:: 10/2004

Statistische Mitteilungen aus dem Königreich Württemberg und dem Großherzogtum Baden

Stetig sinkende Geburtenziffern

Württemberg: 1871 erlebten nur zwei von drei Kindern den ersten Geburtstag

Seit Ende des 19. Jahrhunderts war die allgemeine Geburtenziffer im Königreich Württemberg rückläufig. Die jährlichen Geborenenzahlen schwankten dennoch ziemlich konstant um etwa 78 000 (Abbildung 1, Spalte 4). Bezogen auf je 1 000 der mittleren Bevölkerung kamen aber immer weniger Kinder zur Welt. 1875 waren es noch 47, 1901 bereits 36 und 1909 nur noch 32 (Abbildung 1, Spalte 5). Da die Zahl der Gestorbenen seit fast vier Jahrzehnten aber stetig zurückging, konnte im Königreich dennoch ein jährlicher und fast konstanter Bevölkerungszuwachs von gut 30 000 Seelen vermeldet werden.

Sehr erfreulich entwickelte sich die Lebenserwartung der Geborenen. Erlebten 1871 im Jahr der Reichsgründung gerade einmal vier von sechs Kindern ihren ersten Geburtstag, so waren es im Jahr 1909 bereits fünf von sechs Kindern, die dieses Fest miterleben durften. Die medizinischen und hygienischen Maßnahmen der königlichen Gesundheitsverwaltung zeigten gute Früchte.

Baden: Anteil der unehelich Geborenen von 16 auf 8 % gesunken

Ähnlich verlief die Entwicklung im Großherzogtum Baden (Abbildung 2). Auch dort war die jährliche Zahl der Geborenen mit etwas weniger als 68 000 seit Beginn des Jahrhunderts ziemlich konstant. Je 1 000 Einwohner lag sie aber geringfügig unter jener des Königreichs Württemberg. Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten war die Geburtenzahl im Großherzogtum zwar kräftig gestiegen, nicht aber die Anzahl der Geborenen je 1 000 Einwohner.

Einen besonderen Einbruch erlebte das Großherzogtum in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Es waren jährlich und durchschnittlich nicht einmal 47 000 Geburten, die in die Tauf- und Gemeinderegister aufgenommen wurden. Ursachen waren die Hungersnöte von 1845 bis 1857, wirtschaftliche Not, für manche auch das »Ende vom Lied« der »badischen« 48er-Revolution und für wieder andere die Unzufriedenheit mit der landeskirchlichen Religiosität, die viele und gerade junge Landeskinder zur Auswanderung bewegten. Der nochmalige Einbruch bei den Geburtenzahlen nach 1880 spiegelt auch den wirtschaftlichen Ruin vieler Unternehmen wider. Darüber hinaus fällt auf, dass seit 1850 im Großherzogtum auch der Anteil der unehelich Geborenen um die Hälfte von über 16 je hundert Geborene auf unter acht im Jahr 1909 sank. Der Grund lag in der Einführung der Zivilehe1, die im Großherzogtum Baden bereits 1869 und im Deutschen Reich am 6. Februar 1875 gesetzlich geregelt wurde. Das war eines der positiven Ergebnisse des »Kulturkampfes« zwischen der katholischen Kirche unter Papst Pius IX. und dem Königreich Preußen bzw. dem Deutschen Reich unter Reichskanzler Otto von Bismarck.

Und 100 Jahre später?

Im Jahr 2003 trug die Bilanz aus Geburten und Sterbefällen mit einem Geburtenplus von nur noch etwa 360 Babys fast nicht mehr zum Bevölkerungszuwachstum bei. Zugleich setzte sich damit der schon seit Ende der 1990er-Jahre zu beobachtende Rückgang der Geburtenüberschüsse deutlich fort. Wie bereits in den Vorjahren stellten auch 2003 die Wanderungsgewinne den »Motor« des Bevölkerungszuwachses in Baden-Württemberg dar; 2003 zogen rund 31 200 Personen mehr nach Baden-Württemberg zu als von hier abwanderten.

Im Jahre 2003 wurden in Baden-Württemberg so wenige Säuglingssterbefälle wie noch in keinem Jahr zuvor gezählt. Insgesamt konnten 332 Babys ihren ersten Geburtstag nicht erleben. Dieser historische Tiefstand wird auch von der Säuglingssterberate bestätigt. Auf 10 000 Lebendgeburten kamen 34 Sterbefälle von Kindern in ihrem 1. Lebensjahr.

Knapp 82 100 der im Jahr 2003 Lebendgeborenen waren Kinder verheirateter Mütter. Verglichen mit 1990 bedeutete dies einen Rückgang um 24 %. In einer gegenläufigen Entwicklung hat sich gleichzeitig die Zahl der von nicht verheirateten Müttern geborenen Kinder um rund 70 % erhöht – von damals 10 300 auf etwa 17 500 im Jahr 2002. Damit liegt der Anteil der nicht ehelich Geborenen an allen Lebendgeborenen heute mit 18 % doppelt so hoch wie 1990.

1 Zivilehe bezeichnet die Ehe als Rechtsinstitut des bürgerlichen und damit zugleich des staatlichen (weltlichen) Rechts. »Zivil« ist in diesem Zusammenhang kein Gegenbegriff zu »militärisch«, sondern bezeichnet die Abgrenzung von der christlich-kirchlichen Ehe, die im katholischen Verständnis ein Sakrament ist.