:: 2/2005

Übergänge auf weiterführende Schulen – Trotz G8 bleibt das Gymnasium »erste Wahl«

Zum Schuljahr 2004/05 wurde an den Gymnasien des Landes flächendeckend für alle 5. Klassen das 8-jährige Gymnasium (G8) eingeführt. Befürchtungen, dass damit der Anteil der Kinder, die nach der Grundschule auf diese Schulart wechseln, drastisch sinken könnte, haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: 36 % der Viertklässler sind zum Schuljahr 2004/05 auf ein Gymnasium gewechselt, anteilsmäßig mehr als je zuvor. Nahezu gleich geblieben ist die Übergangsquote auf Realschulen (32 %), wogegen der Anteil der Schüler, die auf eine Hauptschule wechselten, mit 31 % weiter gesunken ist. Immer noch sehr große Schwankungen gibt es bei den Übergangsquoten auf regionaler Ebene. Diese sind auf stark unterschiedliche Grundschulempfehlungen zurückzuführen, aber auch auf von der Grundschulempfehlung abweichende Elternwünsche.

Die »Qual der Wahl«…

Im vierten und letzten Grundschuljahr stellt sich den Eltern die Frage, auf welcher weiterführenden Schule ihr Kind seine schulische Laufbahn fortsetzen soll. Die Wahl dieser Schule gilt bei vielen Eltern als Weichenstellung für die Entwicklungsmöglichkeiten ihres Kindes, für seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder auch für die gesellschaftliche Stellung, die sich ihrem Kind mit einem bestimmten, von der jeweiligen Schulart abhängigen, Abschluss bieten kann. Andererseits möchte man das Kind nicht überfordern und vor Misserfolgen schützen. Im dreigliedrigen Schulsystem Baden-Württembergs können die Eltern im Prinzip zwischen Hauptschule, Realschule und Gymnasium wählen. In der Hauptschule sollen die Schüler nach fünf Schuljahren »eine solide allgemeine Bildung erhalten, um Ausbildungsstellen in Handwerk, Industrie und Handel … oder in der Haus- und Landwirtschaft antreten zu können«.1 Während die Realschule die Grundlage vermitteln soll »für Berufe mit erhöhten theoretischen Anforderungen sowie für Berufe, die gehobene Ansprüche an Leistungsbereitschaft, Selbstständigkeit, Verantwortung und Menschenführung stellen«, soll das Gymnasium über »breite und vertiefte Allgemeinbildung zur allgemeinen Hochschulreife« führen.2 Neben diesen drei »konventionellen« Schularten besteht in Baden-Württemberg auch noch die Möglichkeit, auf eine so genannte »integrierte« Schulform, also auf eine der drei »Schulen besonderer Art« oder auf eine Freie Waldorfschule3 zu wechseln.4 Für den Übergang auf die weiterführenden Schulen gilt ein mehrstufiges Aufnahmeverfahren, das sich vom Informationsabend an der Grundschule über die Grundschulempfehlung bis hin zu einem eventuellen Beratungsverfahren und/oder einer eventuellen Aufnahmeprüfung erstreckt (siehe Übersicht).

Trotz G8 behält das Gymnasium seine Spitzenposition

Als Ergebnis dieses mehrstufigen Verfahrens wechselten zum Schuljahr 2004/05 von den rund 111 000 baden-württembergischen Viertklässlern 34 000 (30,5 %) auf eine Hauptschule, 35 500 (32,0 %) auf eine Realschule und 40 000 (36,1 %) auf ein Gymnasium. Von den verbleibenden fast 1500 Schülern gingen 722 auf eine andere Schulart (Sonderschule, Freie Waldorfschule oder Schule besonderer Art), 326 Schüler erhielten gar keine Grundschulempfehlung, 143 wiederholten die Klasse freiwillig und 305 wurden nicht versetzt. Unter den Übergängern auf eine Hauptschule waren 27,9 %, unter denen auf Realschulen 9,4 % und unter denen auf ein Gymnasium 5,6 % Ausländer.

Auf eine Hauptschule wechselten anteilsmäßig so wenige Viertklässler wie noch nie, die entsprechende Übergangsquote sank seit 1994/95 von 37,1 % um 6,6 Prozentpunkte. Vor 20 Jahren, im Sommer 1984, lag die Übergangsquote auf diese Schulart sogar bei über 40 %. Ausbauen konnten die Realschulen ihre Position. Hier zeigt sich ein langsam ansteigender Trend seit dem Schuljahr 1990/91. Damals wechselten 27,9 % der Viertklässler auf diese Schulform. Die Übergangsquoten auf die Gymnasien sind in den letzten 10 Jahren von 31,5 % bis auf 36,1 % nach oben geklettert (Schaubild). Die flächendeckende Einführung des 8-jährigen Gymnasiums für alle 5. Klassen konnte die Beliebtheit dieser Schulart – entgegen zahlreichen Befürchtungen5 – nicht stoppen. Es muss sich allerdings in den nächsten Jahren erst zeigen, ob die Masse der Schüler dem erhöhten Wochenstundenpensum und dem vermehrten Nachmittagsunterricht gewachsen ist.

Große regionale Unterschiede bei den Übergangsquoten

Das Übertrittsverhalten variiert sehr stark zwischen den einzelnen Stadt- und Landkreisen (Tabelle 1). Bei den Hauptschulen schwankt die Übergangsquote von auffallend niedrigen Werten in meist akademisch geprägten Stadt- und Landkreisen:

Stadt Freiburg im Breisgau17,3 %
Stadt Heidelberg19,8 %
Landkreis Tübingen21,7 %
Stadt Baden-Baden25,6 %

bis zu hohen Werten in eher gewerblich orientierten Kreisen oder in solchen mit einem hohen Ausländeranteil:

Neckar-Odenwald-Kreis36,5 %
Stadt Heilbronn36,6 %
Landkreis Tuttlingen37,6 %
Stadt Pforzheim38,7 %

Bei den Realschulen liegen an der Spitze der Quoten die Landkreise

Hohenlohekreis39,2 %
Alb-Donau-Kreis38,0 %
Main-Tauber-Kreis37,9 %
Ostalbkreis37,7 %
Schwäbisch Hall37,6 %

Auffällig ist hier, dass es sich durchweg um eher ländlich strukturierte Kreise handelt, wo das nächste Gymnasium evtl. doch sehr weit vom Wohnort entfernt liegt und daher eher auf die Wahlmöglichkeit der in der Regel näher liegenden Realschule zurückgegriffen wird. Die niedrigsten Übergangsquoten auf Realschulen finden sich in folgenden Stadtkreisen:

Heidelberg18,0 %
Freiburg im Breisgau20,8 %
Mannheim21,2 %
Pforzheim23,7 %
Stuttgart24,2 %

Die größte Schwankungsbreite von 30 Prozentpunkten findet sich bei den Übergangsquoten auf Gymnasien: Auf den vorderen Plätzen mit den höchsten gymnasialen Übergangsquoten liegen Stadtkreise mit einem hohen Anteil akademisch ausgebildeter und/oder wohlhabender Einwohner und/oder einem hohen Anteil von Beschäftigten im öffentlichen Dienst:

Heidelberg55,6 %
Freiburg im Breisgau51,0 %
Baden-Baden49,3 %
Karlsruhe48,0 %
und der Landkreis Tübingen48,2 %

mit der dominierenden Universitätsstadt Tübingen, in der vier Zehntel der Kreisbevölkerung leben. Entsprechung niedrig sind die Quoten jener Landkreise ohne obige Attribute, und vor allem dann, wenn sie vergleichsweise dünn besiedelt oder als »topografisch schwierig« gelten oder wenn Eltern der Grundschulempfehlung nicht folgen wollen oder nicht können:

Tuttlingen25,6 %
Waldshut26,1 %
Alb-Donau-Kreis29,7 %
Schwarzwald-Baar-Kreis30,0 %
Biberach30,3 %
Main-Tauber-Kreis30,3 %

Grundschulempfehlung und Elternwunsch passen nicht immer zusammen

In den verschiedenen Landesteilen fallen gravierende Unterschiede bei den Empfehlungen auf (siehe dazu Tabelle 2 Schüler mit Grundschulempfehlung »Gymnasium«). Zusätzlich weichen aber teilweise die Grundschulempfehlung und der Elternwunsch voneinander ab. So hat im Hohenlohekreis fast die Hälfte der insgesamt 1 265 Viertklässler eine Empfehlung für das Gymnasium erhalten. Es wünschten aber nur zwei von drei der zugehörigen Elternpaare, dass ihr Kind diese Option auch in Anspruch nimmt. Die bessere Wahl war für ein Drittel dieser – eher zurückhaltenden – Eltern die Realschule. Ähnlich verhielten sich Eltern zum Beispiel im Landkreis Biberach und im Main-Tauber-Kreis. Ganz anders sieht es in den »akademisch geprägten« Kreisen aus: In Heidelberg und in Freiburg im Breisgau wollten 99 bzw. 97 von 100 Eltern die Option »Gymnasium« in Anspruch nehmen. Landesweit hätten laut Grundschulempfehlung 47 254 Viertklässler (42,6 %) auf ein Gymnasium wechseln können. Allerdings entschieden sich nur 85 von 100 Eltern für diese Schulart. In jedem siebten Fall war es den Eltern lieber, dass ihr Kind seine schulische Laufbahn auf einer Realschule fortsetzt.

Andererseits haben 35 408 der Viertklässler zum Schuljahr 2004/05 eine Empfehlung zum Besuch einer Hauptschule erhalten. Acht von zehn Eltern waren damit einverstanden. Die anderen wünschten sich die Realschule als weiterführende Schule und in wenigen Fällen das Gymnasium. Auch hier gibt es regionale Unterschiede. Während beispielsweise im Landkreis Waldshut 18 von 100 Eltern mit der Grundschulempfehlung »Hauptschule« nicht einverstanden waren, waren es im Landkreis Ludwigsburg 27 von 100 und in Stuttgart sogar 29 von 100.

Die Aufnahmeprüfung als letztes Mittel führt nur selten zum Ziel

Sind Eltern mit der Grundschulempfehlung nicht einverstanden, können sie ein Beratungsverfahren in Anspruch nehmen. Hier testet eine »Beratungslehrkraft« das Kind anhand allgemeiner, landesweit einheitlicher Begabungstests. Dann spricht die Klassenkonferenz gemeinsam mit der Beratungslehrkraft eine »Gemeinsame Bildungsempfehlung« aus (§ 5 AufnVO). Wollen die Eltern dieses Beratungsverfahren nicht durchlaufen bzw. führt es nicht zum gewünschten Ergebnis, bleibt als letztes Mittel noch die Aufnahmeprüfung. Diese findet an zentral gelegenen Grundschulen statt und besteht aus einer schriftlichen und einer mündlichen Prüfung (§6 AufnVO). Dabei werden die Prüfungsaufgaben vom Kultusministerium im Rahmen des Bildungsplans für die Klassenstufe 4 der Grundschule landeseinheitlich erstellt. Wer bereits in der schriftlichen Prüfung den Notendurchschnitt von mindestens 3,0 für die Realschule bzw. 2,5 fürs Gymnasium erzielt, wird von der mündlichen Prüfung befreit (§9 Abs. 2 AufnVO).

Im Jahr 2004 wurden landesweit fast 2 500 Schüler von ihren Eltern zu einer Aufnahmeprüfung angemeldet. Davon erreichte etwa jeder Siebte den für einen Übergang auf die Realschule notwendigen Durchschnitt, jeder 20. schaffte es aufs Gymnasium. Nicht bestanden, weil schlechter als 3,0, haben etwa vier von fünf Schülern die Aufnahmeprüfung. Die geringen Bestehensquoten bei den Aufnahmeprüfungen sind ein Indiz dafür, dass die Grundschule bereits mit der Grundschulempfehlung, spätestens aber mit der Gemeinsamen Bildungsempfehlung recht treffsicher den Leistungsstand und die Begabung des Kindes einschätzt und die dazu passende Schulart empfiehlt. Allerdings befindet sich das Kind in der Beurteilungsphase auf einem Entwicklungsniveau, das sich später noch verändern kann. Hier bieten die Werkrealschulen, an denen ein mittlerer Bildungsabschluss erzielt werden kann, sowie die beruflichen Gymnasien und andere berufliche Schulen gute Möglichkeiten, die schulische Laufbahn an die Entwicklung des Kindes bzw. des Jugendlichen anzupassen.

1 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Spektrum Schule, Bildungswege in Baden-Württemberg, Oktober 2004, S. 13.

2 Ebenda, S. 15 und 21.

3 Vgl. Schwarz-Jung, Waldorfschulen in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg, Heft 4/2004, Seite 25-28.

4 Die Sonderschulen gelten nicht als weiterführende Schulart, wenngleich einige der Viertklässler natürlich auch auf diese speziellen Schulen übergehen.

5 Vgl. zum Beispiel Statement von R. Dahlem bei der GEW-Pressekonferenz am 7. September 2004.