:: 7/2004

Kinderreichtum und Bildung

Kinderreiche Mütter und Väter besitzen besonders häufig keinen schulischen und beruflichen Abschluss. Allerdings trifft ebenso zu: Kinderreiche Eltern verfügen ähnlich oft wie Eltern mit einem oder zwei Kindern über eine Hoch-schulreife beziehungsweise über einen Hoch-schulabschluss, ferner besitzen Mütter wie Väter mit drei Kindern sogar überdurchschnittlich oft höchste Schul- und Berufsabschlüsse. Auch in kinderreichen Familien ist die Ausbildung der Eltern entscheidend für die Schulbeteiligung der Kinder.

Trotz »Individualisierung« mit erweiterten Handlungsmöglichkeiten für den Einzelnen und »Entstrukturierung« der Gesellschaft mit offeneren und durchlässigeren sozialen Schichten gilt für alle europäischen Gesellschaften weiterhin: Der Bildungsabschluss von Frauen und Männern wirkt wohl mehr denn je und im hohen Maße auf die Entscheidung für die Ehe, für Kinder, für die Berufstätigkeit der Frau, die Ehescheidung, das Heiratsalter und die Kinderzahl. So trat während der letzten Jahrzehnte eine deutliche Polarisierung des Verhaltens zwischen den einzelnen, vor allem über den Bildungsabschluss definierten, sozialen Schichten ein.1 Das familienbezogene Verhalten innerhalb dieser Schichten dagegen blieb relativ konstant. Die Familie ist damit auch heute ein Ort der Stabilisierung sozialer Ungleichheit. Unterscheiden sich dabei kinderreiche Familien mit Blick auf die Bildung der Eltern und ihrer Kinder von Familien mit weniger Kindern?2

Bildungsabschlüsse: Partnerwahl unter »seinesgleichen«

Heute lassen sich junge Frauen und Männer von ihren Eltern weder anhalten geschweige denn vorschreiben, welcher Partner für sie der richtige ist. Dennoch ist die Wahl des Partners sozial nicht voraussetzungsfrei. Erst recht ist der so genannte Heiratsmarkt nicht frei und grenzenlos, sondern für den Einzelnen sozial selektiv und numerisch begrenzt.3 Denn die Aufnahme einer Beziehung hängt zunächst von der Möglichkeit des Kennenlernens ab. Verbrugge formuliert diesen Sachverhalt prägnant: »who does not meet, does not mate«, wobei gilt: »while meeting depends on opportunities, mating depends on both attraction and opportunities«.4 Die Dauer, die junge Menschen in Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen verbringen, bedingt wesentlich die Wahl eines Partners: »Je früher die Selektion von Schülern in weiterführende Schulen einsetzt und je rigider die räumliche Trennung zwischen den verschiedenen Bildungswegen ist, desto geringer sind die Kontaktchancen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Bildungsgruppen. Diese erste Vorstrukturierung von Kontaktchancen über den Schulbesuch und die berufliche Ausbildung bewirkt tendenziell eine Homogenisierung von sozialen Verkehrskreisen. Mit Eintritt in das Berufsleben ist zwar von einer Erweiterung der sozialen Verkehrskreise auszugehen, aber dann ist auch kein »repräsentativer« Heiratsmarkt vorhanden, da man häufig auf Personen mit ähnlichen Bildungs-, Ausbildungs- und Berufskarrieren trifft.«5

Diese so genannte Bildungshomogamie, die Partnerwahl unter »seinesgleichen«, dominiert auch bei den nicht ehelichen und ehelichen Paaren mit Kindern. Kinderreiche Paare unterscheiden sich darin zunächst nicht von Paaren mit einem oder zwei Kindern, aber sie unterscheiden sich im Bildungsniveau.

Bei rund 63 % der Paare mit drei oder mehr Kindern besitzen die Eltern jeweils den gleichen Schulabschluss (Tabelle 1). Am häufigsten ist der Hauptschulabschluss (29 %), gefolgt mit großem Abstand von Hochschulreife (18 %) und Realschulabschluss (11 %). Bei 5 % der Paare fehlt bei beiden Eltern ein Schulabschluss. Von Bildungsheterogamie spricht man, wenn sich die Eltern in ihren Bildungsabschlüssen unterscheiden. Bei 37 % der kinderreichen Paare trifft das zu. Dabei überwiegen eindeutig die Kombinationen Realschule mit Hauptschule und Hochschulreife mit Realschule. Die meisten heterogamen Paare wählen also einen Partner auf der nächst höheren oder nächst niedrigeren Bildungsstufe. Eher selten sind zwei oder drei Bildungsstufen zwischen den Partnern.6 Bei kinderreichen Familien ist damit die Neigung der Eltern, einen Partner mit gleichem Bildungsabschluss zu bevorzugen, im Vergleich zu Paaren mit einem oder zwei Kindern, überdurchschnittlich hoch auf der niedrigsten und auf der höchsten Bildungsstufe.

Dies ist bedeutsam, da sich das Bildungsniveau der Eltern kumulativ auf die Bildung der Kinder auswirken kann.7 Mit anderen Worten: Die Chancen von Kindern aus kinderreichen Familien dürften sich besonders deutlich voneinander unterscheiden.

Arm an Bildung – reich an Kindern?

Wer über eine höhere Schul- und Berufsausbildung verfügt, dem öffnen sich bessere Chancen für eine berufliche Karriere und für ein höheres Einkommen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bestehenden Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie verzichten deshalb vor allem gut ausgebildete Frauen auf Kinder oder wollen weniger Kinder. Dabei geht allerdings die Verringerung der Anzahl der Kinder meistens mit einem höheren Erziehungsanspruch der Eltern gegenüber ihren Kindern einher.8 Umgekehrt schränken fehlende Schul- und Berufsabschlüsse die beruflichen und finanziellen Möglichkeiten ein. Als oft einzige Option, die zudem gesellschaftliche Anerkennung verspricht, verbleibt die Gründung einer großen Familie. Oder anders formuliert: Neben der gängigen Behauptung, Kinderreichtum führe zu Armut, gibt es auch die Ansicht, dass Armut, hier Bildungsarmut, zu Kinderreichtum führe.9

In Baden-Württemberg besitzen bei kinderreichen Ehepaaren Mütter und Väter überdurchschnittlich oft keinen schulischen oder beruflichen Abschluss (Schaubild).10 Eine abgeschlossene Schulausbildung fehlt bei 6 % der Frauen mit drei Kindern und bei 15 % der Frauen mit vier oder mehr Kindern, keine abgeschlossene Berufsausbildung besitzen 28 % der Frauen mit drei Kindern und sogar 45 % der Frauen mit vier oder mehr Kindern.

Auch die Väter von drei oder mehr Kindern haben häufiger keine Schul- oder Berufsausbildung als Männer mit einem oder zwei Kindern, allerdings nicht in dem Ausmaße wie bei den Frauen mit drei oder mehr Kindern. Ein Grund mag darin liegen, dass Männer mit fehlender Ausbildung mit den entsprechenden beruflichen und finanziellen Einschränkungen von vornherein die geringsten Heiratschancen haben, das heißt, sie bleiben im Vergleich zu anderen Bildungsgruppen häufiger ledig.11 Hingegen scheint bei Frauen mit fehlender Ausbildung eher ein so genanntes hypergames Verhalten bestimmend zu sein, nach dem Frauen tendenziell eher Partner »über« als »unter« und Männer eher Partnerinnen »unter« als »über« ihrem Bildungsabschluss heiraten. Diese Partnerwahl ist zum Teil Ausdruck einer traditionellen Aufgabenteilung. Während Männern hierbei vor allem die Rolle des Ernährers der Familie zukommt, sind Frauen in der Regel auf die Tätigkeit der Hausfrau und Mutter beschränkt. In der traditionalen Sichtweise dieser Aufgabenteilung ist daher bei der Partnerwahl die Bildung des Mannes wichtig für seinen Berufsstatus und für seine Einkommensmöglichkeiten, »während bei den Frauen andere Kriterien, wie hausfrauliche Qualitäten, körperliche Attraktivität etc., im Vordergrund« stehen.12

Einerseits gibt es also bei kinderreichen Eltern überdurchschnittlich viele Mütter und Väter ohne Schul- oder Berufsabschluss. Andererseits verfügen kinderreiche Mütter und Väter ähnlich oft wie Eltern mit einem oder zwei Kindern über eine Hochschulreife beziehungsweise über einen Hochschulabschluss. Mütter wie Väter mit drei Kindern besitzen sogar überdurchschnittlich oft höchste Schul- oder Berufsabschlüsse. Ein Grund für dieses vergleichsweise hohe Bildungsniveau auch bei kinderreichen Müttern dürfte die soziale Herkunft der Eltern sein. So haben im »Bamberger-Ehepaar-Panel« kinderreiche Eltern deutlich häufiger Selbstständige und Freiberufler zum Vater als die übrigen. Ihre Väter sind zudem häufiger in Führungspositionen und entsprechend seltener als ungelernte oder gelernte Arbeiter beschäftigt gewesen.13

»Vererbung« sozialer Ungleichheit?

Nicht erst seit PISA wissen wir, dass der Bildungsstatus der Eltern immer noch und vielleicht sogar in verstärktem Maße ausschlaggebend für den Schulerfolg und -misserfolg der Kinder sein kann.14 Nun ist die Ressource »schulische und berufliche Ausbildung« bei kinderreichen Eltern deutlich unterschiedlicher verteilt als bei Eltern mit einem oder zwei Kindern. Überdurchschnittlich oft können dabei Kinder aus kinderreichen Familien nicht auf diese Ressource zugreifen, da viele Eltern nur unzureichend ausgebildet sind. Zunächst zeigt sich, dass beispielsweise Kinder im Alter von 15 bis 17 Jahren aus kinderreichen Familien ähnlich oft die Klassenstufe 11 bis 13, also das Gymnasium oder die Fachoberschule, besuchen wie Kinder aus Familien mit einem oder zwei Kindern (Tabelle 2).15 Doch ist auch in kinderreichen Familien die Ausbildung der Eltern entscheidend für die Schulbeteiligung der Kinder.16 Verglichen mit allen Jugendlichen aus kinderreichen Familien haben Oberschüler erheblich häufiger Eltern mit Hochschulreife beziehungsweise Hochschulabschluss. Entsprechend seltener haben die Oberschüler Eltern mit fehlender Schul- oder Berufsausbildung. Kurzum: Kinderreiche Eltern »vererben« wohl soziale Ungleichheit – hier Bildungsabschlüsse. Aber im Unterschied zu Eltern mit einem oder zwei Kindern haben kinderreiche Eltern häufiger nur eine unzureichende Ausbildung, die sie »vererben« können.

1 Siehe Gestrich, Andreas/Krause, Jens-Uwe/Mitterauer, Michael (Hg.): Geschichte der Familie, Stuttgart: Kröner Verlag, 2003, S. 405 sowie Wirth, Heike: Selektive soziale Interaktion – Klassenspezifische Heiratsmuster in Westdeutschland, in: Wirtschaft und Statistik, Heft 9/2000, S. 696-708 (Zitierweise: Klassenspezifische Heiratsmuster).

2 Als kinderreich gelten heute Familien mit drei oder mehr Kindern, siehe auch Eggen, Bernd/Leschhorn, Harald: Kinderreiche Familien und ihre Haushaltsformen, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg, Heft 5/2004, S. 18-21.

3 Siehe Wirth, Heike: Klassenspezifische Heiratsmuster, S. 698.

4 Siehe Verbrugge, L.M.: The Structure of Adult Friendship Choices, in: Social Forces, 56/1977, S. 576-597.

5 Siehe Wirth, H.: Klassenspezifische Heiratsmuster, S. 698.

6 Siehe hierzu auch Wirth, H.: Wer heiratet wen? Die Entwicklung der bildungsspezifischen Heiratsmuster in Westdeutschland, in: Zeitschrift für Soziologie, Heft 5/1996, S. 371-394 (Zitierweise: Wer heiratet wen?).

7 Siehe Engel, Uwe/Hurrelmann, Klaus: Familie und Bildungschancen, in: Markefka, Manfred/Nave-Herz, Rosemarie (Hg.): Handbuch der Familien- und Jugendforschung, Neuwied und Frankfurt/Main: Luchterhand Verlag, 1989, S. 475-489 (Zitierweise: Familie und Bildungschancen).

8 Siehe Becker, Gary S.: Der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens, in: Becker, Gary S.: Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften, Bd.32, Tübingen: Mohr, 1982, S. 187-225.

9 Siehe dazu auch Merrick, Thomas W.: Population and Poverty: New Views on an Old Controversy, in: International Family Planning Perspectives, Vol. 28, Nr. 1/2002, S. 41-46.

10 Aus auswertungstechnischen Gründen wird auf die Beschreibung bei nicht ehelichen Paaren mit Kindern verzichtet.

11 Siehe Huinink, Johannes: Warum noch Familie? Zur Attraktivität von Partnerschaft und Elternschaft in unserer Gesellschaft, in: Habilitationsschrift: Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin, 1993.

12 Siehe Wirth, H.: Wer heiratet wen?, S. 375.

13 Siehe Rupp, Marina: Große Familien, in: Rost, Harald/Rupp, Marina/Schulz, Florian/Vaskovics, Laszlo A.: Bamberger-Ehepaar-Panel, Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg, ifb-Materialien 6/2003, S. 98-114.

14 Siehe Engel, U./Hurrelmann, K.: Familie und Bildungschancen, S. 475-489.

15 Die Jugendlichen sind in etwa gleich verteilt über die drei Altersstufen und drei Familiengrößen.

16 Für Baden-Württemberg sind aufgrund der kleinen Fallzahlen nur tendenzielle Aussagen möglich. Zuverlässigere und umfangreichere Aussagen jedoch ergäbe eine Auswertung des Mikrozensus für Deutschland.