:: 2/2005

Bericht des Ad-hoc-Arbeitskreises Statistik der Konferenz der Wirtschaftsminister und -senatoren der Länder

Benennung von statistischen Informationen mit geringem wirtschaftspolitischen Nutzen

Hintergrund und Arbeitsauftrag

Der Abbau von bürokratischen Hemmnissen ist wiederholte Forderung der Wirtschaftsminister der Länder, der Unternehmen und zahlreicher wirtschaftspolitischer Forschungsinstitute. Die Reduzierung statistischer Berichtspflichten ist ein wesentlicher Bestandteil des Bürokratieabbaus. Seit Anfang der 90er-Jahre wurden mehrfach umfangreiche Anstrengungen unternommen, um durch den Abbau statistischer Berichtspflichten und eine effizientere Organisation eine Entlastung der Unternehmen zu erzielen. Zu den jüngsten Bemühungen zählen der Masterplan der Statistischen Ämter zur Reform der amtlichen Statistik, die Bundesratsinitiativen der Länder Hamburg und Baden-Württemberg im Jahr 2003, der Bericht des Bund-Länder-Ausschusses Statistik an die Wirtschaftsministerkonferenz1 Juni 2004 und der Entwurf des Statistikabbaugesetzes der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN vom 15. Juni 2004. Der Bundesrat hat am 24. September 2004 beschlossen, diesem vom Bundestag am 1. Juli 2004 verabschiedeten Gesetz nicht zuzustimmen. Den Empfehlungen von Wirtschafts-, Innen- und Agrarausschuss des Bundesrates, den Vermittlungsausschuss anzurufen, wurde nicht gefolgt.

Der Ad-hoc-Arbeitskreis begrüßt nachdrücklich die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in Auftrag gegebene empirische Studie über die Bedeutung der Belastung der Wirtschaft durch amtliche Statistiken. Die Studie wird Ende 2005 abgeschlossen. Auf ihrer Basis werden voraussichtlich weitere Entlastungsmöglichkeiten formuliert werden können.

Die Mitglieder des Ad-hoc-Arbeitskreises halten die in der Umsetzung befindlichen Maßnahmen zum Bürokratieabbau in der Wirtschaftsstatistik für weit reichend. Mit dem BLA-Bericht 2004 an die Wirtschaftsministerkonferenz wurde eine Vielzahl grundlegender Änderungen im Bereich der Wirtschaftsstatistik eingeleitet, die mit einer deutlichen Entlastung der Wirtschaft von Berichtspflichten und Kosten sowie einer Verbesserung der Verfahren bei der Erhebung und Verarbeitung einhergehen. Von besonderer Tragweite sind die Nutzung des Unternehmensregisters als Ersatz für künftige Zählungen und zur besseren Verknüpfung von statistischen Datenbeständen, die Nutzung von Verwaltungsdaten für Konjunkturstatistiken, online-Datenerhebungen und die Verwendung von Daten aus dem betrieblichen Rechnungswesen sowie die Verkleinerung von Stichprobenumfängen bei den Konjunkturstatistiken.

Auf ihrer Konferenz am 2./3. Juni 2004 haben die Wirtschaftsminister und -senatoren der Länder unter TOP 6.1 »Maßnahmen zur Bereinigung und Modernisierung der Wirtschaftsstatistik« festgestellt, dass sie es für eine Daueraufgabe der Wirtschaftsressorts der Länder halten, zu prüfen, ob statistische Informationen benannt werden können, die von geringem wirtschaftspolitischen Nutzen sind und auf die verzichtet werden kann. Die Wirtschaftsministerkonferenz hat hierzu einen Ad-hoc-Arbeitskreis unter Federführung des Landes Schleswig-Holstein eingerichtet, der zur Wirtschaftsministerkonferenz am 8./9. Dezember 2004 berichten sollte. Mit dem vorliegenden Bericht kommt der Ad-hoc-Arbeitskreis diesem Auftrag nach. Zugleich werden mit diesem Bericht Aussagen über den Informationsbedarf der Wirtschaftspolitik als Nutzer der Wirtschaftsstatistik getroffen.

Eckpunkte

Mit Blick auf den wirtschaftspolitischen Nutzen hat sich der Ad-hoc-Arbeitskreis einvernehmlich auf die folgenden Eckpunkte verständigt, aus denen sich unmittelbar konkrete Vorschläge sowie Prüfpunkte (zum Beispiel Ausnahmen von den Eckpunkten) ableiten lassen:

  • Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist als Kernstück des gesamtwirtschaftlichen Rechnungswesens unverzichtbar und in ihrer Leistungsfähigkeit in Bund und Ländern zu erhalten.
  • Unterjährige Informationen werden primär für Zwecke der Konjunkturbeobachtung und für Schnellrechnungen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf Bundes- und Landesebene erhoben.
  • Für wirtschaftspolitische Fragestellungen über Wirtschaftsstruktur, Strukturwandel, Standortanalyse und Wirtschaftsverflechtungen sind in der Regel jährliche Erhebungen hinlänglich.
  • Für Analysen von Wirtschaftsstruktur, Strukturwandel und für Standortanalysen sind sektoral (auf Ebene der Viersteller) und regional (Kreisebene) tief gegliederte Daten notwendig.
  • Für Konjunkturanalysen sind regionale Informationen auf Ebene der Länder und sektorale Informationen auf Ebene der Zweisteller erforderlich.
  • Für Querschnittsbereiche werden keine eigenen Erhebungen durch die amtliche Statistik durchgeführt: Unternehmen, die bereits im Rahmen einer Erhebung befragt wurden, dürfen nicht nochmals nach den gleichen Merkmalen befragt werden.

Konkrete Vorschläge

Verzicht auf die Differenzierung nach Geschlecht in unterjährigen Erhebungen

contra: Die unterschiedliche Entlohnung von männlichen und weiblichen Erwerbstätigen ist eines der Hauptthemen der Verdienstdiskussion.

pro: Bei unterjährigen Erhebungen hat die Beobachtung von Konjunkturphänomenen Priorität.

Vorschlag: Zur Entlastung der Unternehmen wird grundsätzlich auf eine unterjährige Differenzierung nach dem Geschlecht verzichtet (Ausnahme von diesem Grundsatz ist die Verdienststatistik).

Verzicht auf die Trennung von Arbeitern und Angestellten

contra: Aus der historisch gewachsenen rentenrechtlichen Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten hat sich ein Informationsbedürfnis nach getrennten Daten für Arbeiter und Angestellte ergeben.

pro: Für wirtschaftspolitische Entscheidungen ist die Unterscheidung nicht notwendig. Die Diskussionen um die Zusammenlegung von Landesversicherungsanstalten und BfA zeigen, dass die historisch gewachsene rentenrechtliche Unterscheidung in Auflösung begriffen ist. Bedeutend für wirtschaftspolitische Entscheidungen sind die Beschäftigten. Aus dem Nachweis allein der Personen mit Arbeiterstatus erwächst dagegen kein nennenswerter wirtschaftspolitischer Nutzen. Im Rahmen der amtlichen Statistik wird das Merkmal »Lohn- und Gehaltsumme« monatlich erhoben. Das Merkmal Lohnsumme schafft keinen nennenswerten zusätzlichen wirtschaftspolitischen Nutzen.

Vorschläge: Verzicht auf die Trennung von Arbeitern und Angestellten sowie der Merkmale »tätige Arbeiter« und »monatliche Lohnsumme« (Informationen über die Entlohnung sind weiterhin erforderlich).

Verzicht auf unterjährige Erhebungen im Rahmen der Handwerksstatistik

contra: Das Handwerk ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, dessen Bedeutung auch in der amtlichen Statistik hinreichend abgebildet sein muss. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks setzt sich daher nachdrücklich für ein Beibehalten der vierteljährlichen Handwerksberichterstattung ein. Die Handwerksstatistik ist die einzige Erhebung, die konjunkturelle Informationen über das Handwerk liefert.

pro: Das Handwerk ist ein Querschnittsbereich, der sich nicht durch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Wirtschaftszweig der amtlichen Statistik, sondern durch eine Eintragung in die Handwerksrolle definiert. Die Bedeutung des Handwerks und seine strukturellen Veränderungen lassen sich durch jährliche Statistiken abbilden. Zusätzliche Primärerhebungen im Handwerk bedeuten in der Regel Doppelbelastungen für Handwerksbetriebe. Durch die Nutzung von Verwaltungsdaten (Eignung wird derzeit geprüft) könnte ggf. bereits 2006 auf die Primärerhebung verzichtet werden. Unterjährige Erhebungen im Handwerk liefern Aussagen über die konjunkturelle Entwicklung des Handwerks. Sie sind dann erforderlich, wenn die Konjunktur im Handwerk signifikant vom gesamtwirtschaftlichen Konjunkturbild abweicht und diese Informationen handwerksbezogene konjunkturpolitische Maßnahmen zur Folge haben (sollen). Wenn dies nicht der Fall ist, stellt sich die Frage nach dem wirtschaftspolitischen Nutzen.

Vorschlag: Gegenwärtig finden im Zusammenhang mit dem Unternehmensregister Testrechnungen statt, ob als Ersatz für unterjährige Erhebungen im Handwerk aussagefähige Daten aus Verwaltungsdaten gewonnen werden können. Die Ergebnisse dieser Tests sollten abgewartet werden, da sie die Beurteilung der Kosten-Nutzen-Relation unterjähriger Informationen im Handwerk erheblich beeinflussen. Der BLA Statistik wird gebeten, nach Vorlage der Ergebnisse hierzu Vorschläge einzubringen.

Verzicht auf monatliche Ergebnisse durch Umstellung von monatlichen auf vierteljährliche Erhebungen

contra: Um die Konjunkturentwicklung am aktuellen Rand und damit konjunkturelle Wende frühzeitig und mit hinreichender Sicherheit erkennen zu können, sind monatliche statt vierteljährliche Informationen unabdingbar. Insbesondere dem Einzelhandel als wichtigem Aspekt der Binnennachfrage kommt dabei unverzichtbare Bedeutung zu.

pro: Durch eine Umstellung der monatlichen Repräsentativerhebung auf eine vierteljährliche Erhebung könnten die Unternehmen (zum Beispiel im Handel bundesweit ca. 35 000 Unternehmen des Groß- und Einzelhandels) von Meldepflichten entlastet werden.

Vorschlag: Überprüfung, welche monatlichen Erhebungen auf einen längeren Rhythmus umgestellt werden können, wenn aus Verwaltungsdaten hinreichende Informationen über die konjunkturelle Entwicklung von Umsatz und Beschäftigung am aktuellen Rand gewonnen werden können. Weniger konjunkturrelevante Merkmale sollten dann vierteljährlich gewonnen werden. Zurzeit ist noch keine Aussage darüber möglich, ob aus Verwaltungsdaten geeignete Ergebnisse für eine verlässliche monatliche Konjunkturbeobachtung des Einzelhandels und des Gastgewerbes gewonnen werden können. Eine erste Testphase für diesen Bereich ist für die Jahre 2006 und 2007 geplant. Dabei wird auch geklärt, ob die Aktualität der Ergebnisse den aktuellen Fristen der Primärerhebung entsprechen wird. Der BLA Statistik wird gebeten, nach Auswertung der Testphase hierzu Vorschläge zu unterbreiten.

Geringere Tiefengliederung im Güterverzeichnis für die Produktionsstatistik

contra: Für die Tiefengliederung des nationalen Güterverzeichnisses für Produktionsstatistiken ist für die Mitgliedstaaten der EU die PRODCOM2 verbindlich vorgegeben und ist von nationaler Seite kaum beeinflussbar. Zudem werden nicht alle Unternehmen mit dem kompletten Güterverzeichnis konfrontiert, sondern nur mit einem relevanten Ausschnitt. Vonseiten von Fachverbänden wird eine noch tiefere Gliederung des Güterverzeichnisses gefordert.

pro: Durch eine geringere Tiefengliederung im Güterverzeichnis für die Produktionsstatistik verringert sich der Meldeaufwand für die Unternehmen. Bereits ohne Anhänge und Erläuterungen umfasst das Güterverzeichnis 600 Seiten. Die aus der Statistik gewonnenen Aussagen sind produktbezogen, wohingegen die Statistik über die zunehmend wichtiger werdenden Produktionsmethoden und Technologien keine Auskunft gibt. Darüber hinaus würde sich durch eine geringere Tiefengliederung bei Weitergabe der Ergebnisse die Anzahl der Geheimhaltungspositionen verringern.

Vorschlag: Die Bundesregierung wird gebeten, die Europäische Kommission um eine Überprüfung der PRODCOM-Liste zu ersuchen, mit dem Ziel, eine Entlastung der Unternehmen zu erreichen.

Tiefengliederung und unterjährige Informationen über die Preisentwicklung

contra: Gegenwärtig werden monatlich rund 7 100 Unternehmen nach ihren Verkaufspreisen für insgesamt 1 627 Güterarten befragt, um den Index der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte zu ermitteln.

pro: Trotz der tiefen Gliederung der Güterpreissystematik finden sich Kategorien (zum Beispiel Schiffe, Boote und Jachten), die derartig heterogen sind, dass die Ergebnisse wirtschaftspolitisch nicht sinnvoll zu nutzen sind. Zudem werden monatliche Erhebungen bei Unternehmen vorgenommen, deren Produktionsprozesse die Monatsfrist zum Teil deutlich überschreiten.

Vorschlag: Die statistischen Ämter des Bundes und der Länder werden gebeten, ihre Bemühungen um eine Entlastung der Unternehmen im Bereich der unterjährigen Preisstatistiken – insbesondere bei Tiefengliederung und Periodizität – zu verstärken.

Schlussbemerkungen

Bei der Entlastung der Unternehmen von statistischen Berichtspflichten sind in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht worden; weitere zeichnen sich durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien ab. Angesichts der Bedeutung der Maßnahmen und ihrer Konsequenzen – auch für die hier diskutierten Vorschläge – wird vorgeschlagen, dass der BLA Statistik der Wirtschaftsministerkonferenz über den Stand der in Umsetzung befindlichen Maßnahmen zum Bürokratieabbau in der Wirtschaftsstatistik berichtet.

Für noch weiter gehende Entlastungen bedarf es einer kritischen Reflexion des Informationsbedarfs der Nutzer von Wirtschaftsstatistiken. Daher ist es außerordentlich begrüßenswert, dass dies auch im Rahmen der Reform der Unternehmensstatistiken im Masterplan zur Reform der amtlichen Statistik auf der Tagesordnung steht. Die Reform der Unternehmensstatistik ist ein Kernelement des Masterplans zur Reform der amtlichen Statistik. Nach dem derzeitigen Terminplan ist eine Erfassung und Ausbalancierung des Nutzerbedarfs für das Jahr 2005 vorgesehen.

1 Im Weiteren BLA-Bericht.

2 PRODCOM: Produktliste für die Erhebung der Industrieproduktion, 2005.