:: 9/2007

Wie man sich durch statistische Grafiken täuschen lässt

Späte Folgen der großen Textilkrise

1958 boten die Textil- und Bekleidungsindustrie hierzulande noch jeden sechsten industriellen Arbeitsplatz. Namen wie Bleyle und Benger-Ribana waren jedem geläufig. Ägyptische und amerikanische Baumwolle sowie billige Synthetikfasern wurden konkurrenzlos. Geringe Kapitalausstattung behinderte den Einsatz moderner Web-, Wirk- und Strickmaschinen. Die hier zu zahlenden Löhne wurden weltweit unterboten. Miniröcke, die weibliche Emanzipation vom stoffreichen Mieder und die Verbannung repräsentativer Stoffe aus den Wohnungen ließen die Märkte zusammenbrechen. »Samt wird nur noch für Zirkelkästen produziert« meinte um 1965 ein Ebinger Samthersteller. In der Textil- und Bekleidungsindustrie verblasste das Wirtschaftswunder, zahlreiche Fabriken mussten schließen. Übrigens: In den Produktionsstätten von Bleyle wurde die Volkszählung 1987 aufbereitet und in jenen von Benger-Ribana residiert seit 1974 das Statistische Landesamt Baden-Württemberg.

Beschäftigte in der Textil- und Bekleidungsindustrie 1958

Heute bieten die Textil- und Bekleidungsindustrie gerade noch 3 von 100 industriellen Arbeitsplätzen. Dieser in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte Baden-Württembergs einmalige Strukturwandel führte letztlich durch die Abwanderung junger Menschen zu demografischen Defiziten, die auch in den nächsten Jahrzehnten wirken werden, wie die weitgehende Deckungsgleichheit der Karten belegt.

Die statistischen Daten können vieles belegen, nur nicht die erwähnte demografische Auswirkung. Der Bevölkerungsanteil der »Textilgemeinden« mit über zwei Drittel Industriebeschäftigten in den Stoffbranchen lag 1950 bei 23 % und wird 2025 bei 24 % liegen. Der Anteil der Gemeinden ohne jede Textil- und Bekleidungsindustrie wird bis 2025 um einen Prozentpunkt von 9 auf 10 % steigen. Verlieren werden jene Gemeinden, die 1958 im Textilbereich weniger als ein Drittel der industriellen Arbeitsplätze boten. 2025 werden dort 61 % der Landesbevölkerung leben, 3 Prozentpunkte weniger als 1950. Demografische Effekte lassen sich nur für kleine Räume wie um Albstadt oder im Südschwarzwald feststellen. Die ehemaligen Textilgemeinden im mittleren Neckarraum entwickeln sich dagegen wesentlich dynamischer.

Bevölkerungsentwicklung in den Gemeinden Baden-Württembergs 2005 bis 2025

Fazit

Punktstreuungskarten können zu Fehlinterpretationen führen, wenn große und kleine Territorien mit unterschiedlichen Bevölkerungsdichten abgebildet werden. Denn wo viel ist, ist fast immer von allem etwas – und umgekehrt.