:: 5/2007

Dynamik des Ländlichen Raums Baden-Württembergs wird schwächer

Die aktuelle Diskussion um die Neuen Leitbilder der Raumentwicklung und eine stärkere Förderung der Metropolregionen führt zu Ängsten bei Akteuren, die sich um die Zukunft des Ländlichen Raum sorgen. »Der ländliche Raum darf nicht abgehängt werden!« ist ihre Forderung. In den letzten Jahrzehnten ist der Ländliche Raum in Baden-Württemberg zum Glück nicht hinter den Agglomerationsräumen1 zurückgeblieben, sondern hat vielmehr eine beachtliche Entwicklung erfahren. Aber es gibt durchaus neuere Erscheinungen im Ländlichen Raum, die weniger günstig sind und auf die hingewiesen werden sollte.

Nach dem Landesentwicklungsplan 2002 zählen in Baden-Württemberg flächenmäßig etwas über 60 % der Landesfläche zum Ländlichen Raum im engeren Sinn (hier kurz »Ländlicher Raum«2. In diesem eher dünn besiedelten Gebiet leben nur zirka 25 % der Bevölkerung (i-Punkt). Durchschnittlich sind das 150 Einwohner pro Quadratkilometer. Auf die Agglomerationsräume des Landes entfällt nur ein Sechstel der Landesfläche, doch lebt hier über die Hälfte der Bevölkerung. Die Bevölkerungsdichte beträgt 908 Einwohner pro Quadratkilometer. Daneben sind im Landesentwicklungsplan Verdichtungsbereiche im Ländlichen Raum (8 % der Fläche und der Bevölkerung) und Randzonen um die Agglomerationsräume (15 % der Fläche und der Bevölkerung) definiert.

Der Ländliche Raum: vom Agrar- zum Industriestandort

48 % der Gesamtfläche des Ländlichen Raums wird auch heute noch von der Landwirtschaft genutzt. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche nimmt nur rund 10 % ein. Der Rest sind Waldflächen (41 %). In den Agglomerationsräumen sind 43 % Flächen der Landwirtschaft. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche nimmt mit 26 % deutlich mehr Fläche als im Ländlichen Raum ein. Die Waldfläche ist mit nur 29 % dafür erheblich kleiner. Der Anteil der Landwirtschaftsfläche an der Gesamtfläche ist in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen. Der Strukturwandel der Landwirtschaft zeigt sich vor allem in einer Halbierung der Anzahl der Betriebe in den letzten 25 Jahren. So arbeiten heute nur noch 2 % der Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft. Landesweit ist die Mehrzahl der Beschäftigten in Unternehmen des Dienstleistungssektors beschäftigt. Nur im Ländlichen Raum sind auch heute noch über 50 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Produzierenden Sektor tätig. Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft hat sich in den Agglomerationsräumen somit schneller vollzogen als im Ländlichen Raum.

Günstige Beschäftigtenentwicklung lässt nach

Bis in die 90er-Jahre hinein verlief das Auf und Ab der Beschäftigtenzahlen im Ländlichen Raum meistens günstiger als in den Agglomerationsräumen. Diese Entwicklung ist erstaunlich: Der Ländliche Raum hatte über viele Jahre hinweg eine positivere Beschäftigungsentwicklung als die Agglomerationsräume, obwohl der Produzierende Sektor im Ländlichen Raum besonders stark und die Wachstumsbranchen des Dienstleistungsbereichs eher unterrepräsentiert waren und sind. Das heißt letztlich, dass sich im Ländlichen Raum eine Vielzahl der produzierenden Branchen weiter entwickeln bzw. halten konnte.

Die jüngere Entwicklung zeigt allerdings, dass diese günstige Entwicklung des Ländlichen Raums nachlässt. So erreichte der Ländliche Raum in den Jahren 1999 bis 2002 nicht mehr die Wachstumsraten der Agglomerationsräume. Zwischen 2003 und 2005 sind die Beschäftigtenzahlen landesweit gesunken. Während die Verluste im Ländlichen Raum 2003 und 2004 niedriger waren als in den Agglomerationsräumen, lagen sie zuletzt darüber.

Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die Entwicklung innerhalb des Ländlichen Raums unterschiedlich verläuft. Während in den letzten 5 Jahren einerseits ein Fünftel der ländlichen Kommunen einen Beschäftigtenverlust von über 14 % zu verzeichnen hatten, haben andererseits 122 der 609 Kommunen im Ländlichen Raum ein Wachstum der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von über 9 % erreicht (Durchschnitt: –2,6 %).

Die Möglichkeiten im Ländlichen Raum einen Arbeitsplatz zu finden sind insgesamt ungünstiger als in den Agglomerationsräumen: Im Jahr 2005 gab es im Ländlichen Raum 267 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte je 1 000 Einwohner, in den Agglomerationsräumen 406. Dieses unterdurchschnittliche Arbeitsplatzangebot spiegelt sich auch im Pendlersaldo wieder: Per saldo pendelten knapp 30 % der Beschäftigten aus dem Ländlichen Raum aus. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist die Arbeitslosigkeit im Ländlichen Raum nicht wesentlich höher als in den Agglomerationsräumen. Im Juni 2005 waren im Ländlichen Raum zirka 81 000 Menschen arbeitslos gemeldet, in den Agglomerationsräumen 212 000. Der Anteil von arbeitslosen Frauen an allen Arbeitslosen ist im Ländlichen Raum mit 50 % etwas höher als in den Agglomerationsräumen mit 47 %.

Ende der dynamischen Bevölkerungsentwicklung?

In den 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die Zunahme der Bevölkerungszahl im Ländlichen Raum unterdurchschnittlich und die Agglomerationsräume wuchsen stärker als der Ländliche Raum. In den 70er-Jahren glich sich die Entwicklung in beiden Räumen an und kehrte sich in den 80er-Jahren um. Während die Agglomerationsräume zwischen 1982 und 1984 mit Bevölkerungsverlusten zu kämpfen hatten, konnte der Ländliche Raum seine Bevölkerungszahl mehr oder weniger halten. Von 1989 bis zur Jahrhundertwende überflügelte der Ländliche Raum die Agglomerationsräume; seitdem wächst die Bevölkerungszahl in den Agglomerationsräumen wieder etwas stärker.

In den letzten 5 Jahren ist die Bevölkerungszahl des Ländlichen Raums insgesamt um 1,7 % gewachsen (Agglomerationsräume: 2,2 %). Ein Fünftel der Gemeinden im Ländlichen Raum haben jedoch mehr als 0,6 % an Bevölkerung verloren. Allerdings konnten auch 122 ländliche Gemeinden Bevölkerungsgewinne von über 4 % erzielen.

Über lange Jahre hat neben der teils administrativ gesteuerten Zuwanderung aus dem Ausland und der Zuwanderung aus den neuen Bundesländern auch der Suburbanisierungsprozess, das heißt die Abwanderung von Bevölkerung aus den Städten in ihr Umland, zum Bevölkerungswachstum des Ländlichen Raumes beigetragen. Gründe dafür sind unter anderem der in den Zentren knappe Baugrund, die hohen Grundstücks- und Erschließungskosten und damit das relativ teure Wohnen. Besonders deutlich wird dies anhand der Baulandpreise: Der Quadratmeterpreis für baureifes Land lag im Ländlichen Raum im Jahr 2005 bei durchschnittlich 98 Euro, in den Agglomerationsräumen bei 390 Euro.

Diese regionalen Unterschiede der Baulandpreise haben unter anderem dazu geführt, dass zwei Drittel der Wohngebäude im Ländlichen Raum Einfamilienhäuser sind, in den Agglomerationsräumen lediglich die Hälfte. Der hohe Anteil an Einfamilienhäusern im Ländlichen Raum geht einher mit relativ großen Wohnungen und einer günstigen Wohnflächenversorgung. Mit durchschnittlich 101 m² sind die Wohnungen derzeit 17 m² größer als in den Agglomerationsräumen. Die verfügbare Fläche je Einwohner lag mit 44 m² zwar ebenfalls über dem der Agglomerationsräume (40 m²), der Unterschied ist hier aufgrund der größeren Haushalte im Ländlichen Raum jedoch geringer.

Die ausgeprägte Stadt-Umland-Wanderung ging mit einer hohen Dynamik beim Wohnungsbau einher. Zwischen 1990 und Ende 2005 erhöhte sich im Ländlichen Raum der Wohnungsbestand um 29 % in den Agglomerationsräumen lediglich um 18 %. Allerdings hat das Bevölkerungswachstum der Agglomerationsräume in den letzten 5 Jahren dazu geführt, dass mitunter bereits von einer »Renaissance der großen Städte« gesprochen wird. Ob diese Entwicklung in Zukunft anhält, ist noch nicht sicher.

Im Ländlichen Raum hat bis Ende der 90er-Jahre neben der Zuwanderung die relativ hohe Anzahl der Geburten zum Wachstum beigetragen. Seit 1997 haben sich die Werte immer weiter angeglichen, sodass in den letzten 2 Jahren im Ländlichen Raum die »rohe Geburtenrate« (Geburten je Einwohner) geringfügig niedriger als in den Agglomerationsräumen ausfiel. Dennoch zeigte der Ländliche Raum in den letzten Jahren noch immer eine höhere Fertilitätsrate von durchschnittlich 1,5 Kindern pro Frau als die Agglomerationsräume mit 1,3 Kindern.

Junge ländliche Bevölkerung …

Vor allem die ehemals hohen Geburtenraten des Ländlichen Raums und die Zuwanderung junger Familien haben dazu geführt, dass dort die Bevölkerung immer noch jünger als in den Agglomerationsräumen ist. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung lag im Jahr 2005 im Ländlichen Raum bei 40,7 Jahren, in den Agglomerationsräumen aber bei 41,7 Jahren. Noch deutlicher werden die Altersunterschiede der Bevölkerung, wenn die Jüngeren gesondert betrachtet werden: Im Ländlichen Raum sind immerhin 17 % der Bevölkerung unter 15 Jahre alt, in den Agglomerationsräumen dagegen nur 14 %. Auch leben im Ländlichen Raum nicht mehr ältere Personen als in den Agglomerationsräumen. 2005 waren im Ländlichen Raum 18,0 % der Bevölkerung über 65 Jahre und 1,7 % über 85 Jahre alt. Die Bevölkerungsanteile dieser Altersgruppen lagen in den Agglomerationsräumen mit 18,2 % und 1,9 % sogar geringfügig darüber.

Allerdings ist die erwerbsfähige Bevölkerung im Ländlichen Raum inzwischen älter als die der Agglomerationsräume. So kamen dort 2005 auf 100 der 40- bis unter 60-jährigen Personen im Ländlichen Raum nur 88 der 20- bis unter 40-jährigen, in den Agglomerationsräumen waren es 98. Bereits im Jahr 2000 war dieser als Erneuerungsindex bezeichnete Wert niedriger als in den Agglomerationsräumen. In den Jahren 1985, 1990 und 1995 hatte er noch höher bzw. gleich hoch gelegen.

… altert stärker als in den Agglomerationsräumen

Seit Kurzem liegen auch die aktuellen Zahlen der regionalisierten Bevölkerungsvorausrechnung des Statistischen Landesamtes zur zukünftigen demografischen Entwicklung bis 2025 vor3. Danach wird der erwartete Bevölkerungsrückgang im Ländlichen Raum (– 0,4 %) nicht ganz so stark ausfallen wie in den Agglomerationsräumen (– 1,4 %) (vgl. i-Punkt). Entscheidender als die Bevölkerungsentwicklung insgesamt sind die zu erwartenden Altersstruktureffekte. Diese werden im Ländlichen Raum mit großer Wahrscheinlichkeit besonders wirksam werden, da vor allem jene Bevölkerungsgruppe, von der der Ländliche Raum bisher am meisten profitiert hat – nämlich junge Familien – den stärksten Rückgang verzeichnen wird. Das Durchschnittsalter wird 2025 voraussichtlich in beiden Teilräumen 45,8 Jahre betragen.

Die Altersstruktur wird sich dabei im Ländlichen Raum wie folgt ändern:

AltersgruppePersonen in %Personen AnzahlAgglomerationsräume in %
unter 15-Jährige−22103 000−17
über 65-Jährige+33169 000+27
über 85-Jährige+13165 000+99

Angleichung der Entwicklung

Der Ländliche Raum hat im Vergleich zu den Agglomerationsräumen in den letzten Jahren an Dynamik eingebüßt. Doch kann bisher noch nicht davon gesprochen werden, dass er als Ganzes zurückgeblieben ist. Vielmehr hat sich die Entwicklung in beiden Raumkategorien angeglichen. Allerdings bestehen immer noch strukturelle Unterschiede zwischen Ländlichem Raum und Agglomerationsräumen, die die weitere Entwicklung beeinflussen könnten.

Eines ist aber bei den vorgelegten Daten zu bedenken: Der Ländliche Raum ist kein homogenes Gebilde – ebenso wenig wie es den Agglomerationsraum gibt, gibt es den Ländlichen Raum. Gerade in Baden-Württemberg ist der Ländliche Raum besonders vielfältig. Stärkere und schwächere, wachsende und schrumpfende Gemeinden liegen oft direkt nebeneinander. Wie in der Vergangenheit werden sich deshalb die einzelnen Teilräume des Ländlichen Raumes auch in Zukunft unterschiedlich entwickeln.

1 Agglomerationsräume sind hier die Verdichtungsräume des Landesentwicklungsplans von 2002 (Stuttgart, Rhein-Neckar, Karlsruhe/Pforzheim, Freiburg, Lörrach/Weil, Ulm, Bodenseeraum); nicht dazu zählen die Randzonen der Verdichtungsräume und die Verdichtungsbereiche im Ländlichen Raum.

2 Ländlicher Raum im engeren Sinne (i.e.S.) ist der Ländliche Raum insgesamt ohne die Verdichtungsbereiche im Ländlichen Raum (Schwäbisch Hall/Crailsheim, Aalen/Heidenheim/Ellwangen, Offenburg/Lahr/Kehl, Villingen-Schwenningen/Tuttlingen/Rottweil, Albstadt/Balingen/Hechingen).

3 Vgl.: Eildienst 57/2007 »Landkreis Heilbronn wächst bis 2025 voraussichtlich am stärksten« und Eildienst 58/2007 »Ulm wird 2025 voraussichtlich Kreis mit jüngster Bevölkerung sein« vom 22. Februar 2007.