:: 9/2006

Revision 2005 der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung

Rechnerisch mehrere Milliarden Euro für die privaten Haushalte– und trotzdem nicht einen Euro mehr im Geldbeutel

Das Primäreinkommen der privaten Haushalte1 ist eine der zentralen Einkommensgrößen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und beschreibt das Einkommenspotenzial, das den privaten Haushalten aufgrund ihrer vielfältigen Beteiligung am Wirtschaftsleben aus Erwerbstätigkeit, aus Vermögen und unternehmerischem Handeln zufließen kann. Die in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen eingesetzten Methoden und Verfahren zur Bestimmung des Primäreinkommens wie auch anderer Größen werden in längeren Zeitabständen einem Erneuerungsprozess, den so genannten Revisionen, unterzogen. Im Rahmen der Revision 2005 führen diese methodischen Veränderungen zum Beispiel dazu, dass das Primäreinkommen (und in der Folge auch das Verfügbare Einkommen) rechnerisch um mehrere Mrd. Euro zunimmt, daraus allerdings keinerlei Kaufkraftzuwachs oder Wohlstandsgewinn für die Haushalte erwächst. Ursachen und Wirkungen dieser Entwicklung sind Gegenstand des vorliegenden Beitrags.

Die Revision 2005 der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ist ein Prozess, der bereits seit geraumer Zeit andauert. Erste nationale Ergebnisse wurden im April 2005 vom Statistischen Bundesamt publiziert, erste revidierte Ergebnisse zur Wirtschaftsleistung der Bundesländer – berechnet vom »Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« – sind seit Anfang Februar 2006 verfügbar.2 Mittlerweile sind die Berechnungen sowohl in regionaler wie auch in fachlicher Tiefe weiter vorangeschritten. Auf Kreisebene sind erste Zahlen zur Wirtschaftsleistung und zu den Verdiensten verfügbar, auf Länderebene sind jetzt die Berechnungen zur Einkommensentstehung und -verteilung abgeschlossen, die im Folgenden im Vordergrund stehen.

Drei wichtige Neuerungen stehen im Zentrum der Revision 2005:

  • die Deflationierung auf Vorjahrespreisbasis,
  • die Integration der Dienstleistungsstatistik sowie die
  • Behandlung der Bankdienstleistungen.

Die Neuerungen sind von unterschiedlicher Bedeutung für die Einkommensberechnungen. Während die Methode der Deflationierung praktisch keine Bedeutung hat, liefert die Dienstleistungsstatistik differenziertere Informationen zur Höhe und Verteilung der Verdienste nach Wirtschaftszweigen. Durch die Integration der Dienstleistungsstatistik kommt es daher zu strukturellen Verschiebungen beim Arbeitnehmerentgelt. Da das Arbeitnehmerentgelt wiederum die wichtigste Einzelkomponente des Primäreinkommens darstellt, bleibt die Dienstleistungsstatistik zwar nicht gänzlich ohne, aber doch von nur begrenzter Wirkung auf die revidierten Einkommensberechnungen. Von substanzieller Wirkung auf das Primäreinkommen ist dagegen die geänderte Behandlung der unterstellten Gebühren für Bankdienstleistungen, die so genannte FISIM3 (i-Punkt).

Durch die neue Methode der Verbuchung und Berechnung der FISIM steigen die empfangenen Zinsen und sinken die geleisteten Zinsen um die unterstellten Kosten für die Bankdienstleistungen. Dies hat einen spürbaren revisionsbedingten Anstieg des Primäreinkommens der privaten Haushalte in Baden-Württemberg zur Folge. Eine Gegenüberstellung des Primäreinkommens vor und nach Revision ist für die Jahre 1991 bis 2003 möglich (Schaubild). Die größte Abweichung ist danach im Jahr 1994 festzustellen, in dem das Primäreinkommen nach Revision mit 193,8 Mrd. Euro um rund 8,7 Mrd. Euro über dem Wert vor Revision liegt. Am aktuellen Rand der Berechnungen im Jahr 2003 beziffert sich die Differenz immerhin noch auf 4,0 Mrd. Euro. Im Allgemeinen liegt das Niveau des Primäreinkommens nach Revision um 0,7 % (2001) bis 4,7 % (1994) höher als zuvor.

Einkommenserhöhung nur fiktiv

Die FISIM-Bereinigung führt allerdings nur zu fiktiven Einkommenserhöhungen, da der buchungstechnischen Zunahme des Primäreinkommens vergleichbare Ausgaben auf der Konsumebene, nämlich der Kauf von Bankdienstleistungen bei der Inanspruchnahme von Spar- oder Kreditgeschäften gegenübersteht. Die FISIM erhöht somit Einkommen und Ausgaben der privaten Haushalte in gleichem Maße und ist daher aus deren Sicht ein durchlaufender Posten. Aufgrund der Natur der FISIM wird sie zudem nicht in direkten Zahlungsvorgängen sichtbar, sondern ist an die Zinsströme zwischen Haushalten und Finanzsektor gekoppelt. Sowohl Primäreinkommen als auch Verfügbares Einkommen und Konsumausgaben umfassen daher nach Revision immer auch unterstellte Käufe von Bankdienstleistungen, denen keine realen Zahlungsströme gegenüberstehen.

Auf der methodischen Grundlage der Revision wurde erstmals das Primäreinkommen für das Jahr 2004 berechnet. Es beziffert sich auf 246,2 Mrd. Euro und weist gegenüber 2003 ein Wachstum um 1,4 % auf. Da die Zahl der Einwohner in Baden-Württemberg nach wie vor zunimmt, fällt der Zuwachs je Einwohner etwas bescheidener aus: Das Primäreinkommen stieg rechnerisch um 1,1 % oder 253 Euro auf 23 002 Euro je Einwohner.

Lohnquote4 sinkt

Die geänderte Behandlung der FISIM hat Auswirkungen auf die Gewichte der einzelnen Komponenten des Primäreinkommens. Vereinfacht setzt sich das Primäreinkommen der privaten Haushalte aus folgenden Komponenten zusammen:

  • Arbeitnehmerentgelt (Bereitstellung von Arbeitskraft)
  • Vermögenseinkommen (Bereitstellung von Kapital)
  • Unternehmerische Tätigkeit

Durch die Integration der FISIM in die Zinszahlungen erhöht sich das Gewicht der Vermögenseinkommen, die ein Stück weit durch eine niedrigere Neubewertung von Betriebsüberschüssen und Selbstständigeneinkommen kompensiert wird. Vor der Revision lag die Lohnquote, also der Anteil des Arbeitnehmerentgelts am Primäreinkommen, bei Werten zwischen 68,6 % (2001) und 72,9 % (1993), der Anteil der Betriebsüberschüsse/Selbstständigeneinkommen und der per saldo erzielten Vermögenseinkommen erreichte demzufolge Werte von 27,1 % bis 31,4 %. Die Lohnquote lag vor Revision auf einem rund 2-Prozentpunkte höheren Niveau als nach der Revision. Nach der Revision erreicht der Anteil des Arbeitnehmerentgelts am Primäreinkommen nur noch in zwei Jahren – 1992 und 1993 – die 70%-Marke, für 2004 liegt er noch bei 67,2 %. Die Niveauverschiebung der Lohnquote durch die Revision ist zu großen Teilen auf die FISIM-Neuregelung zurückzuführen und damit eher buchungstechnischer Natur. Die Revision ändert nichts an der grundsätzlich rückläufigen Entwicklungstendenz der Lohnquote in den letzten Jahren.

Verfügbares Einkommen 2004 bei knapp 206 Mrd. Euro

Das Verfügbare Einkommen der privaten Haushalte in Baden-Württemberg beziffert sich im Jahr 2004 (nach Revision) auf 205,9 Mrd. Euro. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einer Zunahme um 2,4 % oder knapp 4,9 Mrd. Euro. Das Verfügbare Einkommen leitet sich aus dem Primäreinkommen ab, das um empfangene (zum Beispiel Sozialleistungen) und geleistete Transferzahlungen (zum Beispiel Steuern) bereinigt wird. Das Verfügbare Einkommen beschreibt jenen Betrag, der den Haushalten konzeptionell für den Konsum oder die Rücklagenbildung (Sparen) zur Verfügung steht. Aufgrund der Herleitung über das Primäreinkommen findet sich der beim Primäreinkommen bereits beschriebene Effekt der FISIM-Integration auch im Verfügbaren Einkommen wieder. Nach Revision liegt das Verfügbare Einkommen um 1,7 Mrd. Euro (2002) bis 8,5 Mrd. Euro (1994) über den Werten vor Revision. Die Entwicklung des Verfügbaren Einkommens sowie die Differenz vor und nach Revision folgen weitgehend der Entwicklung beim Primäreinkommen.

Durch die Integration der FISIM im Rahmen der Revision wird das Niveau des Verfügbaren Einkommens angehoben. Das Ausmaß der Verschiebung ist allerdings nicht in allen Jahren gleich, da das Volumen der FISIM im Lauf der Jahre schwankt. In der längerfristigen Betrachtung deutet sich eine Korrelation mit der Zinsentwicklung an, da die Revisionsdifferenz in den Jahren mit rückläufigem Zinsniveau am aktuellen Rand geringer wird, während die höchsten FISIM-Werte in der Hochzinsphase Mitte der 90er-Jahre zu verzeichnen sind. Insgesamt sind aber durch die Revision der Entwicklungsverlauf und damit die jährlichen Veränderungsraten des Verfügbaren Einkommens wenig verändert.

Steuerentlastung in 2004 um 1,4 Mrd. Euro

Aufgrund seiner Stellung am Ende der staatlich induzierten Umverteilungsprozesse reagiert das Verfügbare Einkommen nicht nur auf Veränderungen der primären Einkommensbestandteile, sondern auch auf fiskal- oder sozialpolitische Entscheidungen. Das zeigt sich deutlich am aktuellen Rand der Berechnungen zum Verfügbaren Einkommen. Im Vergleich von 2004 mit 2003 erweist sich die Steuerreform 2004 als Maßnahme mit der größten entlastenden Einzelwirkung für die privaten Haushalte. Im Jahr 2003 beziffert sich die Summe der von den privaten Haushalten gezahlten Einkommen- und Vermögensteuern auf knapp 32 Mrd. Euro, im Jahr 2004 sind es nur noch 30,5 Mrd. Euro, also gut 1,4 Mrd. Euro weniger als im Vorjahr. Da sich die im Rahmen der sekundären Umverteilung erhaltenen bzw. geleisteten Transferzahlungen ansonsten nahezu die Waage halten, wird die Steuerentlastung im selben Umfang in einer Zunahme des Verfügbaren Einkommens für die privaten Haushalte wirksam.

Die Steuerreform 2004 ist daher die größte Einzelkomponente für die Zunahme des Verfügbaren Einkommens zwischen 2003 und 2004 um 2,4 % oder 4,9 Mrd. Euro. Der übrige Zuwachs geht auf Veränderungen bei den primären Einkommenskomponenten zurück. Bemerkenswert ist, dass von der größten primären Einzelkomponente – dem Arbeitnehmerentgelt – die geringste Dynamik ausgeht. Schon im Jahr 2004 schlägt sich tendenziell im Volumen des Arbeitnehmerentgelts die Stagnation von Verdiensten und Beschäftigtenzahlen nieder. Die Wachstumsrate beträgt nur 0,6 %, was einem Volumen von 960 Mill. Euro entspricht. Die aufgrund einer ausgeprägten Sparneigung zunehmende Kapitalakkumulation in den privaten Haushalten des Landes, aber auch die im globalisierten Wettbewerb zutage tretende Stärkung der Kapitalseite lassen die beiden anderen Komponenten des Primäreinkommens demgegenüber stärker an Bedeutung gewinnen. Die Betriebsüberschüsse und Selbstständigeneinkommen nehmen um 1,2 Mrd. Euro zu, der Saldo aus empfangenen und geleisteten Vermögenseinkommen wächst in ähnlicher Größenordnung. Dieser Trend könnte sich auch in Zukunft fortsetzen. Dafür sprechen moderate Tarifabschlüsse, ein insgesamt stagnierendes Beschäftigungsvolumen, anziehende Zinsen und positive Gewinnnachrichten aus dem Unternehmenssektor.

1 In den Volkwirtschaftlichen Gesamtrechnungen erfolgt die Darstellung der privaten Haushalte immer einschließlich der privaten Organisationen ohne Erwerbszweck.

2 Vgl. auch Fischer, Berthold/Thalheimer, Frank: Revision 2005 der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 2005 – Neue Ergebnisse für das Bruttoinlandsprodukt, in: Statistisches Monatsheft 6/2006, S. 30 ff.

3 FInanzServiceleistung, Indirekte Messung.

4 Lohnquote: Hier definiert als Anteil des Arbeitnehmerentgelts am Primäreinkommen der privaten Haushalte.