:: 3/2015

Zur Gegenwart kinderreicher Familien

Eine kinderreiche Familie, eine sogenannte Mehrkindfamilie, ist man in Deutschland ab dem dritten Kind. Familien mit fünf oder mehr Kindern sind eher selten und werden nicht selten kritisch beäugt. Tatsächlich gibt es nicht »die« kinderreiche Familie. Die Lebenssituationen kinderreicher Familien sind ähnlich vielfältig wie die der Familien mit weniger Kindern. Zur Vielfalt gehört auch, dass Familien mit Migrationshintergrund die Lebenssituationen kinderreicher Familien, besonders bei Familien mit vier oder mehr Kindern, wesentlich prägen.

Kristallisierte Stereotypen und …

»Drei Kinder wirst du bald haben? Das ist doch fast schon asozial«. So reagierte ein Kollege von Rocco Thiede, der kürzlich ein Buch herausgebracht hat, in dem das Leben von Familien mit vielen Kindern beschrieben wird.1 Er und seine Frau haben mittlerweile sechs Kinder. Nach seinen Erfahrungen ist »das Bild, das viele Menschen von Müttern und Vätern mit mehreren Kindern im Kopf haben, häufig vorbelastet, einseitig, tendenziös und undifferenziert«. Noch deutlicher beschreibt eine Mutter, deren Familie mit neun Kindern in diesem Buch zu Worte kommt, die »Klischees«, denen sie als kinderreiche Mutter »fast täglich« begegnet und die »verletzen, beleidigen, ja demütigen«: »Die Eltern sind zu dämlich zu verhüten, die Kinder entweder Nachwuchskriminelle oder die »Hartz‑IV‑Kundschaft« von morgen. Mit den Unmengen an Kindergeld, die sie vom Staat abzocken, laufen sie in den nächsten Media‑Markt oder Saturn‑Laden und stecken die Sozialgelder in Großbildschirme und Spielekonsolen«.

Ein Fernsehsender in Deutschland plant eine Sendung über kinderreiche Familien. Im Mittelpunkt stehen zwei »Großfamilien aus bildungsfernen Schichten« und die Arbeitsthese »einmal Großfamilie und bildungsfern, dann immer bildungsfern«. Die wenigen Studien über kinderreiche Familien, also Familien mit drei oder mehr Kindern, sogenannte Mehrkindfamilien, belegen jedoch im Wesentlichen zweierlei: Erstens, in den gegenwärtigen modernen Gesellschaften steht das Thema kinderreiche Eltern an der Peripherie individueller und gesellschaftlicher Erwägungen. Sie sind eine eher seltene und besonders politisch kaum beachtete Familienform.2 Zweitens, kinderreiche Familien sind ähnlich vielfältig wie Familien mit weniger Kindern. »Die« kinderreiche Familie gibt es nicht.

… empirische Wirklichkeiten

In Baden‑Württemberg leben rund 172 000 Familien mit drei Kindern, 34 000 Familien mit vier Kindern und 8 500 Familien mit fünf oder mehr Kindern.3 Damit wohnen 11 % der Familien im Südwesten mit drei Kindern zusammen und weitere 3 % mit vier oder mehr Kindern. In Deutschland sind die Verhältnisse wenig anders. In etwa 1 Mill. Familien leben drei Kinder, in 210 000 Familien vier Kinder und in 75 000 Familien fünf oder mehr Kinder; das heißt, 10 % aller Familien wohnen mit drei Kindern zusammen, weitere 2 % mit vier oder mehr Kindern. Die Eltern sind verheiratet oder nicht verheiratet, gegengeschlechtlich oder gleichgeschlechtlich, leben getrennt voneinander oder zusammen. Zu den kinderreichen Familien gehören Paare mit gemeinsamen Kindern oder Patchworkfamilien, in denen zum Beispiel sich zwei Mütter als gleichgeschlechtliches Paar mit ihren Kindern gefunden haben, aber auch alleinerziehende Mütter und Väter oder Eltern, die neben ihren drei oder mehr leiblichen Kindern noch Pflegekinder großziehen. Aus der Sicht der Familien sind kinderreiche Familien eher selten, aus der Sicht der Kinder eher nicht. Jedes vierte Kind in Deutschland lebt in einer Familie mit mindestens zwei Geschwistern; dies sind 4,4 Mill. Kinder von insgesamt 18,6 Mill. Auch in Baden‑Württemberg hat jedes vierte Kind zwei oder mehr Geschwister – 700 000 Kinder von 2,7 Mill.

Strukturelle Unterschiede kinderreicher Familien

Trotz der Vielfalt ihrer Lebenslagen lassen sich bei kinderreichen Familien bestimmte soziale Strukturen häufiger beobachten als bei Familien mit weniger Kindern. Das trifft etwa auf die schulische und berufliche Ausbildung der Eltern zu, auf ihre Erwerbsbeteiligung oder auf die finanzielle Situation der Familie. Offen ist jedoch, worin die Unterschiede tatsächlich begründet sind. Korrelationen zwischen sozialen Merkmalen der Eltern und der Anzahl der Kinder, zum Beispiel eine überdurchschnittlich oft fehlende berufliche Ausbildung bei kinderreichen Müttern, lassen mindestens drei einfache Interpretationen zu: (1) Die fehlende Berufsausbildung der Mutter kann die Anzahl der Kinder bedingen oder (2) umgekehrt, oder (3) die fehlende berufliche Ausbildung der Mutter und die Anzahl der Kinder können von einem dritten Faktor bestimmt sein und nur deshalb korrelieren.

Der erste Fall folgt dem theoretischen Ansatz des sogenannten »value of children approach«.4 Danach stehen Eltern mit geringen individuellen Ressourcen, etwa an Bildung, Erwerbsbeteiligung und Einkommen, vor einer gewissen Alternativlosigkeit. Die fehlende Ausbildung erschwert eine erfolgreiche Beteiligung am Erwerbsleben. Der Mangel an Ausbildung und Erwerbstätigkeit steigert nicht die soziale Anerkennung durch andere. Dagegen versprechen hohe Kinderzahlen einen zweifachen Nutzen für die Eltern. Erstens, einen Einkommensnutzen infolge sozialstaatlicher Maßnahmen, die speziell die Kosten für die Kindererziehung kompensieren, und zweitens, einen Statusnutzen von Kindern, wonach mit der Zahl der Kinder auch die soziale Anerkennung der Eltern steigen kann.

Im zweiten Fall bedingen nicht die niedrigen individuellen Ressourcen der Eltern die hohe Zahl der Kinder, sondern umgekehrt: Die hohe Anzahl der Kinder verhindert einen beruflichen Abschluss besonders der Mütter. Diese Entscheidung kann aufgrund individueller Einstellungen und Erwartungen der Eltern erfolgen, aber auch aufgrund gesellschaftlicher Strukturen, die eine Vereinbarkeit von hoher Kinderzahl und erfolgreicher Ausbildung erschweren. Gesellschaftliche Strukturen würden in diesem Fall interagierend auf die sozialen Lagen der Familien wirken. Mit anderen Worten: Der Einfluss der hohen Kinderzahl auf die Ausbildung der Mutter hängt ab von den jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen einer Vereinbarkeit von Familie und Ausbildung.

Der dritte Fall geht von einer gemeinsamen Ursache aus, die sowohl die Zahl der Kinder als auch die berufliche Ausbildung besonders der Frauen beeinflusst. Bei dieser Interpretation besteht zwischen Kinderzahl und Ausbildung der Eltern zwar eine Korrelation, aber keine Kausalität. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn ein Migrationshintergrund der Eltern als dritter Faktor die Kinderzahl und die Ausbildung der Eltern beeinflusst, ohne dass ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen beiden Variablen »Kinderzahl« und »Ausbildung der Eltern« existiert.

Jede dieser drei Interpretationen dürfte durch die empirische Realität begründet sein. Allerdings in welcher Stärke und Häufigkeit diese Konfigurationen empirisch zu beobachten sind, wird auch das Folgende letztendlich nicht beantworten können. Es versucht jedoch im Gegensatz zu kristallisierten Stereotypen Einblicke, vielleicht auch Einsichten zu vermitteln, dass nicht die Zahl der Kinder unmittelbare Rückschlüsse auf die Lebenslage der Familie zulässt, sondern dass neben sozialen individuellen Merkmalen der Eltern auch gesellschaftliche Strukturen, in denen die Eltern leben, auf die sozialen Lebenslagen der Familien wirken können.5

Als ein wichtiges Merkmal erscheint hier der Migrationshintergrund der Eltern. Kinderreiche Eltern weisen deutlich häufiger einen Migrationshintergrund auf als Eltern mit weniger Kindern (Schaubild 1).6 Einen Migrationshintergrund haben bundesweit 45 % der Mütter und 49 % der Väter mit vier Kindern und mehr als die Hälfte der Mütter und Väter mit fünf oder mehr Kindern. Bei Familien mit einem Migrationshintergrund koinzidiert die Anzahl ihrer Kinder besonders oft mit einer spezifischen Ausbildung der Eltern, ihrer Erwerbsbeteiligung oder der finanziellen Situation der Familie. Über den Migrationshintergrund hinaus können grundlegende gesellschaftliche Strukturen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie interagierend auf die Lebenslagen kinderreicher Familien wirken. Dies wird sichtbar im europäischen Vergleich. All das gilt es im Folgenden eingehender zu beschreiben. Um besonders die Lebenslagen kinderreicher Familien differenziert darzustellen, werden aufgrund wesentlich höherer Fallzahlen ausgewählte soziale Strukturen von Müttern und Vätern in Deutschland betrachtet. Die Lebenssituationen kinderreicher Familien im Südwesten dürften denen in Deutschland grundlegend ähneln.

Schulische Bildungsabschlüsse

Nahezu alle Eltern ohne Migrationshintergrund haben ungeachtet der Anzahl der Kinder einen allgemeinen Schulabschluss. Jede dritte Mutter mit vier Kindern verfügt mit der allgemeinen oder fachspezifischen Hochschulreife über eine höhere Qualifikation – und damit genauso oft wie Mütter mit drei und zwei Kindern und häufiger als Mütter mit einem Kind. Deutlich seltener haben Mütter mit fünf oder mehr Kindern (Fach-)Abitur (Schaubild 2). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Vätern. Auch Väter mit vier Kindern weisen wie Väter mit drei und zwei Kindern überdurchschnittlich häufig (39 %) eine höhere schulische Qualifikation auf. Erst bei Vätern mit fünf oder mehr Kindern ist der Anteil der höher Qualifizierten mit 28 % niedriger, jedoch ähnlich hoch wie bei Vätern mit einem Kind.

Bei Eltern mit Migrationshintergrund unterscheiden sich kinderreiche Eltern in ihrer Schulausbildung wesentlich stärker von Eltern mit weniger Kindern, als dies bei Eltern ohne Migrationshintergrund zu beobachten ist. Kinderreiche Mütter und Väter mit Migrationshintergrund sind besonders oft ohne Schulabschluss und vergleichsweise selten mit höherer Qualifikation. Der Anteil der Mütter ohne Schulabschluss liegt je nach Anzahl der Kinder bei 22 % (drei Kinder), 33 % (vier Kinder) und 47 % (fünf oder mehr Kinder). Etwas seltener fehlt bei kinderreichen Vätern der Schulabschluss: 16 % (drei Kinder), 26 % (vier Kinder) und 36 % (fünf oder mehr Kinder). Bei Eltern mit einem Kind oder zwei Kindern liegt der Anteil gering Qualifizierter jeweils bei 13 % (Mütter) und 10 % (Väter). Vor allem Eltern mit vier oder mehr Kindern verfügen im Vergleich zu Eltern mit einem Kind oder zwei Kindern selten über eine Hochschulreife: 12 % der Mütter und 15 % der Väter. Bei Eltern mit drei Kindern hat jede fünfte Mutter und jeder vierte Vater (Fach-)Abitur. Höher sind die Anteile bei Eltern mit weniger Kindern. Sie liegen zwischen 29 % und 32 %. Damit haben Eltern mit einem Kind sogar etwas häufiger eine höhere schulische Qualifikation als Eltern ohne Migrationshintergrund und mit einem Kind.

Berufliche Bildungsabschlüsse

Stärker als die Schulbildung dürfte die berufliche Ausbildung der Eltern neben persönlichen Präferenzen von gesellschaftlichen Strukturen, vornehmlich des Migrationshintergrundes, bestimmt sein. Solche zum Teil interagierende Einflüsse sind, was später zu belegen ist, bei der Erwerbsbeteiligung kinderreicher Eltern noch wahrscheinlicher zu vermuten. Gleichzeitig zeigen sich beim beruflichen Bildungsabschluss ähnliche Linien wie beim allgemeinen Schulabschluss.

Mütter haben wesentlich häufiger keine abgeschlossene Berufsausbildung als Väter. Vor allem bei kinderreichen Müttern könnte das niedrige Alter bei der ersten Geburt ein Grund sein, dass der Erwerb von Bildungsabschlüssen unter- oder abgebrochen wird.7 Doch dies ist nicht durchgängig empirisch beobachtbar.

Bei Müttern ohne Migrationshintergrund haben kinderreiche Mütter mit drei oder vier Kindern ähnlich oft wie Mütter mit weniger Kindern keinen beruflichen Abschluss (Schaubild 3). Erst Mütter mit fünf oder mehr Kindern sind deutlich überdurchschnittlich häufig ohne Abschluss. Bei kinderreichen Vätern fehlt der berufliche Bildungsabschluss genauso selten wie bei Vätern mit weniger Kindern. Kaum anders sind die Strukturen bei Eltern mit höherer beruflicher Qualifikation wie (Fach-)Hochschulabschluss. Kinderreiche Eltern, Mütter wie Väter mit drei oder vier Kindern, verfügen sogar häufiger über eine höhere Berufsausbildung als Eltern mit weniger Kindern (Schaubild 4). Wiederum sind es erst die Eltern mit fünf oder mehr Kindern, die vergleichsweise selten einen höheren beruflichen Bildungsabschluss aufweisen; kinderreiche Väter allerdings nur wenig seltener als Väter mit einem Kind.

Eltern mit Migrationshintergrund sind überdurchschnittlich häufig ohne berufliche Ausbildung und verfügen vergleichsweise selten über einen Hochschulabschluss. Diese Ausprägungen sind umso wahrscheinlicher, je mehr Kinder in der Familie leben. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass bei Eltern mit weniger Kindern die Unterschiede zwischen Müttern und Vätern weniger groß sind als zwischen kinderreichen Müttern und Vätern. Von zehn Müttern mit vier oder mehr Kindern besitzen mindestens sieben Mütter keine abgeschlossene Berufsausbildung, von den Vätern mit vier oder mehr Kindern ist mindestens die Hälfte ohne Abschluss (zum Vergleich bei Eltern ohne Migrationshintergrund: Schaubild 3). Entsprechend selten ist ein Hochschulabschluss bei kinderreichen Eltern; bei drei Kindern: 9 % der Mütter, 14 % der Väter, bei vier oder mehr Kindern: 5 % der Mütter, 9 % der Väter. Der Anteil höher Qualifizierter bei Müttern mit weniger Kindern liegt bei 16 % (ein Kind) und 14 % (zwei Kinder), bei Vätern etwas höher zwischen 17 % und 18 % (zum Vergleich bei Eltern ohne Migrationshintergrund: Schaubild 4).

Erwerbsbeteiligung

Gut zwei Drittel der Mütter ohne Migrationshintergrund und mit drei Kindern sind erwerbstätig (Schaubild 5). Mit dem vierten Kind nimmt die Erwerbsbeteiligung jedoch erheblich ab. Hingegen sind kinderreiche Väter mit drei oder vier Kindern genauso oft erwerbstätig wie Väter mit weniger Kindern. Erst bei Vätern mit fünf oder mehr Kindern nimmt die Erwerbstätigenquote erkennbar ab. Durchweg seltener ist die Erwerbsbeteiligung der Mütter und Väter mit Migrationshintergrund ungeachtet der Anzahl der Kinder.

Eine neuere Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zu Mehrkindfamilien zeigt jedoch, dass die Erwerbsbeteiligung von kinderreichen Müttern mit dem Alter der Kinder kontinuierlich steigt.8 Doch selbst wenn das jüngste Kind zwischen dem 10. und 15. Lebensjahr ist, sind kinderreiche Mütter wesentlich seltener erwerbstätig als Mütter mit weniger Kindern. In der Regel währt die Erwerbsunterbrechung bei kinderreichen Müttern deutlich länger als bei Müttern mit weniger Kindern. Fast ein Drittel der Mütter mit drei oder mehr Kindern unterbricht die Erwerbstätigkeit länger als 10 Jahre. Bei den Müttern mit weniger Kindern sind es maximal 8 %. Kinderreiche Mütter, deren letzte Erwerbstätigkeit über 10 Jahre zurückliegt, haben auch seltener den Wunsch, auf dem Arbeitsmarkt zurückzukehren.

Laut der Studie des BMFSFJ ist 2011 gegenüber 2007 die Erwerbsbeteiligung der Mütter mit minderjährigen Kindern gestiegen. Dies gilt auch für kinderreiche Mütter selbst mit Kindern unter 3 Jahren. Zum Beispiel: Von den Müttern mit vier oder mehr minderjährigen Kindern, von denen das jüngste im Alter von 2 Jahren ist, übten 2007 rund 20 % eine Erwerbstätigkeit aus, 2011 waren es 29 %.

Die weiterhin niedrige Erwerbsbeteiligung kinderreicher Mütter ist keine Selbstverständlichkeit. In Europa zeichnen sich Dänemark und Schweden durch eine ausgesprochen hohe Erwerbsbeteiligung der Mütter aus (Schaubild 6). Kinderreiche Mütter gehen dort etwa genauso häufig einer Beschäftigung nach wie Mütter mit weniger Kindern. In zahlreichen weiteren Staaten der Europäischen Union, besonders in den Niederlanden und Finnland, üben kinderreiche Mütter häufiger eine Erwerbstätigkeit aus als in Deutschland.

Vollzeit- und Teilzeiterwerbstätigkeit

Kinderreiche Mütter in Deutschland sind zwar seltener erwerbstätig als Mütter mit weniger Kindern, aber erwerbstätige Mütter mit drei oder mehr Kindern arbeiten etwa genauso häufig 33 und mehr Stunden in der Woche wie Mütter mit zwei Kindern. Zumindest gilt dies für Mütter ohne Migrationshintergrund (Schaubild 7). Bei erwerbstätigen Müttern mit Migrationshintergrund sinkt mit der Zahl der Kinder der Anteil mit einer Wochenarbeitszeit von mindestens 33 Stunden. Bei allen erwerbstätigen Müttern steigt mit der Zahl der Kinder der Anteil derer, die weniger als 15 Stunden in der Woche erwerbstätig sind. Eine Wochenarbeitszeit von mindestens 33 Stunden ist selbst bei erwerbstätigen Müttern mit einem Kind weniger verbreitet als eine Teilzeitarbeit bis maximal 32 Stunden. Damit gehört Deutschland zu den Ländern in der Europäischen Union, in denen Teilzeit bei Müttern besonders weit verbreitet ist. Im Gegensatz dazu stehen vor allem Dänemark und Finnland. Kinderreiche Mütter sind dort nicht nur überdurchschnittlich oft erwerbstätig, sondern mehr als zwei Drittel von ihnen sind auch in Vollzeit erwerbstätig (Schaubild 6).

Erwerbstätige Väter sind ungeachtet der Kinderzahl überwiegend über 32 Stunden erwerbstätig. Allenfalls Väter mit vier oder mehr Kindern gehen etwas häufiger einer Teilzeitarbeit zwischen 15 und 32 Stunden nach: 5 % der Väter ohne Migrationshintergrund und 9 % der Väter mit Migrationshintergrund. Noch seltener sind Väter unter 15 Stunden in der Woche erwerbstätig. Dies betrifft weniger als 3 % aller erwerbstätigen Väter.

Nach den Ergebnissen der Studie des BMFSFJ ist in Paarfamilien mit drei oder mehr Kindern das »männliche Alleinverdienermodell« deutlich häufiger verbreitet als bei kleineren Familien. Entsprechend seltener ist bei kinderreichen Familien das sogenannte »Zuverdienermodell«, bei dem die Mutter einer Teilzeiterwerbstätigkeit nachgeht, während der Vater in Vollzeit arbeitet. Der Anteil der Familien mit minderjährigen Kindern, in denen beide Eltern in Vollzeit erwerbstätig sind, ist gering und nimmt mit steigender Zahl der Kinder weiter ab. Überdurchschnittlich hoch ist bei Familien mit vier oder mehr minderjährigen Kindern der Anteil an Familien, in denen beide Elternteile keine Erwerbstätigkeit ausüben. Gleichwohl nimmt auch bei Mehrkindfamilien mit dem Alter der Kinder der Anteil der »Doppelverdiener« zu. Die Studie hebt zudem hervor, dass bei den Erwerbskonstellationen der Migrationshintergrund der Eltern eine wichtige Rolle spielt. Bei Familien mit Migrationshintergrund sind seltener beide Eltern erwerbstätig und deutlich häufiger beide Eltern nicht erwerbstätig. Vor dem Hintergrund des überdurchschnittlich hohen Anteils von Familien mit Migrationshintergrund besonders bei Familien mit vier oder mehr Kindern dürften sich bei Familien ohne Migrationshintergrund die Erwerbskonstellationen weniger stark zwischen kinderreichen Familien und Familien mit weniger Kindern unterscheiden, als dies die Betrachtung der Gesamtheit aller Familien nahelegt.

Nach Ergebnissen der Studie bevorzugen jedoch kinderreiche Paare auch eher die traditionelle Arbeitsteilung als Paare mit weniger Kindern. Kinderreiche Mütter sind besonders häufig nicht erwerbstätig, weil sie sich »um ihre Kinder kümmern« wollen (BMFSFJ 2013: S. 39). Die Mehrheit der nicht erwerbstätigen Mütter mit vier oder mehr Kindern ist mit der gegenwärtigen Nichterwerbstätigkeit zufrieden. Nur ein Drittel würde gern erwerbstätig sein. Insgesamt spielt der Beruf für Mütter mit drei oder mehr Kindern eine etwas geringere Rolle als für Mütter mit weniger Kindern. Dennoch leben mehr kinderreiche Familien die traditionelle Arbeitsteilung, als sie es sich wünschen.

Einkommen

Das mittlere monatliche Familiennettoeinkommen kinderreicher Eltern unterscheidet sich kaum von dem der Eltern mit zwei Kindern, obwohl kinderreiche Familien mehr Kinder zu versorgen haben (Schaubild 8). Bei Müttern und Vätern ohne Migrationshintergrund und mit fünf oder mehr Kindern liegt das mittlere Familiennettoeinkommen sogar unter jenem von Eltern mit zwei, drei oder vier Kindern. Durchweg verfügen Eltern mit Migrationshintergrund im Mittel über deutlich weniger Einkommen als Eltern ohne Migrationshintergrund. Deshalb ist, das belegt auch die Studie des BMFSFJ, die finanzielle Situation in kinderreichen Familien oft wesentlich angespannter als in Familien mit weniger Kindern.

Fällt der Blick auf ausgewählte Einkommensquellen, mit denen der Lebensunterhalt der Familie überwiegend bestritten wird, dann sichert die überwiegende Mehrheit aller Eltern den Lebensunterhalt der Familie mithilfe eines Erwerbseinkommens (Schaubild 9). Kinderreiche Eltern mit drei oder vier Kindern und ohne Migrationshintergrund beziehen kaum häufiger Transferzahlungen wie Arbeitslosengeld, Leistungen nach Hartz IV oder Sozialhilfe als wichtigste Einkommensquelle als Eltern mit weniger Kindern. Erst bei Müttern und Vätern mit fünf oder mehr Kindern verliert das Erwerbseinkommen an Bedeutung. In etwa jeder fünften Familie (Mütter: 23 %, Väter: 18 %) wird der Lebensunterhalt überwiegend über Transferzahlungen bestritten.9

Auch bei den Eltern mit Migrationshintergrund ist ungeachtet der Kinderzahl ein Erwerbseinkommen die wichtigste Einkommensquelle, allerdings nicht in der Häufigkeit wie bei Eltern ohne Migrationshintergrund. Entsprechend öfter sichern Transferzahlungen den überwiegenden Lebensunterhalt der Familie. Besonders häufig beziehen kinderreiche Eltern staatliche Unterstützungen, so zum Beispiel ein Drittel der Eltern mit fünf oder mehr Kindern.

Das Armutsrisiko bei kinderreichen Familien ist besonders hoch. Etwa 24 % der Paarfamilien mit drei oder mehr Kindern gelten als armutsgefährdet gegenüber 11 % und 10 % der Paarfamilien mit zwei Kindern oder mit einem Kind.10 Ein Grund für das höhere Armutsrisiko kinderreicher Familien ist, dass die Familieneinkommen nicht in dem Maße steigen, wie die Bedarfe der Familien durch weitere Kinder zunehmen. Dennoch findet sich die überwiegende Mehrheit der kinderreichen Familien in ökonomisch gesicherten Verhältnissen. Auch nach den Ergebnissen der Studie des BMFSFJ (2013: S. 69) lebt etwa ein Drittel der Mehrkindfamilien in einer »ausgesprochen günstigen wirtschaftlichen Situation«, ein weiteres Drittel weist eine »durchschnittliche Lage« auf. Sie können mit dem Einkommen den Lebensunterhalt selbst erwirtschaften. Allerdings sind die »finanziellen Spielräume begrenzt«. Das letzte Drittel der Mehrkindfamilien befindet sich in einer »eher prekären wirtschaftlichen Lage«. Vergleichsweise oft sichern erst Transferzahlungen den Lebensunterhalt der Familie und vergleichsweise oft sind die Eltern nicht erwerbstätig.

Sind kinderreiche Familien Exoten?

Kinderreiche Familien sind selten, aber vielfältig. Zur Vielfalt gehört auch, dass Familien mit Migrationshintergrund die Lebenssituationen kinderreicher Familien, besonders bei Familien mit vier oder mehr Kindern, wesentlich prägen. Eltern ohne Migrationshintergrund und mit drei oder vier Kindern unterscheiden sich in ihrer schulischen und beruflichen Ausbildung sowie – mit Einschränkungen – in der Erwerbsbeteiligung kaum von Eltern mit weniger Kindern. Kinderreiche Mütter sind zwar seltener erwerbstätig als Mütter mit weniger Kindern, aber wenn sie erwerbstätig sind, arbeiten sie ähnlich häufig in Vollzeit wie Mütter mit zwei Kindern. Die überwiegende Mehrheit kinderreicher Familien lebt in ökonomisch gesicherten Verhältnissen. Die Unterschiede zu den Familien mit weniger Kindern werden zumeist sichtbarer bei Familien mit fünf oder mehr Kindern.

In Familien mit Migrationshintergrund unterscheiden sich hingegen kinderreiche Eltern deutlicher von Eltern mit weniger Kindern. Kinderreiche Eltern verfügen vergleichsweise oft über keine qualifizierte Ausbildung und sind seltener erwerbstätig. Ferner ist ihre ökonomische Situation in der Regel wesentlich angespannter als in kleineren Familien. Besonders bei kinderreichen Eltern dürften traditionelle, vornehmlich religiöse Einflüsse bestimmend für die Lebensbedingungen der Familie und für das Rollenverständnis der Eltern sein.

Gewiss müssten noch viel mehr Variablen als bisher in die Betrachtung einbezogen werden, um eine abschließende Bewertung der Lebenslagen kinderreicher Familien zu erreichen. Denkbar sind beispielsweise Unterscheidungen nach dem Alter der Eltern und kohortenspezifische Einflüsse besonders bei Eltern mit Migrationshintergrund.

1 Thiede, Rocco (Hg.) (2014): Kinderglück. Leben in großen Familien. Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Band 1448. Bonn.

2 Eggen, Bernd: Kinderreiche Familien: Ein Weg durch die Zeiten, in: Rocco Thiede (Hg.) (2014): S. 144–156; siehe Fußnote 1.

3 Berücksichtigt sind ledige Kinder ohne Altersbegrenzung, die bei ihren Eltern wohnen.

4 Nauck, Bernhard (2001): Der Wert von Kindern für ihre Eltern. »Value of Children« als spezielle Handlungstheorie des generativen Verhaltens, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 53(3): S. 407–435.

5 Siehe auch Sandberg, John/Rafail, Patrick (2014): Family size, cognitive outcomes, and familial interactions in stable, two-parent families: United value‑of‑children‑approach States, 1997–2002, in: Demography, 51: S. 1895–1931.

6 Zu den Personen mit Migrationshintergrund zählen alle Ausländerinnen und Ausländer sowie Deutsche, die nach 1955 selbst zugewandert sind oder bei denen mindestens ein Elternteil nach 1955 aus dem Ausland nach Deutschland kam.

7 Mütter, die drei oder mehr Kinder gebären, gründen ihre Familie im Durchschnitt mit 26 Jahren und damit 3 Jahre früher als Mütter mit einem Kind; siehe Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hg.) (2013): Mehrkindfamilien in Deutschland. Berlin, S. 19.

8 Siehe BMFSFJ (2013: S. 25–43) sowie Fußnote 7. Die Studie beschränkt sich bei der Anzahl der Kinder ausschließlich auf minderjährige Kinder, die im Haushalt der Eltern leben. Wenn nicht hervorgehoben, sind hier alle Eltern ungeachtet eines Migrationshintergrundes berücksichtigt.

9 Die unterschiedliche Häufigkeit beim Bezug von Transferzahlungen zwischen Müttern und Vätern dürfte zum Teil darin begründet sein, dass Mütter häufiger alleinerziehend sind und daher eher Transferzahlungen beziehen. Bei Eltern ohne Migrationshintergrund und mit einem Kind ist außerdem der Anteil der Eltern vergleichsweise hoch, der Rente oder Pensionen als wichtigste Einkommensquelle erhält: Mütter 15 %, Väter 13 %. Bei Eltern mit Migrationshintergrund liegt dieser Anteil etwa bei 10 %.

10 Siehe Sozialberichterstattung/Armut und soziale Ausgrenzung [Abruf: 3. 12. 2014].