:: 6/2006

Revision 2005 der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder

Neue Ergebnisse für das Bruttoinlandsprodukt – Baden-Württembergs Wirtschaftsleistung 1991 bis 2003 um 5 Mrd. Euro höher als bisher

Die Methoden und Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) werden in etwa fünf- bis zehnjährigen Abständen grundlegend überarbeitet. Solche umfassenden Revisionen – zuletzt im Jahr 2000 bei der Einführung des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 1995 (ESVG) – sind erforderlich, um das Rechenwerk neuen internationalen Konzepten und europäischen Rechtsvorschriften anzugleichen, aber auch um Qualitätsverbesserungen umzusetzen. Abgeschlossen ist auf Länderebene die Revision 2005 des Bruttoinlandsprodukts (BIP), dem maßgeblichen Indikator für die Wirtschaftsleistung. Tendenziell fällt das Wirtschaftwachstum der zurückliegenden Jahre jetzt höher aus, während der Südwesten im Länderranking der Wirtschaftskraft nach wie vor an 5. Stelle liegt.

Mit der BIP-Schnellrechnung im Februar 2006 hat der für die Berechnungen auf regionaler Ebene zuständige Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« erstmals Ergebnisse der Entstehungsrechnung für die Bundesländer nach den neuen Konzepten zurück bis zum Jahr 1991 vorgelegt. Sie schließen an die von der nationalen VGR bereits im April 2005 veröffentlichten Revisionsergebnisse für Deutschland an1. Insgesamt hat die Revision dazu geführt, dass das baden-württembergische BIP in jeweiligen Preisen im Jahresdurchschnitt 1991 bis 2003 um rund 5 Mrd. Euro bzw. um 1,9 % über dem Niveau der bisherigen Ergebnisse liegt. Unter dem Begriff Revision 2005 verbirgt sich ein ganzes Bündel teilweise durchaus gewöhnungsbedürftiger Neuerungen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.

Vorjahrespreisbasis anstelle Festpreisbasis

Revisionen der VGR haben üblicherweise zur Folge, dass sich ihre Architektur wesentlich ändert. Hauptbetroffen sind diesmal die realen Darstellungen der Gesamtrechnungsgrößen infolge eines neuen Deflationierungskonzepts. So wurde im Rahmen der Revision 2005 auf der Grundlage der Entscheidung 98/715/EG der Europäischen Kommission vom 30. November 1998 eine jährlich wechselnde Preisbasis anstelle der bisherigen Festpreisbasis eingeführt. Das heißt, dass die bisher als »real«, jetzt als »preisbereinigt« bezeichneten Ergebnisse der VGR nicht mehr in Preisen eines konstanten Jahres (zuletzt in Preisen von 1995), sondern in Preisen des jeweiligen Vorjahres ausgedrückt werden. Zum Beispiel: Das preisbereinigte BIP 2005 wird in Preisen des Jahres 2004 und das preisbereinigte BIP 2004 in Preisen des Jahres 2003 abgebildet. Dies hat den Vorteil, dass in den jährlichen (preisbereinigten) Wachstumsraten immer die aktuellen Preis- und Güterrelationen berücksichtigt werden. Durch Verkettung (chain-linking) der jährlichen Ergebnisse zum Kettenindex werden langfristige Vergleiche möglich (siehe i-Punkt).

Die Veränderung des »preisbereinigten« Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr bezeichnet die Höhe des Wirtschaftswachstums. Nach der Revision liegen die jährlichen Veränderungsraten des BIP in Baden-Württemberg für die meisten Jahre zum Teil deutlich über den bisherigen Angaben (bis zu 0,9 Prozentpunkte). Im Jahresdurchschnitt des Revisionszeitraums 1996 bis 2003 ergibt sich ein leicht stärkerer Anstieg des preisbereinigten BIP um + 1,9 % gegenüber + 1,6 % bisher – es wird also ein etwas höheres Wirtschaftswachstum ausgewiesen.

Mit dem Übergang auf die Vorjahrespreisbasis wurden die »realen«, das heißt preisbereinigten Absolutwerte in den Hintergrund gedrängt und dienen praktisch nur noch rechentechnischen Aufgaben. Allein die Kettenindizes und Veränderungsraten stehen jetzt beim Ergebnisnachweis im Vordergrund. Auf Anfrage stellt der Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« jedoch auch verkettete Absolutwerte zur Verfügung. Diese Werte sind in der Zeitreihe zwar miteinander vergleichbar, sie haben aber die unangenehme Eigenschaft, dass sie wegen der Deflationierung mit jährlich wechselnder Preisbasis nicht mehr additiv sind. Das heißt, die Summe der verketteten Teilaggregate (zum Beispiel die Bruttowertschöpfung einzelner Wirtschaftsbereiche) ergibt nicht das verkettete Gesamtaggregat (zum Beispiel die Bruttowertschöpfung insgesamt). Diese Nichtadditivität tritt auch in regionaler Gliederung auf, beispielsweise zwischen dem verketteten BIP auf Bundesebene und der Summe der verketteten Werte des BIP der einzelnen Bundesländer. Deshalb können Bereichs- oder Regionalanteile nur noch auf der Grundlage der Angaben in jeweiligen Preisen berechnet und dargestellt werden.

Realitätsnähere Aufteilung der FISIM

Eine weitere konzeptionelle Neuheit – ebenfalls als Folge einer rechtsverbindlichen Neuregelung2 der EU-Kommission – betrifft die Berechnung der »unterstellten Bankgebühr«, die neuerdings »Finanzserviceleistung, indirekte Messung« (kurz: FISIM) heißt. Mit dem Ziel einer realitätsnäheren Zurechnung sind diese »Gebühren« jetzt nach Sektoren und Wirtschaftsbereichen aufzuteilen.

Die FISIM umfasst die indirekten Entgelte der Banken, die sie neben den direkt erzielten Umsätzen (zum Beispiel Kontoführungsgebühren) als Differenz zwischen Zinsertrag durch Kredite und Zinsaufwand durch Einlagen erwirtschaften. Bisher wurde die FISIM global als gesamtwirtschaftliche Vorleistung gebucht. Im Rechengang gehörte sie neben dem Saldo aus den Gütersteuern und Gütersubventionen zu den so genannten Zwischenposten des Bruttoinlandsprodukts und wurde wie dieser Saldo proportional zur unbereinigten Bruttowertschöpfung pauschal auf die Bundesländer verteilt.

Bisher galt:

unbereinigte Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen aller Wirtschaftsbereiche
unterstellte Bankgebühr
=bereinigte Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen aller Wirtschaftsbereiche
+(Gütersteuern − Gütersubventionen)
=Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen

Mit dem neuen Aufteilungsmodell für die FISIM, das sich an den Verwendern der Bankdienstleistungen orientiert, wird nicht mehr ihr Gesamtbetrag als Vorleistung verbucht, sondern nur noch der Teil, der nicht in den privaten oder staatlichen Konsum fließt. Hinzu kommt, dass der vorleistungswirksame Teil der FISIM schon im Rahmen der Wertschöpfungsberechnung (Bruttowertschöpfung = Produktionswert – Vorleistungen) auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche zu verbuchen ist. Damit entfällt die frühere Unterscheidung zwischen der unbereinigten und bereinigten Bruttowertschöpfung.

Es gibt jetzt nur noch eine Größe für die Bruttowertschöpfung und die Ableitung des Bruttoinlandsprodukts vereinfacht sich zu der Formel:

Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen aller Wirtschaftsbereiche
+(Gütersteuern − Gütersubventionen)
=Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen

Allerdings liegen in der Länderrechnung regionalspezifische Informationen über die FISIM-Beträge nach Wirtschaftsbereichen nicht vor. Deshalb kommen hier implizite Berechnungsverfahren wie die Koordinierung oder Schlüsselung der jeweiligen Bundeswerte zur Anwendung.

Nachdem nun nicht mehr die gesamte FISIM als Vorleistung verbucht wird, sondern unter anderem auch dem Konsum der privaten Haushalte zuzurechnen ist, wird das Niveau des Bruttoinlandsprodukts tendenziell angehoben. Auf Bundesebene war dies im Revisionszeitraum ein Plus von 1,2 bis 2,2 %. Per saldo dürfte die FISIM-Regelung auch bei den regionalen VGRs die größten Auswirkungen auf den revisionsbedingten Anstieg des BIP haben. Da die von produzierenden Wirtschaftseinheiten in Anspruch genommenen Bankdienstleistungen nach der Revision als deren Vorleistung wirtschaftsbereichsspezifisch zugeordnet wird, kommt es zu geringfügigen Änderungen der anhand der BWS gemessenen Wirtschaftsstruktur. Nach wie vor trägt aber hier zu Lande die Industrie allein mit gut 90 Mrd. Euro im Jahr 2003 fast ein Drittel zur gesamten Wertschöpfung bei. Die Dienstleistungsbereiche insgesamt, wie zum Beispiel Handel, Verkehr und Unternehmensdienstleister, stellen einen Anteil von gut 60 % an der Entstehung des Inlandsprodukts.

Neue Dienstleistungsstatistik verbessert Datenbasis des BIP

Mit der seit dem Berichtsjahr 2000 jährlich durchgeführten Dienstleistungsstatistik konnte die seit langem vor allem bei den modernen, unternehmensnahen Dienstleistungen beklagte Datenlücke weitgehend geschlossen werden. Neue Statistiken werden im Allgemeinen im Rahmen der großen Revisionen in das VGR-Rechenwerk implementiert. So sind bei der Revision 2005 erstmals Strukturinformationen der neuen Dienstleistungsstatistik in die Berechnungen eingeflossen. Neben der Wertschöpfung der unternehmensnahen Dienstleister stehen jetzt auch die Ergebnisse für die Wirtschaftsbereiche Verkehr und Nachrichtenübermittlung auf einer qualifizierteren Datengrundlage. Für diese Wirtschaftsbereiche ermöglicht die Dienstleistungsstatistik im Prinzip eine stärkere Ausrichtung der Wertschöpfungsberechnung auf die örtlichen Einheiten bzw. auf die einzelnen Betriebe – den zentralen Bausteinen der Regionalrechnung –, weil bei den über-regional aktiven Unternehmen nun auch Angaben für deren Betriebe erfasst werden.

Die Überarbeitung der Ergebnisse im Wirtschaftsbereich Wohnungsvermietung ergab ein deutlich niedrigeres Niveau bei der Bruttowertschöpfung auf Bundes- und Länderebene. Neue Ergebnisse aus dem Mikrozensus zeigten, dass die Anzahl der leer stehenden Wohnungen, für die keine Mieten gezahlt werden, in der bisherigen Rechnung zu niedrig angesetzt worden waren, sodass der Produktionswert nach unten korrigiert wurde. Gleichzeitig mussten die Vorleistungen erhöht werden. Dadurch fällt im Endeffekt die Wertschöpfung der Wohnungsvermietung nach Revision deutlich geringer aus.

Verbesserung der Berechnungsmethoden im Gastgewerbe …

Die Berechnungsmethoden der VGR sind keineswegs statisch, sondern befinden sich in einem ständigen Verbesserungsprozess. Revisionen bieten die ideale Voraussetzung, neue methodische Erkenntnisse ohne Bruch in den Zeitreihen in das Rechenwerk einbauen zu können. So wurde bei der Ermittlung der Bruttowertschöpfung im Gastgewerbe zur Verbesserung der Konsistenz der Ergebnisse, bei der erst mit einer zeitlichen Verzögerung von ca. zwei Jahren gegenüber dem laufenden Kalenderjahr durchführbaren Originärberechnung, vom Produktions- auf den Einkommensansatz übergegangen. Bei diesem Ansatz wird der Bundeswert der Bruttowertschöpfung zunächst in eine arbeitsbezogene Komponente – das Arbeitnehmerentgelt – und in eine kapitalbezogene Komponente – den Bruttobetriebsüberschuss – aufgeteilt. Anschließend werden diese Komponenten anhand länderspezifischer Arbeitnehmerentgelte und Umsätze regionalisiert und durch entsprechende Summenbildung zur Wertschöpfung des Gastgewerbes je Bundesland zusammengefügt.

…und in der Schnellrechnung des regionalen Wirtschaftswachstums

Eine weitere Neuerung betrifft die kurzfristigen Berechnungen des BIP. Die frühzeitige Ermittlung des regionalen Wirtschaftswachstums für das zurückliegende Kalenderjahr – bereits Anfang Februar des Folgejahres – steht grundsätzlich vor dem Problem, dass zu diesem frühen Zeitpunkt ein Großteil der Daten noch nicht vorliegt. So zum Beispiel auch regionale Informationen über die wertschöpfungsrelevanten Vorleistungen, weshalb in den einzelnen Fortschreibungsphasen konstante Vorleistungsquoten unterstellt werden müssen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Globalisierung und dem durch die zunehmende weltweite wirtschaftliche Verflechtung ausgelösten ständigen Strukturwandel eine nicht unproblematische Annahme. Das Problem konnte insoweit entschärft werden, als im anteilsstarken Verarbeitenden Gewerbe mittlerweile eine vorgezogene Originärberechnung auf der Basis der so genannten Schnell-Kostenstrukturerhebung durchgeführt wird. Somit fließt neuerdings schon in die Ausgangsgröße der BIP-Schnellrechnung Anfang Februar die originäre Vorleistungsquote für die Wirtschaftszweige der Industrie in die Berechnungen ein.

Insgesamt gesehen gibt es somit ein ganzes Bündel von Einflussfaktoren, die die Abweichungen der revidierten BIP-Werte von den bisher veröffentlichten Ergebnissen erklären. Allerdings lassen sich in der regionalen VGR im Unterschied zur nationalen VGR die Einzeleffekte der Revision nicht quantifizieren. Dies hängt hauptsächlich damit zusammen, dass die Koordinierung, das heißt die rechnerische Abstimmung der Länder- auf die Bundesergebnisse, letztendlich alle anderen Effekte überlagert.

Südwesten im Länderranking der Wirtschaftskraft nach wie vor an 5. Stelle

Insgesamt hat sich die Revision auf das Länderranking der Wirtschaftskraft – gemessen als das Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen je Einwohner – kaum ausgewirkt. Zu den Spitzenreitern zählen nach wie vor die Stadtstaaten Hamburg und Bremen mit gut 44 000 bzw. 35 000 Euro je Einwohner. Baden-Württemberg liegt mit knapp 30 000 Euro auf dem 5. Platz. Schlusslicht der Skala bilden unverändert die neuen Bundesländer, die nur rund zwei Drittel des Deutschlandwerts erreichen.

Die Darstellung weiterer Auswirkungen der Revision 2005 in der Verteilungs- und Verwendungsrechnung der Länder ist späteren, in loser Folge erscheinenden Beiträgen vorbehalten.

1 Vgl. Braakmann, Albert/Hartmann, Norbert/Räth, Norbert/Strohm, Wolfgang: Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 2005 für den Zeitraum 1991 bis 2004, in Wirtschaft und Statistik 5/2005, Hrsg.: Statistisches Bundesamt.

2 Verordnung (EG) Nr. 1889/2002 der Kommission vom 23. Oktober 2002 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 448/98 des Rates zur Er-gänzung und Änderung der Verordnung Nr. 2223/96 des Rates vom 25. Juni 1996 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regio-naler Ebene.