:: 8/2006

Die Gemeinden Baden-Württembergs nach Größenklassen – gibt es signifikante Strukturunterschiede?

Die Größenunterschiede zwischen den 1 1101 Kommunen des Landes sind beachtlich. Zwar hat die Gemeindereform zu Beginn der 1970er-Jahre zu einer Verringerung der Zahl der (kleinen) Gemeinden Baden-Württembergs um etwa zwei Drittel auf landesweit 1 110 geführt, trotzdem gibt es aber immerhin noch 84 Kommunen mit weniger als 1 000 Einwohnern. Auf der anderen Seite zählen auch neun baden-württembergische Kommunen zu den 82 Großstädten Deutschlands, in denen mehr als 100 000 Menschen leben. Die meisten Baden-Württemberger, nämlich annähernd 60 %, wohnen in Kommunen mit zwischen 5 000 und 50 000 Einwohnern.

Um herauszufinden, ob es strukturelle Unterschiede zwischen den Gemeinden in Abhängigkeit von ihrer Einwohnerzahl gibt, wurden Daten aus dem Landesinformationssystem Baden-Württemberg (LIS) analysiert. Tatsächlich hat sich dabei auf der Basis von 10 Gemeindegrößenklassen gezeigt, dass die Gemeindegröße insbesondere eng mit dem Ausländeranteil, dem Wahlverhalten, dem Arbeitsplatzangebot und der Wohngebäudestruktur korreliert.

Jeder fünfte Einwohner Baden-Württembergs lebt in einer Großstadt

Die meisten der 10,7 Mill. Baden-Württemberger, nämlich knapp 60 %, haben ihren Hauptwohnsitz in einer der exakt 500 Kommunen mit zwischen 5 000 und 50 000 Einwohnern . Annähernd jeder fünfte Einwohner des Landes lebt in einer der 9 Großstädte Baden-Württembergs mit mehr als 100 000 Einwohnern. Dagegen hat nur jeder siebte Baden-Württemberger seinen Hauptwohnsitz in einer Kommune mit weniger als 5 000 Einwohnern – und dies, obwohl mehr als die Hälfte der 1 110 Gemeinden des Landes zu dieser Größenklasse zählt. Vor 20 Jahren gab es statt 589 noch 672 solcher kleinerer Gemeinden. Der Rückgang ist auf den zum Teil enormen Anstieg der Bevölkerungszahl zurückzuführen, wodurch 83 Kommunen in höhere Gemeindegrößenklassen »hineingewachsen« sind.

Schaubild 1 zeigt, dass die sehr kleinen Gemeinden ganz überwiegend in den südlichen Regierungsbezirken Freiburg und Tübingen zu finden sind, während sich die mittleren und größeren Städte auf die Region Stuttgart und entlang des Rheins konzentrieren. Um herauszufinden, ob es signifikante Strukturunterschiede zwischen den Gemeinden nach ihrer Größe gibt, wurden 10 Größenklassen gebildet. Dabei hat sich insbesondere Folgendes gezeigt (vgl. auch Schaubild 2):

  • Die Gemeinden nach der Einwohnerzahl korrelieren – erwartungsgemäß – sehr eng mit der Bevölkerungsdichte: Die Zahl der Einwohner je Quadratkilometer (E/km²) steigt stetig von 58 E/km² in Kommunen mit weniger als 1 000 Einwohnern bis auf 2 250 E/km² für die Gemeindegrößenklasse »250 000 und mehr Einwohner«, die aus den Städten Karlsruhe, Mannheim und Stuttgart besteht. Die Landeshauptstadt ist mit 2 853 E/km² am dichtesten besiedelt; nur noch fünf weitere Städte (Ludwigsburg, Kornwestheim, Mannheim, Asperg und Eppelheim) haben eine Bevölkerungsdichte mit mehr als 2 000 E/km². Auf der anderen Seite haben alle Kommunen mit weniger als 1 000 Einwohnern – mit Ausnahme von Fischingen im Landkreis Lörrach – eine deutlich geringere Bevölkerungsdichte als im Landesdurchschnitt (300 E/km²).
  • Eng mit der Gemeindegröße und damit mit der Bevölkerungsdichte korreliert der Siedlungs- und Verkehrsflächenanteil: Dieser Anteil, der neben der Verkehrsfläche die Fläche für das Wohnen sowie für Gewerbe und Industrie umfasst, steigt stetig von gut 6 % in den ganz kleinen Gemeinden auf annähernd 50 % in den Städten mit mehr als 250 000 Einwohner an; landesweit liegt dieser Wert derzeit bei knapp 14 %2. Den höchsten Anteil hat die Stadt Kornwestheim (ca. 31 000 Einwohner) mit knapp 61 %.
  • Ebenfalls eng mit der Gemeindegröße und der Bevölkerungsdichte korrelieren die Baulandpreise: In Gemeinden mit weniger als 1 000 Einwohnern liegt der Quadratmeterpreis für baureifes Land nur bei 55 Euro, bei Gemeinden mit zwischen 3 000 und 5 000 Einwohnern bereits doppelt so hoch und in Städten mit über 100 000 Einwohnern zum Teil deutlich über 300 Euro. Von den neun Großstädten des Landes hatte in den letzten Jahren die Landeshauptstadt jeweils das mit Abstand höchste Preisniveau.
  • Die divergierenden Baulandpreise führen auch zu unterschiedlichen Wohngebäudestrukturen: In den kleinen Gemeinden, die ganz überwiegend im ländlichen Raum liegen, dominiert der Einfamilienhausbau. So sind in den Kommunen mit weniger als 1 000 Einwohnern drei Viertel der Wohngebäude Einfamilienhäuser; deutlich unter 50 % liegt dieser Anteil dagegen im Durchschnitt der Großstädte mit über 100 000 Einwohnern, in der Landeshauptstadt Stuttgart sogar bei unter 30 %. Landesweit den geringsten Eigenheimanteil hat die Große Kreisstadt Fellbach im Rems-Murr-Kreis (27 %), am höchsten ist er in der 200-Einwohner-Ge-meinde Guggenhausen im Landkreis Ravensburg (91 %).
  • Diese starken Unterschiede in der Gebäudestruktur korrespondieren mit der Wohnungsgröße: In den kleineren Gemeinden mit einem relativ hohen Anteil an Einfamilienhäusern sind die Wohnungen tendenziell größer als in den Zentren, in welchen der Geschosswohnungsbau dominiert. Am größten sind die Wohnungen in den ganz kleinen Kommunen mit weniger als 1 000 Einwohnern (111 m²2); in den Städten mit zwischen 20 000 und 50 000 Einwohnern liegt die durchschnittliche Wohnungsgröße nur noch bei 90 m², in den drei Städten Baden-Württembergs mit mehr als 250 000 Einwohnern sogar nur bei 76 m².
  • Entsprechend günstiger ist auch die Wohnungsversorgung in den kleinen Gemeinden: Kommen in den kleineren Gemeinden auf 100 Haushalte rechnerisch deutlich mehr als 100 Wohnungen, so ist der Versorgungsgrad ab einer Einwohnergröße von 20 000 Einwohnern kleiner als 100 %. Landesweit liegt der Wert bei 99 %3.
  • Die Bevölkerung in den kleinen Gemeinden ist tendenziell jünger als in größeren Städten der Zusammenhang mit der Gemeindegröße ist beim Durchschnittsalter allerdings etwas schwächer ausgeprägt als bei den vorangegangenen Indikatoren: Zwar sind die Einwohner in Gemeinden mit weniger als 1 000 Einwohnern im Schnitt am jüngsten (39,5 Jahre) und in den Großstädten mit über 250 000 am ältesten (42,2 Jahre). Das Durchschnittsalter der Städte in der Größenklasse von 100 000 bis 250 000 Einwohnern entspricht aber immerhin dem Landesdurchschnitt (41,1 Jahre) – sicherlich vor allem deshalb, weil es sich hier jeweils um Hochschulstandorte handelt. Alles in allem sind bei diesem Indikator erhebliche Unterschiede innerhalb der einzelnen Größenklassen festzustellen.
  • Signifikant ist dagegen der Zusammenhang zwischen Gemeindegröße und Größe der Privathaushalte aufgrund unterschiedlicher Bevölkerungsstrukturen. Dies ist vor allem auf den so genannten Singularisierungsprozess zurückzuführen, der in (groß-)städtischen Gebieten erheblich schneller als in ländlichen Räumen abgelaufen ist, weshalb die Haushalte in den kleineren Kommunen immer noch deutlich größer sind als in den Groß- und vor allem in den Universitätsstädten.
  • Kennzeichnend ist auch der Zusammenhang zwischen Gemeindegröße und dem Anteil an ausländischer Bevölkerung: Mit zunehmender Einwohnerzahl nimmt der Anteil der Bevölkerung mit einem ausländischen Pass stetig zu und zwar vor allem deshalb, weil – wie noch zu zeigen sein wird – das Arbeitsplatzangebot mit der Gemeindegröße korreliert. Während in den Kommunen mit weniger als 1 000 Einwohnern der Ausländeranteil lediglich bei knapp 4 % liegt, beträgt er in den drei Großstädten Baden-Württembergs mit über 250 000 Einwohner durchschnittlich 21 %.
  • Ein eindeutiger Zusammenhang zeigt sich – wie bereits angedeutet – auch zwischen dem örtlichen Arbeitsplatzangebot und der Gemeindegröße: In den ganz kleinen Gemeinden kommen auf 1 000 Einwohner durchschnittlich »nur« 147 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte; dieser Wert steigt mit zunehmender Gemeindegröße bis auf 551 je 1 000 Einwohner in den Großstädten mit mehr als 250 000 Einwohnern an. Landesweit den höchsten »Beschäftigtenbesatz« weist allerdings die etwa 300 Einwohner zählende Gemeinde Wembach im Landkreis Lörrach auf.
  • Dieses sehr unterschiedliche Arbeitsplatzangebot spiegelt sich auch im Pendlerverhalten wider: Während in den Gemeinden mit unter 5 000 Einwohnern auf 100 sozialversicherungspflichtige Auspendler im Durchschnitt lediglich knapp 50 Einpendler kommen, waren es bei den Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern mehr als fünfmal so viele.
  • Deutlich niedriger ist dagegen die Arbeitslosigkeit in den kleinen Gemeinden: Die Zahl der Arbeitslosen bezogen auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter war in den Kommunen mit weniger als 1 000 Einwohnern nicht einmal halb so hoch wie in den Großstädten mit über 250 000 Einwohnern4.
  • Beim Motorisierungsgrad der Bevölkerung ist naturgemäß – kleinere Gemeinden sind überwiegend in dünn besiedelten Gebieten gelegen und deshalb schlechter an den öffentlichen Personennahverkehr angeschlossen – ein deutliches »Land-Stadt-Gefälle« festzustellen: Spitzenreiter sind deshalb die ganz kleinen Gemeinden, den geringsten Pkw-Besatz haben die Städte mit zwischen 100 000 und 250 000 Einwohnern.
  • Ein »Stadt-Land-Gefälle« gibt es dagegen beim Übergang von Grundschülern auf Gymnasien: In den Gemeindegrößenklassen bis 10 000 Einwohner beträgt der Anteil der Übergänge auf Gymnasien zwischen 32 % und knapp 35 %; in den Großstädten mit über 100 000 Einwohnern liegt diese Quote immerhin gut 10 Prozentpunkte höher. Spiegelbildlich ist das Übergangsverhalten auf Realschulen, während sich bei den Hauptschulen die geringsten Unterschiede zwischen den einzelnen Größenklassen zeigen: Die höchsten Werte mit 30 % haben die Gemeinden mit zwischen 3 000 und 10 000 Einwohnern sowie mit 20 000 bis 50 000 Einwohnern, die geringste die Großstädte mit 26 %.
  • Da die kommunale Steuerkraft vor allem vom örtlichen Arbeitsplatzangebot (und daraus resultierend vom örtlichen Gewerbesteueraufkommen) bestimmt wird, korreliert auch dieser Indikator eng mit der Gemeindegröße. Einzig in den Gemeinden mit zwischen 100 000 und 250 000 Einwohnern – also den Hochschulstandorten – liegt die Steuerkraft niedriger als in den vorangegangenen Gemeindegrößenklassen.
  • Dagegen ist das Niveau der kommunalen Verschuldung zweigeteilt: In den Gemeindegrößenklassen bis 100 000 Einwohnern reicht der Pro-Kopf-Wert von 358 Euro bis 532 Euro; in den Großstädten liegt die durchschnittliche Verschuldung je Einwohner dagegen mehr als doppelt so hoch.
  • Bemerkenswert ist auch das unterschiedliche Wahlverhalten in den einzelnen Gemeinde-größenklassen: Bei der Bundestagswahl 2005 erzielte die CDU in den kleineren Gemeinden erheblich mehr Zweitstimmen als in den größeren Städten. Umgekehrt haben die SPD und auch die GRÜNEN in den Großstädten deutlich besser als in den kleineren Gemeinden abgeschnitten. Einzig bei der FDP ist der Wählerzuspruch kaum von der Gemeindegröße abhängig.
  • Auffällig sind auch die erheblichen Unterschiede in der Wahlbeteiligung: Bei der Bundestagswahl 2005 reichte die Spannweite von lediglich 72 % in Städten mit mehr als 250 000 Einwohnern bis annähernd 81 % in Gemeinden mit unter 1 000 Einwohnern. Landesweiter Spitzenreiter war die Gemeinde Unterwachingen im Alb-Donau-Kreis, in der 92,2 % ihre Zweitstimme (ohne Briefwähler) abgegeben haben.

Signifikante Unterschiede zwischen den Gemeindegrößenklassen

Die Auswertung aus dem Landesinformationssystem Baden-Württemberg hat anhand ausgewählter Indikatoren gezeigt, dass es signifikante Unterschiede für die Gemeinden nach Größenklassen gibt5. So weist die unterste Gemeindegrößenklasse (bis 1 000 Einwohner) bei immerhin 20 der 23 betrachteten Indikatoren jeweils den geringsten bzw. höchsten Wert der 10 Gemeindegrößenklassen auf; Ausnahmen: die Übergänge auf die Haupt- und Realschulen sowie auf die Gymnasien. Spiegelbildlich – wenn auch nicht ganz so prägnant – die Ergebnisse für die oberste Gemeindegrößenklasse: Die Großstädte mit mehr als 250 000 Einwohnern belegten immerhin bei 16 der 23 Indikatoren den höchsten bzw. niedrigsten Wert.

Die Ursachen für diese Zusammenhänge zwischen der Gemeindegröße und deren Strukturen sind vielfältig und – neben der Gemeindegröße – vor allem auch auf die raumstrukturelle Lage der Kommunen zurückzuführen. Konkret: Die Größe der Gemeinden korreliert stark mit der Verdichtung und der Flächennutzung des Raumes; diese sind wiederum mit erheblichen Unterschieden bei den Baulandpreisen verbunden, die zu regional divergierenden Gebäudestrukturen und Wohnungsversorgungsgraden geführt hat.

Andererseits haben nicht zuletzt die unterschiedlichen Wohnungskosten auch so genannte Stadt-Umland-Wanderungen bewirkt: Weil insbesondere Familien aus den (teuren) Zentren in das nähere Umland gezogen sind, hat dieser über Jahrzehnte anhaltende Suburbanisierungsprozess wiederum zu unterschiedlichen Strukturen der Privathaushalte geführt. Die ausländische Bevölkerung lebt dagegen aufgrund des überdurchschnittlichen Arbeitsplatzangebots immer noch ganz überwiegend in den größeren Städten. Und dieses hohe Arbeitsplatzangebot selbst ist wiederum ursächlich für die hier höhere kommunale Steuerkraft.

1 Zum 1. Mai 2006 wurde die Gemeinde Tennenbronn zu Schramberg eingemeindet.

2 Ausführlicher beschrieben ist der Zusammenhang zwischen Flächennutzung und Gemeindegröße in: Statistische Analysen, Heft 7/2005: Der Flächenverbrauch in Baden-Württemberg und seine wichtigsten Bestimmungsgründe, hrsg. vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg 2005, insbesondere S. 26.

3 Für eine exakte Ermittlung der Wohnungsversorgung wäre allerdings noch eine Fluktuationsreserve zu berücksichtigen sowie festzulegen, in welchem Umfang auch für Untermieterhaushalte ein Wohnungsbedarf anzusetzen ist.

4 Damit basiert diese Aussage nicht auf den amtlichen Arbeitslosenquoten, weil für Gemeinden keine Arbeitslosenquoten verfügbar sind. Vielmehr wurde hierzu hilfsweise die Zahl der Arbeitslosen auf die Bevölkerung im Alter von 15 bis unter 65 Jahren bezogen.

5 Die Aussage bezieht sich auf die ermittelten Durchschnittswerte; die Spannweite innerhalb einer Größenklasse ist allerdings teilweise beachtlich.