitbandversorgung ist nötig, um die Attraktivität des Ländlichen Raums für Wohnen und Arbeiten zu erhalten. Während in den Ballungszentren dieses Angebot marktwirtschaftlich geregelt wird und keiner Förderung bedarf, muss in den Ländlichen Räumen im Rahmen der Daseinsfürsorge nach Möglichkeiten gesucht werden, wie bei Sanierungen der Versorgungsnetze die entsprechenden Vorbereitungen getroffen werden können.

1 Räumliche Gliederung laut Landesentwicklungsplan 2002 (LEP 2002). Der Ländliche Raum im engeren Sinn (i. e. S.) und die Verdichtungsbereiche im ländlichen Raum werden zum Ländlichen Raum insgesamt zusammengefasst.