:: 8/2007

Deutschland in der EU 2006

Verdienste, Einkommen, Inflationsrate, Armut, Sozialschutz

Europa rückt immer näher zusammen. In Zeiten der zunehmend grenzenlosen Verflechtung von Gesellschaft und Wirtschaft wird es immer wichtiger, über den eigenen Tellerrand zu blicken. Das Statistische Bundesamt hat deshalb die Broschüre »Deutschland in der EU 2006« herausgegeben, in dem es um Fragen des Wohlstandsgefälles und der Armut in den EU-Ländern geht.

Konsum: Blick ins Portemonnaie

Die Verbesserung der Lebensbedingungen und die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen EU-Ländern gehört zu den Zielen der EU. Doch trotz erheblicher Finanztransfers existiert in der EU immer noch ein Wohlstandsgefälle. Dies zeigt ein Vergleich der Bruttojahresverdienste im Industrie- und Dienstleistungssektor, der 2004 deutliche Unterschiede zwischen nördlichen und südlichen sowie alten und neuen EU-Mitgliedsländern erkennen lässt. Die höchsten Löhne im Vergleich der EU-Länder, für die Daten vorlagen, wurden dabei in Dänemark gezahlt: Dort verfügte ein Vollzeitbeschäftigter über ein jährliches Bruttoeinkommen von 44 692 Euro (2003). Zu den drei führenden Ländern beim Gehaltsniveau gehörten zudem das Vereinigte Königreich (41 253 Euro) sowie Deutschland (40 954 Euro). Auch in Luxemburg lag das Bruttojahresgehalt mit 40 575 Euro über der 40 000 Euro-Grenze. In den südeuropäischen Ländern Spanien, Zypern, Griechenland (2003), Portugal und Malta lagen die Jahreslöhne hingegen zwischen 10 000 und 20 000 Euro, in den neuen mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten unter 10 000 Euro. Schlusslicht war Lettland, wo ein Industriearbeiter durchschnittlich 3 806 Euro brutto im Jahr verdiente – rund zwölfmal weniger als in Dänemark.

Aus der Höhe des Gehalts in Euro lässt sich jedoch nicht genau erschließen, was sich die Konsumenten von ihrem Einkommen in den einzelnen EU-Ländern leisten können. Dafür müssen die bestehenden Preisunterschiede bereinigt werden. Dies geschieht durch Ermittlung von Preisen für einen vergleichbaren und repräsentativen Korb von Waren und Dienstleistungen in den einzelnen EU-Ländern. Diese Preise werden dann in einer gemeinsamen künstlichen Währung angegeben, die als »Kaufkraftstandard« (KKS) (i-Punkt) bezeichnet wird. Unter Berücksichtigung des Preisniveaus waren die Bruttogehälter im Vereinigten Königreich am meisten wert, nämlich 39 051  KKS. Es folgten Deutschland (38 432 KKS), Luxemburg (38 248 KKS) und die Niederlande (36 022 KKS). Aufgrund der vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten fünfter Stelle. Am geringsten waren die Einkommen in Lettland (6 752 KKS), der Slowakei (10 395 KKS) und Ungarn (11 466 KKS).

Wo bleibt der Euro?

Der größte Ausgabenposten der Privathaushalte in der EU entfiel auf die Unterkunft: Wohnen, Wasser, Strom, Gas und Heizung machten 2004 im EU-Durchschnitt 21,3 % der Ausgaben aus. Am meisten mussten die Haushalte in Schweden für das Wohnen aufwenden (28,6 %), in Deutschland waren es 23,8 %. Der Ausgabenanteil für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren lag im EU-Durchschnitt bei 16,3 %. Überdurchschnittlich hoch war er in Ländern mit einer relativ geringen Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung: So betrugen die Nahrungs- und Genussmittelkosten in Litauen 35,4 %, Estland 26,7 % und Polen sowie Ungarn je 25,8 % der Konsumausgaben. In Deutschland waren es hingegen im selben Jahr nur 15,3 %, in Irland 12,0 %.

Im Vergleich zu 2004 stiegen die Preise im Jahr 2005 EU-weit leicht an. Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) (i-Punkt), der die Preisentwicklung EU-weit vergleichbar macht und gleichbedeutend mit der Inflationsrate ist, erhöhte sich in der EU-25 um 2,2 %. Haupttreiber der Preissteigerung waren Energieträger: Für Strom, Gas und andere Brennstoffe bezahlten die EU Haushalte 2005 deutlich mehr als 2004 (+ 9,1 %). Autofahrer mussten für Kraft- und Schmierstoffe Preiserhöhungen von durchschnittlich 10,3 % in Kauf nehmen. Auch das Rauchen wurde 2005 deutlich teurer: Die Tabakpreise in der EU-25 erhöhten sich um 6,8 %. Billiger wurden hingegen Bekleidung und Schuhe (- 0,9 %) sowie die Nachrichtenübermittlung (– 2,1 %).

Die höchste Preissteigerung in der EU-25 verzeichnete 2005 Lettland mit 6,9 %. Dort wuchsen die Ausgaben für Gesundheitsleistungen, Verkehr und das Gaststätten- und Beherbergungswesen im zweistelligen Bereich. Estland wies mit 4,1 % die zweithöchste Inflationsrate auf, wofür im Wesentlichen die höheren Energie- und Verkehrskosten verantwortlich waren. Die niedrigsten Preissteigerungen gab es in Finnland und Schweden mit jeweils 0,8 %. Deutschlands Teuerungsrate lag 2005 mit 1,9 % ebenfalls am unteren Ende der Skala. Einzelne Güter verteuerten sich jedoch deutlich. So stiegen die Tabakpreise 2005 bedingt durch die Tabaksteuererhöhung um 14,0 % (2004 bereits + 11,2 %). Für Strom und Heizung mussten die deutschen Haushalte 11,8 % mehr als im Vorjahr aufwenden. Die Preise für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke blieben hingegen annähernd stabil (+ 0,4 %).

Armut: Leben an der Schwelle

Armut und soziale Ausgrenzung sind gesellschaftliche Probleme, die auch in den relativ wohlhabenden Staaten der EU existieren. Um den Betroffenen zu helfen und dem Ziel einer gerechten und solidarischen Gesellschaft näherzukommen, hat sich die EU die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zum Ziel gesetzt. Auf dem Ratsgipfel 2001 in Laeken haben die Mitgliedstaaten statistische Kriterien vereinbart – die sogenannten Laeken-Indikatoren –, mit deren Hilfe die Fortschritte der Politiken jährlich beschrieben und verglichen werden können (i-Punkt).

Im Hinblick auf die Einkommensverteilung hat sich die Ungleichheit in den vergangenen Jahren entgegen der politischen Zielsetzung jedoch weiter vergrößert: So betrug im Jahr 2000 das Gesamteinkommen der »reichsten« 20 % der EU-Bevölkerung das 4,5-fache der »ärmsten« 20 % der EU-Bevölkerung – bis 2004 hatte sich dieser Wert bereits auf das 4,8-fache erhöht. Überdurchschnittlich groß war die Einkommensungleichheit 2004 in den Ländern Portugal (7,2), Lettland (2003: 6,1) und Griechenland (6,0). Am kleinsten fiel sie in Slowenien (2003: 3,1), Ungarn (2003: 3,3) und Schweden (3,3) aus. In Deutschland bezog das reichste Fünftel der Bevölkerung das 4,4-fache Einkommen des ärmsten Fünftels der Bevölkerung.

Armut ist ein relativer und schwierig abzugrenzender Begriff, der nur eingeschränkt und unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Aspekten interpretierbar ist. Eurostat trifft daher auch keine Aussagen über Armut, sondern lediglich über eine mögliche Armutsgefährdung. Demnach ist armutsgefährdet, wer inklusive sozialer Transferleistungen weniger als 60 % des jeweiligen national verfügbaren Median1 -Einkommens zur Verfügung hat.

In der EU-25 galten im Jahr 2004 16 % der Bevölkerung und damit mehr als 73 Mill. Menschen als armutsgefährdet. Am schwierigsten war die Situation in der Slowakei, Portugal und Irland: Dort galten jeweils 21 % der Bevölkerung als armutsgefährdet. In Deutschland lag der Anteil bei 16 %, womit hierzulande rund 13 Mill. Menschen von Armut bedroht waren. Am geringsten war die Quote in der Tschechischen Republik und Slowenien (2003: 8 bzw. 10 %).

Die Wahrscheinlichkeit der Armutsgefährdung war in der EU-25 ungleich auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen verteilt und hing unter anderem vom Geschlecht, Alter und dem Haushaltstyp ab . So waren Frauen in 17 EU-Ländern stärker armutsgefährdet als Männer, das galt auch für Deutschland. Unterschieden nach Altersgruppen lebten überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche bis 24 Jahre unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle: 20 % der unter 16-Jährigen und 21 % der 16- bis 24-Jährigen in der EU-25 waren betroffen. Am geringsten war der Anteil in den Altersgruppen der 25- bis 49-Jährigen (14 %) und 50- bis 64-Jährigen (13 %). Bei den über 65-Jährigen stieg er wieder auf 18 % an. Für Deutschland ergab sich eine vergleichbare Abstufung.

Differenziert nach Haushaltstypen waren in der EU vor allem Alleinstehende über 65 Jahren und alleinstehende Frauen betroffen. Jeweils 28 % dieser Haushalte galten 2004 als armutsgefährdet, bei Familien mit mehreren unterhaltsberechtigten Kindern waren es 26 %. Am problematischsten gestaltete sich die Situation der Alleinerziehenden (meist Frauen) mit abhängigen Kindern: 34 % dieser Haushalte waren von Armut bedroht. In Deutschland waren sogar 38 % betroffen. Noch höher lag der Wert in den Niederlanden (39 %), Spanien, dem Vereinigten Königreich (je 40 %), der Slowakei (41 %) und Irland (56 %). Vergleichsweise wenig gefährdet waren Alleinerziehende in Finnland, Ungarn und Dänemark (je 16 %).

Armut ist immer relativ

Auch wenn die alten und neuen EU-Mitgliedsländer bei den Armutsgefährdungsquoten2 relativ ähnlich abschneiden, lässt dies keine Rückschlüsse auf das Wohlstandsniveau in den einzelnen Ländern zu. Ein Vergleich der monetären Armutsgefährdungsschwellen des Jahres 2004, ausgedrückt in Kaufkraftstandards (KKS), verdeutlicht die Unterschiede im Lebensstandard zwischen den Mitgliedstaaten: So war in Lettland ein Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern mit einem maximalen Einkommen von rund 4 330 KKS (2003) von Armut bedroht – in Luxemburg galt hingegen der gleiche Haushaltstyp mit einem fast achtmal so hohen Einkommen in Höhe von rund 32 600 KKS bereits als armutsgefährdet. Im EU-Durchschnitt lag die Armutsgefährdungsschwelle bei einem Einkommen von rund 16 200 KKS. Von den zehn neuen Mitgliedstaaten lagen acht unter diesem Wert, Deutschland gehörte hingegen, wie die meisten anderen EU-15-Staaten, mit rund 19 270 KKS zu den Ländern mit einer relativ hohen monetären Armutsgefährdungsschwelle.

Sozialschutz: Hilfe vom Staat

Für Sozialschutzleistungen – wie zum Beispiel die Altersversorgung und das Gesundheitswesen – gaben die EU-Länder 2003 im Durchschnitt 27 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Die Ausgaben variierten dabei von Land zu Land: So wendeten die baltischen Staaten je 13 % ihres BIP für Sozialschutzleistungen auf. In Schweden machten diese Leistungen hingegen 32 % des BIP aus. Deutschland lag mit Sozialschutzleistungen in Höhe von 29 % des BIP ebenfalls über dem EU-Durchschnitt. Dies entsprach einem Budget von 629,4 Mrd. Euro. 41 % dieses Betrags (rund 260,7 Mrd. Euro) wurden für die Altersversorgung ausgegeben und 28 % (174,3 Mrd. Euro) flossen in das Gesundheitswesen. Zu den weiteren Ausgabeposten gehörten unter anderem Versorgungsleistungen für Familien, Arbeitslose und Behinderte.

1 In der Statistik ist der Median der Wert, der bei einer sortierten Folge von Messwerten (»geordneten Stichprobe«) in der Mitte liegt. 50 % der Messwerte sind also kleiner oder gleich dem Median, 50 % größer oder gleich. Ein besonderer Vorteil der Verwendung des Medians liegt darin, dass er nicht durch extrem hohe oder extrem niedrige Ausreißerwerte beeinflusst wird, wie es bei der Bildung des Durchschnitts der Fall ist.

2 Unterschiedliche Werte zur Armutsgefährdung?In der 2005 erstmals in Deutschland durchgeführten »Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen« (EU-SILC, in Deutschland = LEBEN IN EUROPA) ermittelte das Statistische Bundesamt für Deutschland eine gesamte Armutsgefährdungsquote von 13 % für das Jahr 2004. Eurostat wird diese Zahl für das Jahr 2005 veröffentlichen – denn anders als in nationalen Publikationen veröffentlicht Eurostat die Indikatoren jeweils unter dem Erhebungsjahr (also 2005) und nicht wie in Deutschland unter dem Einkommensbezugsjahr (also 2004).