:: 11/2005

Späte Mutterschaft – ein neuer Lebensentwurf?

Die Anzahl der Mütter, die mit 35 Jahren oder später noch ein Kind bekommen, steigt bundesweit an und liegt in den alten Bundesländern deutlich höher als in den neuen Bundesländern. Im Westen Deutschlands lässt sich eine Konzentration auf den Südwesten und auf die großen Ballungszentren erkennen. Mögliche Gründe für die ausgeprägten Unterschiede liegen in einer stärkeren Berufsorientierung der Frauen in großstädtisch geprägten Ballungszentren, unterschiedlichen Familienstrukturen in Ost und West sowie in unterschiedlichen infrastrukturellen Rahmenbedingungen.

Jüngere Mütter im Osten, ältere im Westen

Eine Analyse für die deutschen Bundesländer zeigt bei der regionalen Verteilung der Mütter, die im Alter ab 35 Jahren 2003 noch ein Kind bekamen, ein deutliches Ost-West-Gefälle. Im Jahr 2003 waren in Deutschland 19 % der Mütter von Neugeborenen 35 Jahre oder älter. In drei Viertel aller ostdeutschen Landkreise und kreisfreien Städte lag der Anteil der älteren Mütter an der Gesamtzahl der Mütter von Neugeborenen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. In den alten Bundesländern übertraf gut die Hälfte der Kreise und kreisfreien Städte den Bundesdurchschnitt (Schaubild 1). Insbesondere im Südwesten Deutschlands sowie in den meisten großstädtisch geprägten Räumen war das Phänomen der späten Mutterschaft besonders ausgeprägt. Den Spitzenwert erreichte der Landkreis Starnberg, wo bei 34 % der Geburten die Mutter mindestens 35 Jahre alt war.

Auch der Anteil der älteren Mütter von Neugeborenen an der Gesamtzahl der Frauen im entsprechenden Alter zwischen 35 und 50 Jahren verteilte sich regional in ähnlicher Weise. Bezogen auf 1 000 Frauen im Alter von 35 bis unter 50 Jahren bekamen im Bundesdurchschnitt 14 Frauen dieser Altersgruppe im Jahr 2003 ein Kind. Die Werte aller Landkreise und kreisfreien Städte der neuen Bundesländer lagen – mit Ausnahme von Berlin/Potsdam – deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt. Im Westen Deutschlands hingegen übertrafen mehr als die Hälfte aller Landkreise und kreisfreien Städte den Bundesdurchschnitt (Schaubild 2).

Die Geburtenzahlen sinken in Deutschland bekanntermaßen seit Jahren, währenddessen das durchschnittliche Alter der Frauen bei der Geburt steigt. Wie aber lassen sich die ausgeprägten regionalen Unterschiede in Ost und West im Hinblick auf die späte Mutterschaft erklären?

Familien im Westen traditionell kinderreicher als im Osten

Eine umfangreiche Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu Lebensläufen und Familienplanung von Frauen im Osten und im Westen Deutschlands1 zeigte deutliche Unterschiede im Hinblick auf die Familiengründung in den alten und in den neuen Bundesländern. Frauen aus den alten Bundesländern blieben häufiger ohne Kind als Frauen aus den neuen Bundesländern. Wenn sie aber Kinder bekamen, dann bekamen sie ihr erstes Kind später und die weiteren Kinder in kürzerem Abstand als Mütter aus den neuen Bundesländern. Im Durchschnitt hatten Frauen im alten Bundesgebiet mehr Kinder als Mütter im Osten Deutschlands. Aktuelle Daten aus dem Mikrozensus 2003 bestätigen, dass Frauen aus den neuen Bundesländern häufiger nur ein Kind bekommen, während Frauen in den alten Bundesländern, wenn sie Kinder bekommen, häufiger zwei oder mehr Kinder haben (Tabelle).

Ein Grund dafür, dass Frauen im Westen Deutschlands häufiger zu einem späten Zeitpunkt noch ein Kind bekommen als im Osten, liegt demnach in der unterschiedlichen durchschnittlichen Anzahl der Kinder pro Familie. Wenn mehr Kinder geboren werden, ist das Alter der Mütter fast zwangsläufig höher.

Im Osten mehr nicht ehelich geborene Kinder

Darüber hinaus werden in den neuen Bundesländern deutlich mehr nicht eheliche Kinder als in den alten Bundesländern geboren.2 Während in Ostdeutschland im Jahr 2000 gut die Hälfte der Kinder unehelich geboren wurden, war dies in den alten Bundesländern lediglich ein Fünftel. Ein Vergleich des durchschnittlichen Alters von verheirateten Müttern bei der Geburt mit dem Alter lediger Mütter macht deutlich, dass Zusammenhänge zwischen der gewählten Lebensform und dem Alter der Mutter bei der Geburt bestehen. Die amtliche Statistik 2003 zeigt, dass Mütter nicht ehelich geborener Kinder im Durchschnitt drei Jahre jünger waren als Mütter ehelich geborener Kinder.

Angebote der Kinderbetreuung in den neuen Ländern besser ausgebaut

Diese demografischen Grunddaten tragen dazu bei zu erklären, wie es zu den ausgeprägten regionalen Unterschieden zwischen den alten und den neuen Bundesländern im Hinblick auf die späte Mutterschaft kommt. Darüber hinaus spielen unterschiedliche soziokulturelle und infrastrukturelle Rahmenbedingungen sowie Arbeitsmarktbedingungen eine Rolle. Der Monitor Familiendemographie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend3 weist auf die großen Ost-West-Unterschiede bei der Betreuung der unter Dreijährigen hin. Während im Osten Deutschlands 2004 jedes zweite Kind dieser Altersgruppe eine öffentliche Betreuung in Anspruch nehmen konnte (Krippe oder öffentlich finanzierte Tagesmutter), war dies in Westdeutschland nur jedes zehnte Kind unter 3 Jahren. Diese Zahlen können Hinweise darauf geben, dass der Spagat der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgrund einer besser ausgebauten Infrastruktur der Kinderbetreuung in den neuen Bundesländern eher gelingt und Frauen sich daher früher für ein Kind entscheiden. Darüber hinaus war es in der ehemaligen DDR üblich, dass die Frauen zu einem relativ frühen Zeitpunkt ihre Kinder bekamen und trotzdem weiterhin berufstätig blieben. Obwohl sich die Situation in den neuen Bundesländern mittlerweile weit gehend an das alte Bundesgebiet angepasst hat, wirkt diese Tradition auch heute noch fort.

Ausgeprägte regionale Unterschiede auch bei Kinderlosigkeit

Deutliche Ost-West Unterschiede lassen sich nicht nur im Hinblick auf späte Mutterschaften, sondern auch beim Ausmaß der Kinderlosigkeit feststellen. Im März 2004 waren im früheren Bundesgebiet 30 % der 37- bis 40-jährigen4 deutschen Frauen kinderlos. In den neuen Bundesländern und Berlin-Ost lebten hingegen in nur 22 % der Haushalte keine minderjährigen Kinder5 Zur Erklärung dieser Unterschiede werden das Bildungsniveau, Rahmenbedingungen auf soziokultureller und infrastruktureller Ebene sowie Arbeitsmarktbedingungen herangezogen6 Ein Vergleich der Bildungsabschlüsse kinderloser Frauen zeigt, dass das Bildungsniveau kinderloser Frauen im Alter von 40 bis unter 45 Jahren in Ost und West stark voneinander abweicht. Während es im Westen Deutschlands eher hochqualifizierte Frauen sind, die in dieser Altersgruppe keine Kinder haben, überwiegt im Osten der Anteil der Frauen ohne beruflichen Abschluss (Schaubild 3).

Zur Kinderlosigkeit, vor allem akademisch gebildeter Frauen, führen neben den genannten Faktoren häufig »Nicht«-Entscheidungsprozesse, weil es den optimalen Zeitpunkt für ein Kind im Lebenslauf einer Frau einfach nicht gibt. Der Kinderlosigkeit liegt in diesen Fällen keine bewusste Entscheidung gegen ein Kind zugrunde, sondern der Kinderwunsch wird so lange aufgeschoben, bis seiner Realisierung biologische Gründe entgegenstehen. Im Hinblick auf späte Mutterschaften liegt die Vermutung nahe, dass Frauen, die über 35 noch ein Kind bekommen, sich häufig ganz bewusst für diesen Weg entscheiden.

Ist späte Mutterschaft ein Lebensentwurf gut ausgebildeter Frauen?

Neben den ausgeprägten Ost-West-Unterschieden zeigen die oben dargestellten Schaubilder 1 und 2 zur späten Mutterschaft eine Konzentration des Anteils später Mütter in den großstädtischen Gebieten im Westen Deutschlands. Dies lässt vermuten, dass die späte Mutterschaft auch mit Karrierechancen und Karriereressourcen zusammenhängt. Hier könnte sich ein »Bildungsniveaueffekt«7 abzeichnen, nach dem Frauen mit hoher Qualifikation eine gesteigerte Arbeitsmarktorientierung entwickeln und der Kinderwunsch erst später oder gar nicht realisiert wird.

Auswertungen des Mikrozensus zur Kinderlosigkeit bestätigen die Annahme, dass ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Qualifikation und dem Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes besteht. Während 68 % der Akademikerinnen im Bundesgebiet im Alter von unter 35 Jahren im Jahr 2003 keine Kinder hatten, sank der Anteil der kinderlosen Akademikerinnen im Alter von 35 bis unter 40 Jahren auf 35 %. Im Alter zwischen 40 und 45 waren dann nur noch 29 % der Akademikerinnen kinderlos.

Auch hier zeigen sich Unterschiede zwischen dem alten Bundesgebiet und den neuen Bundesländern. In den neuen Bundesländern waren 50 % der Akademikerinnen unter 35 Jahren kinderlos, im Alter von 35 bis unter 40 Jahren waren es noch 18 %. Bei den Akademikerinnen von 40 bis 45 Jahren lag der Anteil der kinderlosen Frauen im Osten bei 11 %. In den alten Bundesländern weicht die Struktur davon erheblich ab, wie folgende Tabelle zeigt:

Demnach waren es 2003 in den neuen Bundesländern 39 % der akademisch gebildeten Frauen, die im Alter zwischen 35 und 45 Jahren ihr erstes Kind bekamen. Dieser Anteil lag im Westen Deutschlands mit 43 % etwas höher. Diese Zahlen zeigen, dass sich ein nicht unerheblicher Anteil hoch qualifizierter Frauen zu einem späten Zeitpunkt noch für ein Kind entscheidet.

Eine aktuelle empirisch-biografische Untersuchung in West- und Ostdeutschland8 führt jedoch zu dem Ergebnis, dass sich die späten Mutterschaften entgegen gängiger Alltagsmeinungen nicht nur auf längere Ausbildungszeiten und die Berufsorientierung der Mütter zurückführen lassen. Durch eine umfassende Befragung von Müttern bestätigte sich zwar die Annahme, dass die späte Mutterschaft vor allem ein Familiengründungsmuster hoch qualifizierter Frauen ist. Es wurde aber auch deutlich, dass die Gründe für eine späte Mutterschaft und deren Ausgestaltung zu vielfältig sind, als dass sich hierfür eindimensionale Erklärungsmuster finden lassen.

Neben der Berufsorientierung gut qualifizierter Frauen, individuellen Entwicklungsansprüchen und veränderten Erwartungen an Partnerschaften sind es auch strukturelle Gegebenheiten, die zu später Mutterschaft führen und im Osten und Westen Deutschlands unterschiedlich ausgeprägt sind. Da es sich um ein relativ junges Forschungsfeld handelt, bleibt zu hoffen, dass die aufgeworfenen Fragestellungen und Erklärungsansätze in absehbarer Zeit durch weitere empirische Untersuchungen abgesichert werden.

1 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.), Frauen leben – Eine Studie zu Lebensläufen und Familienplanung, Köln 2000.

2 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2003) (Hrsg.): Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik. Lebensformen, Familienstrukturen, wirtschaftliche Situation der Familien und familiendemographische Entwicklung in Deutschland (Hrsg.: Statistisches Bundesamt Wiesbaden), Erweiterte Neuauflage 2003, Berlin, S. 77 f.

3 Ausgabe Nr. 2 Juli 2005, bearbeitet von der Familienforschung Baden-Württemberg, als E-Mail zu abonnieren unter fafo@stala.bwl.de

4 Geburtsjahrgänge 1964 bis 1967.

5 Zu den Kinderlosen zählen auch Frauen, deren minderjährige Kinder nicht (mehr) im Haushalt leben, und solche, deren im Haushalt lebenden Kinder verheiratet sind.

6 Duschek, Klaus-Jürgen/Wirth, Heike (2005): Kinderlosigkeit von Frauen im Spiegel des Mikrozensus, in: Statistisches Bundesamt 2005 (Hrsg.), Wirtschaft und Statistik 8/2005, S. 800-821.

7 Brüderl, Josef/Klein, Thomas (1991): Bildung und Familiengründung: Institutionen versus Niveaueffekt, in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 17, S. 323-335.

8 Herlyn, Ingrid/Krüger, Dorathea (Hrsg.): Späte Mütter, Opladen 2003.