:: 3/2006

Zur Armutssituation von Familien in Deutschland

In Deutschland lebt etwa jeder Zehnte unter der Grenze der Einkommensarmut. Nach wie vor sind Familien überproportional von Einkommensarmut betroffen. Allerdings trifft dies auf die Familien unterschiedlich zu. Allein Erziehende und ihre Kinder haben ein besonders hohes Armutsrisiko. Einkommensarmut betrifft auch häufiger kinderreiche Familien. Armut ist zeitlich begrenzt. Allein erziehende Frauen bleiben zu etwa der Hälfte, Ehepaare mit Kindern nur zu etwa einem Drittel mindestens drei Jahre arm. Bei der Überwindung von Armut spielt die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit eine zentrale Rolle.

Einkommensarmut hat viele Gesichter

Armut ist ein vielschichtiges Problem und unterliegt keiner allgemein gültigen Definition. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich deshalb auf die Messung relativer Armut.1 Und selbst für das enge Konzept relativer Einkommensarmut existieren alternative Ansätze zur Ableitung konkreter Armutsgrenzen (i-Punkt). Einkommensarm ist ein Haushalt mit einem Einkommen, das im Vergleich zu einem im Mittel erreichten gesellschaftlichen Einkommensniveau als nur inakzeptabel niedrig angesehen werden kann. Mit Hilfe der Daten des Mikrozensus Deutschland und des Sozioökonomischen Panels können Ausmaß und Dauer der Armut gezeigt werden. In Deutschland ist etwa jeder Zehnte von Armut betroffen.2 Gruppenspezifische Armutsquoten fallen jedoch sehr unterschiedlich aus. So sind Haushalte ohne Kinder weniger oft von Armut betroffen als Familien mit Kindern und Letztere damit eine besonders betroffene Bevölkerungsgruppe. Allerdings sind Familien bezüglich der Familienkonstellation, des Erwerbsverhaltens und der Erwerbschancen eine sehr heterogene Gruppe, sodass Einkommensarmut in Familien mehr ein spezifisches Problem bestimmter Teilgruppen und weniger ein allgemeines Problem ist.

Kinder sind nicht das Armutsrisiko Nummer eins

Einkommensarmut wird von mehreren Faktoren beeinflusst, die sich unterschiedlich stark auswirken. Das Risiko, in eine Armutslage zu geraten, ist in hohem Maße von der Haushaltskonstellation und der Erwerbs- und Bildungsbiografie abhängig. So findet sich das höchste Armutsrisiko bei erwerbslosen Menschen. Arbeitslosigkeit stellt ein wesentliches Armutsrisiko dar. Zur Armutsverhinderung spielt die Erwerbstätigkeit daher eine Schlüsselrolle.3 Darüber hinaus bestimmt der Bildungsabschluss entscheidend die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Schlechte Bildungsperspektiven ziehen häufig eine leistungsbedingte Differenzierung auf dem Arbeitsmarkt und damit verbundene Einkommensnachteile nach sich. Dies ist oftmals mit einem sozialen Abstieg verbunden. Bildung ist damit ein weiterer wichtiger Armutsfaktor.

Einkommensarm sind besonders häufig allein Erziehende. Das Armutsrisiko allein erziehender Frauen ist fast ebenso hoch wie das Erwerbs-loser. Hierzu trägt das Fehlen eines Partners maßgeblich bei. Damit bestimmt der Familienstatus das Armutsrisiko entscheidend mit. Allein Erziehende stehen grundsätzlich vor einer anderen Situation als Ehepaare mit Kindern. Aufgaben, die in einer Paargemeinschaft unter zwei Partnern aufgeteilt werden können, müssen allein erziehende Mütter wie Väter zumeist alleine bewältigen. Dies betrifft vorwiegend die Betreuung und Erziehung der Kinder und die Sicherung des Lebensunterhalts. Für das Armutsrisiko ist die Zahl der Kinder von geringerer Bedeutung als die vorgenannten Faktoren. Kinder stellen nicht per se ein Armutsrisiko dar.4 Zweite und weitere Kinder würden ein höheres Einkommen erfordern, stellen Eltern aber mehr als das erste Kind vor die Wahl zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit. Nicht Kinder begründen das Armutsrisiko, sondern in erster Linie die Erwerbsbiografie.

Familien befinden sich, verglichen mit Haushalten ohne Kinder, am unteren Ende der Einkommensverteilung. Sie besitzen ein erhöhtes Risiko, in eine wirtschaftlich schwierige Lage zu geraten. Dabei ist das Armutsrisiko von Ehepaaren mit Kindern mit 6 % eher unterdurchschnittlich, während die Armutsquote allein erziehender Frauen bei 17 % liegt und damit weit überdurchschnittlich ausfällt. Das Risiko ändert sich mit Anzahl und Alter der Kinder und fällt umso höher aus, je mehr Kinder in einer Familie leben und je jünger sie sind (Schaubild 1).5

Einkommensarmut ist selten ein dauerhafter Zustand

Wie sich Einkommensarmut auf das Familienleben auswirkt, hängt auch davon ab, wie lange sie anhält. In der Regel ist Armut in Familien mit Kindern von kürzerer Dauer als die kinderloser Armer. Allerdings ist auch der Austritt aus Armut kein Zustand, der von dauerhafter Natur sein muss, da die sozialen Positionen der Individuen und Haushalte keineswegs festgelegt sind, sondern sich fortlaufend verändern. Durch individuelle Veränderungen in der Erwerbsbiografie, mit fortschreitendem Lebensalter und Änderungen in der Form des Zusammenlebens nehmen Individuen wechselnde Positionen in der Einkommenshierarchie ein.

Das Armutsrisiko von allein erziehenden Frauen und deren Kindern ist besonders hoch. Dies betrifft nicht nur das Ausmaß der Armut, sondern auch deren Dauer. Im Vergleich zu Paaren mit Kindern sind allein erziehende Frauen zwar häufiger und länger von Armut betroffen, dauerhaft arm sind jedoch nur wenige.6 Die Armutsdauer von allein erziehenden Frauen gestaltet sich anders als bei Ehepaaren mit Kindern. Allein erziehende Frauen sind häufiger und länger unter der relativen Armutsgrenze und haben nach einem Austritt aus Armut ein größeres Risiko, erneut unter die Armutsgrenze zu fallen.

Etwa ein Drittel der Ehepaare mit Kindern ist mindestens drei Jahre arm, oder anders formuliert: 70 % der Ehepaare mit Kindern leben weniger als drei Jahre in Armut. Mindestens fünf Jahre arm sind nur noch 16 %. Eine längere Verweildauer in Armut ist nur für einen geringen Teil von Bedeutung. Das Armutsbild von allein erziehenden Frauen unterscheidet sich wesentlich nur in den ersten fünf Jahren seit Armutsbeginn von dem der Ehepaare mit Kindern. Etwa die Hälfte der allein erziehenden Frauen ist mindestens drei Jahre von Armut betroffen, während fünf Jahre arm nur knapp 20 % sind. Mit zunehmender Verweildauer verschwinden die Unterschiede zu Ehepaaren mit Kindern (Schaubild 2).

Insgesamt haben Familien gute Chancen, nach einer Phase der Armut nicht wieder in Armut zu geraten. Den meisten, denen es gelingt, Armut zu überwinden, schaffen den Ausstieg dauerhaft. Wiederum haben Ehepaare mit Kindern größere Chancen als allein erziehende Frauen. 90 % der Ehepaare mit Kindern leben nach einem Armutsaustritt auch in den darauf folgenden drei Jahren über der Armutsgrenze. Bei den allein erziehenden Frauen beträgt dieser Anteil nur 84 %. Eine siebenjährige Phase über der Armutsgrenze kann für 80 % der vormals armen Ehepaare mit Kindern, aber nur für knapp 65 % der allein erziehenden Frauen beobachtet werden. Nach neun Jahren sind nur 25 % der Ehepaare mit Kindern wieder von Armut betroffen, bei den allein erziehenden Frauen sind es 40 %. Die Wahrscheinlichkeit erneut arm zu werden, ist für allein erziehende Frauen demnach höher.

Wege aus der Einkommensarmut

Die Ergebnisse zeigen, dass familienpolitische Maßnahmen nicht nur darauf zielen sollten, Menschen aus der Armut zu holen, sondern auch so wirken sollten, dass sie nicht wieder in Armut fallen. Dass gerade Familien mit minderjährigen Kindern relativ schnell wieder aus Armut herauskommen zeigt auch, dass – oft nur für kurze Zeit – eine rasche unbürokratische Unterstützung notwendig ist. Umstände, die die Dauer von Armut begrenzen, sind vor allem eine Tätigkeit mit Entgeltcharakter, eine solide Ausbildung und ein Partner im selben Haushalt. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit der Eltern trägt in besonderem Maße zur Überwindung von Armut bei; 80 % der Ehepaare mit Kindern gelten danach als nicht mehr arm. Gehen beide Elternteile einer Erwerbstätigkeit nach, wird Einkommensarmut nahezu vermieden. Die Wahrscheinlichkeit, die Armutsschwelle zu überwinden, erhöht sich ganz erheblich mit jedem zusätzlichen Bildungsjahr, in das investiert wird. Jedes weitere Bildungsjahr erhöht die Chancen um 10 %.

Verglichen mit Ehepaaren mit Kindern haben allein Erziehende deutlich geringere Chancen, die Armutsgrenze zu überwinden. Allerdings variiert auch bei allein Erziehenden das Armutsrisiko bzw. die Chance zur Überwindung der Armutsgrenze deutlich mit dem Tatbestand und der Art der Erwerbsbeteilung des allein erziehenden Elternteils. Wird eine allein erziehende Frau vollzeiterwerbstätig, kann in fast drei Viertel der Fälle Armut überwunden werden. Nun ist es jedoch gerade für allein Erziehende im besonderen Maße schwierig, einer Erwerbstätigkeit in dem Umfang nachzugehen, dass die Überwindung der Armutsschwelle möglich wird. Staatliche Arbeitsmarktprogramme und eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung stützen die Integration der Mütter ins Erwerbsleben und stellen wichtige Elemente bei der Bekämpfung von Armut dar. Dauerhaft vor Armut können Erwerbseinkommen bei allein Erziehenden jedoch nur in Kombination mit staatlichen Transfereinkommen schützen.7

1 Ein absolutes Armutskriterium bezieht sich auf die zum physischen Überleben absolut notwendigen Mittel.

2 Der genaue Wert liegt bei 12 % und erhöht sich auf 16 % unter Verwendung der 60%-Armutsschwelle.

3 Armut trotz Erwerbstätigkeit existiert auch in Deutschland.

4 Vgl. Eggen, Bernd: Die ökonomische Situation von Familien in Deutschland und in seinen Ländern, Expertise zum 7. Familienbericht der Bundesregierung, Stuttgart, 2005.

5 Die Armutsquoten beziehen sich auf die 50%-Grenze des Medianeinkommens. Sie fallen deutlich höher aus, wenn die 60%-Grenze verwendet wird; für Ehepaare mit Kindern liegt sie bei 11 %, für allein erziehende Frauen bei 31%.

6 Als dauerhaft arm werden Personen bezeichnet, die 7 Jahre und länger in Armut leben.

7 Vgl. Eggen, Bernd: Oben und Unten: Familieneinkommen aus Sicht der Kinder, in: Statistisches Monatsheft 9/2004, S. 18 - 25.