:: 11/2004

Der Hegau – Struktur und Entwicklung des Kulturraums im Süden Baden-Württembergs

Zum Hegau zählen 16 Gemeinden im westlichen Teil des Landkreises Konstanz. Ursprünglich durch Landwirtschaft und Industrie geprägt, weist er heute eine ausgewogene Wirtschaftsstruktur auf. Allerdings ist das Arbeitsplatzangebot unterdurchschnittlich und daraus resultierend die Steuerkraft der Gemeinden ebenfalls. Dagegen liegt die kommunale Verschuldung je Einwohner im Hegau nicht einmal halb so hoch wie im Land insgesamt.

Trotz seiner landschaftlichen und kulturellen Attraktivität steht der Hegau touristisch weiterhin im Schatten des Bodensees. Bezogen auf die Einwohnerzahl liegt die »Übernachtungsdichte« im Hegau nur bei gut einem Drittel des Bodenseegebiets und bei etwa drei Viertel des Landesdurchschnitts.

Einzigartige Vulkankegel- und Burgenlandschaft

Auf der Autobahn A81 von Norden kommend, öffnet sich – kurz vor der Abfahrt Engen – der Blick auf die eigenwillige Topografie des Hegaus mit seinen steilen Bergkuppen inmitten einer sanften Hügellandschaft. Die die Landschaft prägenden Vulkanberge gliedern sich in eine westliche Basaltkette, der unter anderem der Hohenhewen, Neuhewen und der Hohenstoffel angehören, und in eine Phonolithreihe im Osten mit Hohentwiel, Höhenkrähen und Mägdeberg. Am bekanntesten dürfte der 688 m hohe Hohentwiel mit der größten Festungsruine Deutschlands sein. An seinen Südhängen befindet sich Deutschlands höchstes Weinanbaugebiet. Bis 1968 war der Hohentwiel noch württembergisch.1 Insgesamt betrachtet ist der Hegau eine der burgenreichsten Regionen Europas.

Der Name des Hegaus ist für das 8. Jahrhundert in Urkunden der Jahre 787 und 788 belegt.2 Die Bezeichnung »Hegau« geht wahrscheinlich auf den wohl keltischen bzw. vorgermanischen Bergnamen Heven (= Bergrücken) zurück, die auch im Bergnamen Hohenhewen enthalten ist. Überall im Hegau gründeten die Alemannen im 6. Jahrhundert Siedlungen; Ortsnamen mit der Endung »…ingen« deuten auf Gründungen in dieser Zeit.

Heute umfasst der Hegau 16 selbstständige Gemeinden3 (Schaubild); vor der Gemeindegebietsreform zu Beginn der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren es immerhin noch 72 überwiegend sehr kleine Gemeinden. Geografisch entspricht der Hegau dem westlichen Teil des Landkreises Konstanz, mit Ausnahme der Ex- bzw. Enklave Büsingen am Hochrhein.

»… heitern, sanften, gemütlichen Sinnes«

Die Einwohner des Hegaus sind im Kern alemannischer Herkunft. Die Sprache ist nicht einheitlich, die Grenze zwischen Hoch- und Mittelalemannisch geht mitten durch den Hegau.4 Charakterisiert wurden die Hegauer zum Ende des 19. Jahrhunderts wie folgt: »Von gesundem, kräftigem Körperbau, sind sie fleißige, ausdauernde Landwirte, heitern, sanften, gemütlichen Sinnes.«5

Tatsächlich ist der Hegau altes Bauernland, in dem der wirtschaftliche Aufschwung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einsetzte. Ausschlaggebend hierfür war insbesondere der Beitritt Badens zum deutschen Zollverein, der es für viele Schweizer Unternehmen attraktiv machte, im Zollvereinsgebiet entlang der Grenze neue Werke zu gründen. Auch der Bau mehrer Eisenbahnlinien verstärkte die Attraktivität. Bereits 1863 wurde die Bahnlinie von Waldshut nach Konstanz, wenig später jene von Offenburg über das bis dahin eher verschlafene Singen am Hohentwiel geführt, das damit zum Verkehrsknotenpunkt wurde. In Singen (Hohentwiel) entstanden Ende des 19. Jahrhunderts die Großfirmen Maggi und Georg Fischer AG sowie im Jahr 1912 die Aluminiumwalzwerke. In Gottmadingen wurde 1870 die Landmaschinenfabrik Fahr gegründet.6

Bemerkenswerter Bevölkerungsanstieg

Dieser wirtschaftliche Aufschwung spiegelt sich sehr deutlich in der Bevölkerungsentwicklung wider: Die Einwohnerzahl der Stadt Singen (Hohentwiel) hat sich im Zeitraum 1871 bis 1980 annähernd verneunfacht; nur in sieben der heute insgesamt 1 111 Gemeinden Baden-Württembergs war der Anstieg größer. Andererseits lag die Dynamik in den übrigen Hegaugemeinden – mit Ausnahme von Gottmadingen und Rielasingen-Worblingen – zum Teil erheblich unter der landesweiten Entwicklung.7

Ganz anders die Bevölkerungsentwicklung seit 1980: In allen Gemeinden des Hegaus – mit Ausnahme der Stadt Singen (Hohentwiel) – war die Zunahme der Bevölkerungszahl stärker als landesweit. Spitzenreiter war die Stadt Aach mit einem Plus von über 50 %.

Parallel zur Bevölkerungsentwicklung – aber noch dynamischer – hat sich der Wohnungsbau vollzogen: Im Zeitraum 1980 bis 2003 hat der Bestand an Wohnungen im Hegau um gut ein Drittel zugenommen – bei allerdings deutlichen regionalen Unterschieden: Vor allem in immer noch ländlich geprägten Gemeinden mit moderaten Baulandpreisen wie Orsingen-Nenzingen und Hohenfels hat sich der Wohnungsbestand sogar um über 60 % erhöht, in Singen (Hohentwiel) und Engen waren es dagegen weniger als 25 %. Insgesamt ist der Hegau durch günstige Quadratmeterpreise für baureifes Land gekennzeichnet; nur in Rielasingen-Worblingen und in Singen (Hohentwiel) lag dieses Niveau in den letzten 3 Jahren über dem Landesdurchschnitt von 159 Euro je m². Die moderaten Baulandpreise im Hegau sind sicherlich auch dafür ursächlich, dass die Wohnungen mit durchschnittlich 93 m² größer als landesweit sind (90,8 m²).

Ungünstige Arbeitsplatzentwicklung

Trotz der beschriebenen dynamischen Bevölkerungs- und Wohnungsbestandsentwicklung hat die Zahl der Arbeitsplätze im Hegau nur unterdurchschnittlich zugenommen: Von 1980 bis 2003 ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Hegau nur etwa halb so stark angestiegen wie landesweit (5,4 % gegenüber 10,1 %). Mitentscheidend hierfür war der gravierende Beschäftigungseinbruch zu Beginn der 90er-Jahre im Verarbeitenden Gewerbe, von dem der damals stark industriell geprägte Hegau besonders betroffen war. Heute entspricht die sektorale Gliederung derjenigen des Landes – allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten vor allem im Verarbeitenden Gewerbe: Stark vertreten sind insbesondere das Ernährungsgewerbe und die Metallerzeugung, schwächer der Maschinen- und vor allem der Fahrzeugbau.

Strukturwandel in der Landwirtschaft

Relativ bedeutsam ist im Hegau immer noch die Landwirtschaft. Knapp 54 % der Gemarkungsfläche werden derzeit noch landwirtschaftlich genutzt (Land: 47 %). Allerdings war und ist auch hier die Landwirtschaft von einem gravierenden Strukturwandel geprägt: Innerhalb eines knappen Vierteljahrhunderts wurden 58 % der Höfe aufgegeben (Land: - 50 %). Gleichzeitig hat im Zuge dieses Strukturwandels die durchschnittliche Betriebsgröße erheblich zugenommen, und zwar von 14 ha auf 33 ha (Land: 22 ha). In allen Hegaugemeinden wird damit eine größere Landwirtschaftsfläche pro Hof bewirtschaftet als im Landesdurchschnitt – sicherlich auch deshalb, weil der Anteil der Haupterwerbslandwirte im Hegau weiterhin höher als landesweit ist (41 % gegenüber 36 %).

58 % der landwirtschaftlichen Betriebsfläche wird als Ackerland genutzt, exakt so viel wie im Landesdurchschnitt. In Gemeinden wie Gottmadingen oder Gailingen liegt dieser Anteil aufgrund der hier nährstoffreichen Böden mit relativ hohen Ertragsmesszahlen sogar bei über 75 %. In drei von vier Betrieben im Hegau werden Viehbestände gehalten (Land: 64 %).

Bis zum Beginn der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts hatten Landwirte im Hegau, die ihren Hof aufgaben, gute Chancen, einen Arbeitsplatz in der Industrie zu finden. Seither haben sich aber die Beschäftigungsmöglichkeiten insgesamt deutlich verschlechtert. Dies spiegelt sich auch heute noch in einem unterdurchschnittlichen Arbeitsplatzangebot wider: Auf 1 000 Einwohner kamen hier im Jahr 2003 nur 295 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, landesweit waren es immerhin 355. Dementsprechend fällt der Berufspendlersaldo negativ aus: Per saldo haben immerhin gut 3 000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz außerhalb des Hegaus, nur zwei Kommunen – Singen (Hohentwiel) und Gailingen – weisen einen positiven Pendlersaldo auf. Allein ca. 2 500 Beschäftigte mit Wohnsitz in einer Hegaugemeinde arbeiten derzeit in der benachbarten Schweiz. Relativ viele »Grenzgänger« gibt es erwartungsgemäß in denjenigen Gemeinden, die unmittelbar an die Schweiz angrenzen (Tabelle).8

Geringe Steuerkraft und niedrige Schulden

Die ungünstige Versorgung mit Arbeitsplätzen spiegelt sich auch in der unterdurchschnittlichen Steuerkraft der Hegaugemeinden wider: Nur in der Gemeinde Eigeltingen ist diese Kennziffer höher als landesweit. Dagegen ist die kommunale Verschuldung je Einwohner mit 218 Euro je Einwohner im Hegau nicht einmal halb so hoch wie im Land insgesamt (563 Euro). Drei Gemeinden sind sogar schuldenfrei: Engen, Steißlingen und Rielasingen-Worblingen.

Attraktiver Hegau touristisch weiterhin im Schatten des Bodensees

Der Hegau hat landschaftlich aber nicht nur seine Berge zu bieten – auch eine Fülle landschaftlicher und kultureller Attraktionen zieht Besucher an. So befindet sich beispielsweise in Aach, mit gut 2 000 Einwohnern eine der kleinsten Städte des Landes, die größte Karstquelle Deutschlands: die Aachquelle, wo Donauwasser nach der Versickerung wieder zutage tritt und dem Bodensee und damit der Nordsee zufließt, während das restliche Donauwasser den Weg zum Schwarzen Meer nimmt. Eine weitere Besonderheit stellt das bundesweit bekannte »Hohe Grobgünstige Narrengericht« in Stockach dar, das jedes Jahr zur Fasnacht einen prominenten Politiker vor seine Schranken zitiert und mit der Zahlung von Wein »abstraft«. Unbestritten das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des Hegaus ist aber Singen am Hohentwiel.

Das Reizvolle am Hegau ist in seiner Vielfalt und zum Teil auch in seiner Gegensätzlichkeit begründet: Gemeinden, die kulturgeschichtlich sehr bedeutsam (vor allem Engen, Tengen, Stockach) oder immer noch durch einen eher ländlichen Charakter geprägt sind (zum Beispiel Steißlingen, Mühlingen, Mühlhausen-Ehingen), stehen Kommunen gegenüber, die einen (klein-) städtischen Siedlungscharakter aufweisen (insbesondere Singen (Hohentwiel), Stockach, Gottmadingen, Rielasingen-Worblingen).

Trotz vieler Attraktionen und seiner Vielfältigkeit steht der Hegau als Urlaubsregion weiterhin im Schatten des Bodensees. Im Jahr 2003 wurden in den 16 Hegaugemeinden 368 000 Übernachtungen9 gezählt – etwa 12 % des (allerdings deutlich größeren) Naturraums »Bodenseebecken.« Bezogen auf die Einwohnerzahl liegt die »Übernachtungsdichte« im Hegau damit bei gut einem Drittel des Bodenseegebiets und bei etwa drei Viertel des Landesdurchschnitts.

Der Hegau – ein Gebiet mit Zukunft?

Sicherlich zählt der Hegau auch aufgrund seiner Randlage nicht zu den wirtschaftlich stärksten Räumen Baden-Württembergs – und dennoch ist er eine Landschaft mit hoher Lebensqualität, geprägt von seiner landschaftlichen Attraktivität und vielfältigen kulturellen Angeboten. Der Raum war zwar jahrzehntelang durch Industrie und Landwirtschaft gekennzeichnet – der Strukturwandel hin zu einem günstigen Dienstleistungsstandort hat aber deutlich an Dynamik gewonnen. Nicht zuletzt das in diesem Jahr in Singen (Hohentwiel) eröffnete Gründer- und Technologiezentrum (»Sintec«)10 könnte dem gesamten Hegau weitere positive Impulse geben.

Die Wirtschaft im Hegau ist traditionell eng mit derjenigen der Schweiz verbunden. Entscheidend für die künftigen Perspektiven des Hegaus wird deshalb nicht zuletzt sein, wie sich die ökonomischen Beziehungen mit dem Nachbarland entwickeln werden. Die 1999 geschlossenen Bilaterialen Verträge zwischen der EU und der Schweiz, welche insbesondere einen Abbau von Hindernissen bei der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit zum Ziel haben, und die derzeitigen weiteren Verhandlungen (»Bilateriale Abkommen II«) bieten Potenzial für zusätzlichen Wettbewerb und neue Dynamik.11

1 Vgl. Der Hegau – Vulkanisches Paradies zwischen Schwarzwald und Bodensee, in: Schönes Schwaben, Heft 6/98, S. 7.

2 Vgl. Der Hegau – Landschaft zwischen Rhein, Donau und Bodensee, herausgegeben von Peter Greis, 1990, S. 48 (Zitierweise: Der Hegau – Landschaft).

3 Abgrenzung der Arbeitsgemeinschaft Hegau (Geschäftsstelle im Kultur- und Verkehrsamt der Stadt Singen (Hohentwiel)); zum Teil wird der Hegau als Naturraum aber auch deutlich weiter gefasst; vgl. insbesondere die Abgrenzung der Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg: Naturschutzinfo 1/98.

4 Vgl. Der Hegau – Landschaft, S. 20.

5 Das Großherzogtum Baden in geographischer, naturwissenschaftlicher, geschichtlicher, wirtschaftlicher und staatlicher Hinsicht dargestellt, Karlsruhe 1885, S. 229.

6 Vgl. Werner, Heinrich/Greuter, Christoph: Der Hegau – Impressionen einer Landschaft zwischen Bodensee und Schwarzwald, 2000, S. 5.

7 Die Einwohnerzahlen für 1871 wurden zum aktuellen Gebietsstand umgerechnet.

8 Die Ergebnisse könnten möglicherweise aufgrund der Bestimmungen der seit Juni 2002 in Kraft getretenen bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU tendenziell überhöht sein: Einpendlern in die Schweiz, die über einen Arbeitsvertrag von mehr als 12 Monaten verfügen, wird nämlich eine Bewilligung für 5 Jahre ausgestellt.

9 In Beherbergungsstätten mit mehr als acht Betten.

10 Vgl. Südkurier vom 3. Juli 2004: Sintec eingeweiht.

11 Vgl. Zimmermann, Thomas: Bilateriale Verträge Schweiz-EG, in: Bodensee-Hefte, Bd. 50, 2000 (Hefte 1 – 5) sowie www.europa.admin.ch.