:: 4/2006

Aktivierung von Wachstumspotenzialen durch Netzwerke – Clusterbildung in Baden-Württemberg1

Cluster sind Netzwerke von Akteuren, die thematisch orientiert sind und gemeinsam das Wirtschaftswachstum vorantreiben. Im Mittelpunkt steht der konsequente Ausbau der vorhandenen und sich entwickelnden wirtschaftlichen und technologischen Stärkefelder mit dem Ziel, die Innovationsfähigkeit der Unternehmen durch kooperative Zusammenarbeit und Vernetzung auszubauen, um so die heimische Wirtschaft und Standortattraktivität im nationalen und globalen Wettbewerb zu stärken. Im vorliegenden Beitrag sollen die Entwicklungstendenzen wichtiger Cluster aufgezeigt werden (i-Punkt). Aufgrund der methodischen Unschärfen können die Entwicklungsverläufe der einzelnen Cluster nur als Orientierungshilfe gelten.

Die Wirtschaftsleistung der Cluster Automobil, Unternehmenssoftware und -dienste, Photonik, Telemedia und Gesundheit entwickelten sich dynamischer als die Gesamtwirtschaft Baden-Württembergs. Lediglich der Cluster Produktionstechnik blieb hinter dem gesamtwirtschaftlichen Trend zurück. Wegen der zu erwartenden Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien wird bei den Clustern Unternehmenssoftware und -dienste sowie Telemedia ein hohes Wachstumspotenzial vermutet. Auch der Cluster Gesundheit könnte von starken Zuwächsen profitieren, da von der demografischen Entwicklung kräftige Impulse ausgehen und erwartet werden. Weiterhin kommt dem Ausbau des Clusters Photonik eine besondere Bedeutung zu, da dieses Technikfeld hinsichtlich der Entwicklungs- und Anwendungsmöglichkeiten noch großes Potenzial besitzt.

Wertschöpfung – von wo und von wem?

In einer zunehmend arbeitsteiligeren und globaleren Wirtschaft werden die zusätzlichen Werte immer weniger dort geschaffen, wo die Endprodukte erzeugt werden. Das gilt vor allem für das Verarbeitende Gewerbe und bei oben genannten Clustern (i-Punkt) für das »Automobil«. Der größte Teil der Werte eines Fahrzeuges werden heute nicht mehr in Baden-Württemberg geschaffen, sondern bei Zulieferern und Dienstleistern außerhalb des Landes oder außerhalb des Industriezweiges »Fahrzeugbau«. Ganz anders in den Forschungs-, Entwicklungs- und Dienstleistungsbranchen, denn diese benötigen vergleichsweise wenige Vorleistungen, um ihre Produkte erzeugen oder ihre Dienste leisten zu können.

Automobil: Wertschöpfungsanteil doppelt so hoch wie bundesweit

Der Cluster Automobil, der durch den Wirtschaftsbereich Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen definiert wurde, wies in Baden-Württemberg von 1995 bis 2002 einen realen Wertschöpfungszuwachs von fast einem Viertel auf. Damit ist dieser Cluster erheblich dynamischer als der Durchschnitt aller Wirtschaftszweige gewachsen. Trotz der Wachstumsschwäche in den Jahren 1999 und 2000 wurde der Beschäftigtenbestand noch deutlich ausgebaut. In der Gesamtwirtschaft des Landes fiel der Zuwachs der Erwerbstätigkeit dagegen erheblich schwächer aus.

Der baden-württembergische Cluster Automobil schnitt im Vergleich mit Deutschland positiv ab. In der Südwestwirtschaft lag der reale Zuwachs der Bruttowertschöpfung um fast 10, und der der Erwerbstätigenzahl um knapp 9 Prozentpunkte über dem Bundesvergleichswert. Die Anteilswerte der Bruttowertschöpfung und der Erwerbstätigkeit des Clusters Automobil an der gesamten Wirtschaftsleistung nahmen sowohl in Land und Bund geringfügig zu.

Produktionstechnik: Schwach, aber bessere Entwicklung als im Bund

Die Wertschöpfung des Clusters Produktionstechnik, zu dem unter anderem der Maschinenbau und die Herstellung von Metallerzeugnissen, Büromaschinen, Datenverarbeitungsgeräten und -einrichtungen gehören, stieg in Baden-Württemberg von 1995 bis 2002 real um 11 % und entwickelte sich damit um gut 5 Prozentpunkte schwächer als die gesamte Wirtschaft Baden-Württembergs. Auch bei der Erwerbstätigkeit blieb dieser Cluster hinter dem Landesdurchschnitt zurück. Dies war vor allem auf die Beschäftigungsentwicklung im Bereich Herstellung von Büromaschinen, Datenverarbeitungsgeräten und -einrichtungen zurückzuführen, wo die Beschäftigung um knapp 40 % sank. Im Bereich Herstellung von Geräten der Elektrizitätserzeugung und -verteilung nahm die Erwerbstätigkeit nur moderat ab. In den anderen Bereichen dieses Clusters, insbesondere in der Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik sowie dem Maschinenbau, nahm die Beschäftigung zu. Die Anteile der Wirtschaftsleistung und der Erwerbstätigen des Clusters Produktionstechnik waren im Vergleich mit der Gesamtwirtschaft leicht rückläufig.

In Deutschland war sowohl der Anteil der Wertschöpfung als auch der der Erwerbstätigen im Cluster Produktionstechnik an der Gesamtwirtschaft deutlich geringer als in Baden-Württemberg. Die reale Wertschöpfung fiel in Baden-Württemberg von 1995 bis 2002 im Vergleich zu Deutschland um 7 Prozentpunkte stärker aus. Die Zahl der Erwerbstätigen dieses Bereichs nahm in Baden-Württemberg um 3 % zu und in Deutschland um 5 % ab.

Unternehmenssoftware und -dienste: überdurchschnittliche Entwicklungstendenzen

Die kräftigste Entwicklung sowohl bei der Wirtschaftsleistung als auch bei der Erwerbstätigkeit war beim baden-württembergischen Cluster Unternehmenssoftware und -dienste zu beobachten. Von 1995 bis 2002 nahm hier die Wertschöpfung real um gut 43 % und die Anzahl der Erwerbstätigen um gut 36 % zu. Somit verlief die Entwicklung in diesem Cluster deutlich dynamischer als im Durchschnitt aller Wirtschaftszweige. Im Cluster Unternehmenssoftware und -dienste wurde im Südwesten im Jahr 2002 fast jeder fünfte Euro erwirtschaftet, im Jahr 1995 war es noch knapp jeder siebte. Dies spiegelt sich auch bei den Erwerbstätigen wider: 1995 war jeder elfte, 2002 fast jeder siebte in diesem Cluster beschäftigt. Allerdings lagen die Clusteranteile bei der Wirtschaftsleistung als auch bei der Erwerbstätigkeit im Bund etwas höher. Ursächlich hierfür ist, dass der Dienstleistungsbereich im übrigen Bundesgebiet, insbesondere in den Stadtstaaten und in Hessen, stärker ausgeprägt ist und ein stärkeres Gewicht besitzt. Daher nahm die Wertschöpfung dieses Clusters in der Südwestwirtschaft aufgrund des Aufholpotenzials dynamischer als im Bund zu. Dazu trug vor allem der Bereich Datenverarbeitung und Datenbanken bei.

Photonik: neue Technologie mit Potenzial

Die Photonik befasst sich mit optischen Technologien und dabei am häufigsten mit der Lasertechnik. Aufgrund der Zukunftsträchtigkeit dieser Technologien und der Präsenz einiger Unternehmen in Baden-Württemberg wurde im Jahr 2000 das gemeinnützige und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Kompetenznetzwerk für Optische Technologien »Photonics BW e.V.«2 gegründet. Damit sollen Forschung und Entwicklung gefördert und die Erkenntnisse schnell in der Produktion angewandt werden. Dazu wurden Kooperationsstrukturen zu den Fachgebieten Optische Kommunikation, Optische Messtechnik, Lasermaterialbearbeitung, Optik-Design und zur Medizin- und Biotechnologie aufgebaut. Der Wirtschaftsbereich Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, Optik, Herstellung von Uhren deckt somit den Wirkungsbereich dieses Netzwerkes weitgehend ab. Er umfasst darüber hinaus noch die Herstellung von mechanischen, medizintechnischen Geräten, orthopädischen und augenoptischen Erzeugnissen und die Herstellung von Uhren. Da die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nur in einer Gliederungstiefe von 60 Abteilungen vorliegen, kann der genannte Wirtschaftsbereich nicht ganz trennscharf dargestellt werden.

Von 1995 bis 2002 nahm die Wertschöpfung dieses Clusters in Baden-Württemberg real um gut ein Fünftel zu, was insbesondere auf einen Wachstumsschub im Jahr 2000 zurückzuführen war. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg dagegen nur geringfügig an. Die Bruttowertschöpfung stieg um 6 Prozentpunkte stärker als die gesamtwirtschaftliche Leistung Baden-Württembergs, und die Zahl der Erwerbs-tätigen entwickelte sich um 5 Prozentpunkte schwächer als allgemein im Land. Die Wertschöpfungs- und Erwerbstätigenanteile lagen im Jahr 2002 bei jeweils 2 %. Auch auf Bundesebene waren keine Niveauverschiebungen zu beobachten. Der Anteil dieses Wirtschaftsbereichs betrug bundesweit nur etwa die Hälfte des baden-württembergischen Anteilswertes.

Telemedia: kräftiger Wertschöpfungszuwachs, aber Stagnation der Erwerbstätigen

Zum Cluster Telemedia zählen die Nachrichtenübermittlung sowie Rundfunk- und Nachrichtentechnik. Deren Wertschöpfungszuwachs fiel mit 46 % sogar stärker aus als beim Cluster Unternehmenssoftware und -dienste (43 %). Allerdings blieben die Erwerbstätigenzahlen deutlich hinter der Entwicklung der Bruttowertschöpfung zurück. Nach zwischenzeitlichen Rückgängen wurde im Jahr 2002 das 1995er-Niveau leicht übertroffen. Insgesamt schnitt Deutschland im Bereich Telemedia besser als in Baden-Württemberg ab. Der Wertschöpfungszuwachs von 1995 bis 2002 fiel bundesweit um gut 9 Prozentpunkte stärker aus als im Südwesten.

Gesundheit: Zunehmende Bedeutung zu erwarten

Der Cluster Gesundheit ist ähnlich schwer abzugrenzen wie der Cluster Photonik. Neben der Medizintechnik enthält dieser Wirtschaftsbereich auch nichtmedizinische Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, Optik, Herstellung von Uhren und weitere Teile, die nicht dem Cluster Gesundheit zuzurechnen sind. Dies trifft ebenso auf den Bereich Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen zu. Neben der Humanmedizin und Alten- bzw. Pflegeheimen sind hier die Veterinärmedizin aber auch Jugend- und Erziehungsheime sowie Beratungsstellen für soziale Belange enthalten. Bei dieser wirtschaftsstatistischen Abgrenzung ist – noch viel mehr als beim Cluster Photonik – zu betonen, dass die im Folgenden skizzierten Verläufe nur als grobe Entwicklungsrichtungen verstanden werden können.

Die Wertschöpfung dieses Clusters wuchs von 1995 bis 2002 um ein Viertel, und die Erwerbstätigenzahl um knapp ein Fünftel. Somit hat sich dieser Cluster deutlich besser als die Gesamtwirtschaft Baden-Württembergs entwickelt. Der Bedeutungszuwachs der Gesundheitsgüter und -dienstleistungen spiegelt sich bislang jedoch nur verhalten in den Clusteranteilen wider. Der Anteil des Bereichs Gesundheit in Deutschland lag bei der Bruttowertschöpfung leicht unter dem Anteil Baden-Württembergs. Allerdings nahm die Erwerbstätigkeit auf Bundesebene etwas stärker als im Südwesten zu, was sich auch in einer etwas kräftigeren Anteilsausweitung widerspiegelt.

Erfolge durch Clusterbildung – Nutzung der künftigen Chancen durch verstärkte FuE-Aufwendungen

Besonders in den Clustern Automobil, Unternehmenssoftware und -dienste, Telemedia, Photonik und Gesundheit scheint sich die Netzwerkbildung positiv auszuwirken, da diese Cluster sich dynamischer als die gesamte Wirtschaftsleistung Baden-Württembergs entwickelten. Lediglich der Cluster Produktionstechnik blieb hinter dem gesamtwirtschaftlichen Trend zurück. Bei der Beschäftigungsentwicklung ergibt sich ein geteiltes Bild: Während in den Clustern Automobil, Unternehmenssoftware und -dienste sowie Gesundheit die Beschäftigungsentwicklung dynamischer als im Landesdurchschnitt verlief, blieb sie in den Clustern Produktionstechnik, Photonik und Telemedia dahinter zurück.

Die Cluster Automobil und Produktionstechnik sind vor allem einem weltweiten Wettbewerbsdruck, insbesondere einem Kostenwettbewerb, ausgesetzt. Die Kostenvorteile anderer Länder können in Baden-Württemberg, wegen der vergleichsweise hohen Löhne hier zu Lande, nicht realisiert werden. Daher kann dem Kostendruck nur eine hohe Qualität der Waren entgegengesetzt werden. Um aber den hohen Qualitätsstandard zu sichern, werden Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen künftig noch mehr als heute notwendig sein.

Durch die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien haben die Cluster Unternehmenssoftware und -dienste und Telemedia profitiert. Da hier auch zukünftig mit einer hohen Innovationsdynamik zu rechnen ist, liegt es an den Akteuren, diese verstärkt zu nutzen, um die Wachstumsvorsprünge zu sichern und weiteres Entwicklungspotenzial zu erschließen.

Der Cluster Photonik wies in der Vergangenheit eine steile Entwicklungstendenz auf, die es gilt, durch weitere FuE-Aufwendungen fortzusetzen. Gerade in einem Technikfeld, das derzeit noch eine Nischenposition besetzt, und das sowohl in der technischen Entwicklung als auch in den Anwendungsmöglichkeiten noch nicht ausgereizt ist, bieten sich Chancen. Daher kommt dem Ausbau und der Weiterentwicklung des Netzwerks für Optische Technologien in Baden-Württemberg eine besondere Bedeutung zu.

Vor allem der Cluster Gesundheit dürfte künftig von der Bevölkerungsentwicklung profitieren. Durch die Altersstrukturverschiebung, das heißt durch die stetige Zunahme älterer Menschen, könnte der Gesundheitssektor einen kräftigen Impuls erhalten. Allerdings werden die konsumnahen Branchen von der alternden Bevölkerung am stärksten betroffen sein. Daher werden weiterhin Aufwendungen in Forschung und Entwicklung eine bedeutende Rolle spielen, um die Wettbewerbsvorteile in den exportstarken Bereichen, wie beispielsweise dem Fahrzeug- und Maschinenbau, zu sichern und auszubauen.

1 Die Langfassung dieses Beitrags ist erschienen in: Staatsministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), 2006: Perspektiven der Globalisierung – Chancen einer Wissenswirtschaft, Trends und Fakten 2005.

2 www.photonicsbw.de (Stand: April 2006).