:: 3/2007

Die Bedeutung der Belastung der Wirtschaft durch amtliche Statistiken

Ergebnisse der DIW-Studie

Die Diskussion über die Belastung der Wirtschaft durch zu viel staatliche Bürokratie ist ein Dauerthema in Politik und Gesellschaft1. Bei dieser Diskussion wird auch die amtliche Statistik zu den Bürokratielasten gezählt und eine Entlastung der Wirtschaft von statistischen Berichtspflichten gefordert. Die dafür ins Feld geführten Argumente, die sich auf Einzelfälle und bisher vorliegende Untersuchungen stützen, sind jedoch oft undifferenziert, strittig und selten nachvollziehbar. Um zu einer Versachlichung dieser Diskussion beizutragen, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) im November 2003 dem DIW Berlin den Auftrag erteilt, eine Untersuchung über »Die Bedeutung der Belastung der Wirtschaft durch amtliche Statistiken« durchzuführen.

Begleitet wurde die Untersuchung durch einen Projektbeirat, dem Vertreter des Auftraggebers, der statistischen Ämter sowie ausgewählter Wirtschaftsverbände angehörten. Vor Abschluss der Arbeiten wurde am 30. März 2006 ein Workshop durchgeführt, auf dem die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchung einem ausgewählten Kreis vorgestellt und diskutiert wurden. Der Öffentlichkeit wurden die endgültigen Ergebnisse der Belastungsstudie auf einer Pressekonferenz des DIW Berlin am 26. Juli 2006 im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin präsentiert.2

15 % aller Unternehmen zu amtlichen Statistiken meldepflichtig

Das bei den statistischen Ämtern geführte Unternehmensregister ermöglicht einen ersten Einblick in die Belastungssituation der deutschen Wirtschaft durch die Erhebungen der statistischen Ämter. Es zeigt, dass von den knapp 3,5 Mill. Unternehmen in Deutschland im Jahr 2004 rund 85 % zu keiner amtlichen statistischen Erhebung herangezogen wurden. Von den 15,2 % der Unternehmen, die Statistikpflichten zu erbringen hatten, meldeten 10,8 % zu einer Statistik und 2,2 % der Unternehmen zu zwei Statistiken. Von drei und mehr statistischen Erhebungen waren ebenfalls 2,2 % der Unternehmen betroffen; darunter befanden sich 1,1 % Berichtspflichtige, die fünf und mehr Erhebungen beantworten mussten.

Eine Unterteilung dieser Angaben zur Meldepflicht nach Größenklassen der Unternehmen lässt erkennen, dass der Anteil der meldepflichtigen Unternehmen sich umgekehrt proportional zur Größe der Unternehmen verhält. Von den Kleinstunternehmen, also den Berichtspflichtigen der Größenklasse mit bis zu neun sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, wurden 12,6 % zu einer oder mehreren Meldungen herangezogen. Von den Kleinunternehmen (10 bis 49 Beschäftigte) und von den mittleren Unternehmen (50 bis 249 Beschäftigte) waren zwischen vier Zehntel und zwei Drittel betroffen. Von den Unternehmen der Größenklasse 250 bis 499 Beschäftigte wurden 73 % und von den Großunternehmen mit 500 und mehr Beschäftigten gut vier Fünftel zur Abgabe statistischer Meldungen herangezogen.

Zeitaufwand für einzelne Statistiken sehr unterschiedlich

Die durch die Auswertung des Unternehmensregisters gewonnene Information über die Betroffenheit von Unternehmen durch Erhebungen der statistischen Ämter reicht nicht aus, um die tatsächliche Belastung der Befragten richtig einzuschätzen. Hierfür ist eine individuelle Befragung über den Zeitaufwand zur Bearbeitung der Statistiken erforderlich. Diese Befragung erfolgte im unmittelbaren Zusammenhang mit der jeweiligen statistischen Erhebung mit einem eigenständigen Fragebogen, in dem nach dem Zeitaufwand für die Erhebung, nach den daran beteiligten Stellen und nach der Herkunft der geforderten Angaben, nach Schwierigkeiten bei der Beantwortung sowie nach Verbesserungsvorschlägen gefragt wurde.

Die Zahl der in die Belastungsbefragung einbezogenen berichtspflichtigen Unternehmen und Betriebe lag bei 168 300. Knapp 75 000 Berichtspflichtige haben den Befragungsbogen zurückgesandt, was eine durchschnittliche Rücklaufquote von 44,5 % bedeutet.

Aus Vergleichsgründen wurde eine Normierung des erfragten Zeitaufwands auf Jahresbasis vorgenommen; das heißt, die Zeitangaben für Statistiken mit monatlicher Meldefrequenz wurden mit 12 und diejenigen mit vierteljährlicher Meldefrequenz mit 4 multipliziert. Zeitangaben für Statistiken mit mehrjährlichen Meldefrequenzen wurden dagegen nicht umgerechnet, weil der Meldeaufwand im Jahr 2004 angefallen ist. Die so ermittelten jährlichen Bearbeitungszeiten für die amtlichen Statistiken wurden in eine Rangfolge gebracht, die zeigt, dass die Intrahandelsstatistik mit einem Meldeaufwand von 3 448 Minuten Rang 1 und die Binnenschifffahrtsstatistik mit 42 Minuten Rang 72 belegen.

Durchschnittlicher Meldeaufwand liegt bei 64 Minuten im Monat

Die Verknüpfung der gewichteten empirischen Befunde mit den Rahmendaten des Unternehmensregisters ergibt für die 528 500 Unternehmen, die im Jahr 2004 von statistischen Berichtspflichten betroffen waren, einen Meldeaufwand von rund 6,7 Mill. Stunden. Der durchschnittliche Aufwand je meldepflichtigem Unternehmen ist mit jährlich 12,7 Stunden – das entspricht einem monatlichen Meldeaufwand von 64 Minuten – gering; die Verteilung nach Beschäftigtengrößenklassen und nach Wirtschaftsbereichen differiert aber stark.

Der Meldeaufwand der Kleinstunternehmen mit bis zu neun sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die mit fast 42 % aller berichtspflichtigen Unternehmen die größte Gruppe darstellen, macht mit beinahe 1,4 Mill. Stunden ein Fünftel des gesamten Zeitaufwands für amtliche Statistiken aus. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit liegt bei 6,1 Stunden, was der Hälfte des gesamten durchschnittlichen Meldeaufwands entspricht. Bezieht man den Meldeaufwand auf die rund 707 000 Beschäftigten in den Kleinstunternehmen, erhält man einen Aufwand je Beschäftigten von 1,9 Stunden. Dieser Wert ist sechsmal größer als der Durchschnitt über alle meldepflichtigen Unternehmen.

Umgekehrt verhält es sich mit der Klasse der Großunternehmen mit 500 und mehr Beschäftigten. Auf sie entfallen 0,8 % des gesamten Meldeaufwands bei einer durchschnittlichen jährlichen Bearbeitungszeit je meldepflichtigem Unternehmen von 122,3 Stunden; also zehnmal so viel wie der jahresdurchschnittliche Meldeaufwand aller betroffenen Unternehmen. Der durchschnittliche Zeitaufwand für Statistikpflichten je Beschäftigten liegt hier bei 0,1 Stunden. Diese Ergebnisse zeigen, dass das Argumentieren mit Durchschnitten bei Aussagen über die zeitliche Belastung durch amtliche Statistiken nur bedingt sinnvoll ist.

Die Ergebnisanalyse macht zudem deutlich, dass der größte Meldeaufwand vom Verarbeitenden Gewerbe, vom Bereich »Handel; Instandhaltung und Reparatur von Gebrauchsgütern« und vom Bereich »Grundstücks- und Wohnungswesen, Vermietung; Dienstleistungen für Unternehmen« erbracht wird. Die durchschnittlichen Bearbeitungszeiten für die Erhebungen der statistischen Ämter liegen hier bei 35,4 Stunden, bei 19,8 Stunden und bei 5,8 Stunden. Innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes sind es die Unternehmen der drei Unterabschnitte »Maschinenbau«, »Metallerzeugung und -bearbeitung, Herstellung von Metallerzeugnissen« sowie »Herstellung von Büromaschinen, Datenverarbeitungsgeräten und -einrichtungen; Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik«, die mit einem Anteil von 45 % an allen Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes gut 46 % des Meldeaufwandes von 2,6 Mill. Stunden erbringen.

Setzt man den gesamten Meldeaufwand in Höhe von 6,7 Mill. Stunden zu den von den 34,6 Mill. Beschäftigten Arbeitnehmern geleisteten 47,1 Mrd. Stunden in Beziehung, erhält man einen sogenannten Statistik-Belastungsquotienten von 0,014 %. Nimmt man als Bezugsgröße für den Belastungsquotienten das Arbeitsvolumen der in den meldepflichtigen Unternehmen mit Verwaltungstätigkeiten befassten abhängig Beschäftigten und Selbstständigen, kommt man auf einen Statistikanteil am Zeitaufwand für Verwaltung von 0,15 %. Diese Ergebnisse stehen im Gegensatz zu der weitverbreiteten Meinung, dass die Meldepflichten zur amtlichen Statistik die Wirtschaft stark belasten.

Amtliche Statistik nur geringer Teil der Bürokratiebelastung

Zur Einordnung der Ergebnisse der Belastungsstudie wurden ausgewählte Teilnehmer dieser Erhebung um Angaben zu ihrem Zeitaufwand für die Bearbeitung nicht amtlicher Statistiken sowie anderer Berichtspflichten gebeten, die im Zuge ihrer Unternehmenstätigkeiten anfallen.

Bei den Statistikmeldungen überwiegen die Anforderungen der amtlichen Statistik; knapp zwei Drittel des Bearbeitungsaufwands der Unternehmen entfällt auf sie. Hinzu kommen statistische Meldungen an die Deutsche Bundesbank, soweit aus den Antworten ersichtlich, gemäß dem Außenwirtschaftsgesetz. Bei den anderen Meldungen dominieren die Anforderungen der Wirtschaftsverbände. Sie und die Kammern beanspruchen zusammen 15,4 % der Bearbeitungszeit, die von den Unternehmen für statistische Meldungen aufgebracht werden muss. Allerdings handelt es sich bei diesen Meldungen überwiegend um freiwillig erteilte Auskünfte.

Freiwillig ist auch die Beantwortung der Auskunftsersuchen von Forschungsinstituten, auf die 5,6 % des Bearbeitungsaufwands entfällt. Nicht genau klären ließ sich der Status von Meldungen, die den Angaben der Befragten zufolge von den verschiedenen Ministerien und Verwaltungsstellen angefordert wurden. In der Gesamtbetrachtung vergleichsweise unbedeutend sind die übrigen Institutionen, von denen nur die Meldungen an das Umweltbundesamt mit 2,3 % der insgesamt erforderlichen Bearbeitungszeit einen nennenswerten Aufwand verursachten.

Bei der Ermittlung des Zeitaufwandes für die Beanspruchung der Unternehmen durch andere Dienstleistungen für die öffentliche Verwaltung wurde der Fokus auf gesetzliche Melde- und Informationspflichten im Zusammenhang mit bestimmten Tätigkeitsfeldern der Berichtseinheiten gelegt. Ziel der Befragung war es nicht, den Zeitaufwand der zur amtlichen Statistik meldenden Unternehmen für einzelne zusätzliche Berichtspflichten präzise zu erfassen, sondern Größenordnungen für Vergleichszwecke zu ermitteln. So lassen die Befragungsergebnisse erkennen, dass Aufzeichnung und Weitergabe von Informationen oder auch das Ausstellen von Bescheinigungen im Zusammenhang mit Personalwesen, Steuer- und Rechnungswesen sowie Produktion und Leistungserstellung im Durchschnitt der Unternehmen mit rund 27 % bis 33 % des gesamten Zeitaufwands annähernd gleich große Belastungen darstellen. Im Vergleich dazu ist der Aufwand für die Pflichtmeldungen zur amtlichen Statistik gering. Nur knapp 9 % des Zeitaufwands für bürokratische Informationspflichten ist durch die Anforderungen der amtlichen Statistik verursacht.

Folgerungen

Die DIW-Belastungsstudie belegt, die amtliche Statistik ist in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung nicht der große Belastungsfaktor, als der sie in der öffentlichen Diskussion oft dargestellt wird. Ein schneller, breit spürbarer Erfolg im Kampf gegen »Bürokratielasten« wäre also auch mit einer drastischen Reduzierung der statistischen Meldepflichten nicht zu erzielen. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass ein kleiner Teil der Unternehmen umfangreiche Statistikmeldungen mit hohem Zeitaufwand regelmäßig zu erbringen hat; darunter befinden sich auch viele Kleinst- und Kleinunternehmen. Anders als größere Unternehmen können sie nur in geringem Umfang Vorteile der Kostendegression nutzen.

Die Analysen der Ergebnisse der Belastungserhebung haben außerdem gezeigt, dass nicht die einzelne statistische Erhebung, sondern die Häufung der Meldepflichten zum Problem wird. Eine gleichmäßigere Verteilung der Berichtspflichten, nach Meinung der Unternehmen zum Beispiel durch stärkeren Einsatz des Rotationsprinzips, scheint aus dieser Perspektive eine Notwendigkeit zu sein. Die Erleichterung unter anderem durch noch intensivere Online-Datenerhebung oder durch den Wechsel vom System der Primärstatistiken zu einem registergestützten Statistiksystem sowie eine ausgewogenere Verteilung der statistischen Meldepflichten ist bei den vorliegenden Ergebnissen zwar keine Frage der gesamtwirtschaftlichen Reduzierung von Bürokratie, wohl aber eine der Einzelfallgerechtigkeit.

Es bleibt zu hoffen, dass die Ergebnisse der Tests mit dem Verwaltungsdatenverwendungsgesetz und der Einführung der Wirtschafts-Identifikationsnummer sowie die Auswirkungen der »Reform der Unternehmensstatistik« bei den von der amtlichen Statistik stark betroffenen Unternehmen weitere Entlastungsmöglichkeiten eröffnen. Die Zielsetzung lautet: Nicht an der amtlichen Statistik sparen, sondern mit der amtlichen Statistik sparen.

1 Auch die Regierung der großen Koalition hat den Abbau von Bürokratie zu einem ihrer politischen Ziele erklärt. Siehe den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005: »Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit«, Kapitel 9.1 Entlastung der Bürger und der Wirtschaft von Bürokratiekosten.

2 Eine Langfassung ist nachzulesen bei Stäglin, Reiner/Pfeiffer, Ingo: Die Bedeutung der Belastung der Wirtschaft durch die amtliche Statistik – Ergebnisse der DIW-Studie, in: Wirtschaft und Statistik Heft 11/06, Statistisches Bundesamt (Hrsg.).