:: 10/2004

Frauen mit Courage und Weitblick – Erfolge einer über 100-jährigen Entwicklung

»Frauen mit Courage und Weitblick« – ein Titel mit einem Doppelcharakter. Es ist sowohl eine Feststellung über Frauen im Südwesten wie auch eine Handlungsaufforderung. In Baden-Württemberg gibt es Frauen mit Courage und Weitblick, und wir brauchen (noch mehr) Frauen mit Courage und Weitblick.

Wie es um die Lebenssituation der Frauen im Südwesten bestellt ist, wird in diesem Beitrag in ausgewählten Lebensbereichen vorgestellt. Hierzu wird im Wesentlichen auf die Daten der amtlichen Statistik zurückgegriffen. Damit ist auch gewährleistet, dass ein objektives und neutrales Bild der Lage von Frauen in Baden-Württemberg entsteht.

Das Frauenbild vergangener Jahrhunderte

Die Lebenssituation von Frauen im Spiegel der Zeit, das heißt vor allem in den vergangenen 100 Jahren, weckt die Erinnerung an die Einstellungen, denen Frauen noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts begegnet sind.

Einstellungen zu Frauen und über deren Kompetenzen waren schon in der Antike von Vorurteilen geprägt. Da findet sich zum Beispiel Demokrit, der bereits im 3. Jahrhundert vor Christi Geburt meinte: »Das Weib soll sich nicht um die Rede mühen, denn das ist abscheulich«. Oder Aristoteles, der die subtile Unterscheidung traf: »Es steht also dem Mann zu, über Frau und Kinder zu herrschen, aber über beide als freie Menschen, indessen doch nicht in gleicher Weise, sondern über die Frau wie ein Beamter in einem Freistaat, über die Kinder dagegen wie ein König.«

Selbst ein Sprung in das fortschrittliche Frankreich des 18. Jahrhunderts trügt jede Hoffnung auf frauenpolitischen Fortschritt, wenn Voltaire behauptet: »Die Frauen, unablässig mit der Ernährung ihrer Kinder beschäftigt und von ihren häuslichen Sorgen in Anspruch genommen, sind von all diesen Berufen – nämlich die Geisteswelt und die Politik –, die die menschliche Natur verderben und verrohen, ausgeschlossen. Sie sind überall weniger roh als Männer. Ihr Blut ist sanfter und sie neigen weniger zu starken Getränken.« Selbst Kant, bei dem die wahre Erkenntnis des menschlichen Daseins zu vermuten ist, meint: »Das schöne Geschlecht hat ebenso wohl Verstand als das männliche. Nur ist es ein schöner Verstand, der männliche soll ein tiefer Verstand sein.«

Dieses Frauenbild war fest gefügt zu Beginn des 20. Jahrhundert. Es war fest gefügt in unverrückbaren Strukturen. Diese waren insbesondere durch die bäuerliche Wirtschaft als einer Produktionsgemeinschaft gekennzeichnet. Die Bäuerin genoss das Ansehen einer unverzichtbaren mitarbeitenden Ehefrau. Die Ehe war indessen keine romantische Verbindung, sondern vielmehr eine rein wirtschaftlich ausgerichtete Zweckgemeinschaft. Überhaupt kam der Begriff der Familie erst im 16. Jahrhundert auf. Bis dahin wurde diese Gemeinschaft als »Haus« bezeichnet. So meinte Martin Luther so treffend: »Zum Haus gehören Weib, Kind, Knecht, Magd, Vieh und Futter«. Die Industriegesellschaft, das heißt die Zeit seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis Ende der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts, hat wesentliche Strukturen des Agrarzeitalters aufgebrochen und die Lebenssituation von Frauen deutlich verbessert. Spätestens seit Ende der 80er-Jahre befinden wir uns in der Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft.

»Von dem scheidenden Jahrhundert nehmen wir ohne Trauer Abschied …«

… hatte Minna Cauer, die Herausgeberin der Zeitung »Die Frauenbewegung«, in der Ausgabe am 1. Januar 1900 geschrieben: »… Es ist beschämend für das Deutsche Reich, dass es beim Eintritt in das neue Jahrhundert nicht eine einzige Forderung der Frauen erfüllt hat, nicht eine, selbst solche nicht, die von allen Seiten als spruchreif angesehen werden.«

Minna Cauer hatte Recht, aber es sollte sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts viel ändern: 1908 hatte die Reichsregierung endlich das Versammlungsverbot und das Verbot für Frauen, Mitglied politischer Parteien zu werden, aufgehoben. Im Südwesten war das Versammlungsverbot für Frauen bereits recht liberal gehandhabt worden. Hier konnten Frauen schon vor 1908 Parteien und Gewerkschaften beitreten. Im übrigen Reichsgebiet aber nahmen Frauenrechtlerinnen bis dato in Männerkleidung und mit tief in die Stirn gezogenen Mützen an politischen Versammlungen teil.

1918 erhielten Frauen endlich das aktive und passive Wahlrecht. Es darf nicht vergessen werden, dass Frauen überhaupt erst seit genau 85 Jahren wählen und gewählt werden dürfen. Sie erhielten das Wahlrecht als Dank für ihre Leistungen im 1. Weltkrieg.1 Heute gibt es im Landtag von Baden-Württemberg einen Frauenanteil von knapp 22 %, im Deutschen Bundestag einen Frauenanteil von 31 %.

In 100 Jahren von 10 auf 100 000 Studentinnen

Der Schlüssel zur Emanzipation liegt zweifellos in dem Recht auf Bildung, das sich Frauen in der Industriegesellschaft erkämpft haben. Helene Lange war es wesentlich zu verdanken, dass 1896 die ersten Mädchen in Deutschland das Abitur ablegen konnten und 1908 schließlich die ersten Mädchengymnasien offiziell eingerichtet wurden. Bis dahin wurde Frauenbildung versagt, häufig unter dem Vorwand, dies schade ihrer Gebärfähigkeit. Friedrich der Große als ein aufgeklärter Geist seiner Zeit verdient es, hier mit einer historischen Ausnahme erwähnt zu werden, denn 1754 hielt Dorothea Erxleben als erste Frau das Arztdiplom in Händen. 1908 erhielten Frauen das Recht zum Studium. Hier fällt auf: in Baden durften Frauen bereits seit 1900, also 8 Jahre früher, studieren. Baden war überhaupt das erste Land des deutschen Reichs, das diesen Meilenstein in der Bildungspolitik setzte. Württemberg folgte 1904, also 4 Jahre vor dem übrigen Reichsgebiet. Margarete von Wrangell, eine Botanikerin, war die erste Frau Deutschlands, die sich an einer Hochschule immatrikulierte. Sie studierte an der Universität Hohenheim.2

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Teilhabe von jungen Frauen an Bildungsabschlüssen kontinuierlich gestiegen. Vor allem durch die Bildungsexpansion der 60er- und 70er-Jahre ist das Bildungs- und Ausbildungsniveau der jüngeren Generation generell, aber vor allem das der jungen Frauen heute im Durchschnitt wesentlich höher als das ihrer Eltern und Großeltern. Gleichwohl gibt es bis heute bestimmte geschlechtsspezifische Unterschiede in der beruflichen Ausbildung und ganz besonders bei der Umsetzung einer Ausbildung in eine Erwerbstätigkeit.

In der allgemein bildenden schulischen Ausbildung haben sich Abschlüsse zwischen Jungen und Mädchen angeglichen. Das geschlechtsspezifische (schulische) Bildungsgefälle, das früher stets zu beobachten war, ist verschwunden und hat sich sogar in sein Gegenteil verkehrt. Von den über 60-jährigen Frauen haben 23 % einen Realschulabschluss oder die Hochschulreife. Von den 20- bis 30-jährigen Frauen haben bereits 73 % einen Realschulabschluss oder die Hochschulreife3 (Schaubild 1).

Weniger Mädchen als Jungen verfügen über einen Hauptschulabschluss. Mehr Mädchen als Jungen erzielen einen Realschulabschluss oder legen eine Abitursprüfung ab. Dass der Mädchenanteil bei der Abiturprüfung höher war als der Jungenanteil, ereignete sich in

Baden-Württemberg zum ersten Mal 1995 und ist seitdem Jahr für Jahr zu beobachten. Zuletzt legten 31 % der Mädchen eines Jahrganges die Reifeprüfung ab. Bei den Jungen waren dies 28 %. Allerdings ist gerade in Bezug auf den ländlichen Raum festzustellen, dass es ein deutliches Bildungsgefälle zwischen städtischen und ländlichen Räumen gibt. Die Übergangsquoten auf ein Gymnasium sind im ländlichen Raum mit knapp 30 % deutlich niedriger als in Städten (41 %) (Schaubild 2).

Tempora mutantur et nos in illos4

In den letzten 100 Jahren sind in Baden-Württemberg wie in allen Industriestaaten tief greifende Veränderungen in der demografischen Entwicklung ebenso wie in den gesellschaftlichen Strukturen zu beobachten. Beide Veränderungen haben sich vor allem auch auf die Lebenssituation und die Lebensformen von Frauen prägend ausgewirkt. So wird heutzutage in Baden-Württemberg deutlich seltener geheiratet als früher. Die Hochzeitspaare sind wesentlich älter als noch in den 60er- und 70er-Jahren. In den 70er-Jahren gab es die jüngsten Brautpaare in der Geschichte der Bundesrepublik, heute die ältesten. Ledige Frauen haben damals im Schnitt mit 23 Jahren geheiratet, heute sind sie knapp 29 Jahre. Zunehmend bleiben immer mehr Menschen zeitlebens ledig. Vom Geburtsjahrgang 1930 blieben 5 % der Frauen zeitlebens ledig, vom Geburtsjahrgang 1960 werden es wahrscheinlich 20 % sein. Die Scheidungshäufigkeit ist stark gestiegen, mit erheblichen Einflüssen auf die Lebensplanung und Lebensgestaltung von Frauen. Inzwischen wird jede dritte Ehe, die seit den 60er-Jahren geschlossen wurde, geschieden. Das generative Verhalten der Menschen in Baden-Württemberg hat sich deutlich gewandelt: Frauen bekommen heute weniger Kinder als Frauen früherer Generationen, und sie bekommen sie immer später; immer mehr Kinder werden nicht ehelich geboren. Die durchschnittliche Kinderzahl je 100 Frauen ist in Baden-Württemberg von 207 Kinder im Jahre 1970 auf heute 138 gefallen. Zur Bestanderhaltung der Bevölkerung wäre eine Geburtenrate von 210 nötig. Das Alter der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes ist im gleichen Zeitraum von knapp 25 Jahren auf über 29 Jahre gestiegen. Der Anteil nicht ehelicher Geburten hat sich von 5 % auf 16 % verdreifacht, wobei dieser Wert im Vergleich der Bundesländer und auch im europäischen Vergleich noch als niedrig einzustufen ist. In den neuen Bundesländern wird jedes zweite Kind nicht ehelich geboren. Ähnliche Werte finden wir in den skandinavischen Ländern, aber auch Länder wie Großbritannien oder Frankreich haben sehr hohe Anteile nicht ehelicher Geburten.

Im generativen Verhalten ist für Baden-Württemberg – wie auch für Deutschland insgesamt – besonders kennzeichnend, dass sehr viele Frauen ganz auf Kinder verzichten. Dies ist im europäischen Ausland nicht in dem Maße zu beobachten. Etwa jede fünfte Frau bleibt kinderlos. Bei Akademikerinnen im Südwesten sind es sogar etwa 27 %. In Frankreich ist der Anteil kinderloser Akademikerinnen deutlich geringer. Dies lässt darauf schließen, dass Frauen in Deutschland wie auch in Baden-Württemberg mit zunehmender beruflicher Qualifikation noch größere Probleme haben, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. In der Konsequenz verzichten diese Frauen nicht auf den Beruf, sondern auf Kinder (Schaubild 3).

Der gesellschaftliche Modernisierungsprozess hat zu einer Pluralisierung der Lebensformen beigetragen. Dies bedeutet, dass neben der »klassischen« Familie, bestehend aus Ehepaaren mit Kindern, auch andere Lebensformen – Singles, allein Erziehende und nicht eheliche Lebensgemeinschaften – zunehmend an Gewicht gewinnen. Von den jüngeren Frauen zwischen 25 und unter 40 Jahren leben gerade noch 53 % in einer Ehepaargemeinschaft mit Kindern, alle anderen entweder in einer kinderlosen Ehe, in einer kinderlosen nicht ehelichen Lebensgemeinschaft, in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft mit Kindern, als allein Erziehende oder allein Stehende (Schaubild 4).

Die demografische Entwicklung, das heißt die geringe Geburtenrate und die erheblich höhere Lebenserwartung, die bei Frauen inzwischen 82 Jahre erreicht, hat die gesamte Lebensplanung von Frauen grundlegend geändert. Während eine Frau vor 100 Jahren ihr Elternhaus mit ihrer Eheschließung verließ und wenige Jahre nach dem Erwachsenwerden des jüngsten Kindes starb, hat eine Frau heute nach der Kindererziehungsphase in der Regel noch etwa 30 Jahre vor sich. Sowohl das Wissen um diese Lebenserwartung als auch die stärkere Berufsorientierung mit den unzureichenden Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit mit der Kindererziehung als auch die materielle Sicherheit im Alter, die nicht mehr wie noch im 18. Jahrhundert von der Zahl der eigenen Kinder, sondern von der Dauer der Einzahlung in die Rentenversicherung abhängt, tragen zu der geringen Geburtenrate bei.

Immer noch: Frauen wählen »Frauenberufe«, Männer wählen »Männerberufe«

Trotz der Angleichung des Bildungsniveaus haben wir nach wie vor eine geschlechtsspezifische Teilung des Ausbildungs- und damit auch des Arbeitsmarktes. Männer und Frauen konzentrieren sich auf jeweils unterschiedliche Berufsgruppen. 56 % der Mädchen konzentrieren sich auf lediglich zehn Ausbildungsberufe. Bei den Jungen ist die Konzentration weniger stark. Hier sind es 33 %, die sich für lediglich zehn Berufe entscheiden. Sowohl Frauen als auch Männer entscheiden sich überwiegend für Berufe, für die sich Frauen und Männer schon immer entschieden haben. Frauen wählen »Frauenberufe«, Männer wählen »Männerberufe«. Spitzenreiter bei jungen Frauen ist die Arzthelferin, danach die Industriekauffrau. Spitzenreiter bei jungen Männern ist der Kraftfahrzeugmechaniker, danach der Industriemechaniker. Ein ähnliches geschlechtsspezifisches Auswahlverhalten ist an den Hochschulen zu beobachten. Zwar gibt es inzwischen genauso viele Studienanfängerinnen wie Studienanfänger – 1970 waren dies noch ein Drittel Frauen und zwei Drittel Männer –, aber auch hier gibt es Studienfächer, die eher von Männern, andere, die eher von Frauen gewählt werden.

Der eigentlich bahnbrechende bildungspolitische Fortschritt ist aber, dass der Anteil der Frauen mit abgeschlossener Berufsausbildung allein in den letzten 20 Jahren von gut 53 % auf knapp 74 % gestiegen ist.

Zäher Arbeitsmarkt für Frauen

Die Industriegesellschaft hat Frauen eine eigenständige Teilhabe am Erwerbsleben ermöglicht. Der technische Fortschritt und die Rationalisierung haben Frauen Berufszweige erobern lassen, die zuvor fest in Männerhand waren. So hat zum Beispiel seinerzeit die Einführung der Schreibmaschine die in den Büros dominierenden Männer verdrängt und den Frauen das Büro geöffnet. Frauen dominieren ganze Branchen, wie etwa die Textilindustrie. Der Industriegesellschaft verdanken wir schließlich die Existenzgründerin. Jedes dritte Unternehmen wird heute von einer Frau gegründet. Jedes vierte Unternehmen wird von einer Frau geführt.

1972 sah der altersspezifische Verlauf der Erwerbstätigkeit von Frauen so aus, dass die Erwerbstätigkeitsquote der jungen Frauen ähnlich hoch war wie die der Männer. Mit der Geburt von Kindern ging sie dann deutlich zurück und verharrte auf dem Niveau von etwa 55 %. Bereits nach dem 50. Lebensjahr schieden zunehmend mehr Frauen aus dem Erwerbsleben aus. Dieser Rückgang war damals bei den Männern erst ab dem 60. Lebensjahr festzustellen. Heute stellt sich dies ganz anders dar (Schaubild 5).

Das Erwerbsverhalten von Frauen gleicht sich immer mehr dem der Männer an. Von 100 Erwerbstätigen sind inzwischen 44 Frauen und 56 Männer. Dieser Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen beruht in erster Linie auf einem geänderten Erwerbsverhalten der Mütter. Während die Erwerbstätigenquote kinderloser Frauen seit zwei Jahrzehnten relativ konstant bei 75 % liegt, hat sich die Quote der erwerbstätigen Mütter von 49 % auf 68 % erhöht. Bei näherer Untersuchung dieser Entwicklung fällt auf, dass der Anstieg der Erwerbstätigkeit von Müttern vor allem auf die Zunahme der Teilzeittätigkeit zurückgeht. Zwei Drittel der erwerbstätigen Frauen mit Kindern sind teilzeitbeschäftigt.

Generell ist bei der Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit zu beobachten, dass der entscheidende Motor dieser Entwicklung der enorme Zuwachs bei den Teilzeit arbeitenden Frauen war. Baden-Württemberg hat bundesweit die höchste Erwerbstätigkeitsquote der Frauen und auch bundesweit die höchste Teilzeitquote. Inzwischen ist jeder vierte Arbeitsplatz in Baden-Württemberg ein Teilzeitarbeitsplatz. Dass dies so ist, beruht darauf, dass Baden-Württemberg bundesweit mit den besten Arbeitsmarkt bietet. Ein guter Arbeitsmarkt ist also die wichtigste Rahmenbedingung für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. Seit 1980 erhöhte sich in Baden-Württemberg die Zahl der Arbeitsplätze um knapp 130 000 Vollzeitstellen und um immerhin knapp 640 000 Teilzeitstellen.

Gleichwohl ist der Arbeitsmarkt für Frauen immer noch zäh. Dies zeigt sich darin, dass – trotz des erheblich gestiegenen Qualifikationsniveaus – Frauen in Führungspositionen immer noch eine Seltenheit sind und generell im Durchschnitt weniger verdienen als Männer. Weibliche Angestellte verfügen im Schnitt über 69 % der Männerverdienste, Arbeiterinnen über 73 % der Arbeiterlöhne. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es Frauen seltener als Männern gelingt, ihre Ausbildungsqualifikation in eine entsprechende berufliche Position umzusetzen, und Müttern wiederum seltener als kinderlosen Frauen. Dies liegt in erster Linie daran, dass die Industriegesellschaft und auch heute noch die Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft eine Leistungsgesellschaft darstellt, die einseitig Erwerbstätigkeit gegenüber Familienarbeit belohnt, den Bereich Arbeiten von dem Bereich Wohnen trennt und sie in Bereiche der Öffentlichkeit und des Privaten einteilt. Nach wie vor wird eine Arbeitsteilung manifestiert, die aufgrund eines überkommenen Rollenverständnisses einseitig zulasten von Frauen geht, die Familienarbeit leisten. Die Bevorzugung der Erwerbstätigkeit und die Benachteiligung der Familienarbeit führt bei Frauen zu Nachteilen bei ihren Berufschancen, zu Nachteilen bei ihrer finanziellen Situation, zu Nachteilen im Alter und bei der eigenständigen Krankenversicherung. Seitdem wird das ungelöste Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf diskutiert.

Einkommenslagen und Armutsrisiken von Frauen

Die Einkommenslagen von Frauen sind so unterschiedlich wie ihre Lebenslagen, und doch gibt es einige grundsätzliche Strukturen. Zunächst fällt auf, dass erwerbstätige Frauen weniger verdienen als Männer. Weibliche Angestellte verfügen nur über 69 % und Arbeiterinnen im Schnitt nur über 73 % der Männerverdienste. Die Verdienstunterschiede nehmen mit steigendem Qualifikationsniveau sogar noch zu. Dementsprechend haben Frauen im Schnitt auch ein deutlich niedrigeres Monatseinkommen. So müssen zum Beispiel 18 % der vollzeitbeschäftigten berufstätigen Frauen mit abgeschlossener Lehre mit einem monatlichen Nettoeinkommen von weniger als 900 Euro auskommen, eine Situation, von der nur 4 % ihrer männlichen Kollegen betroffen sind.

Eine Erklärung für dieses Ungleichgewicht könnte sein, dass bei gleicher beruflicher Qualifikation mehr Männer als Frauen eine höherwertige Position innehaben. Familiär bedingte Ausfallzeiten können einen Karriereknick nach sich ziehen oder zumindest dazu führen, dass Frauen weniger Berufsjahre vorzuweisen haben als männliche Kollegen und damit auch weniger verdienen. Auch die noch immer weit verbreitete geschlechtsspezifische Berufswahl führt bei formal gleicher beruflicher Qualifikation zu Einkommensunterschieden. So sind viele »typisch weibliche« Berufe oftmals schlechter bezahlt als so genannte »Männerberufe«. Darüber hinaus gibt es auch branchenspezifische Einkommensunterschiede, wobei Frauen häufiger als Männer in den weniger gut bezahlten Branchen arbeiten. Auch die häufigen Teilzeittätigkeiten sowie ganz allgemein familienbedingte Einschränkungen der Berufstätigkeit tragen zu den Einkommensnachteilen von Frauen bei.

Allein erziehende Mütter haben ein deutlich höheres Risiko, in eine finanzielle Notlage zu geraten. Unter den allein Erziehenden findet man die höchsten Anteile von Personen mit Niedrigeinkommen und sie haben das höchste Sozialhilferisiko. Je jünger diese Frauen sind und je mehr Kinder sie haben, desto prekärer ist in der Regel ihre wirtschaftliche Lage. Die Sozialhilfequote allein stehender Frauen in Baden-Württemberg liegt bei 2 %, die allein stehender Männer bei 3 %. Die Sozialhilfequote allein erziehender Frauen liegt dagegen bei 26 %. Das heißt also, dass jede 50. Frau Sozialhilfe bezieht, aber bereits jede vierte allein erziehende Mutter. Die Sozialhilfequote bei allein erziehenden Frauen mit drei Kindern liegt sogar bei 46 %, das heißt, dass fast jede zweite Mutter von drei Kindern, wenn sie ihre Kinder allein erzieht, die Voraussetzung für den Bezug von Sozialhilfe erfüllt.

Zusammenfassend kann wohl festgestellt werden, dass die Lebenssituation von Frauen in Baden-Württemberg sehr vielschichtig ist. Es gibt Bereiche, in denen sich die Lebenslagen in den letzten 30 Jahren grundlegend gewandelt haben, zum Beispiel die Bildungssituation von Mädchen. Es gibt ebenfalls noch Bildungsreserven, wie das unterschiedliche Bildungsverhalten in städtischen und ländlichen Regionen zeigt, denn auf dem Land besuchen Mädchen weniger häufig ein Gymnasium als in der Stadt. Es gibt aber auch Bereiche, in denen sich in den letzten 30 Jahren nur wenig bewegt hat, zum Beispiel die geschlechtspezifischen Einkommenslagen oder dass es nach wie vor nur sehr wenigen Frauen gelingt, in Führungspositionen zu gelangen.

1 Eine historische Parallele finden wir 1923 in der Türkei. Auch aus Dank für das große Engagement türkischer Frauen im Unabhängigkeitskrieg von 1920 bis 1922 erließ Atatürk ein Schleierverbot für die Frauen. Und einige Jahre später erhielten die Frauen das aktive und passive Wahlrecht.

2 Am 16. Mai 1904 genehmigte der württembergische König in einem Erlass, dass »reichsangehörige weibliche Personen unter den gleichen Voraussetzungen und in der gleichen Weise wie männliche Personen an der Universität Tübingen« als Studierende immatrikuliert werden. In Baden war die Universität Freiburg i.Br. die erste Hochschule im Kaiserreich mit einem regelrechten Frauenstudium seit dem Wintersemester 1899/1900.

3 Vgl. hierzu auch Edelmann, Rosi/Hin, Monika/Stutzer, Erich/Wörner, Manfred (2003): Nase vorn und dann? Frauen in der Arbeitswelt: Bilanz und Perspektiven, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg, Heft 7/2003, S. 5-11.

4 Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen.