:: 12/2017

Die deutschen Kolonien im Spiegel der amtlichen Statistik

Betrachtet man die Außenhandelsbeziehungen Baden-Württembergs zu einigen afrikanischen Staaten wie Tansania, Togo, Kamerun und Namibia, so fällt auf, dass in den letzten Jahren Baden-Württembergs Außenhandelsbeziehungen zu Tansania unter diesen ausgewählten Staaten am intensivsten waren.

Eine Ursache hierfür mag auch in der Geschichte liegen. Bis vor annähernd 100 Jahren gehörten alle diesen Staaten zu den Kolonien des Deutschen Kaiserreiches.

Die Expansion des Kolonialismus im 19. Jahrhundert

Seit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus schufen europäische Mächte Kolonialreiche in Übersee. Dies waren zunächst Spanien und Portugal, bald traten auch die Niederlande, Großbritannien und Frankreich als Mitbewerber um koloniale Ansprüche auf. Am Wettlauf um die koloniale Aufteilung großer Teile der Welt im 19. Jahrhundert beteiligte sich schließlich auch Deutschland. Machtrivalität und Prestigefragen waren neben wirtschaftlichen Gewinnerwartungen und der Sicherung künftiger Rohstoffbasen die wichtigsten Motive, die den Kolonialismus im Zeitalter des Imperialismus beherrschten.

Kolonialismus wird als die meist staatlich geförderte Inbesitznahme auswärtiger Territorien und die Unterwerfung, Vertreibung oder Ermordung der ansässigen Bevölkerung durch eine Kolonialherrschaft definiert. Die Ideologie des Eurozentrismus war in dieser Zeit der geistig-philosophische Überbau durch den die europäischen Nationen glaubten, eine legale Basis für die Kolonisierung der Welt zu besitzen.

Frühen deutschen Bestrebungen Kolonien zu bilden wie die des Augsburger Handelshauses Welser in Venezuela, die Handelsstation Groß Friedrichsburg des Großen Kurfürsten im heutigen Ghana oder Hanauisch Indien der Hanauer Grafen im nördlichen Brasilien hatten nur eine sehr kurze Lebensdauer. Als das Deutsche Kaiserreich in der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts ernsthaft begann, erste koloniale Ansprüche zu verfolgen, hatten die alten europäischen Kolonialmächte bereits einen Großteil der Welt unter sich aufgeteilt. Die größten Gebiete ohne Kolonialherrschaft waren in Afrika südlich der Sahara vorhanden. Hier manifestierte das Kaiserreich dann auch seine größten kolonialen Gebietsansprüche.

Die deutschen Kolonien

Der eigentliche Beginn der deutschen Kolonialpolitik war im Jahr 1884. Reichskanzler Bismarck stellte mehrere Besitzungen deutscher Kaufleute unter den Schutz des Deutschen Reichs. Damit nutzte er eine Phase außenpolitischer Entspannung zum Beginn eines von ihm so bezeichneten kolonialen Experiment.

Bis zum Jahr 1900 kamen folgende Gebiete unter deutsche Vorherrschaft: 1884 Deutsch-Südwestafrika (das heutige Namibia); 1884 Togoland (das heutige Togo und Teile des östlichen Ghana); 1884 Kamerun (das heutige Kamerun und kleinere Gebietsteile folgender heutiger Staaten: Nigeria, Tschad, Zentralafrikanische Republik, Republik Kongo und Gabun); 1885 Deutsch-Ostafrika (das heutige Tansania und kleinere Gebietsteile folgender heutiger Staaten: Ruanda, Burundi und Mosambik); 1885 Deutsch-Neuguinea (Teile des heutigen Papua-Neuguinea, die heutigen Marshallinseln, Teile der heutigen Salomonen, Nördliche Marianen, Palauinseln und Mikronesiens); 1898 Kiautschou (heute Teil der Volksrepublik China) und 1900 Deutsche Samoa-Inseln (das heutige Samoa).

Die Verwaltung der Kolonien bedurfte ständiger Subventionen. Die Wirtschaft im deutschen Kolonialreich war ganz überwiegend vom Primärsektor geprägt. Das Verarbeitende Gewerbe wurden nicht aufgebaut. Es wurden vielmehr Rohstoffe für den Export nach Europa produziert. Dabei handelte es sich vor allem um landwirtschaftliche Produkte. Neben der Landwirtschaft existierten auch Ansätze zur Gewinnung von Bodenschätzen durch Bergbau, von denen aber allein die Diamantengewinnung in Südwest-Afrika profitabel wurde. Die Kolonialgebiete kosteten das Reich mehr als sie einbrachten, obwohl viele deutsche Unternehmen und Gewerbetreibende bereit waren, Wirtschaftsbeziehungen zu den Kolonien aufzunehmen. Sie waren politisch gesehen eine reine Prestigeangelegenheit. Fast alle kolonialen Besitzungen standen unmittelbar unter Reichsverwaltung. Sie wurden durch Reichsgouverneure oder Reichskommissare verwaltet. Schon bald nach der Inbesitznahme wurden Polizeikräfte und Beamte in die Kolonien entsandt. Erste Schulen, Kirchen und Kultureinrichtungen wurden gegründet. Überall schuf man Verwaltungsgebäude im Stil der Gründerzeit.

Darüber hinaus waren christliche Missionare der beiden großen Kirchen im Einsatz, die die Ureinwohner mit zum Teil erheblichem Sendungsbewusstsein zum christlichen Glauben bekehren sollten. In einigen Kolonien begann man mit dem Bau von Eisenbahnlinien. Wirtschaftlich waren die Kolonien allerdings fast alle ein Verlustgeschäft. Durch die immer zahlreicheren Kolonialskandale und die blutig niedergeschlagenen Aufstände von Einheimischen – etwa der Herero – gerieten die Kolonien im Mutterland immer mehr in Verruf. Die deutsche Kolonialeuphorie der frühen 1880er-Jahre hatte sich bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges stark abgekühlt.

Die Kolonien in der Statistik

Um für die Verwaltung verlässliches Datenmaterial zu erhalten, begann man schon sehr bald mit der Erfassung statistischer Grunddaten in den Kolonien. Diese Daten fanden sehr bald einen Niederschlag in den Publikationen des Statistischen Reichsamtes. So gab es ab dem Jahrgang 1894 regelmäßig im Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich ein Kapitel zu den »Deutschen Schutzgebieten« wie die Kolonien offiziell genannt wurden. Auch im statistischen Handbuch für das Deutsche Reich aus dem Jahre 1907 wird den Kolonien ein umfangreiches Kapitel gewidmet. Fläche, Bevölkerung, deutsche Bevölkerung und das stationierte deutsche Militärpersonal in den einzelnen Kolonien wird dort detailliert aufgelistet. Als wichtige Infrastrukturmaßnahmen wurden auch die Angaben der bereits gebauten Eisenbahnkilometer und die errichteten Post- und Telegrafenanstalten aufgelistet. Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit den staatlichen Einnahmen und Ausgaben der einzelnen Kolonien. Abschließend werden mit sehr großer Detailliertheit die Handelsdaten dargestellt. Dieser publizistische Abschnitt der amtlichen Statistik wird nach dem Ersten Weltkrieg beendet, als das Deutsche Reich durch den Versailler Vertrag verpflichtet wurde, die Besitzansprüche an allen Kolonien aufzugeben.

Nachwirkungen in der heutigen Zeit

Die deutsche Kolonialpolitik des Kaiserreiches, die hauptsächlich in Afrika stattfand, war kein Ruhmesblatt der deutschen Geschichte. Exemplarisch sei hier an den Völkermord an den Herero und Nama erinnert. Er geschah während und nach der Niederschlagung von Aufständen der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialmacht in der Kolonie Deutsch-Südwest­afrika während der Jahre 1904 bis 1908. Heute gilt Afrika als der Kontinent mit den reichsten noch unerschlossenen Ressourcen. Im Zuge der Entwicklungszusammenarbeit – an der Maxime einer gleichberechtigten Partnerschaft ausgerichtet – beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland gerade in einigen ehemaligen Kolonialstaaten, um bessere Bedingungen in folgenden politischen Handlungsfeldern zu schaffen: Frieden und Sicherheit; demokratische Regierungsführung und Menschenrechte; Handel, regionale Integration und Infrastruktur; Energie; Klimawandel; Migration, Mobilität und Beschäftigung; Wissenschaft und Informationsgesellschaft und Raumfahrt. Das mag für die damaligen Kolonialvölker unter dem Aspekt einer gleichberechtigten Partnerschaft eine späte Genugtuung sein. Als Auswirkung dieser Entwicklungszusammenarbeit kann aus heutiger Sicht auch die Tatsache gelten, dass im Wintersemester 2015/16 in Baden-Württemberg 1 057 Studierende aus Kamerun eingeschrieben waren. Das ist fast ein Drittel aller Studierenden aus Afrika in Baden-Württemberg.