:: 12/2005

Zukunftswerkstätten »Familienfreundliche Kommune« – Kommunen entwickeln Konzepte für mehr Familienfreundlichkeit

Die FamilienForschung Baden-Württemberg führt zusammen mit dem Ortenauer Bündnis für Familien und den beteiligten Gemeinden und Städten erstmals modellhaft Zukunftswerkstätten zum Thema »Familienfreundliche Kommune« durch. Die Zukunftswerkstätten sind örtliche Auftaktveranstaltungen, um gemeinsam mit interessierten Familien und Fachvertretern aus Kommune, Kirchen, Einrichtungen, Unternehmen, Verbänden und Vereinen die Kinder- und Familienfreundlichkeit vor Ort weiter zu verbessern. Die Zukunftswerkstätten sind Teil der Initiative »Kinderland Baden-Württemberg« der Landesregierung und werden im Rahmen des Projekts »Familienfreundliche Kommune« vom Ministerium für Arbeit und Soziales gefördert.

Auftaktveranstaltungen mit großer Resonanz

Den Auftakt im Ortenaukreis hat die Gemeinde Meißenheim gemacht. Rund 35 interessierte Familien und Fachleute sind am 25. Juni 2005 auf Einladung von Bürgermeisterin Gerlinde Kleis im Rathaus in Meißenheim zusammengekommen. Bei der zweiten Zukunftswerkstatt konnte die Stadt Kehl schon rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüßen. Es folgten seit September Zukunftswerkstätten in Seelbach, Berghaupten, Willstätt und Lahr; Achern und Nordrach werden Anfang 2006 Zukunftswerkstätten ausrichten. Bis dahin werden voraussichtlich mehr als 500 Familien und Fachvertreter ihre Ideen und Vorschläge eingebracht haben. Mit den Ergebnissen der Zukunftswerkstätten werden in den beteiligten Kommunen Handlungskonzepte für mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit auf den Weg gebracht.

Ideen und Vorschläge für ein familienfreundliches Handlungskonzept

»Was ist in unserer Kommune familienfreundlich? Und was nicht?« Mit diesen Fragen haben die Beteiligten zu Beginn der sechsstündigen Zukunftswerkstatt ein Stärken-Schwächen-Profil zur Familienfreundlichkeit in ihrer Kommune erstellt. Mehrere Arbeitsgruppen haben sich danach auf eine gedankliche Reise in die Zukunft begeben, um Ideen und Zielvorstellungen zur Familienfreundlichkeit für das Jahr 2020 zu entwickeln. Thematische Schwerpunkte waren dabei »Familien und ihre sozialen Netze«, »Kinder und ihre Startchancen«, »Eltern zwischen Beruf und Familie«, »Familien in der Stadt und den Ortschaften«, »Wohnen, Wege, Umfeld«, »Urlaub mit Kindern in der Gemeinde«.

Aus den Zielen für 2020 haben die Arbeitsgruppen dann die notwendigen nächsten Schritte und Maßnahmen zur Familienfreundlichkeit abgeleitet. Am Ende der Veranstaltung wurden die Verbesserungsvorschläge von den Beteiligten nach Wichtigkeit bewertet, um für das weitere Vorgehen Prioritäten deutlich zu machen. Auf diese Weise entstanden zu allen Themenschwerpunkten viele neue Ideen und realistische Vorschläge, um die kinder- und familienbezogenen Konzepte und Angebote vor Ort weiter zu verbessern.

Die Ergebnisse der Zukunftswerkstätten werden dokumentiert und sind Ausgangspunkt für die weitere Arbeit der Gemeinden und Städte an einem familienfreundlichen Handlungskonzept. Mit der Ausformulierung des Handlungskonzepts wird in der Kommune eine »Projektgruppe Familienfreundlichkeit« beauftragt, die eine Entscheidungsgrundlage für den Gemeinderat erarbeitet. Die Jugendhilfeplanung des Ortenaukreises und die FamilienForschung Baden-Württemberg stehen der Projektgruppe bei Bedarf beratend zur Seite (Übersicht).

Umsetzung unter Mitwirkung engagierter Bürgerinnen und Bürger

Im Laufe des kommenden Jahres können die ersten Kommunen die Umsetzung ihres Handlungskonzepts angehen. In den gesamten Prozess sollen die erforderlichen Kooperationspartner wie zum Beispiel Kirchen, Einrichtungen, Unternehmen, Verbände und Vereine sowie die Familien und Kinder vor Ort eingebunden werden. Die kommunale »Projektgruppe Familienfreundlichkeit« soll den Umsetzungsprozess steuern und die geeigneten Kooperationspartner ins Boot holen.

Die Planung von größeren Projekten, wie zum Beispiel Familientreffpunkten, Spielplatz-Neugestaltungen oder anderen Baumaßnahmen, soll bei Bedarf durch weitere Workshops mit Familien und Kindern unterstützt werden. Solche Beteiligungsangebote ermöglichen eine enge Rückkoppelung der Planung an die aktuellen Bedürfnisse der Familien und setzen wichtige Impulse zur Aktivierung von bürgerschaftlichem Engagement. Denn viele familienfreundliche Projekte wie Betreuungsbörsen, Vorlese-Patenschaften, Lernnetzwerke Alt und Jung usw. sind ohne die tätige Mithilfe engagierter Bürgerinnen und Bürger nicht denkbar.

In diesem Sinne sollen bereits auch die Zukunftswerkstätten zu bürgerschaftlichem Engagement motivieren. So werden die verschiedenen Arbeitsgruppen der Zukunftswerkstatt von ehrenamtlichen Bürgermoderatorinnen und Bürgermoderatoren geleitet. Interessierte Personen werden dazu im Vorfeld der Veranstaltung angesprochen und auf ihre Aufgabe vorbereitet. Ihre Rolle ist für sich schon ein vorbildliches Beispiel für familienfreundliches Engagement.

Topthemen: Zusammenleben von Jung und Alt, Kinderbetreuung, Wohnen

Die Ergebnisse der ersten beiden Zukunftswerkstätten in Meißenheim und Kehl zeigen, dass die Handlungsfelder »Zusammenleben, Rückhalt, Unterstützung von Jung und Alt«, »Kinderbetreuung, Bildung, Erziehung« sowie »Wohnen, Umfeld, Nahversorgung, Verkehr« für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von besonders großem Interesse sind. In beiden Zukunftswerkstätten entfielen die meisten Verbesserungsvorschläge auf diese Handlungsfelder (Schaubild 1). Auch nach der Wichtigkeit gefragt, gaben die Beteiligten den Verbesserungsvorschlägen aus diesen Bereichen im Durchschnitt die meisten Bewertungspunkte.

Weitere relevante Handlungsfelder für die Kinder- und Familienfreundlichkeit von Kommunen sind »Beruf und Familie«, »Kultur- und Freizeitangebote« sowie »Familienfreundliche Verwaltung«. Auch wenn die Zukunftswerkstätten in Meißenheim und Kehl zu diesen Bereichen insgesamt weniger Verbesserungsvorschläge eingebracht haben (Schaubild 1), bestimmten Vorschlägen messen die Beteiligten durchaus eine hohe Priorität zu. Die einzelnen Handlungsfelder und Vorschläge der Zukunftswerkstätten werden im Folgenden näher erläutert.

Rückhalt, Unterstützung und Wertschätzung für Jung und Alt

Das Zusammenleben der Generationen war den Beteiligten der Zukunftswerkstätten in Meißenheim und Kehl mit das wichtigste Anliegen. In Meißenheim wurden hierzu die meisten Vorschläge eingebracht, sogar noch mehr als in Kehl, obwohl in der 3 600 Einwohner zählenden, ländlich geprägten Gemeinde die nachbarschaftlichen Kontakte und das Vereinsleben noch rege sind und vergleichsweise viele Stärken in diesem Bereich gesehen werden. Die Beteiligten in Meißenheim haben vielleicht gerade deshalb ein besonderes Gespür dafür, welchem Wandel die sozialen Netze für Familien unterliegen und welchen Anforderungen sie in Zukunft ausgesetzt sein werden. Der wachsende Anteil älterer und der schrumpfende Anteil junger Menschen, die Erwerbsorientierung beider Partner und zunehmende berufsbedingte Mobilität, die stärkere Wählbarkeit von Lebensentwürfen und andere Faktoren mehr machen die Kontakt- und Hilfenetze der Generationen zu einem wichtigen Zukunftsthema. Als Handlungsansätze und Verbesserungsmöglichkeiten werden in Meißenheim und Kehl unter anderem gesehen: Orte zur Begegnung und Bildung von Jung und Alt (ein »Haus der Familie«, eine »Akademie der Generationen«), Junior-Senior-Projekte (zum Beispiel ein »kommunaler Seniorenexpertenservice«, Pensionäre helfen Jugendlichen beim Berufseinstieg, Jugendliche geben PC-Kurse für Ältere) sowie ein kinderfreundliches Klima für junge Familien (Willkommensgruß für Neugeborene, Gutscheine für Babykurs und Babysitter, Wegweiser für Familien).

Betreuung und Bildung für einen guten Start in einen gelingenden Lebensweg

Das Handlungsfeld »Kinderbetreuung, Erziehung und Bildung« hat erwartungsgemäß mit die höchste Priorität bei den Zukunftswerkstätten. In Kehl wurden hierzu sogar noch etwas mehr Verbesserungsvorschläge eingebracht als in Meißenheim, obwohl die bestehenden Betreuungs- und Bildungsangebote in der 34 300 Einwohner zählenden Großen Kreisstadt umfangreicher und ausdifferenzierter sind als in der Gemeinde Meißenheim. In Kehl sind offenbar aber auch der Bedarf und die Erwartungen an die Angebote höher. Neben Stärken und Fortschritten bei den Betreuungs- und Bildungsangeboten, die die Beteiligten in Kehl wie in Meißenheim sehen, kommen auch viele Schwächen zur Sprache. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Zukunftswerkstatt in Kehl weisen diesem Handlungsfeld mit Abstand die höchste Priorität zu. Als Verbesserungen werden unter anderem vorgeschlagen: flexible Betreuungsangebote über Mittag und am Nachmittag, ein Notfallservice zur Kurzzeitbetreuung, durchgängige Ferienbetreuung, mehr Angebote für 1- und 2-Jährige, eine breit angelegte Qualifizierung der Betreuungs- und Bildungsangebote für alle Altersgruppen sowie eine bessere Vernetzung mit Beratungs- und Hilfeangeboten für Familien.

Wohnen, Wege, Umfeld familienfreundlich gestalten

Ebenfalls einen hohen Stellenwert für die Kinder- und Familienfreundlichkeit einer Kommune hat das Handlungsfeld »Wohnen, Umfeld, Nahversorgung, Verkehr«. In diesem Bereich werden in Meißenheim und in Kehl deutliche Schwächen gesehen, insbesondere bei der Verkehrssicherheit von Schulwegen und der Verkehrsanbindung der Ortschaften. Auch lange Wege zu Einkaufsmöglichkeiten und Ärzten stellen Familien und vor allem ältere Menschen vor große Probleme, was besonders in Meißenheim ein wichtiges Thema ist. Als Empfehlungen zu diesem Handlungsfeld schlagen die Zukunftswerkstätten in Meißenheim und Kehl unter anderem vor: die Verbesserung des Wegenetzes für Kinder, eine bessere Anbindung der Ortschaften mit öffentlichem Nahverkehr, Fahrdienste für Ältere, neue Konzepte für wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten in kleinen Ortschaften, generationenübergreifendes Zusammenwohnen, Spiel- und Treffmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche im nahen Wohnumfeld.

Wichtige Vorschläge zu den Feldern Familie und Beruf, Freizeit, Verwaltung

Zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie waren den Zukunftswerkstätten vor allem mehr Betreuungsangebote für unter 3-Jährige, mehr Ferienbetreuung, eine Notfallbetreuung für Kinder und pflegebedürfige Familienangehörige, haushaltsbezogene Dienstleistungen (zum Beispiel Bügelservice, Einkaufsservice) sowie gut aufeinander abgestimmte Betreuungs-, Arbeits- und Öffnungszeiten wichtig. Ein weiterer Ansatzpunkt wird auch darin gesehen, dass Arbeitgeber die Familienarbeit von Männern und Frauen mehr wertschätzen und dies sowohl bei Arbeitszeitmodellen ( Teilzeit, Telearbeit) als auch bei Einstellungen und Beförderungen zum Ausdruck bringen.

Bei den Freizeitangeboten kam es den Beteiligten besonders an auf gemeinsame Aktivitäten von Jung und Alt etwa in einem »Haus der Familie«. Auch wurde eine bessere Zusammenarbeit von Schule, Vereinen, Kirchen und freier Jugendarbeit gewünscht, um Lücken im Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche zu schließen (so an Nachmittagen, in den Ferien, mehr offene Angebote und Treffpunkte).

Auch im Bereich der Kommunalverwaltung sehen die Zukunftswerkstätten Handlungsbedarf. Als wichtige Verbesserungsmöglichkeiten werden angesehen: familienfreundliche Öffnungszeiten (auch am Samstag, ein Abend nach 18 Uhr), eine Anlaufstelle für Jung und Alt, ein Wegweiser zu den Angeboten für Familien und Kinder, generell eine stärkere Berücksichtigung von Familienbelangen bei kommunalen Fragen, eine bessere Vernetzung der familienbezogenen Einrichtungen und Dienste (Netzwerk »Jung und Alt«) sowie mehr direkte Beteiligungsangebote für Familien und Kinder (Zukunftswerkstatt als Ideenbörse, Mit-Mach-Aktionen bei Spielplatz-Neugestaltungen).

Zukunftswerkstätten zeigen kreative und realistische Lösungen auf

Die Zukunftswerkstätten in Meißenheim und Kehl haben ein breites Spektrum an Ideen und Vorschlägen für mehr Familienfreundlichkeit entwickelt. Viele der Vorschläge sind bereits sehr konkret formuliert und oftmals auch kurzfristig mit geringen finanziellen Mitteln umsetzbar. Für alle Verbesserungsvorschläge wurden mögliche Kooperationspartner gesucht und mögliche Leistungen durch bürgerschaftliches Engagement mit berücksichtigt. Mit den Worten eines Teilnehmers: »Es wurde nicht alles auf die Gemeinde geschoben, jeder hat Beiträge zu leisten.«

Die Offenheit und Kreativität der Zukunftswerkstätten und zugleich ihr Sinn für das Machbare wurden von den Beteiligten als besonders positiv hervorgehoben. »Verschiedene Arbeitsgruppen sind auf den gleichen Nenner gekommen«, wie ein Teilnehmer bemerkt, was den Vorschlägen zusätzliches Gewicht verleiht. Die schriftliche Teilnehmerbefragung am Ende der Veranstaltung zeigt denn auch eine hohe Zufriedenheit (Schaubild 2). Verbunden damit ist die Erwartung, dass jetzt auch Maßnahmen in Angriff genommen werden. »Jetzt ist die Frage: Wie kommt es im Gemeinderat an?«, bringt es eine Teilnehmerin auf den Punkt.1

Zukunftswerkstätten sind auf andere Kommunen und Kreise übertragbar

Über die positive Resonanz in der Presse2 und die Berichterstattung im Internet-Portal www.familienfreundliche-kommune.de sind bereits andere Kommunen und Kreise in Baden-Württemberg auf die Zukunftswerkstätten aufmerksam geworden und haben ebenfalls Interesse bekundet. Die modellhafte Erprobung der Zukunftswerkstätten im Ortenaukreis hat gezeigt, dass das Veranstaltungskonzept in Großen Kreisstädten wie in kleinen Gemeinden gut funktioniert und leicht an die unterschiedlichen örtlichen Ausgangsbedingungen angepasst werden kann. Für 2006 ist geplant, weiteren interessierten Gemeinden und Städten Zukunftswerkstätten anzubieten.

Qualitätssicherung auf dem Weg zur familienfreundlichen Kommune

Im Ortenauer Modellprojekt steht im kommenden Jahr die Umsetzung der Ergebnisse an. Dabei wird besonders darauf zu achten sein, dass die Ziele und Vorschläge der Zukunftswerkstätten auch tatsächlich in familienfreundliche Handlungskonzepte Eingang finden und umgesetzt werden. Dazu wäre eine eigene Qualitätssicherung für familienfreundliche Kommunen hilfreich, die nach einem bestimmten Zeitraum die eingetretenen Resultate mit den ursprünglich gesetzten Zielen vergleicht und die erreichten Fortschritte in besonderer Weise würdigt. Bürgermeister Klaus Muttach plant für seine Gemeinde Seelbach: »Nach einem Jahr müssen wir Bilanz ziehen. Denn wir wollen den Schwung aufnehmen und dürfen ihn nicht verebben lassen.«3

1 Lahrer Zeitung vom 26.September 2005.

2 »Familienfreundlichkeit als Maßstab«, Offenburger Tageblatt vom 10. März 2005; »Ideen für bessere Zukunft gesammelt«, Offenburger Tageblatt vom 27. Juni 2005; »Nicht nur rosarot, nicht nur schlecht« und »Zukunftswerkstatt: Jetzt heißt es anpacken«, Badische Zeitung vom 28. Juni 2005; »Topthema: Sicherer Schulweg«, Badische Zeitung vom 26. September 2005; »Nach dem Essen werden die Ideen greifbar – Aus Visionen für das Jahr 2020 werden in der Zukunftswerkstatt binnen Stunden konkrete Vorschläge«, Lahrer Zeitung vom 26. September 2005; »Schwung nicht verebben lassen – Zukunftswerkstatt: Bürgermeister Muttach will nach einem Jahr Bilanz ziehen«, Lahrer Zeitung vom 27. September 2005.

3 Lahrer Zeitung vom 27. September 2005.