:: 8/2006

Kindertagesbetreuung für unter 3-Jährige – eine Bedarfsanalyse für Baden-Württemberg

Zur Unterstützung der frühkindlichen Entwicklung und zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden derzeit die Angebote zur Kindertagesbetreuung für unter 3-Jährige in Westdeutschland deutlich ausgebaut. Die Mehrheit der jungen Mütter mit Kindern unter 3 Jahren ist heute erwerbstätig. Die meisten erwerbstätigen jungen Mütter nehmen vorübergehend Elternzeit in Anspruch und kehren dann mit zunehmender Stundenzahl wieder an den Arbeitsplatz zurück. Die Frage nach Betreuungsangeboten stellt sich besonders dringlich für Eltern, die (beide) mit erheblichem Stundenumfang erwerbstätig sind. Der Erwerbsumfang von Eltern unter 3-Jähriger wurde dazu für die westdeutschen Bundesländer in drei verschiedenen Analysevarianten anhand des Mikrozensus 2004 untersucht. Das Ergebnis für Baden-Württemberg: Je nach Analysevariante leben 16 bis 23 % der unter 3-Jährigen bei Eltern, die (beide) in erheblichem Umfang erwerbstätig sind. Würde sich in den Bedarfsplanungen der Gemeinden und Städte tatsächlich ein Betreuungsbedarf in dieser Größenordnung herausstellen, müssten in Baden-Württemberg bis 2010 rund 22 000 bis 43 000 neue Betreuungsangebote für unter 3-Jährige entstehen, um die im Tagesbetreuungsausbaugesetz vorgesehene bedarfsgerechte Versorgung zu verwirklichen. Ein Teil der Betreuungsangebote für unter 3-Jährige könnte durch den Rückgang der Kinderzahlen in den Kindergärten geschaffen werden. Es werden jedoch auch zusätzliche Anstrengungen in erheblichem Umfang erforderlich sein, um bedarfsgerechte Betreuungsangebote in dieser Größenordnung zu verwirklichen.

Hohe Erwerbsquote von Müttern mit Kleinkindern in Baden-Württemberg

Die Zahl der Frauen, die am Erwerbsleben beteiligt sind, hat in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen. Die Mehrheit der Frauen kombiniert heute Familien- und Erwerbstätigkeit; Frauen steigen nach der Geburt der Kinder schneller wieder in das Erwerbsleben ein. Auch die jungen Mütter mit Kindern unter 3 Jahren stehen heute mehrheitlich im Erwerbsleben. Laut Mikrozensus1 gab es in Baden-Württemberg im März 2004 rund 266 000 Mütter mit jüngstem Kind unter 3 Jahren2, von denen rund 29 % aktiv erwerbstätig sind und rund 30 % vorübergehend beurlaubt (Elternzeit, Mutterschutz u.a.) oder zu einem kleinen Teil auch erwerbslos sind. Zusammengenommen und bezogen auf alle Mütter mit jüngstem Kind unter 3 Jahren ergibt dies eine Erwerbsquote von 59 %. Baden-Württemberg hat damit im Vergleich der westdeutschen Bundesländer die höchste Erwerbsquote von Müttern mit unter 3-Jährigen – noch vor Hessen (56 %), Bayern (54 %) und rund 13 Prozentpunkte vor dem Schlusslicht Nordrhein-Westfalen (46 %).

Betreuungsangebot für unter 3-Jährige wird weiter ausgebaut

Der hohen Erwerbsquote junger Mütter steht bislang ein noch kleines, gleichwohl steigendes Angebot an Betreuungsplätzen für unter 3-Jährige gegenüber. Nach Angaben des Sozialministeriums konnten Ende 2004 in Baden-Württemberg rund 15 000 Plätze in Kindertageseinrichtungen oder bei Tageseltern an-geboten werden3. Gegenwärtig sind nach einer aktuellen Hochrechnung des Sozialministeriums bereits 23 000 Plätze verfügbar, was einem Versorgungsgrad für unter 3-Jährige von knapp 8 % entspricht4. Aktuelle Zahlen der neuen amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik liegen voraussichtlich bis zum Jahresende 2006 vor5.

In den nächsten Jahren ist mit einem weiteren Ausbau der Kleinkindbetreuung zu rechnen. Das seit 2005 geltende Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) verpflichtet die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, bis spätestens 2010 ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot für Kinder unter 3 Jahren zu verwirklichen6. Für unter 3-Jährige, deren Eltern erwerbstätig, in Ausbildung oder in Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung sind oder deren Wohl ohne Tagesbetreuung nicht gewährleistet ist, müssen dann genügend Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtungen und Tagespflege vorgehalten werden.

Erwerbstätigkeit der Eltern als Orientierungsrahmen zur Bedarfsplanung

Im Rahmen der jährlichen Bedarfsplanung müssen die Jugendhilfeträger den Betreuungsbedarf für unter 3-Jährige ermitteln und geeignete Schritte zum Ausbau der Kleinkindbetreuung festlegen. Der einfachste Weg zur Bedarfsermittlung wäre ein Blick in die Wartelisten der Krippengruppen und altersgemischten Gruppen. Nicht erfasst werden dabei allerdings versteckte Bedarfe von Eltern, die sich in Kenntnis des geringen Angebots keine Chancen auf einen Betreuungsplatz ausrechnen, ihren Erwerbsumfang reduzieren und auf private Unterstützung bei der Kleinkindbetreuung zurückgreifen.

Befragungen der Eltern mit Kleinkindern helfen versteckte Bedarfe aufzudecken. Elternbefragungen können jedoch umgekehrt Gefahr laufen, den konkreten und kurzfristigen Betreuungsbedarf zu überschätzen, sofern die Betreuungswünsche der Eltern zu unkonkret und unverbindlich abgefragt werden (ohne Kosten, Zeiten, Qualität, Nähe zum Wohnort usw.). Zuverlässigere Ergebnisse können Elternbefragungen erzielen, die sich auf ein konkret geplantes Betreuungsangebot beziehen.

Anhaltspunkte für die Bedarfsplanung können auch Daten zur Erwerbstätigkeit der Eltern liefern, zumal das Tagesbetreuungsausbaugesetz dazu verpflichtet, für unter 3-Jährige mit erwerbstätigen Eltern eine ausreichende Zahl an Plätzen bereit zu halten. Gleichwohl können viele erwerbstätige Eltern auf private Unterstützung bei der Kleinkindbetreuung zurückgreifen, und auch bei einem erheblich größeren Angebot an Kindertagesbetreuung könnten nicht wenige Eltern privat-familiäre Betreuungsarrangements bevorzugen. Auf der anderen Seite ist damit zu rechnen, dass ein spürbar zunehmendes Angebot an Kleinkindbetreuung vielen Müttern eine Erwerbstätigkeit überhaupt erst (wieder) ermöglichen würde. Schwer abzuschätzen sind zudem die Fälle, in denen eine Kleinkindbetreuung aus Gründen des Kindeswohls angezeigt ist. Die genannten Einflussfaktoren machen deutlich, dass der Umfang der elterlichen Erwerbstätigkeit nicht automatisch mit dem Betreuungsbedarf für unter 3-Jährige gleichgesetzt werden kann.

Hinzu kommt, dass die verfügbaren amtlichen Daten zur Erwerbstätigkeit kaum regionalisierte Aussagen für die örtliche Bedarfslage zulassen. Die Statistik der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist zwar für die Kreis- und Gemeindeebene verfügbar, gibt jedoch die Erwerbsbeteiligung von Frauen nur unzureichend wieder, da sie keine Selbstständigen, Beamten und insbesondere keine geringfügig Beschäftigten erfasst. Die Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder unterscheidet gar nicht nach Männern und Frauen. Der Mikrozensus dagegen ist durchaus aufschlussreich für die Analyse der Erwerbsbeteiligung von Familien, liefert jedoch als 1%ige Bevölkerungsstichprobe keine zuverlässigen Ergebnisse mehr für einzelne Kreise und Gemeinden. 7 Die vorliegende Analyse der elterlichen Erwerbstätigkeit unter 3-Jähriger kann somit nur ein ergänzender Orientierungsrahmen für eine mittel- und langfristige Bedarfsplanung sein. Weitere wichtige Bausteine zur Bedarfsplanung sind zusätzliche örtliche Erhebungen wie zum Beispiel Elternbefragungen sowie ein enger Dialog mit den Kindertageseinrichtungen und den jungen Eltern8.

Betreuungslücken von 5, 10, 15 und mehr Stunden pro Woche

Für den vorliegenden Beitrag wurde der Erwerbsumfang von Eltern unter 3-Jähriger in den westdeutschen Bundesländern anhand des Mikrozensus 2004 untersucht. Das Auswertungsverfahren orientiert sich dabei in den Grundzügen am Vorgehen des Deutschen Jugendinstituts und der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik, die für den aktuellen Zahlenspiegel zur Kindertagesbetreuung in Deutschland eine 70%-Stichprobe des Mikrozensus 2002 ausgewertet haben9.

In einem ersten Schritt wird die Gruppe der unter 3-Jährigen bestimmt, bei denen entweder der allein erziehende Elternteil oder im Falle von Paarfamilien beide Elternteile erwerbstätig sind. Zu den Paarfamilien wurden sowohl verheiratete als auch unverheiratet zusammenlebende Paare gezählt (neues Konzept der Lebensformen). Berücksichtigt werden lediglich Eltern, die aktiv erwerbstätig sind. Vorübergehend beurlaubte Eltern (Elternzeit) werden nicht mit in die weitere Analyse einbezogen.

Im zweiten Schritt wird dann der zeitliche Umfang der Erwerbsarbeit untersucht. Es wird davon ausgegangen, dass erst ab einem bestimmten erheblichen Erwerbsumfang die Kleinkindbetreuung nicht mehr oder mangels Alternative nur noch mit großen Mühen von der Familie oder durch private Betreuungsarrangements geleistet werden kann. Dabei können die zeitlichen Spielräume und Ressourcen der Familien bei der Bewältigung von Berufstätigkeit und Kleinkindbetreuung durchaus unterschiedlich sein. So werden drei verschiedene Varianten definiert mit unterschiedlichen Grenzen, ab denen grundsätzlich ein Bedarf an familienentlastenden Betreuungsangeboten angenommen werden kann:

  • Variante 1 berücksichtigt allein erziehende Elternteile, die 15 Wochenstunden und mehr erwerbstätig sind sowie Paarfamilien, die zusammen auf eine Wochenarbeitszeit von 55 Stunden und mehr kommen10. Legt man ein Normalarbeitsverhältnis zu üblichen Arbeitszeiten zugrunde, kann für diese Familien eine ganz erhebliche Betreuungslücke von 15 und mehr Stunden in der Woche entstehen.
  • Variante 2 bezieht allein erziehende Eltern ein, die 10 Wochenstunden und mehr arbeiten, sowie Paarfamilien mit einer Gesamtarbeitszeit von 50 Wochenstunden und mehr. Für diese Familien kann eine Betreuungslücke von 10 Stunden und mehr in der Woche angenommen werden.
  • Variante 3 geht darüber hinaus und berücksichtigt bereits allein erziehende Eltern mit einer Wochenarbeitszeit von 5 Stunden und mehr sowie Paarfamilien mit einer Gesamtarbeitszeit von 45 Stunden und mehr. Für diese Familien kann eine Betreuungslücke von 5 und mehr Stunden in der Woche entstehen.

Ein Viertel der unter 3-Jährigen hat aktiv erwerbstätige Eltern11

Betrachtet man zunächst die elterliche Erwerbstätigkeit unabhängig vom Erwerbsumfang und einschließlich vorübergehender Beurlaubungen durch Elternzeit, dann hatten von den rund 289 000 Kindern unter 3 Jahren in Baden-Württemberg im März 2004 rund 144 000 unter 3-Jäh-rige erwerbstätige Eltern. Davon leben 68 000 unter 3-Jährige in Familien, in denen mindestens ein Elternteil Elternzeit in Anspruch nimmt und vorübergehend nicht oder nur reduziert arbeitet. Rund 76 000 unter 3-Jährige leben bei Eltern, die (beide) aktiv erwerbstätig sind. Das bedeutet, rund ein Viertel der unter 3-Jährigen in Baden-Württemberg hat aktiv erwerbstätige Eltern, die die Kleinkindbetreuung nicht im Rahmen der Elternzeit bewältigen. Dies ist mit die höchste Quote elterlicher Erwerbstätigkeit im Vergleich der westdeutschen Bundesländer.

Mögliche Betreuungslücken bei 16 bis 23 % der unter 3-Jährigen

Differenziert man im zweiten Schritt die Erwerbstätigkeit der Eltern nach der Wochenarbeitszeit und berücksichtigt nur jene aktiv erwerbstätigen Eltern mit erheblichem Stundenumfang, dann zeigt sich folgendes Bild:

  • Variante 1: Von den 289 000 Kindern unter 3 Jahren in Baden-Württemberg leben 45 000 unter 3-Jährige in Familien, die in ganz erheblichem Umfang erwerbstätig sind: entweder in Ein-Eltern-Familien mit einer Wochenarbeitszeit von 15 Stunden und mehr oder in Paar-Familien mit einem Stundenumfang von 55 Stunden und mehr. Für diese 16 % der unter 3-Jährigen können große Betreuungslücken von 15 Stunden und mehr pro Woche entstehen
  • Variante 2: Geht man davon aus, dass schon Betreuungslücken ab 10 Stunden pro Woche kaum mehr durch die Familie und das private Umfeld abzudecken sind, so würden für 52 000 unter 3-Jährige familienunterstützende Betreuungsangebote in Frage kommen. Dies sind 18 % der unter 3-Jährigen in Baden-Württemberg.
  • Variante 3: Sind dagegen schon Betreuungslücken ab 5 Stunden pro Woche nur unzureichend durch privat-familiäre Betreuungsarrangements zu überbrücken, würde sich für 66 000 unter 3-Jährige die Frage nach Kindertagesbetreuung stellen. Dies sind 23 % der unter 3-Jährigen in Baden-Württemberg.Somit ergeben sich für 45 000 bis 66 000 unter 3-Jährige aufgrund der starken elterlichen Erwerbstätigkeit teilweise erhebliche Betreuungslücken. In Abhängigkeit von den unterschiedlichen zeitlichen Spielräumen und Ressourcen in den Familien können für diese 16 bis 23 % der unter 3-Jährigen familienunterstützende Betreuungsangebote in Tageseinrichtungen und Tagespflege in Frage kommen12.

Betreuungsbedarf auch für Babys und Kleinkinder unter 2 Jahren

Die meisten erwerbstätigen jungen Mütter nehmen die Elternzeit in Anspruch und lassen sich vorübergehend beurlauben, viele kehren aber schon relativ schnell wieder mit zunehmender Stundenzahl an den Arbeitsplatz zurück. Von den unter 1-Jährigen leben immerhin 19 % in Familien, in denen die Eltern (beide wieder) aktiv erwerbstätig sind. Bei den 1- bis unter 2-Jährigen sind dies schon 27 % und von den 2- bis unter 3-Jährigen haben 32 % aktiv erwerbstätige Eltern. Entsprechend sinkt der Anteil der Kinder mit Eltern, die noch in Elternzeit sind.

Berücksichtigt man im zweiten Schritt wieder nur Familien mit erheblichem Erwerbsumfang, so ergibt sich je nach Variante der Wochenarbeitszeit folgendes Bild:

  • Von den unter 1-Jährigen haben 13 bis 18 % so stark erwerbstätige Eltern, dass sich erhebliche Betreuungslücken ergeben können.
  • Bei den 1- bis unter 2-Jährigen kann sich aufgrund des elterlichen Erwerbsumfangs für 15 bis 23 % ein Bedarf an familienunterstützenden Betreuungsangeboten einstellen.
  • Bei den 2- bis unter 3-Jährigen ist mit 19 bis 28 % die Gruppe noch einmal größer, für die sich ein Bedarf an Kindertagesbetreuung ergeben kann.

Die kommunalen Bedarfsplanungen sollten sich also keineswegs nur auf die Öffnung der Kindergärten für Kinder ab 2 Jahren beschränken, sondern auch mögliche Betreuungslücken für Babys und Kleinkinder unter 2 Jahren in den Blick nehmen. Im Dialog mit den Eltern, die konkreten Bedarf äußern, lassen sich für die Altersgruppe geeignete und flexible Betreuungsangebote in Spiel- oder Krippengruppen, in Tagespflege oder in Kombination aus beidem entwickeln.

Hohe Erwerbsbeteiligung auch in ländlich geprägten Räumen

Die hohe Erwerbsbeteiligung von Müttern in Baden-Württemberg beschränkt sich keineswegs auf stark verdichtete Räume und Großstadtregionen. Gerade auch in weniger verdichteten und eher ländlich geprägten Räumen (wie zum Beispiel Südschwarzwald, Schwäbische Alb, Franken) stehen überdurchschnittlich viele Frauen mit Kindern im Erwerbsleben13.

So ist der Anteil der unter 3-Jährigen mit aktiv erwerbstätigen Eltern in Gemeinden unter 5 000 Einwohnern keineswegs niedriger, sondern sogar leicht höher als der Landesdurchschnitt. Auch der Umfang der elterlichen Erwerbstätigkeit ist nicht geringer, auch wenn die diesbezügliche Auswertung des Mikrozensus nicht mehr für alle Gemeindegrößenklassen sichere Aussagen zulässt.

In kleinen Gemeinden und eher ländlich geprägten Regionen sind jedoch die Betreuungsangebote für unter 3-Jährige bislang weniger ausgebaut als in den großen Städten. Die Familien müssen daher noch stärker auf Betreuungsarrangements im Familien- und Freundeskreis zurückgreifen. Angesichts der weiter steigenden Erwerbsorientierung von Frauen und der zunehmenden Anforderungen an Familien durch flexible Arbeitszeiten und berufliche Mobilität sind solchen Betreuungsarrangements jedoch häufig Grenzen gesetzt. Befragungen von Frauen mit Kindern in Westdeutschland nach ihren Erwerbswünschen zeigen regelmäßig, dass viele Frauen gern ihre Wochenarbeitszeit erhöhen würden, wenn die Kinderbetreuung gesichert wäre14.

Möglicher Bedarf von zusätzlich 22 000 bis 43 000 Plätzen für unter 3-Jährige

Aus der vorliegenden Analyse der elterlichen Erwerbstätigkeit anhand des Mikrozensus 2004 lässt sich abschließend der mögliche Bedarf an Betreuungsplätzen für das Jahr 2010 hochrechnen. Zugrunde gelegt werden die für 2004 ermittelten Anteile unter 3-Jähriger, deren Eltern in erheblichem Umfang erwerbstätig sind. Nach der Bevölkerungsvorausrechung für Baden-Württemberg wird die Zahl der Kinder unter 3 Jahren bis 2010 nur noch leicht sinken, sodass die für 2004 ermittelten Betreuungslücken auch bis 2010 nicht kleiner werden, sofern bis 2010 nicht zusätzliche Betreuungsplätze für unter 3-Jährige entstehen. Von den dann 286 000 unter 3-Jährigen würden voraussichtlich 45 000 bis 66 000 in Familien leben, in denen die Eltern (beide) in erheblichem Umfang erwerbstätig sind. Für diese Gruppe der unter 3-Jährigen würden sich je nach Erwerbsumfang der Eltern Betreuungslücken von 5, von 10 oder gar von 15 Wochenstunden und mehr ergeben, sodass je nach privat-familiären Betreuungsressourcen zusätzliche Betreuungsangebote in Tageseinrichtungen und Tagespflege in Frage kommen.

Würde sich in den Bedarfsplanungen der Gemeinden und Städte tatsächlich ein Betreuungsbedarf in dieser Größenordnung herausstellen, müssten ausgehend von den laut Sozialministerium derzeit rund 23 000 verfügbaren Plätzen bis 2010 rund 22 000 bis 43 000 zusätzliche Plätze für unter 3-Jährige entstehen. Die Zahl der Betreuungsplätze in Tageseinrichtungen und Tagespflege müsste demnach in vier Jahren verdoppelt oder verdreifacht werden. Durch einen Ausbau der Kleinkindbetreuung in dieser Größenordnung würde ein Versorgungs-grad von insgesamt 16 bis 23 Plätzen je 100 Kinder unter 3 Jahren erreicht.

Andere Studien sehen einen noch größeren Betreuungsbedarf

Die vorliegende Bedarfsanalyse anhand der elterlichen Erwerbstätigkeit nach dem Mikrozensus liefert im Vergleich zu anderen Studien der nichtamtlichen Statistik eher niedrige Bedarfszahlen, könnte also den Betreuungsbedarf für unter 3-Jährige durchaus etwas unterschätzen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat den Betreuungsbedarf mit Daten aus dem Soziooekonomischen Panel15 für das Jahr 2002 hochgerechnet und sieht – je nach Erwerbssituation und Erwerbswünschen der Mütter – eine Lücke von 255 000 bis 593 000 fehlenden Betreuungsplätzen für Deutschland16. Dies entspräche für Baden-Württemberg einem Bedarf von insgesamt rund 43 000 bis 86 000 Plätzen für unter 3-Jährige, je nachdem ob man nur voll- und teilzeiterwerbstätige Mütter oder auch geringfügig beschäftigte Mütter in die Bedarfsrechnung einbezieht oder ob man auch Mütter berücksichtigt, die nach eigenen Angaben »sobald wie möglich« bzw. »im nächsten Jahr« wieder arbeiten gehen wollen. Ein Ausbau der Kleinkinderbetreuung in der vom DIW ermittelten Größenordnung würde für Baden-Württemberg zu einem Versorgungsgrad von insgesamt 15 bis 30 Plätzen je 100 Kinder unter 3 Jahren führen.

Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat in seiner bundesweiten Kinderbetreuungsstudie Ende 2004 rund 8 000 Eltern direkt befragt, wie sie am liebsten die Betreuung ihrer Kinder organisieren würden freie Wahlmöglichkeiten vorausgesetzt –, und hat daraus den gewünschten Versorgungsgrad für die Kleinkindbetreuung berechnet17. Die befragten Eltern aus Baden-Württemberg wünschen sich demnach Betreuungsplätze für 30 % der unter 3-Jährigen. Sollte sich in den kommunalen Bedarfsplanungen tatsächlich ein solcher Betreuungsbedarf einstellen, wie ihn das DJI ermittelt hat, müssten im Jahr 2010 insgesamt rund 86 000 Betreuungsangebote für unter 3-Jährige bestehen.

Im Vergleich mit den Bedarfsabschätzungen von DIW und DJI liegt die anhand des Mikrozensus ermittelte Bedarfsspanne von 16 bis 23 % somit eher auf niedrigem Niveau. Wie sich der Betreuungsbedarf für unter 3-Jährige vor Ort in den kommunalen Bedarfsplanungen darstellt, wird die neue Kinder- und Jugendhilfestatistik zeigen. Erstmalig zum Stichtag 15. März 2006 wurde neben der Zahl der verfügbaren Plätze in Tageseinrichtungen und Tagespflege auch die Zahl der notwendigen Plätze für unter 3-Jährige abgefragt. Bis Jahresende werden dazu erste Ergebnisse vorliegen18. Die Qualität dieser Bedarfsangaben wird natürlich nicht zuletzt davon abhängen, wie zuverlässig der Betreuungsbedarf bei den Eltern vor Ort erhoben werden konnte.

Rückgang der Kinderzahlen kompensiert nicht den Bedarf für unter 3-Jährige

Ein Teil der Betreuungsangebote für unter 3-Jährige könnte durch den Umbau der bestehenden Kindertageseinrichtungen geschaffen werden. Durch den anhaltenden Rückgang der Kinderzahlen in den Kindergärten werden dort in den nächsten Jahren weitere Kapazitäten frei. Im Zeitraum 2006 bis 2010 wird die Zahl der Kindergartenkinder nach der Bevölkerungsvorausrechnung landesweit um weitere 26 000 Kinder zurückgehen. Durch die Umwandlung von 26 000 Regelplätzen könnten bis 2010 beispielsweise rund 8 000 Krippenplätze für unter 3-Jährige mit 35 Stunden oder alternativ rund 18 000 Krippenplätze mit 15,5 Stunden wöchentlicher Betreuung geschaffen werden, ohne für die Betriebskosten mehr Geld auszugeben19.

Es zeigt sich jedoch, dass der Ausbau der Kindertagesbetreuung nicht allein durch einen kostenneutralen Umbau der bestehenden Tageseinrichtungen erreicht werden kann. Der Rückgang der Kinderzahlen ist bereits in vollem Gange, der »demografische Gewinn«, der in den nächsten Jahren noch verbleibt, reicht nicht mehr aus, um zusätzliche Betreuungsangebote für unter 3-Jährige in einer Größenordnung von 22 000 bis 43 000 Plätzen zu schaffen. Dazu werden zusätzliche Anstrengungen in erheblichem Umfang erforderlich sein. Wichtig ist dabei insbesondere auch eine verstärkte Zusammenarbeit der gesellschaftlichen Akteure vor Ort unter Einbeziehung von Unternehmen und bürgerschaftlichem Engagement. Lokale Bündnisse für Familien, Zukunftswerkstätten zum Thema »Familienfreundliche Kommune« (siehe i-Punkt), Runde Tische und Netzwerke zur Kinderbetreuung können dafür die geeignete Plattform sein.

1 Der Mikrozensus ist die amtliche Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt in Deutschland. An der Befragung sind jedes Jahr 1 % der Privathaushalte beteiligt, insgesamt ca. 390 000 Haushalte in Deutschland, darunter ca. 45 000 Haushalte in Baden-Württemberg.

2 Grundlage sind Frauen im Alter von 20 bis 59 Jahren mit im Haushalt lebenden ledigen minderjährigen Kindern.

3 Landtagsdrucksache 13/3770 vom 23. November 2004 und Pressemitteilung des Ministeriums für Arbeit und Soziales vom 13. April 2005.

4 Pressemitteilung des Ministeriums für Arbeit und Soziales vom 27. Juli 2006.

5 Eisenreich, Dirk/Krautwald, Harald: Neue Statistiken zur Kindertagesbetreuung ab dem Jahr 2006, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 12/2005, S. 26 f.

6 Eine Erhebung des Deutschen Jugendinstituts von Mitte 2005 belegt den weiteren Ausbau der Kleinkindbetreuung in Westdeutschland seit Einführung des TAG, liefert jedoch keine aktuellen Zahlen für Baden-Württemberg. Vergleiche Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Kindertagesbetreuung für Kinter unter 3 Jahren, Berlin 2006.

7 Zu regionalen Schwerpunkten bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen vergleiche: Ridderbusch, Jens: Erwerbsbeteiligung und Kinderbetreuung im regionalen Vergleich, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6/2005, S. 49 ff.

8 Für weitere Informationen und Arbeitshilfen zur Bedarfsplanung vergleiche: Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (Hrsg.): Orientierungshilfe zur Bedarfsplanung in der Tagesbetreuung, Stuttgart 2006 sowie unter www.kvjs.de.

9 Deutsches Jugendinstitut e.V./Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik: Zahlenspiegel 2005, Kindertagesbetreuung im Spiegel der Statistik, München 2005, S. 228 ff.

10 Berücksichtigt werden die normalerweise geleisteten Wochenstunden laut Mikrozensus. Nicht berücksichtigt sind dabei die Wegezeiten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz.

11 Ohne Elternteile in Elternzeit, ohne Erwerbslose.

12 Eine ähnliche Größenordnung hat das Deutsche Jugendinstitut auf Basis des Mikrozensus 2002 ermittelt. Deutsches Jugendinstitut e.V./Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik: Zahlenspiegel 2005, Kindertagesbetreuung im Spiegel der Statistik, München 2005, S. 228 ff.

13 Ridderbusch, Jens: Erwerbsbeteiligung und Kinderbetreuung im regionalen Vergleich, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 6/2005, S. 49 ff.

14 Vergleiche zum Beispiel Beckmann, Petra: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Tatsächliche und gewünschte Arbeitszeitmodelle von Frauen mit Kindern, IAB Werkstattbericht 12/2002; McKinsey & Co. u.a.: Perspektive Deutschland, Projektbericht 2003/04, Düsseldorf 2004.

15 Das Sozio-oekonomische Panel ist eine repräsentative jährliche Wiederholungsbefragung, an der rund 13 000 Haushalte in Deutschland beteiligt sind.

16 Spieß, C. Katharina/Wrohlich, Katharina: Wie viele Kinderbetreuungsplätze fehlen in Deutschland?, in: DIW-Wochenbericht 14/2005, S. 223 ff.

17 In der DJI-Kinderbetreuungsstudie sind Ende 2004 bundesweit rund 8 000 Mütter und Väter mit rund 9 800 Kindern unter 3 Jahren befragt worden. Vergleiche Deutsches Jugendinstitut: DJI-Kinderbetreuungsstudie, München 2005.

18 Vergleiche Eisenreich, Dirk/Krautwald, Harald: Neue Statistiken zur Kindertagesbetreuung ab dem Jahr 2006, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 12/2005, S. 26 f.

19 Die höhere Betreuungsintensität für unter 3-Jährige gegenüber Kindergartenkindern ist mit dem Kostenfaktor 2,8 bereits berücksichtigt. Vergleiche Ridderbusch, Jens: Ausbau der Kindertagesbetreuung hat Vorteile für die Volkswirtschaft, in: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2004, S. 3 ff.