:: 4/2008

Kräftige Zuwanderung von Frauen aus den neuen Bundesländern nach Baden-Württemberg seit der Wiedervereinigung

In verschiedenen Medien wird häufig die These vertreten, dass die neuen Bundesländer einen überproportionalen Aderlass an gut qualifizierten Frauen seit der Wiedervereinigung zu verkraften hatten. Indirekt wird damit sogar die Perspektivlosigkeit der »zurückgelassenen« jungen Männer erklärt. Insgesamt sind aus den neuen Bundesländern von 1991 bis 2006 etwa 200 000 Personen mehr nach Baden-Württemberg zu- als dorthin gezogen. Der vorliegende Beitrag untersucht daher, ob sich tatsächlich geschlechtsspezifische Unterschiede im Wanderungsverhalten beobachten lassen. Darüber hinaus werden länder- bzw. altersspezifische Unterschiede analysiert sowie Schlussfolgerungen für die Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg abgeleitet.

Seit der Wiedervereinigung setzte – parallel zum Zuzug aus Osteuropa – ein großer Wanderungsstrom aus den neuen in die alten Bundesländer ein. In besonders großer Anzahl zogen junge Frauen nach Baden-Württemberg. In allen alten Bundesländern folgt der wellenförmige Wanderungsgewinn leicht zeitversetzt der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland bzw. in Baden-Württemberg.

Die intensivsten Wanderungsbewegungen bestehen mit Sachsen

Besonders hoch – wie am Fallbeispiel Sachsen zu sehen – war die Nettozuwanderung von Frauen im Wiedervereinigungsboom Anfang der 90er-Jahre mit knapp 7 000 weiblichen Personen. Der Wanderungssaldo verringerte sich aber in den Folgejahren der Rezession des Jahres 1993 und erreichte im Jahr 1997 einen Tiefststand von annähernd 1 000 Frauen. Neben den ökonomischen Perspektiven spielte kurz nach der Wiedervereinigung sicher die neu gewonnene (Bewegungs-)Freiheit als Wanderungsmotiv ebenfalls eine bedeutende Rolle. Mit dem einsetzenden Aufschwung rund um das Jahr 2000 stieg die Nettozuwanderung erneut auf knapp über 5 000 Frauen an, um in den von einer schwächeren Wirtschaftsentwicklung geprägten Folgejahren wieder auf etwas mehr als 1 500 Frauen abzusinken. Die geringere Zuwanderung nach Baden-Württemberg trifft in den wirtschaftlich schwächeren Jahren auf eine leicht gestiegene Abwanderung von bis zu knapp 3 000 Frauen nach Sachsen.

Gleichförmiger Verlauf der Wanderungssalden Baden-Württembergs mit den neuen Bundesländern

Bei der Betrachtung der neuen Bundesländer erstaunt die Gleichförmigkeit der Entwicklung. Mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern lässt sich feststellen, dass in allen neuen Bundesländern seit der Wiedervereinigung immer ein positiver Wanderungssaldo zugunsten von Baden-Württemberg vorliegt.

Lediglich mit Mecklenburg-Vorpommern ergaben sich Mitte der 90er-Jahre negative Wanderungssalden von allerdings geringer Höhe zwischen 50 und 400 weiblichen Personen. Der Anstieg der Abwanderung nach Mecklenburg-Vorpommern in wirtschaftlich schwächeren Phasen ist darüber hinaus im Vergleich mit Sachsen wesentlich ausgeprägter. Die Fortzüge von Frauen nach Mecklenburg-Vorpommern stiegen in den Jahren 1994 bis 1998 um mehr als das Doppelte auf etwas mehr als 900 weibliche Personen an.

Hohe Zuwanderung von jungen Frauen nach Baden-Württemberg

Aus allen neuen Bundesländern sind vor allem junge Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren offensichtlich in der Erwartung, von der positiven Wirtschaftsentwicklung profitieren zu können, in großer Zahl nach Baden-Württemberg abgewandert. Das Wanderungsverhalten folgt dabei auch der wirtschaftlichen Entwicklung. In der Boomphase der Nachwendezeit erfolgte ein kräftiger Wanderungsschub, welcher in den wirtschaftlich stagnierenden Jahren Mitte und Ende der 90er-Jahre abflachte und mit dem erneuten wirtschaftlichen Aufschwung rund um das Millennium wieder kräftig zulegte. Das 2006 einsetzende steigende Wirtschaftswachstum mobilisierte allerdings weit weniger Frauen zur Wanderung nach Baden-Württemberg als in den Boomphasen zuvor. Möglicherweise hat sich die wirtschaftliche Situation inzwischen in den neuen Bundesländern zunehmend stabilisiert, sodass auch dort der Arbeitsmarkt in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs anzieht und damit gute berufliche Perspektiven eröffnet.

Altersspezifische Unterschiede bei der Zuwanderung evident

Die Aufschlüsselung nach dem Alter zeigt darüber hinaus, dass bei aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Frauen der Wanderungsgewinn einen erwartbar anderen Verlauf nimmt. Es fällt beispielsweise auf, dass der stark positive Wanderungssaldo etwas später einsetzt und ausgerechnet im Rezessionsjahr 1993 seinen höchsten Wanderungsgewinn mit fast 400 Frauen erreicht. Der danach einsetzende Rückgang des positiven Wanderungssaldos drehte 1997 sowie 1998 sogar deutlich ins Minus, sodass ein negativer Wanderungssaldo dieser Altersgruppe in Baden-Württemberg mit den neuen Bundesländern resultierte.

Nach der Wiedervereinigung sind laut Wanderungssaldo mehr Frauen als Männer nach Baden-Württemberg zugewandert

Für die Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg lässt sich konstatieren, dass in Zukunft mit sinkenden Wanderungsgewinnen aus den ostdeutschen Ländern auch in Boomzeiten gerechnet werden muss. Das 2006 erstmals in Baden-Württemberg aufgetretene Geburtendefizit lässt sich durch innerdeutsche Ost-West-Wanderungsbewegungen auf längere Sicht nicht mehr ausgleichen bzw. überkompensieren. In der Konsequenz muss sich also Baden-Württemberg zukünftig – wie alle anderen Bundesländer – auf sinkende Einwohnerzahlen bei steigendem Durchschnittsalter der Bevölkerung einstellen, falls nicht andere Zuwanderungsquellen starke Zuwächse bescheren, womit derzeit nicht zu rechnen ist. Die Bevölkerungsteile der neuen Bundesländer mit hoher Mobilität sind offensichtlich bereits abgewandert und die verbleibende Bevölkerung ist und war weniger bereit, ihre Lebens- und Erwerbschancen in anderen Bundesländern im gleichen Maße zu nutzen.

Weiterhin fällt auf, dass die Männer bei der Zuwanderung in den letzten Jahren mit den Frauen gleichgezogen haben. Kurz nach der Wiedervereinigung schienen die Frauen konsequenter bei ihrer Abwanderungsentscheidung zu bleiben als die Männer. Im Jahr 1992 sind mit gut 10 100 Frauen fast doppelt so viele weibliche Personen nach Baden-Württemberg per saldo zugewandert wie Ihre männlichen Geschlechtsgenossen mit etwas mehr als 5 200. Im Boomjahr der Jahrtausendwende sind dann mit über 9 100 Personen erstmals mehr Männer als Frauen nach Baden-Württemberg zu- als abgewandert. Ab 2002 kehrten sich die Verhältnisse zwar wieder um, dennoch lassen sich keine derart gravierenden geschlechtsspezifischen Unterschiede mehr feststellen wie in den Jahren direkt nach der deutschen Wiedervereinigung. Die Zuwanderung aus den neuen Bundesländern ergab im Zeitraum von 1991 bis 2006 in der Summe einen positiven Wanderungssaldo für Baden-Württemberg in Höhe von gut 200 000 Personen. Der Anteil von Frauen betrug dabei mit ca. 110 000 bzw. anteilsmäßig etwas mehr als 55 %. Im Geschlechtervergleich also eine deutlich höhere Anzahl als die knapp 90 000 nach Baden-Württemberg zugewanderten Männer. Der höhere Wanderungssaldo bei den Frauen ist dabei nicht auf eine höhere Zahl an Zuzügen nach Baden-Württemberg zurückzuführen, sondern bedingt durch eine geringe Anzahl an Fortzügen in die neuen Bundesländer. Insofern lässt sich die eingangs aufgestellte Hypothese der stärkeren Abwanderung von Frauen in den neuen Bundesländern zumindest zahlenmäßig am Fallbeispiel Baden-Württemberg nur insoweit bestätigen, als die Frauen offensichtlich ihrer einmal getroffenen Abwanderungsentscheidung treuer bleiben als die Männer.