:: 4/2006

Der demografische Alterungsprozess – eine Herausforderung für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg

Deutschland ist eine der am schnellsten alternden Gesellschaften der Welt. In Baden-Württemberg lebten bereits im Jahr 2000 mehr über 60-Jährige als unter 20-Jährige. Infolge der steigenden Lebenserwartung einerseits und der sinkenden Geburtenzahl andererseits wird der Anteil der Älteren an der Bevölkerung zukünftig noch weiter ansteigen. Dieser demografische Alterungsprozess stellt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor große Herausforderungen. Die Diskussion über die steigenden Kosten der Alterssicherung, über die Erhöhung des Renteneintrittsalters, die Innovationsfähigkeit einer alternden Gesellschaft und den weiteren Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland bzw. Baden-Württemberg zeigt, dass der demografische Wandel alle Bereiche der Gesellschaft berührt. Dabei ergeben sich für die Zukunft vor allem zwei Herausforderungen, denen sich der Arbeitsmarkt und die Gesellschaft stellen müssen: Zum einen wird der Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung sinken, während sich der Anteil der Nichterwerbspersonen erhöhen wird. Zum anderen wird künftig der Anteil der Älteren unter den Erwerbstätigen bzw. Erwerbspersonen deutlich ansteigen. Vor diesem Hintergrund müssen Strategien zur Wahrung der Innovationsfähigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Baden-Württemberg weiterentwickelt werden. Eine bestmögliche Ausbildung der jungen Menschen und lebenslanges Lernen dürften hier von grundlegender Bedeutung sein.1

Um 1900 lebten in Württemberg und in Baden etwas mehr als 4 Mill. Menschen. Diese Zahl ist bis heute auf rund 10,7 Mill. angewachsen. Allein zwischen 1950 und 2000 hatte Baden-Württemberg einen Bevölkerungszuwachs von 64 %. Alle anderen Bundesländer lagen demgegenüber deutlich zurück. Den zweitstärksten Zuwachs konnte Hessen mit 40 % verzeichnen. Baden-Württemberg war in den letzten 50 Jahren das Land mit dem höchsten positiven Wanderungssaldo Deutschlands. Basierend auf einer Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg2, dürfte die Einwohnerzahl des Landes bis zum Jahr 2025 nochmals um etwa 475 000 (gegenüber dem Jahresende 2004) auf fast 11,2 Mill. zunehmen. Ab 2025 ist auch in Baden-Württemberg mit einem Rückgang zu rechnen. Bis 2050 wird sich die Einwohnerzahl auf das heutige Niveau von ca. 10,8 Mill. einpendeln.3

Entscheidend für die Zukunft Baden-Württembergs ist jedoch weniger die Zahl der Einwohner als ihre Altersstruktur, die durch einen weiteren Alterungsprozess geprägt sein wird. Im Jahr 2000 gab es eine historische Zäsur: Erstmals lebten in Baden-Württemberg mehr über 60-Jährige als unter 20-Jährige. Während 1900 noch fast jeder Zweite in der Bevölkerung unter 20 Jahre alt war, ist dies heute nur noch gut jeder Fünfte. Im Jahr 2050 wird es nur noch jeder Sechste sein. Zudem wird bis dahin mehr als jeder Dritte über 60 Jahre alt sein. Das Durchschnittsalter der baden-württembergischen Bevölkerung wird von heute knapp 41 Jahren auf fast 49 Jahre im Jahr 2050 steigen.

Herausforderungen der Zukunft: immer weniger und immer ältere Erwerbspersonen

Der demografische Alterungsprozess wirkt sich natürlich auch auf die Zahl und die Altersstruktur der Erwerbspersonen aus. Basierend auf vorgenannter Bevölkerungsvorausrechnung wurde im Rahmen einer Erwerbspersonenvorausrechnung das zukünftig mögliche Erwerbspersonenpotenzial für Baden-Württemberg berechnet.4 Das Erwerbspersonenpotenzial umfasst die Erwerbstätigen und Erwerbslosen, also alle Personen, die potenziell dem Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg zur Verfügung stehen. Basierend auf den Ergebnissen des Mikrozensus 2002 wurden hierbei Modellberechnungen für die Jahre 2020 und 2040 erstellt, denen verschiedene Annahmen zur künftigen Erwerbsbeteiligung zugrunde liegen5. Zum einen wurde eine so genannte demografische Variante entwickelt, bei der davon ausgegangen wurde, dass die Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen auf dem Status quo des Jahres 2002 bleibt. Einziger Einflussfaktor stellt bei dieser Variante die demografische Entwicklung dar. Unter dieser Annahme zeigt sich, dass das Erwerbspersonenpotenzial bis zum Jahr 2040 auf 45 % und somit deutlich unter das Ausgangsniveau von 2002 von 50 % zurückgehen wird. Das heißt, dass bis zum Jahr 2040 nur noch 45 % der Bevölkerung, gegenüber heute rund 50 %, potenziell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden und sich somit das Zahlenverhältnis von Erwerbspersonen zu Nichterwerbspersonen und folglich auch das von Einzahlern in die sozialen Sicherungssysteme gegenüber den Beziehern eklatant verschlechtern wird.

Auch unter der Annahme, dass die Erwerbsbeteiligung der jüngeren und älteren Männer aufgrund kürzerer Ausbildungszeiten und eines früheren Einstiegs ins Erwerbsleben einerseits sowie einer längeren Lebensarbeitszeit andererseits steigen wird und sich die Erwerbsbeteiligung der Frauen zukünftig ebenfalls moderat erhöhen wird, wird das Erwerbspersonenpotenzial im Jahr 2040 mit knapp 50 % leicht unter dem Ausgangsniveau von 2002 liegen (Verhaltensvariante 2).

Nur unter der Annahme, dass die Erwerbsbeteiligung jüngerer und älterer Männer steigen wird und sich zudem die Erwerbsbeteiligung der Frauen vollständig an die der Männer angleichen wird, steigt das Erwerbspersonenpotenzial bis 2020 auf 58 % und liegt im Jahr 2040 mit 53 % knapp über dem heutigen Ausgangsniveau (Verhaltensvariante 1).

Die vorliegende Erwerbspersonenvorausrechnung zeigt ferner, dass der Anteil der älteren Erwerbspersonen, hier definiert als 50-Jährige und Ältere, am gesamten Erwerbspersonenpotenzial bei allen Berechnungsvarianten deutlich ansteigen wird, und sich somit der Alterungsprozess der Bevölkerung auch bei den Erwerbspersonen widerspiegelt. Während heute ein Viertel der Erwerbspersonen 50 Jahre oder älter sind, wird ihr Anteil bis 2020 je nach Rechenvariante auf 32 bis 36 % anwachsen um dann bis 2040 auf 31 bis 35 % zurückzugehen.

Langfristig ist mit folgenden Herausforderungen bzw. Problemstellungen zu rechnen:

  • Bei konstanter Erwerbsbeteiligung wird sich zukünftig das Zahlenverhältnis von Erwerbspersonen zu Nichterwerbspersonen und folglich auch das von Einzahlern in die sozialen Sicherungssysteme gegenüber den Empfängern von Leistungen aus den sozialen Sicherungssystemen eklatant verschieben bzw. in eine Schieflage geraten, die große Probleme für die öffentlichen Haushalte und die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland nach sich ziehen dürfte.
  • Darüber hinaus wird ein sinkendes Erwerbspersonenpotenzial den drohenden und in Teilen bereits bestehenden Fachkräftemangel weiter verschärfen.
  • Beim Entwickeln neuer Technologien oder gar neuer Branchen wird dem aktuellen Fachwissen und dem Innovations- und Pioniergeist von jüngeren Erwerbspersonen eine wesentliche Bedeutung beigemessen. Die vorgenannte Erwerbspersonenvorausrechnung zeigt jedoch, dass das Erwerbspersonenpotenzial der Zukunft von einem höheren Anteil der Älteren geprägt sein wird. Die Älteren werden damit künftig das größte Reservoir bilden, aus dem qualifiziertes Personal zu gewinnen ist.

Was kann also getan werden, um die Innovationsfähigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Baden-Württemberg bzw. Deutschland zu sichern?

Strategien: Potenziale der Älteren nutzen ...

Der EU-Vergleich zeigt, dass die Erwerbsbeteiligung der 55- bis unter 65-jährigen Bevölkerung in Baden-Württemberg mit knapp 49 % überdurchschnittlich hoch ausfällt. Sie liegt rund 8 Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt von annähernd 41 % und dem Durchschnitt für Deutschland von gut 41 %. In den nördlichen Ländern der EU scheinen allerdings die Menschen länger zu arbeiten bzw. arbeiten zu können als in den meisten west- und süd-osteuropäischen Ländern. Spitzenreiter sind Schweden (69 %) und Dänemark (62 %). Die geringste Erwerbstätigenquote der 55- bis unter 65-Jährigen weisen dagegen die Slowakei (26 %) und Polen (26 %) auf.

Ungeachtet der im EU-Vergleich hohen Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer präsentiert sich Baden-Württemberg dennoch als Hochtechnologiestandort. Dieser, angesichts des »Jugendwahns« unserer Gesellschaft scheinbare Widerspruch, verweist darauf, dass eine Alterung des Erwerbspersonenpotenzials nicht zwingend Nachteile mit sich bringen muss: Ältere Erwerbspersonen verfügen über lang-jährige Berufserfahrung sowie fachliche und soziale Kompetenz, die sich junge Berufseinsteiger erst über einen längeren Zeitraum hinweg aneignen müssen. Im Hinblick auf die Sicherung des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg wird es deshalb unter anderem entscheidend darauf ankommen, das Potenzial der älteren Arbeitnehmer richtig zu nutzen.

… lebenslanges Lernen …

So wird es künftig von zentraler Bedeutung sein, das Qualifikationsniveau der mittleren und älteren Jahrgänge durch geeignete Maßnahmen zu erhalten und zu steigern. »Lebenslanges Lernen« wird für die Zukunft eine der entscheidenden Strategien sein. Da die Älteren von morgen bereits über ein höheres berufliches Qualifikationsniveau verfügen als die älteren Arbeitnehmer heute, sind positive Voraussetzungen für die Zukunft durchaus gegeben:

Gemessen an den formalen Abschlüssen verfügt die jüngere Generation der 30- bis unter 35-Jährigen6 über eine bessere berufliche Qualifikation als die älteren Arbeitnehmer im Alter von 55 bis unter 65 Jahren. So fällt der Anteil der Personen ohne berufliche Ausbildung bei den Jüngeren mit knapp 12 % bereits geringer aus als bei den Älteren, von denen 17 % keinen Berufsabschluss haben.

... und bestmögliche schulische und berufliche Ausbildung für alle jungen Menschen

Eine »Entwarnung« hinsichtlich der anstehenden Probleme wie zum Beispiel dem von verschiedenen Stellen prognostizierten drohenden Fachkräftemangel kann dennoch nicht gegeben werden, denn obwohl das Qualifikationsniveau der jüngeren Bevölkerung deutlich höher ist als das ihrer Eltern- und Großeltern, sind auch heute noch viele junge Menschen ohne Berufsausbildung. So fällt mit annähernd 12 % auch bei den jüngeren Erwerbstätigen der Anteil der Personen ohne berufliche Ausbildung überraschend hoch aus, wobei vor allem unter den Ausländern viele nach wie vor ohne Berufsausbildung bleiben. Betrachtet man die Altersgruppe der 30- bis unter 35-Jährigen unterteilt nach Staatsangehörigkeit wird deutlich, dass ein sehr hoher Anteil, nämlich 36 % der 30- bis unter 35-jährigen erwerbstätigen Ausländer über keinen beruflichen Ausbildungsabschluss verfügen, während der Anteil der Ungelernten unter den gleichaltrigen erwerbstätigen Deutschen bei lediglich rund 7 % liegt.

Auch bei den Ausbildungsabschlüssen sind die jüngeren ausländischen Erwerbstätigen gegenüber den Deutschen unterrepräsentiert. Ursachen für die schlechtere berufliche Qualifikation dürften unter anderem die häufig bestehenden Sprachprobleme der ausländischen Bevölkerung sein und auch die Tatsache, dass der Zugang junger Menschen in Deutschland zu Bildung in hohem Maße vom Bildungsniveau der Eltern abhängt. Diese beiden Probleme führen dazu, dass junge Ausländer bereits ein geringeres schulisches Bildungsniveau aufweisen – gut 6 % der jungen Ausländer im Alter von 20 bis unter 30 Jahren verfügen über keinen Schulabschluss, gegenüber 2 % der gleichaltrigen Deutschen – sodass zwangsläufig auch das Niveau der beruflichen Bildungsabschlüsse hinter dem ihrer deutschen Altersgenossen zurückbleibt.7

Neben der besseren Nutzung der Potenziale der älteren Erwerbspersonen durch »Lebenslanges Lernen« wird deshalb im Hinblick auf die Herausforderungen der Zukunft von großer Bedeutung sein, dass die nachwachsenden Jahrgänge mit der bestmöglichen Ausbildung ins Erwerbsleben eintreten. Die Pisa-Studien der letzten Jahre haben gezeigt, dass in Deutschland ein Nachholbedarf hinsichtlich der Qualität der Bildung besteht. Die Daten der amtlichen Statistik über die berufliche Qualifikation der jungen Bevölkerung zeigen außerdem, dass vor allem auch das Potenzial der hier lebenden ausländischen Bevölkerung nicht ausreichend genutzt wird. Bestmögliche schulische und berufliche Ausbildung der jungen Menschen ist deshalb im Hinblick auf den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg eine wesentliche Strategie.

Die berufliche Qualifikation schlägt sich dabei im Übrigen unmittelbar im Risiko erwerbslos zu werden nieder. Betrachtet man die Erwerbslosenquote8 differenziert nach Ausbildungsabschlüssen dann zeigt sich, dass Personen mit geringerer beruflicher Qualifikation tendenziell schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben als höher qualifizierte Arbeitnehmer. Wie aus Umfragen bei Unternehmern hervorgeht, besteht bereits heute bei hoher Arbeitslosigkeit gleichzeitig ein Mangel an qualifizierten Fachkräften. Um für die Zukunft einen noch weiter ansteigenden Fachkräftemangel zu vermeiden, müssen die vorhandenen Potenziale voll ausgeschöpft werden.

Fazit

Vor dem Hintergrund des demografischen Alterungsprozesses werden Gesellschaft und Arbeitsmarkt zukünftig durch ein sinkendes Erwerbspersonenpotenzial und dem sich hieraus ergebenden quantitativen Ungleichgewicht von Erwerbspersonen zu Nichterwerbspersonen vor große Herausforderungen gestellt. Sollte die Erwerbsbeteiligung auf dem gegenwärtigen Niveau verharren und nicht ansteigen, so wird sich folglich auch das Verhältnis von Einzahlern in die sozialen Sicherungssysteme gegenüber den Empfängern von Leistungen aus den sozialen Sicherungssystemen eklatant verschlechtern. Gleichzeitig wird ein sinkendes Erwerbspersonenpotenzial den drohenden und in Teilen bereits bestehenden Fachkräftemangel weiter verschärfen, sodass unter diesen Voraussetzungen Probleme für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Baden-Württemberg zu erwarten sind.

Gleichzeitig wird sich die Altersstruktur der Erwerbspersonen hin auf einen höheren Anteil der Älteren unter den Erwerbspersonen entwickeln. Die Älteren werden damit künftig ein bedeutendes Reservoir bilden, aus dem qualifiziertes Personal zu gewinnen wäre. Entscheidend wird hierbei sein, das Qualifikationsniveau der Älteren zu erhalten und weiter zu steigern. »Lebenslanges Lernen« und Nutzung der spezifischen Potenziale der älteren Arbeitnehmer dürfte hier die entscheidende Strategie sein. Daneben ist die Realisierung einer bestmöglichen schulischen und beruflichen Ausbildung aller jungen Menschen im Hinblick auf die Wahrung des Wirtschaftsstandortes Baden-Württemberg von herausragender Bedeutung.

1 Der folgende Beitrag basiert auf einem Kurzvortrag, der im Rahmen einer Veranstaltung des Verbandes Südwestmetall, Bezirksgruppe Ostwürttemberg am 15. Dezember 2005 in Aalen von Frau Sabine Schmidt gehalten wurde.

2 Siehe hierzu auch »Die Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg – Eine Herausforderung für unsere Gesellschaft«, in: Statistische Analysen, Heft 3/2005.

3 Dieser Bevölkerungs-vorausrechnung unterliegen die Annahmen, dass die Geburtenrate bei den heutigen Werten bleibt, die Lebenserwartung ähnlich der letzten Jahrzehnte steigt und Baden-Württemberg auch in den nächsten 50 Jahren einen nennenswerten Zuwanderungsgewinn erfährt.

4 Siehe Schmidt, Sabine: Erwerbspersonenvorausrechnung für Baden-Württemberg für die Jahre 2020 bis 2040, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2003, S. 3 ff.

5 Die folgenden Ausführungen basieren auf den Ergebnissen des Mikrozensus und auf eigenen Berechnungen. Für die Erwerbspersonenvorausrechnung wurde eine auf dem Niveau von 2002 konstante Erwerbslosenquote unterstellt.

6 Die Vergleichsgruppe der 30- bis unter 35-Jährigen wurde gewählt, da in diesem Alter in der Regel die berufliche Ausbildung abgeschlossen ist.

7 Leben und Arbeiten in Baden-Württemberg, in: Statistische Analysen, Heft 1/2005, S. 30 ff.

8 Anteil der Erwerbslosen an den Erwerbspersonen.