:: 8/2007

Unternehmensgewinne und Arbeitnehmerentgelte

Die Verteilung der Einkommen berührt wie kaum ein anderes Thema das Gerechtigkeitsempfinden in der Gesellschaft. Als Ergebnis der gesamtwirtschaftlichen Produktion entstanden in Baden-Württemberg im Jahr 2006 Einkommen in Höhe von gut 300 Mrd. Euro. Davon entfielen 57 % auf die abhängig Beschäftigten, 43 % verblieben als Gewinn bei den Unternehmen. Bemerkenswert ist, dass im Zeitraum 1995 bis 2006 die Unternehmen stärker vom Wirtschaftswachstum profitierten als die Arbeitnehmer. Die Unternehmensgewinne in den FuE-intensiven Industriebranchen haben sich seit 1995 sogar verdoppelt.

Ansätze in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen

Aussagen zur Einkommensverteilung liefern die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Sie zeigen in der sogenannten Verteilungsrechnung, in welchem Umfang die zu den Sektoren Unternehmen1, Staat sowie private Haushalte zusammengefassten Akteure des Wirtschaftsgeschehens an dem insgesamt erwirtschafteten Einkommen teilhaben. Allerdings ist auf der Ebene der Bundesländer aufgrund der eingeschränkten Datenlage eine vollständige Darstellung des Wirtschaftskreislaufs nach Sektoren nicht möglich. Nur für die privaten Haushalte liegt im Arbeitskreis »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« eine umfassendere Einkommensrechnung vor. Deshalb wird nachfolgend über die Entstehungsseite, das heißt die Berechnung der Bruttowertschöpfung, versucht, differenziertere Erkenntnisse für die klassische Frage nach der Entlohnung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital im Sinne der funktionalen Einkommensverteilung zu gewinnen.

Zum einen ist die Bruttowertschöpfung das Maß für die in einer Region insgesamt erbrachten wirtschaftlichen Leistungen in Form von Waren und Dienstleistungen (i-Punkt). Zum anderen entspricht sie den in einer Volkswirtschaft insgesamt entstandenen Einkommen. Für die Bruttowertschöpfung insgesamt und nach Wirtschaftsbereichen gilt folgender Zusammenhang:

Nettobetriebsüberschuss (einschließlich Selbstständigeneinkommen)
+Abschreibungen
=Bruttobetriebsüberschuss (einschließlich Selbstständigeneinkommen)
sonstige Subventionen
+sonstige Produktionsabgaben
+Arbeitnehmerentgelt
=Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen

In einer sehr vereinfachenden Betrachtungsweise lassen sich die Aggregate Betriebsüberschuss, Abschreibungen und Saldo der sonstigen Produktionsabgaben und Subventionen (= sonstige Nettoproduktionsabgaben) zu jenem Einkommensbestandteil der Wertschöpfung zusammenfassen, der letztendlich auf den Produktionsfaktor Kapital entfällt. Diese Größe umfasst die »Entlohnung« für die vom Unternehmen eingesetzte Sachkapitalausstattung, die Abschreibungen, die Dienste von Grund und Boden bis hin zu dem Einkommen für die unternehmerischen Leistungen, sodass sie für die vorliegende Untersuchung als Unternehmensgewinn im weiteren Sinne verstanden werden kann.

In den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen sind jedoch nur die Bruttowertschöpfung, das Arbeitnehmerentgelt – also die Entlohnung und der Wertschöpfungsbeitrag des Produktionsfaktors Arbeit bzw. der abhängig Beschäftigten –, die Abschreibungen sowie die sonstigen Nettoproduktionsabgaben separat berechenbar, nicht jedoch der Betriebsüberschuss. Er lässt sich aber aus dem oben aufgeführten rechnerischen Zusammenhang anhand einer Differenzrechnung als Restgröße zu den anderen bekannten Größen ermitteln. Schließlich ergibt sich der hier inhaltlich weiter abgegrenzte Unternehmensgewinn je Wirtschaftsbereich2 in der Bruttobetrachtung einfach als die Differenz aus Bruttowertschöpfung und Arbeitnehmerentgelt.

Die Struktur des volkswirtschaftlichen Unternehmensgewinns stellte sich in Baden-Württemberg zuletzt wie folgt dar: 59 % entfielen auf den Nettobetriebsüberschuss, 38 % auf die Abschreibungen und 3 % auf die Nettoproduktionsabgaben.

Lohnquote im Land über Bundes- und EU-27-Durchschnitt

Die Südwestwirtschaft hat im Jahr 2006 eine Bruttowertschöpfung von 304 Mrd. Euro3 erzielt. Dabei entstand ein Arbeitnehmerentgelt von 173 und ein Unternehmensgewinn von 131 Mrd. Euro, sodass sich eine Lohnquote von 57 % und eine Gewinnquote4 von 43 % errechnet. In Deutschland betrug die Lohnquote 55 %. Das heißt, dass in Baden-Württemberg der Produktionsfaktor Arbeit stärker an den wirtschaftlichen Erfolgen beteiligt ist als im bundesdeutschen Durchschnitt. Im Vergleich der einzelnen Bundesländer ergab sich die höchste Lohnquote mit 61 % in Berlin und die niedrigste in Hamburg mit 47 %. Die hohe Lohnquote in Berlin ist im Wesentlichen auf die dort von der öffentlichen Verwaltung und von weniger kapitalintensiven Bereichen geprägte Wirtschaftsstruktur zurückzuführen. Baden-Württemberg lag im Ranking der Bundesländer nach Berlin und dem Saarland auf dem 3. Platz.

Im europäischen Vergleich war Baden-Württembergs Lohnquote im Jahr 2005 im oberen Drittel der Mitgliedstaaten und über dem EU-27-Durchschnitt5 platziert. Der »Sozialstaat« Schweden hatte mit 64 % die höchste und Griechenland mit 38 % die niedrigste Lohnquote. Das Ergebnis für Griechenland verwundert nicht, zumal dieser Mitgliedstaat die in Europa höchste Selbstständigenquote in Verbindung mit eher kleinbetrieblichen und von Tourismus und Landwirtschaft geprägten Strukturen zu verzeichnen hat.

Große Unterschiede in den Wirtschaftsbereichen

Gerade in der Differenzierung nach Wirtschaftsbereichen kommt die Abhängigkeit der Lohn- und Gewinnquote von den Produktions- und Eigentumsverhältnissen ganz klar zum Ausdruck. So war in Baden-Württemberg im Jahr 2006 in den äußerst personalintensiven und vom Staat bestimmten Wirtschaftsbereichen »Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung« und »Erziehung und Unterricht« die Lohnquote mit 84 und 91 % am höchsten. Dagegen ergab sich in den Wirtschaftsbereichen »Grundstückswesen, Vermietung, Unternehmensdienstleister« und »Energie- und Wasserversorgung« eine sehr niedrige Lohnquote und daher mit 71 und 61 % eine sehr hohe Gewinnquote. Hier handelt es sich um ausgesprochen kapitalintensive Wirtschaftsbereiche. Bei dem genannten Dienstleistungsbereich sei daran erinnert, dass dieser auch die anteilsstarke Wohnungsvermietung einschließlich der unterstellten Einkommen für die Eigennutzung von Wohnungen mit umfasst. Die hohe Gewinnquote in der Land- und Forstwirtschaft, Fischerei ist im Wesentlichen auf die hier enorm hohe Selbstständigenquote zurückzuführen, in die neben den in den Betrieben tätigen Inhabern auch die mithelfenden Familienangehörigen einfließen.

Weit über dem Landesdurchschnitt lag die Lohnquote im Verarbeitenden Gewerbe, Gesundheits- und Sozialwesen, Gastgewerbe und Handel 2006. Besonders auffallend ist der Rückgang der Lohnquote im Verarbeitenden Gewerbe von 77 % im Jahr 1995 auf 67 % im Jahr 2006 einhergehend mit einem entsprechenden Anstieg der Gewinnquote von 23 auf 33 % Hier dürfte zu einem nicht unerheblichen Teil der in diesem Wirtschaftsbereich deutliche Beschäftigtenabbau beigetragen haben.

Unternehmen profitieren stärker vom Wirtschaftswachstum

Wie aus der Gegenüberstellung der Entwicklung der Bruttowertschöpfung, des Arbeitnehmerentgelts und des Unternehmensgewinns für die baden-württembergische Gesamtwirtschaft in den Jahren 1995 bis 2006 hervorgeht, konnte der Produktionsfaktor Kapital einkommensmäßig offensichtlich deutlich stärker als der Produktionsfaktor Arbeit vom Wirtschaftswachstum und Produktivitätsfortschritt profitieren. Besonders auffällig sind die Unterschiede ab 2004, dem Jahr des beginnenden konjunkturellen Aufschwungs. Der sehr zögerliche Beschäftigungsaufbau, moderate Tarifabschlüsse und sicherlich auch Tendenzen hin zu Leiharbeit und geringfügiger Beschäftigung ließen den Unternehmensgewinn spürbar stärker steigen. Im Jahresvergleich 2006 gegenüber 1995 nahmen die Bruttowertschöpfung um 28,7 %, das Arbeitnehmerentgelt um 22,2 % und der Unternehmensgewinn um 38,4 % zu. Deutlich ausgeprägter war der Unterschied zwischen der Entlohnung der Produktionsfaktoren im Bundesdurchschnitt: Während in diesem Zeitvergleich der Unternehmensgewinn in Deutschland mit 38,5 % praktisch genauso stark wie in Baden-Württemberg zunahm, war beim Arbeitnehmerentgelt lediglich ein Plus von 14,8 % zu verzeichnen. Die Bruttowertschöpfung erhöhte sich bundesweit um 24,4 %.

Die dynamischere Entwicklung des Unternehmensgewinns hat in Baden-Württemberg dazu geführt, dass die gesamtwirtschaftliche Gewinnquote seit 1995 um 3 Prozentpunkte auf inzwischen 43 % angestiegen ist. Entsprechend verringerte sich die Lohnquote von ursprünglich 60 auf 57 %. Auch die bereinigte Lohnquote6, die den Einfluss der Änderung der Beschäftigungsstruktur eliminiert, bestätigt diese Tendenz: 1995 betrug die bereinigte Lohnquote gut 60 und 2006 fast 58 %. Die Beschäftigungsstruktur hat sich von der abhängigen Beschäftigung etwas zugunsten selbstständiger Tätigkeiten verschoben.

FuE-intensive Industrie begünstigt Kapital und Arbeit

Baden-Württembergs wirtschaftliche Erfolge beruhen vor allem auf der hierzulande ausgesprochen innovativen, exportorientierten Wirtschaft mit ihrem starken industriellen Kern. Unter den Bedingungen der Globalisierung und dem damit einhergehenden Trend zur Wissenswirtschaft liegen die Chancen für Wachstum und Beschäftigung insbesondere in den FuE-intensiven Industriebranchen und wissensintensiven Dienstleistungen (i-Punkt). Mit dem im vorliegenden Beitrag gewählten methodischen Ansatz können nun auch Aussagen zur funktionalen Einkommensverteilung in diesen Branchen getroffen werden.

Die Entwicklungen in den FuE-intensiven und nicht-FuE-intensiven Industriebranchen Baden-Württembergs unterscheiden sich erheblich. So hat sich in den FuE-intensiven Industriebranchen im Jahr 20057 gegenüber 1995 der Unternehmensgewinn mit einem Plus von 99  % fast verdoppelt, während in den nicht-FuE-intensiven Branchen nur ein Plus von 24 % zu registrieren war. Das Arbeitnehmerentgelt nahm in den FuE-intensiven Industriebranchen um 29 % zu, in den nicht-FuE-intensiven Branchen dagegen um 5 % ab. Damit profitiert offensichtlich nicht nur der Produktionsfaktor Kapital, sondern auch der Produktionsfaktor Arbeit durch den hohen Anteil hochqualifizierter Beschäftigten überdurchschnittlich von der Forschungsintensität dieser Branchen. Bemerkenswerterweise lag die Lohnquote in den FuE-intensiven Industriebranchen 2005 mit 68 % sogar über der Lohnquote von 65 % in den nicht-FuE-intensiven Industriebranchen.

Bei den wissensintensiven und nicht-wissensintensiven Dienstleistungen sind die Unterschiede in den Entwicklungen weniger spektakulär. Gleichwohl konnten 2005 gegenüber 1995 auch hier die wissensintensiven Branchen bei der Bruttowertschöpfung und beim Arbeitnehmerentgelt mit 27 und 39 % höhere Zuwächse als die nicht-wissensintensiven Dienstleistungen (23 bzw. 17 %) verbuchen. Etwas überraschend ist die wesentlich kräftigere Zunahme des Unternehmensgewinns bei den nicht-wissensintensiven Dienstleistungen, deren Gewinnvolumen zuletzt jedoch nur ein knappes Drittel der wissensintensiven Dienstleistungen betragen hat. In den wissensintensiven Dienstleistungen war die Lohnquote 2005 mit 45 % erheblich geringer als in den nicht-wissensintensiven Dienstleistungen mit 68 %. Die bei den wissensintensiven Dienstleistungen wesentlich höhere Gewinnquote von 55 % erklärt sich größtenteils durch die bereits erwähnte Sonderrolle der Wohnungsvermietung, die nach der europäischen Konvention ebenfalls zu den wissensintensiven Dienstleistungen zu zählen ist.

1 In der Terminologie des in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzuwendenden Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 1995) setzt sich der Unternehmenssektor im Wesentlichen aus den finanziellen und nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften (einschließlich Quasi-Kapitalgesellschaften) und den zum Sektor private Haushalte gehörenden Einzelunternehmen und Personengesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit zusammen.

2 Entsprechend der Logik des ESVG 1995 ist zu beachten, dass im Prinzip jeder Sektor in jedem Wirtschaftsbereich aktiv sein kann. Insofern können in dem so definierten Unternehmensgewinn neben den Gewinnen der Privatwirtschaft auch Gewinne des Staates enthalten sein. Entsprechend der sehr differenzierten Möglichkeiten der Sektorenrechnung in den nationalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ist jedoch davon auszugehen, dass die Gewinne des Staates nur von marginaler Bedeutung sind, sodass sich mögliche Verzerrungen durch den Staatssektor in äußerst engen Grenzen bewegen dürften.

3 Im vorliegenden Beitrag erfolgen die Wertschöpfungsangaben stets in jeweiligen Preisen.

4 Die Lohn- bzw. Gewinnquote ist hier definiert als der prozentuale Anteil des Arbeitnehmerentgelts bzw. des Unternehmensgewinns an der Bruttowertschöpfung.

5 Neueres Datenmaterial liegt auf europäischer Ebene in der Eurostat-Datenbank New Cronos derzeit nicht vor.

6 Rechentechnisch ergibt sich die bereinigte Lohnquote, indem die einfache Lohnquote mit dem Kehrwert des Quotienten »Zahl der Arbeitnehmer/Zahl der Erwerbstätigen« eines Basisjahres (hier: 1991) multipliziert wird.

7 Die für diese spezielle Zuordnung auf tiefster wirtschaftssystematischer Ebene erforderlichen Daten liegen seitens des Arbeitskreises »Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder« nur bis zum Berichtsjahr 2005 vor.