:: 6/2006

Fußballweltmeisterschaft 2006 und Fußball in Baden-Württemberg

Fußball: für die einen »die schönste Nebensache der Welt«, für andere eher die »größte Hauptsache ihres Lebens«, für wieder andere ein »Anlass zur Völkerverständigung« und für nochmals andere »ein Geschäft«. Für die amtliche Statistik – nicht für die amtlichen Statistiker – ist Fußball eher eine Nebensache, denn kein Statistikgesetz erlaubt es, Daten zu diesem Thema zu erheben. Das Statistische Landesamt hat sich deshalb der Daten der Sportverbände bedient, die von diesen bereitwillig zur Verfügung gestellt wurden.

Dass die so gerne zitierte Rangliste der besten nationalen Fußballmannschaften auch zu anderen Ergebnissen führen kann, wird nur jene überraschen, die sich die offizielle Tabelle noch nicht genau angesehen haben. Ebenso überraschend, dass in Baden-Württemberg Fußball für Frauen eine der attraktivsten Sportarten zu sein scheint, attraktiver als Reiten oder Tanzen. Weniger überraschend, dass die Ursachen für die Nachwuchsprobleme der Verbände nicht in einer vermeintlichen »Null-Bock-Mentalität« der Jungen, sondern im demografischen Wandel zu suchen sind.

Tücken der »ewigen« WM-Tabelle

»... das ist nur für die Statistik« hört man unsere Sportreporter. Und doch überbrücken sie mehr oder weniger gut manch dürftige Passage eines Fußballspieles durch Zitieren von Daten und Zahlen. Aber auch die können es in sich haben, wie die »ewige« WM-Tabelle offenbart. Brasilien führt die Liste fast unerreichbar an, es folgen Deutschland, Italien und Argentinien. Am Ende der ersten 15 finden wir die Niederlande, Ungarn, Polen und Mexiko. Die genannten Länder haben unterschiedlich oft an den Weltmeisterschaften teilgenommen: Brasilien 17-mal, Polen nur 6-mal. Manche qualifizierten sich nicht, andere wurden erst nach 1930 Mitglied des Weltfußballverbandes, wieder andere wurden »politisch verhindert«. Würden die Punkte der »ewigen« Tabelle durch die Anzahl der Teilnahmen dividiert, dann ständen Brasilien und Deutschland gleichauf, Polen würde um 10 und die Niederlande um 5 Plätze vorrücken. Obiges mag fremd klingen. Beim sportlichen Wettkampf geht es um Teilnahme – die ja alles sein soll – und um Ränge. Die Rangfolge würde sich nochmals erheblich ändern, wenn die Anzahl der Spiele je Weltmeisterschaft berücksichtigt würde. Die Anzahl streut zwischen 18 ausgetragenen Spielen bei der Weltmeisterschaft 1930 in Uruguay und jeweils 64 Spielen bei den Weltmeisterschaften 1998 in Frankreich sowie 2002 in Korea und Japan.

Spektakel in den Stadien

Die Entwicklung der Zuschauerzahlen vor Ort scheint die Faszination »Fußball« nicht wiedergeben zu können. Vielmehr ist die Zuschauerzahl von der Bevölkerungszahl des gastgebenden Landes, dem Fassungsvermögen der dortigen Stadien, der Erreichbarkeit, der sonstigen touristischen Attraktivität, den Marketingfähigkeiten der Gastgeber und natürlich den Reisekosten abhängig. Die Strategie große Stadien zu bauen, die touristische Infrastruktur zu erweitern und zu verbessern um dadurch Gäste und Geld ins Land zu locken, mag während der Meisterschaften aufgehen; fraglich bleibt, ob die langfristigen Folgekosten die kurzfristigen Gewinne immer aufwiegen können. Andererseits haben die Gastgeber die Chance, sich selbst für »spätere« Touristen attraktiv darzustellen. Letztlich ist eine vertrauenswürdige Kosten-Nutzen-Rechnung für jedes gastgebende Land und jede gastgebende Stadt eigentlich erst Jahre nach der Weltmeisterschaft möglich; dann sind solche Betrachtungen aber meistens kein Thema mehr.

Sportverbände in Baden-Württemberg

Jeder dritte Baden-Württemberger ist aktives oder passives Mitglied eines Sportvereins, und fast jeder zehnte in einem Fußballverein eingeschrieben – beeindruckende Zahlen. Die Entwicklung der Bevölkerungszahl und noch deutlicher der Mitgliederzahlen bilden bis in die 80er-Jahre die Konjunktureinbrüche insbesondere der Jahre 1963, 1966 und 1975 ab Knappe Haushaltskassen veranlassten damals etliche Menschen ihrem Verein zumindest zeitweise den Rücken zu kehren. Die starke Zuwanderung aus dem Osten nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten ließ die Mitgliederzahl nicht signifikant ansteigen. Im Gegenteil, die Zuwachsraten streben stetig gegen Null. In einigen Jahren werden die Sportvereine wegen der zu erwartenden demografischen Entwicklung Mitglieder verlieren. Alle Verbände werden dem »Altensport« ein noch größeres Gewicht geben müssen als sie es bereits tun.

1,2 Mill. Mitglieder des Landessportverbandes (LSV) Baden-Württemberg sind jünger als 18 und 0,5 Mill. älter als 60 Jahre. Dass Sportvereine »vergreisen«, kann so nicht belegt werden. Sport scheint für viele junge Menschen attraktiv zu sein. Bemerkenswert ist der hohe Anteil von Mädchen und Frauen, der sich mit zunehmendem Alter zu reduzieren scheint. Aber auch das ist nicht ganz eindeutig, wie Tabelle 2 belegt: Von 2004 bis 2005 haben mit Ausnahme der 27- bis 40-Jährigen alle Altersgruppen Mitgliederzuwächse gemeldet. Die höchste Zuwachsrate war mit plus 5 % bei den über 60-jährigen Frauen festzustellen. Es scheint als ob Frauen, wenn sie aus dem Berufsleben ausscheiden und von Familienaufgaben entlastet werden, sich eher sportlich engagieren als gleichaltrige Männer.

Fußball wird nicht nur aktiv betrieben

Von der Mitgliederzahl der baden-württembergischen Fußballvereine ausgehend, ist Fußball hier zu Lande die Zweitwichtigste aller Sportarten; als Einzelsportart sogar bedeutender als Turnen, da dort verschiedene Disziplinen gepflegt werden. Ob sich die Mitgliedschaft auch in sportlicher Betätigung zeigt, muss bezweifelt werden. Wollten alle 920 000 Mitglieder der baden-württembergischen Fußballvereine in einer Mannschaft spielen, gäbe es über 80 000 Mannschaften. Und wollten diese Mannschaften wöchentlich einmal spielen, müssten jährlich über 2 Mill. Spiele ausgerichtet werden. Diese irrwitzigen Zahlen machen deutlich, dass der Mitgliedschaft in Sport- und insbesondere in Fußballvereinen neben der sportlichen Betätigung eine zusätzliche Bedeutung zukommt. Sportvereine sind Sozialisationskerne, die es einem Mitglied auf einfachem Wege erlauben, zu einer Gruppe zu gehören und sich zu solidarisieren. Fanclubs, Merchandising-Produkte, emotionale Teilnahme an Erfolgen und Misserfolgen der »eigenen« Mannschaft sind äußere Anzeichen dieser Art der Solidarisierung. Insofern haben Fußballvereine Bedeutungen, die weit über die »körperliche Ertüchtigung« hinausgehen.

Welche Gewichte die mitgliederstärksten Fachverbände und insbesondere die Fußballverbände haben, zeigt folgende Rangliste:

Fachverbände im LSV Baden-WürttembergMitgliederIn %
Alle Fachverbände4 007 791100
Turnen1 128 34028
Fußball931 69723
Tennis337 3198
Ski201 4325
Leichtathletik174 4884
Handball165 9404
Schützen164 8094
Tischtennis112 9663
Pferdesport106 1283
Volleyball70 6772
Schwimmen63 7902

Fußball – ein Volkssport, auch für Frauen

Auf den ersten Blick scheint Schaubild 3 das klassische Rollenverständnis zwischen Mann und Frau abzubilden. Das trifft so nicht zu. Innerhalb eines Fachverbandes gibt es zwar deutliche Prioritäten: Bei Reiten, Turnen, Tanzen, Akrobatik, Schwimmen dominieren die Frauen; bei Schach, Fußball, Rugby oder Schießen die Männer.

In Absolutzahlen zeigt sich für das Jahr 2005 ein anderes Bild:

Fachverband im LSV Ba-WüWeibliche Mitglieder
Turnen736 801
Tennis136 870
Fußball111 143
Ski87 233
Leichtathletik82 377
Pferdesport73 172
Tanzsport25 733
Sportakrobatik3 283

Vom Fachverband Turnen wurde 2005 die Mitgliedschaft von einer dreiviertel Million Frauen gemeldet, vom Fachverband Tennis fast 140 000 und an 3. Stelle kommt bereits der Fachverband »Fußball« mit 111 000 weiblichen Mitgliedern. Die vermeintlich typischen Frauensportarten fallen dagegen eher ab.

Fußballverbände in Baden-Württemberg

Baden-Württemberg beherbergt 13 % der Bundesbevölkerung, hat aber 15 % der Mitglieder des Deutschen Fußball-Bundes. Dabei sind anteilsmäßig alle Altersgruppen mehr oder weniger überrepräsentiert; in Württemberg am deutlichsten die Senioren und die Junioren und in den beiden badischen Verbänden die Frauen und Mädchen. Insgesamt sind die Mitglieder in drei Landesverbänden mit fast 3 200 Vereinen organisiert, die zusammen über 24 000 Mannschaften bilden. Das größte Kontingent unter den Mannschaften bilden die 16 000 Mannschaften der Junioren und Mädchen. In den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts beklagten viele Sportvereine »mangelnden Nachwuchs«. Schnell fand man die Ursache in der angeblichen »Nullbock-Mentalität« der damaligen Jugendgeneration. Die wesentliche Ursache war eine andere:

Der württembergische Fußballverband hatte tatsächlich sinkende Mannschaftszahlen bei den Junioren zu verzeichnen. Geht man davon aus, dass die Entwicklung der Anzahl der Mannschaften die der jugendlichen Mitglieder widerspiegelt, dann erklärt sich der Rückgang ausschließlich aus der sinkenden Zahl der Jugendlichen; von 1977 bis 1987 sank die Zahl der 6- bis unter 15-Jährigen um fast ein Dritte. An dieser Entwicklung gemessen, hat sich die Anzahl der Jugendmannschaften im württembergischen Fußballverband sogar sehr dynamisch entwickelt. Noch deutlicher wird dies, wenn man die Entwicklung ab 1997 betrachtet; trotz einer gleich bleibenden Anzahl der 6- bis unter 15-Jährigen wuchs die Anzahl der Mannschaften um fast ein Drittel. Der demografische Einbruch wird sich erst in etwa 20 Jahren auswirken. Schaut man sich das Angebot der Sportvereine an, dann scheinen insbesondere in den Agglomerationsräumen etliche Fachverbände einem den Senioren gerecht werdendes Angebot nicht abgeneigt zu sein. Inwieweit Fußball dabei eine Rolle spielen kann und wird, ist noch unklar.