:: 4/2008

Trendwende oder Aufschub? Zur demografischen Situation in Magdeburg

Magdeburg, Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt, hat derzeit rund 230 000 Einwohner. Die Wiedervereinigung verschonte auch Magdeburg nicht von der Abwanderungswelle aus den neuen Bundesländern. Seit 2004 weist die Stadt nun wieder einen positiven Wanderungssaldo auf, der 2005 und 2006 sogar das Geburtendefizit mehr als ausgeglichen hat. Lässt das auf eine Trendwende hoffen?

Bekanntlich hat die Stadt Magdeburg, wie alle Großstädte in den neuen Bundesländern, seit 1989 stark an Bevölkerung verloren. Auch die Gründe sind bekannt – erst die Ausreisewelle in die alten Bundesländer, dann die Suburbanisierungswelle. Inzwischen wird – mit wenigen Ausnahmen – wieder die Abwanderung in den Westen beklagt. Und über allem steht der Geburteneinbruch nach 1990. Von der ehedem (statistisch) jüngsten Großstadt der DDR hat sich Magdeburg zu einer der Städte mit dem höchsten Altersdurchschnitt gewandelt.

Nun beobachtet man seit 2004 wieder Wanderungsgewinne, sogar eine steigende Bevölkerungszahl. Nach dem Jahr 2005, dem ersten Jahr seit 1988, in dem die Landeshauptstadt einen Bevölkerungsgewinn aufzuweisen hatte, schloss auch das Jahr 2006 mit einem Bevölkerungsplus ab. Das heißt, der seit 2004 positive Wanderungssaldo übersteigt im zweiten Jahr in Folge den negativen Saldo aus der natürlichen Bevölkerungsbewegung.

Aus diesen jüngsten Zahlen zu schließen, die Trendwende sei nunmehr erreicht, wäre allerdings mindestens voreilig. Abgesehen von einem nicht wiederholbaren statistischen Zuwachs infolge der Einführung der Zweitwohnungssteuer 2005 ist dominierender Antrieb der positiven Bevölkerungsentwicklung die Stellung Magdeburgs als Universitäts- und Hochschulstadt. Das wird am Verlauf der Bevölkerungskurve über die Monate eines Jahres deutlich. Während die demografische Grundtendenz fallend ist, ergibt sich jeweils ab Oktober, wenn die Wintersemester beginnen, ein sprunghafter Bevölkerungszuwachs. Der Zustrom auswärtiger Studierender an die Magdeburger Hochschulen und, wenngleich in deutlich geringerem Maße, die bleibende Niederlassung von Absolventen in der Stadt, verbunden mit den bestehenden Anreizen zur Anmeldung mit erstem Wohnsitz, haben also schon über mehrere Jahre zu Wanderungsgewinnen geführt.

In der gegenwärtigen Phase scheint also, anders als anfangs und in der Mitte der 90er-Jahre, nicht der Wanderungsverlust, sondern das Geburtendefizit das demografische Hauptproblem der Landeshauptstadt zu sein. In der Tat liegt ja die Zahl von 7,7 Geburten je 1 000 der Hauptwohnsitzbevölkerung nach wie vor weit unter dem langjährigen Niveau von 12 bis 13, wie es vor 1990 üblich war – obwohl die gegenwärtige Zahl über dem Landesdurchschnitt von knapp 7 liegt und tendenziell steigt. Seit 1990 ist der Saldo der natürlichen Bevölkerungsbewegungen deutlich im Negativen, während das vorangegangene Jahrzehnt von einem leichten Geburtenüberschuss gekennzeichnet war. Seitdem hat sich auch die jährliche Zahl der Sterbefälle stetig vermindert (von ca. 3 500 vor 1990 auf jetzt rund 2 500). Dieser Rückgang ist nicht aus der Bevölkerungsabnahme allein zu erklären, zumal die Stadt in den vergangenen Jahren vornehmlich Einwohner jüngerer Jahrgänge verloren hat. Vor allem hat die Verbesserung der medizinischen Versorgung im Alter zu einem Anstieg der sogenannten »Restlebenserwartung« der älteren Jahrgänge geführt. Dies ist ein Vorgang, der sich nicht endlos fortsetzen wird. Es hat gewissermaßen ein »Aufschieben« von Sterbefällen stattgefunden, das nach einiger Zeit zu einem »Nachholeffekt« mit erneutem Ansteigen der Sterbefallzahlen und Anwachsen des negativen Bevölkerungssaldos führen wird. Erst danach stellt sich wieder ein stationärer Normalzustand ein.

Auch bei dem Thema »Alterung der Bevölkerung«, in der Öffentlichkeit oft als Hauptinhalt des demografischen Wandels gesehen, könnte die reine Betrachtung der Statistik zu voreiligen Schlüssen führen. Die Summe der Altersgruppen »ab 65« und »44 bis 64« hat sich seit 1990 kaum verändert, wohl aber die Stärke der jüngeren Altersgruppen. Das könnte zu der Annahme verleiten, dass der Landeshauptstadt zwar junge Berufstätige fehlen, die Zunahme der Zahl der Senioren zukünftig aber kein Problem darstellen werde. Dabei darf freilich nicht außer Acht gelassen werden, dass gerade die Altersgruppe der heute über 40-Jährigen in den 90er-Jahren stark an der Suburbanisierungswelle beteiligt war. Damit sind künftige demografische Probleme in das Umland verlagert worden. Es ist zu erwarten, dass infolge von Eingemeindungen ein Teil dieser Abwanderer künftig, gealtert, wieder in den Stadtverband zurückkehren wird. Außerdem muss unter dem Demografieaspekt natürlich die ganze Region als Einheit betrachtet werden.

Magdeburg hat, wie erwähnt, zur Zeit per saldo ein deutliches Zuwanderungsplus, zu dem neben dem Studentenzustrom vermutlich auch das Bestehen einer Zweitwohnungssteuer beiträgt. Es muss freilich auch an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass Bevölkerungsgruppen, die sich nur für einen gewissen Zeitraum in der Stadt ansiedeln, wie Studenten und (durch Zweitwohnungssteuer verhinderte) Nebenwohnsitzer, zunächst nur fiskalisches Interesse auslösen. Sie tragen nicht zur Entschärfung der demografischen Situation bei, sofern sie sich nicht dauerhaft am Ort niederlassen. Der »Studenteneffekt« wird spätestens dann sein Ende finden, wenn die Universität an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt ist und ebenso viele Absolventen die Stadt verlassen, wie Erstsemester die Hochschulen beziehen.

Sowohl die 4. Regionalisierte Bevölkerungsprognose des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt als auch die eigene städtische Bevölkerungsvorausschätzung sehen die Stadt (in ihrem derzeitigen Gebietsstand) im Jahr 2020 bei einer Bevölkerungszahl von 215 000 bis 218 000. Am Ende dieses Zeitraums wird sich Magdeburg allerdings bereits wieder in einem stärkeren demografischen Abschwung aufgrund des Echoeffekts des Geburtendefizits der 90er-Jahre befinden. Das Statistische Landesamt sieht für die darauffolgenden 5(!) Jahre ein Absinken der Einwohnerzahl auf weniger als 210 000 voraus. Auch die tendenzielle Alterung der Bevölkerung wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Bis 2020 ist mit einem weiteren Anstieg des Anteils der ab 65-Jährigen auf etwa 25 % zu rechnen.

Zu einer Entwarnung liegt also kein Grund vor. Dennoch ist zu einer fatalistischen Einstellung gegenüber den demografischen Abläufen kein Anlass. Als Oberzentrum und Universitätsstadt ist Magdeburg in der Lage, seine demografische Situation quantitativ und auch qualitativ – also die altersmäßige Zusammensetzung betreffend – durch Wanderungsgewinne zu verbessern. Voraussetzung dafür ist indessen, dass es gelingt, einen zunehmenden Anteil an der leistungsbereiten und mobilen Bevölkerungsgruppe der Berufsanfänger am Ort zu halten. Das ist die Aufgabe der Wirtschafts- und Standortförderung in der Region. Dabei darf freilich nicht verschwiegen werden, dass dies angesichts der demografischen Gesamtsituation in Deutschland nur zulasten anderer Landesteile – erkennbar sind Auswirkungen auf periphere Landesteile Sachsen-Anhalts und anderer Bundesländer – möglich sein wird.