:: 3/2004

Rege Wanderungsaktivität im Südwesten – und der Effekt?

Die demografische Entwicklung wird in den kommenden Jahrzehnten zu einem kontinuierlichen Rückgang der Bevölkerungszahlen in Deutschland führen. Nach den vorliegenden Untersuchungen wird das nach 2020 auch für Baden-Württemberg gelten, obwohl dies bislang noch nicht zu spüren ist. Die Mobilität über die Landes- und Gemeindegrenzen war im vergangenen Vierteljahrhundert so stark, als würde summarisch die gesamte Bevölkerung Baden-Württembergs (über 10,5 Millionen) im Laufe von jeweils etwa 8 Jahren einmal umziehen. Aber was ist per saldo von diesem Wanderungsgeschehen wo »hängen geblieben«?

Man drängt in den Südwesten

Der Südwesten scheint von besonderer Attraktivität zu sein, denn seit Jahrzehnten haben wir innerhalb Deutschlands sowohl eine Nord-Süd- als auch eine Ost-West-Wanderung. Wo anders als im Südwesten sollten beide Binnenwanderungen zusammentreffen. Zudem kamen allein seit 1975 über 3,6 Mill. von außerhalb Deutschlands ins Land. Von denen blieben rechnerisch und per saldo fast 0,4 Mill. Auf den ersten Blick scheint die Attraktivität für Zuziehende eindeutig von der Entwicklung der Arbeitsplätze und damit der Erwerbsmöglichkeit abhängig zu sein (vgl. Schaubild). Tatsächlich scheint das Wanderungsgeschehen mindestens seit dem Fall des »Eisernen Vorhangs« stark von weltpolitischen und Kriegsereignissen bestimmt gewesen zu sein. In früheren Jahrzehnten war die Mobilität deutlicher an die konjunkturelle Entwicklung gekoppelt als in den letzen Jahren. Gewisse Parallelitäten sind bei der Migration zwar noch feststellbar, Reaktionsgeschwindigkeit und Reaktionsintensität nehmen aber stetig ab.

Badische Städte attraktiver als württembergische?

Die Wanderungseffekte (vgl. i-Punkt) entwickelten sich in den vergangenen Jahren sehr unterschiedlich. Von je 1 000 Zu- oder Fortziehenden der Jahre 1998 bis 2002 blieben per saldo … Einwohner »hängen« in:

Baden-Baden+ 76
Offenburg+ 51
Freiburg im Breisgau+ 48
Konstanz + 43
Ulm+ 35
Karlsruhe+ 34
Waiblingen + 34
Villingen-Schwenningen+ 34
Esslingen am Neckar+ 33
Baden-Württemberg+ 31
Göppingen+ 31
Heidelberg+ 24
Reutlingen+ 22
Friedrichshafen+ 22
Aalen+ 19
Pforzheim+ 18
Stuttgart+ 9
Ludwigsburg+ 9
Sindelfingen+ 7
Tübingen+ 6
Mannheim+ 4
Heilbronn− 3
Schwäbisch Gmünd− 23
Heidenheim an der Brenz− 37

Die regionale Entwicklung der letzten 5 Jahre offenbart zusätzliche Wanderungsmotive. Die dynamischste »Umzieherei« wurden für Ludwigsburg und – wenig überraschend – für die Universitätsstädte festgestellt. In diesen Städten schlägt sich die Bevölkerung – gemessen an der Summe der Zu- und Wegzüge – innerhalb von 5 Jahren fast einmal um. Am behäbigsten scheint sich das Wanderungsgeschehen in Ostwürttemberg, am Ostrand des Schwarzwalds und in Mannheim abzuspielen.

Ein typologisch anderes Bild ergibt sich, wenn berücksichtigt wird, wie viele Zu- oder Fortziehende in den Städten und Gemeinden per saldo tatsächlich verbleiben. Nach Baden-Baden zieht man demnach am ehesten, um dort auf Dauer zu leben. Auf 1 000 Wanderungsfälle bleiben per saldo etwa 80 Personen in der Stadt. Somit dürfte Baden-Baden wohl zu den attraktivsten Residenzen des Landes gehören. Ähnliches, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt, gilt für die badischen Städte Offenburg, Freiburg im Breisgau und Konstanz. Hier bilden urbane Attraktivität, hohe Freizeitwerte und vielleicht auch die Nähe zum Elsass und zur Schweiz positive Standortfaktoren.

Auffallend niedrig sind die Effekte für Ludwigsburg, Stuttgart, Sindelfingen, Tübingen und Mannheim. Dort verbleiben auf Dauer gerade einmal zwischen 4 und 9 von 1 000 Wandernden. Bemerkenswert dabei ist, dass gerade Ludwigsburg und Tübingen eine weit überdurchschnittliche Anzahl von Wanderungsfällen melden. Tatsächlich gilt das Missverhältnis zwischen Wanderungsvolumen und Wanderungseffekt noch deutlicher für Mannheim und Stuttgart. Das dortige Wanderungsgeschehen ist weit umfangreicher, als es hier nachgewiesen wird, denn von der amtlichen Statistik werden nur Wanderungsfälle über die Gemeindegrenzen berücksichtigt. Das heißt, die Innerortsumzüge bleiben unberücksichtigt, und je größer eine Stadt ist, desto zahlreicher sind auch die innerörtlichen Umzüge.

Zu den großen Gewinnern zählen die Städte mit mehr als 50 000 Einwohnern allerdings nicht. Insgesamt gewannen die Städte »nur« 21 aus 1 000 Wanderungsfällen. Mittelgroße Gemeinden, die zwischen 10 000 und 25 000 Einwohner zählen, scheinen die größte Attraktivität auszustrahlen. Wie nachstehende Aufstellung verdeutlicht, gewannen in den letzten Jahre Gemeinden

mit 25 000–50 000 Einwohnern35
mit 10 000-25 000 Einwohnern39
mit 5 000-10 000 Einwohnern34
mit weniger als 5 000 Einwohnern29

Einwohner je 1 000 Zu- oder Fortziehende hinzu.

Detailuntersuchungen zeigen, dass kleinere Gemeinden wie Marbach am Neckar, Besigheim, Ostfildern, Altdorf, Remseck am Neckar vom geringen Wanderungseffekt der oben genannten Städte des Mittleren Neckarraums profitieren. Ähnliches gilt auch für Nordbaden; dort fallen unter anderen Neulußheim, Schrießheim, Ilvesheim oder Heddesheim durch überdurchschnittlich erfolgreiche Wanderungseffekte auf.

Negative Effekte bei gleichzeitig unterdurchschnittlicher Wanderungsaktivität müssen Heilbronn, Schwäbisch Gmünd und vor allem Heidenheim an der Brenz hinnehmen. Dies waren die einzigen Städte mit mehr als 50 000 Einwohnern, für die in den Jahren seit 1998 Wanderungsverluste festgestellt wurden.

Arbeits- und Wohnungsmarkt im Lot?

Für viele Zuwandernde sind Städte wie Stuttgart, Mannheim oder Ludwigsburg eher eine Durchlaufstation. Dass dem tatsächlich so ist, zeigt die jüngste Untersuchung des Statistischen Landesamtes zur Entwicklung des Pendlerwesens in Baden-Württemberg. 1987 hatten noch 58 von 100 Erwerbstätigen einen Arbeitsplatz in ihrer Wohngemeinde, 2001 waren es nur noch 44.1 Einpendlermagnete sind nach wie vor die Großstädte, allen voran Stuttgart. Letztlich heißt dies, dass bei hohen Einpendlerzahlen und schwachen Wanderungseffekten trotz sehr hoher Wanderungsaktivität Arbeits- und Wohnungsmarkt nicht im Lot sind. Entweder mangelt es den Städten für neu Zugezogene an urbaner Attraktivität oder an Wohnungen oder an beidem.

1 Vgl.: Ulrike Winkelmann, »Wohnen hier – Arbeiten dort«, in Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg, 10/2003, S. 52 ff.