:: 6/2007

Geburtendefizite und hohe »Zuwanderung« von Säuglingen am Hochrhein

… oder wie vorsichtig man mit Daten umgehen muss

In einigen der an die Schweiz grenzenden Gemeinden am Hochrhein ist der Anteil der »Zuwanderer« unter einem Jahr deutlich höher als im Landesschnitt. Je nach der Lage der Gemeinde und deren Nähe zu medizinischen Einrichtungen kann vermutet werden, dass es sich zum Teil um Kinder handelt, die in der Schweiz geboren wurden. Mit Hilfe der Geburtenstatistik lässt sich dies allerdings nicht nachweisen. Deshalb wurde anhand von weiteren Auswertungen versucht, die These zu belegen. Es ergaben sich Anhaltspunkte, die diese Annahme zumindest für einige der Hochrheingemeinden bestätigen.

Im Blickpunkt der Untersuchung stehen die direkt an die Schweiz grenzenden Gemeinden der Landkreise Lörrach, Waldshut und Konstanz. Diese weisen zum Teil seit Längerem einen überdurchschnittlich hohen Anteil an unter 1-jährigen »Zuwanderern« auf, was sich in deren Relation zur Zahl der Geburten vor Ort noch deutlicher zeigt. Dieser Anteil beträgt für das Land Baden-Württemberg gut 5 %. In einigen der im Grenzgebiet zur Schweiz gelegenen Gemeinden ist dieser Anteil deutlich höher. So geht er in Jestetten und Lottstetten (beide im Landkreis Waldshut gelegen) über das 6-fache des Landeswertes hinaus. Auch der Anteil in der Exklave Büsingen am Hochrhein ist aufgrund der spezifischen Situation extrem hoch. Insbesondere für diese, aber möglicherweise auch für weitere Gemeinden, ist anzunehmen, dass die jungen »Zuwanderer« Kinder sind, die in der Schweiz geboren wurden. In der Statistik würden sie demnach als Zuwanderer im Wohnort der Mutter erhoben (i-Punkt).

Gründe für dieses Verhalten können die Lage der Gemeinden und damit die Erreichbarkeit entsprechender Einrichtungen oder eine spezielle fachliche Ausrichtung sein. Der Statistik bekannte Krankenhäuser mit Fachbereichen für Frauenheilkunde und/oder Geburtshilfe sind – wie der Karte zu entnehmen – nicht un-bedingt für jede der Gemeinden gut zu erreichen. Ob es sich nun bei den hohen Anteilen an unter 1-jährigen »Zuwanderern« tatsächlich um in der Schweiz geborene Kinder handelt, soll für ausgewählte Gemeinden am Hochrhein näher untersucht werden. Aufgrund der Schwankungen und der Höhe der Fallzahlen der zumeist kleineren Gemeinden wurde der Zeitraum von 1995 bis 2005 gewählt.

Jestetten als Musterbeispiel

Die bereits erwähnte gut 5 100 Einwohner zählende Gemeinde Jestetten, am südöstlichen Zipfel des Landkreises Waldshut gelegen, soll als »Musterbeispiel« dienen. Sie grenzt zu großen Teilen an den schweizerischen Kanton Schaffhausen. Die gleichnamige Stadt Schaffhausen mit knapp 34 000 Einwohnern liegt in direkter Nachbarschaft. Dort befindet sich mindestens ein Spital mit einer Abteilung für Geburtshilfe (www.kssh.ch). Hier wurden – bestätigt durch direkte Nachfrage in der Gemeinde – nicht wenige der jungen Jestettener geboren. Demzufolge war von 1995 bis 2005 der Anteil der unter 1-jährigen »Zuwanderer« an den Zuwanderern insgesamt mit 4,5 % im Landesvergleich deutlich überdurchschnittlich. Andererseits weist die Gemeinde für den betrachteten Jahreszeitraum von 11 Jahren ein hohes Geburtendefizit auf, ein Defizit, das unter Berücksichtigung der Zuwanderungen geringer ausfallen würde. Die Bevölkerungsgruppe der unter 1-Jährigen ist im Vergleich zum Land nur leicht unterdurchschnittlich. Die Kombination der drei Kriterien: hoher Anteil der unter 1-jährigen »Zuwanderer«, geringe Geburtenzahlen und ein dennoch nahezu durchschnittlicher Anteil der unter 1-Jährigen an der Gesamtbevölkerung trifft größtenteils auch auf Gemeinden wie Grenzach-Wyhlen (Landkreis Lörrach) sowie Dettighofen und Lottstetten (alle im Landkreis Waldshut) und zum Teil auf die Exklave Büsingen am Hochrhein (Landkreis Konstanz) zu.

Allein oder mit Familie?

Eine Aussage, ob es sich bei den hohen »Zuwanderungen« von unter 1-Jährigen zwangsläufig um Kinder handelt, die in der Schweiz geboren wurden, ist an dieser Stelle noch nicht möglich. Ein Blick auf die Altersstruktur der Zuwanderer insgesamt kann hier weitere Hinweise geben. Im Normalfall ist davon auszugehen, dass die Kinder nicht allein, sondern als Teil einer Familie zuwandern. Der Anteil der 25- bis 45-jährigen Zuwanderer liegt in der »Mustergemeinde« Jestetten mit 38 % deutlich unter dem Landesniveau (47 %). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Kinder weniger in Familie sondern quasi »allein« zuziehen. Keine der anderen ausgewählten Gemeinden – außer Büsingen am Hochrhein – zeigt eine derartige Ausprägung des Merkmals. Bei denjenigen Kommunen, deren Anteil um oder über dem Landesschnitt liegt, kann davon ausgegangen werden, dass es sich eher um die Zuwanderung von Familien mit Kindern unter einem Jahr handelt.

Damit lassen diese Ergebnisse sowie die Lage der Gemeinden neben Jestetten noch für deren Nachbargemeinden Lottstetten und Dettinghofen und bedingt durch die besondere Lage für Büsingen die Vermutung zu, dass deren Kinder zum Teil in der Schweiz geboren werden. Für alle anderen Gemeinden in dem Grenzbereich ist die Versorgung auf deutscher Seite gegeben bzw. gibt es kaum eine Möglichkeit auf Seiten der Schweiz. Ergänzt um Nachfragen vor Ort kann dieses Bild bestätigt werden. Nach Auskunft des Wirtschaftsamtes des Kantons Schaffhausen zählt das zuständige Zivilstandsamt jährlich etwa 700 bis 800 Geburten im Kanton. Etwa 50 der Kinder haben Eltern, die im Ausland wohnen, davon 95 % im süddeutschen Raum.