:: 11/2004

Flächennutzung: Ansprüche und Wirklichkeit

An die Fläche und damit die Nutzungsmöglichkeiten von Grund und Boden werden vielfältige Ansprüche gestellt. Die intensive Nutzung als Siedlungs- und Verkehrsfläche zum Wohnen und Arbeiten, zur Erholung, für die technische wie soziale Infrastruktur und den Verkehr wird zunehmend kritisch hinterfragt. Die Stimmen in der öffentlichen Diskussion, die einen sparsameren Umgang mit der Ressource Boden fordern, mehren sich. Im Entwurf des unweltpolitischen Schwerpunktprogramms der Bundesregierung1 wurde beispielsweise das Ziel vorgegeben, den täglichen Flächenverbrauch2 bis zum Jahre 2020 bundesweit auf 30 ha zu beschränken. Im Vergleich zum Referenzzeitraum 1997/2000, in dem in Deutschland durchschnittlich 120 ha pro Tag verbraucht wurden, bedeutet dies eine Reduzierung auf ein Viertel des Ausgangsniveaus – ein sehr ehrgeiziges Unterfangen also.

Flächenressourcen schon jetzt stark eingeschränkt

Die Forderung, die tägliche Zunahmerate der Siedlungs- und Verkehrsfläche auf ein Viertel zu reduzieren, würde für Baden-Württemberg bedeuten, dass statt 12 ha/Tag im Zeitraum 1997/2000 künftig landesweit nur noch eine Fläche von 3 ha/Tag für Zwecke von Siedlung und Verkehr herangezogen werden dürften. Auf kommunaler Ebene entspräche dies im Schnitt einem Wert von knapp einem Hektar je Gemeinde und Jahr. Für die Gemeinden schränkt dies ihre raumplanerischen Möglichkeiten deutlich ein, etwa, wenn es um die Schaffung attraktiven Wohnraums oder die Neuansiedlung von Gewerbe- und Industriebetrieben geht.

Bereits heute jedoch gibt es für einzelne Gemeinden kaum mehr Entwicklungsmöglichkeiten. Geologie und Topografie setzen natürliche Grenzen. Nach den Erfahrungen mit dem Elbe-Hochwasser 2002 wurden zudem die Möglichkeiten, in überschwemmungsgefährdeten Gebieten zu bauen, erheblich eingeschränkt. Eine weitere Beschränkung erfolgt durch die Ausweisung von Natur- und Landschaftsschutzgebieten. So war Ende 2003 rund ein Viertel der Landesfläche als Natur- und Landschaftsschutzgebiete oder flächenhafte Naturdenkmale ausgewiesen. Unter den Stadt- und Landkreisen reicht die Spannbreite hierbei von 9 % im Ortenaukreis bis zu 62 % im Stadtkreis Pforzheim. Zählt man die vorhandene Siedlungs- und Verkehrsfläche hinzu, so verbleiben zwar rein rechnerisch im Landesdurchschnitt noch 61 % der Bodenfläche für mögliche Ausdehnungen des Siedlungsbereichs. Insbesondere in den Stadtkreisen ist dieses Potenzial aber nahezu erschöpft, denn beispielsweise in Stuttgart, Karlsruhe und Pforzheim sind theoretisch nur noch 11 % bis 9 % der Gemarkungsfläche für Ausweitungen der Siedlungs- und Verkehrsfläche vorhanden. Dabei sind weitere einschränkende Faktoren noch gar nicht berücksichtigt und teilweise auch schwer zu beziffern, wie zum Beispiel Restriktionen wegen der Auswirkung der Bebauung auf das Landschafts- oder Stadtbild.

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?

Auf der Grundlage der Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung3 waren im Südwesten die Zuwachsraten der Siedlungs- und Verkehrsfläche im Zeitraum 1997/2000 mit 12,0 ha/Tag am höchsten und gehen seitdem wieder zurück: Im Kalenderjahr 2002 bezifferte sich der tägliche Flächenverbrauch auf 10,6 ha und im Jahr 2003 auf 10,3 ha (Tabelle 1). Ist damit die Trendwende beim Flächenverbrauch eingeläutet oder wird die Entwicklung hier von zufälligen Ereignissen überlagert?

Um dies objektiv beurteilen zu können, müssen die Hintergründe des Flächenverbrauchs untersucht und die zukünftige Entwicklung der diversen Parameter geschätzt werden. Dabei sind neue Ansprüche an die Fläche oftmals auch mit Wachstumsprozessen verbunden: Wachstum der Bevölkerung, Wachstum der Wirtschaft, gestiegener Wohlstand, gestiegene Ansprüche. Als Beispiel könnte hierzu die Situation bei der Bauwirtschaft dienen. Lange Zeit rückläufige Zahlen bei den Baufertigstellungen korrespondieren mit einem Rückgang des Flächenverbrauchs bei den Gebäude- und Freiflächen. Eine auf aussagekräftigen Zahlen basierende Untersuchung der vermuteten Wirkungszusammenhänge scheitert allerdings auch an der mangelhaften Datenbasis. So liegen differenzierte und vergleichbare Angaben zur Flächennutzung aus der Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung erst seit 1993 vor, sodass die langfristige Entwicklung des Flächenverbrauchs nicht dargestellt werden kann.4 Trotzdem lassen sich im Vergleich mit anderen Faktoren Zusammenhänge erkennen. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Entwicklungslinien bei den bedeutendsten Teilkategorien der Siedlungs- und Verkehrsfläche, nämlich den Straßen und den Flächen, die Wohnzwecken vorbehalten sind.

Bei über der Hälfte der Siedlungs- und Verkehrsfläche im Land handelt es sich um Gebäude- und Freifläche, wovon wiederum über die Hälfte der Nutzungsart »Gebäude- und Freifläche – Wohnen« zugeordnet werden kann. Weitere rund 40 % der Siedlungs- und Verkehrsfläche dienen dem Bahn-, Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr. Bei knapp der Hälfte der Verkehrsflächen handelt es sich um Straßen (Tabelle 2).

Flächenbedarf für Wohnzwecke deutlich gestiegen

Im Zeitraum zwischen 1950 und 2002 hat die Bevölkerung im Südwesten um 66 % zugenommen, der Wohnungsbestand aber um 232 % (Schaubild). Für diesen auffallenden Unterschied gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen bestand nach dem Krieg in Baden-Württemberg ein Wohnungsdefizit von ca. einer halben Million Einheiten, welches erst Mitte der 70er-Jahre ausgeglichen wurde. Zum anderen hat die Zahl der Haushalte im Zeitraum 1950/2002 um 132 % zugenommen, im Vergleich zur Bevölkerungszunahme also um das Doppelte. Zurückzuführen ist dies vor allem auf eine starke Zunahme der Einpersonenhaushalte (junge Singles und Witwen) in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So lag 1950 der Anteil der Ein- und Zweipersonenhaushalte noch bei 20 % bzw. 23 % und 2002 bereits bei 36 % bzw. 32 %. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Wohngebäudestatistik wider, denn die überproportionale Zunahme des Wohnungsbestandes resultiert ab den 70er-Jahren größtenteils auf der rasanten Entwicklung bei den Ein- und Zweizimmerwohnungen. Aber auch die größeren Wohnungen mit 4 bzw. 5 und mehr Räumen verzeichneten mit + 186 % bzw. + 362 % im gleichen Zeitraum hohe Zuwachsraten. Hintergrund sind die mit zunehmendem Wohlstand gestiegenen Ansprüche an die Wohnungsgröße. Standen 1950 rein rechnerisch einer Person 0,9 Räume zur Verfügung, so waren es 2002 je Person bereits 2 Räume. Und ein Ende des damit verbundenen zusätzlichen Flächenverbrauchs für Wohnzwecke zeichnet sich nicht ab, denn in seinen neuesten Prognosen5 geht das Statistische Landesamt Baden-Württemberg bis zum Jahr 2020 von einem jährlichen Bedarf von 40 000 Wohnungen (25 000 Neubau, 15 000 Ersatzbedarf) aus.

Steigendes Verkehrsaufkommen ohne Neu- und Ausbau von Verkehrswegen kaum zu bewältigen

Straße ist nicht gleich Straße. Hinsichtlich Bedeutung und Funktion werden einerseits Wohn- und Erschließungsstraßen, die in direktem Zusammenhang mit der Bebauung stehen, andererseits Gemeindeverbindungs- und die so genannten klassifizierten Straßen (Autobahnen, Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) unterschieden. Mangels Aufgliederung der Flächenanteile muss sich die weitere Zahlendiskussion auf die Längenstatistik der klassifizierten Straßen stützen. Zwischen 1953 und 2003, also in einem Zeitraum von 50 Jahren, ist bei den Landes- und Kreisstraßen ein Zuwachs von 12 %, bei den Bundesstraßen von 23 % und bei den Autobahnen von 252 % festzustellen.6 Speziell bei den Fernstraßen wird die Notwendigkeit zu Neu- und Ausbau von Verkehrsexperten nach wie vor als sehr hoch eingeschätzt, denn als Hauptursache für Staus auf Autobahnen gelten neben Unfällen und Baustellen Streckenüberlastungen. Im Ländervergleich liegt Baden-Württemberg hinsichtlich der Verkehrsbelastung bei den Bundesstraßen an erster, bei den Autobahnen und Landesstraßen an dritter Stelle.7 Die Situation könnte sich in den nächsten Jahren noch verschärfen. Schätzungen gehen davon aus, dass der Güterverkehr, insbesondere durch die EU-Osterweiterung, europaweit bis 2015 vor allem auf den Ost-West-Verbindungen um 64 % ansteigen wird.8 In diesem Zusammenhang wird immer wieder eine Erhöhung der Kapazitäten bei der Bahn gefordert. Nachdem einige Hauptstrecken wie zum Beispiel die Rheintalstrecke schon heute an der Kapazitätsgrenze angelangt sind, wird dies ohne Neubaustrecken kaum zu bewerkstelligen sein. Auch beim Individualverkehr ist mit einem stärkeren Aufkommen zu rechnen. Prognosen des Statistisches Landesamts9 gehen davon aus, dass der Bestand an Privat-PKW von derzeit (Stand 2002) 5,3 Mill. bis zum Jahr 2020 um 21 % auf ca. 6,4 Mill. PKW zunehmen kann. Die Verkehrsbelastung wird dadurch, voraussichtlich aber nicht in derselben Größenordnung, zunehmen. Inwieweit sich Teile dieses zusätzlichen Verkehrsaufkommens auf die Schiene verlagern lassen, ist offen.

Vielfältige Lösungsansätze

Es besteht wohl in weiten Teilen unseres Gemeinwesens Konsens darüber, dass dem ungezügelten Flächenverbrauch Einhalt geboten werden muss. Ebenso klar dürfte aber auch sein, dass es gute Gründe für einen Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsfläche gibt. Diesen Dissenz gilt es zu lösen. Politik und Wissenschaft haben zahlreiche Studien erstellt und Lösungsansätze entwickelt, von denen einige, ohne damit eine Wertung zu verbinden, im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen:

  • Der Nachhaltigkeitsbeirat der Landesregierung Baden-Württemberg schlägt in seinem Sondergutachten »Neue Wege zum nachhaltigen Flächenmanagement in Baden-Württemberg« vor, den Gemeinden handelbare Flächennutzungszertifikate auszustellen.10 Das heißt, jede Gemeinde erhält für einen Fünfjahreszeitraum ein Flächenkontingent zugewiesen, das sie entweder für ihre eigenen Siedlungsaktivitäten nutzen oder an andere Gemeinden verkaufen kann.
  • Das Ministerium für Ernährung und Ländlicher Raum geht mit dem Projekt MELAP (Modellvorhaben »Eindämmung des Landschaftsverbrauchs durch Aktivierung des innerörtlichen Potenzials«) der Frage nach, wie sich innerörtliche Flächenreserven aktivieren lassen.
  • Einen anderen Ansatz verfolgt das Modellprojekt »Regionaler Gewerbeflächenpool Neckar-Alb«.11 Der Grundgedanke hierbei ist, dass ein regionaler Flächenpool von den mitwirkenden Gemeinden gemeinschaftlich genutzt wird. Das Gewerbegebiet wird dort angesiedelt, wo die besten Standortbedingungen vorhanden sind. Besser als in einem kleinen Gebiet wird es möglich sein, einen guten Branchenmix und damit im Hinblick auf mögliche wirtschaftliche Schwierigkeiten einzelner Branchen einen Risikoausgleich zu erhalten. Sensible Flächen in einzelnen Gemeinden könnten geschont werden.
  • Vorhandene örtliche Potenziale werden überall dort schon in größerem Umfang genutzt, wo nach dem Abzug von Truppen ehemalige Militärflächen für Wohn- und Gewerbezwecke umgebaut werden.
  • Auch im Straßenbau wird mittlerweile flächensparend gebaut, indem man bisherige Standardvorgaben zurückschraubt und neue Lösungsansätze wählt. So wurde zum Beispiel die Einrichtung einer dritten Richtungsfahrbahn auf der A81 bei Böblingen dadurch erreicht, dass zum einen in Teilbereichen auf eine vollständige Standspur verzichtet wurde und zum anderen durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung die beiden linken Fahrbahnen schmaler gehalten werden konnten.
  • Bei den mancherorts überfälligen Ortsumfahrungen kann ebenfalls flächensparend vorgegangen werden. Die vorhandene Ortsdurchfahrt wird zur Einbahnstraße, die notwendige Gegenrichtungsfahrbahn wird einspurig um den Ort herumgeführt. Der Durchgangsverkehr wird um die Hälfte reduziert, Fläche, Bau- und Grunderwerbskosten gespart (B14, Winnenden-Hertmannsweiler). Ein weiterer Vorteil wird darin gesehen, dass die Trassenführung durch die insgesamt geringere Fahrbahnbreite erleichtert wird.

Ausblick

Die vielfältigen den Flächenverbrauch beeinflussenden Faktoren können hier nicht umfassend und abschließend behandelt werden. Einige wichtige Aspekte dürften jedoch deutlich geworden sein. So besteht nach wie vor ein Bedarf an Flächen für den Siedlungs- und Verkehrsbereich. Diesen Bedarf zu steuern und sparsame Lösungen anzustreben, wird eine immer wichtigere Zukunftsaufgabe sein. Je nach den örtlichen Gegebenheiten wird eine Summe von Einzelmaßnahmen notwendig sein, die eine Koordination und Zusammenarbeit über Fachgebiets- und Verwaltungsgrenzen hinaus erforderlich macht.

1 Die Bundesregierung (Hrsg.): Perspektiven für Deutschland, Unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung, Berlin 2002.

2 Fläche wird nicht verbraucht. Sie wird einer anderen Nutzung zugeführt. Der Begriff »Flächenverbrauch« umschreibt die Umwidmung von vormals naturnaher land- und forstwirtschaftlich genutzter Fläche zu siedlungsbezogener Nutzung. Dieser Prozess ist meist nicht umkehrbar.

3 Die Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung wurde 1979 eingerichtet und seit 1981 (jeweils zum Stand 31. Dezember des Vorjahres) in 4-jährigem Turnus durchgeführt. Ergänzend wird seit 2002 in den Zwischenjahren ein deutlich reduzierter Merkmalskatalog zur Siedlungs- und Verkehrsfläche erhoben. Die Flächen werden nach ihrer Belegenheit in den Markungen nachgewiesen. Die Merkmale orientieren sich am Nutzungsartenverzeichnis der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen des Bundes und der Länder.

4 Zwischen 1985 und 1999 wurde das Liegenschaftskataster, das die Erhebungsgrundlage für die Flächenerhebung nach Art der tatsächlichen Nutzung darstellt, auf DV-gestützte Führung umgestellt, wobei die Arbeiten 1993 bereits zu 95 % abgeschlossen waren. Im Zuge der Umstellung wurden die Katasterunterlagen grundlegend überarbeitet mit der Folge, dass die rechnerischen Unterschiede häufig nicht den tatsächlichen Nutzungsänderungen im betrachteten Zeitraum entsprechen. Vgl. hierzu: Betzholz, Thomas: Flächenverbrauch in Baden-Württemberg – gestern, heute und morgen, in: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.) Statistisch-prognostischer Bericht 2002, Stuttgart 2002, S. 143–191.

5 Brachat-Schwarz, Werner/Richter, Hans-Jürgen: Wohnungsbedarfsprognose für Baden-Württemberg, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg, Heft 8/2003, S. 3 ff.

6 Der starke Anstieg zwischen 1975 und 1980 ist im Wesentlichen auf die Bodenseeautobahn zurückzuführen.

7 Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg (Hrsg.): Straßenverkehr in Baden-Württemberg – Jahresvergleich 2002/2001, Stuttgart, Juli 2003.

8 CDU will Milliarden für Verkehrsnetz locker machen, in: Schwäbisches Tagblatt vom 4. August 2004.

9 Eildienst vom 19. Dezember 2003. Steigende Motorisierung und demografische Entwicklung führen zu deutlicher Zunahme des PKW-Bestands bis 2020.

10 Der Nachhaltigkeitsbeirat der Landesregierung Baden-Württemberg (Hrsg.): Neue Wege zu einem nachhaltigen Flächenmanagement in Baden-Württemberg, Sondergutachten, Stuttgart, Februar 2004.

11 Regionalverband Neckar-Alb (Hrsg.): Modellprojekt Regionaler Gewerbeflächenpool Neckar-Alb, Abschlussbericht – Kurzfassung, Mössingen, Juni 2004.