:: 11/2008

Die konjunkturelle Abkühlung hat Baden-Württemberg erreicht

Die konjunkturelle Entwicklung Baden-Württembergs steht zum Ende des Jahres ganz im Zeichen einer deutlichen Abkühlung: Für das 3. Quartal ist gegenüber dem Vorjahresquartal mit einem Nullwachstum zu rechnen. Ursache der Wachstumsabschwächung ist sicherlich die seit über einem Jahr schwelende Finanzkrise, deren mögliche Auswirkungen auf die Realwirtschaft seit geraumer Zeit Gegenstand der Diskussionen sind. Für die Ausgabe von Konjunktur Südwest 2008/41 wurden in der Regel Zahlenreihen, deren aktueller Rand im August liegt, herangezogen, sodass die jüngsten Verschärfungen der Finanzkrise sich in dem verwendeten Material noch nicht wiederfinden. Die für den Konjunkturindikator des Statistischen Landesamts verwendeten Frühindikatoren zeigen dessen ungeachtet schon jetzt an, dass sich die Situation bis ins neue Jahr hinein nicht verbessern dürfte. Dass für das 4. Quartal dennoch ein reales Wachstum von ¾ % prognostiziert wird, ist in erster Linie auf das schwache Vergleichsquartal im Vorjahr zurückzuführen.

In den Monaten Juni bis August 2008 stellte sich die konjunkturelle Lage der baden-württembergischen Wirtschaft folgendermaßen dar:

  • Vom Auslandsgeschäft der baden-württembergischen Industrie gingen in den Sommermonaten keine expansiven Effekte aus: Die Umsätze gingen im Vorjahresvergleich real um 3,6 % zurück. Die Auftragseingänge lagen zuletzt um 10 % unter dem Vorjahreswert, was anzeigt, dass die ausländische Nachfrageschwäche anhalten wird.
  • Die Binnennachfrage stagnierte nahezu. Das Verarbeitende Gewerbe verbuchte nur noch ein Umsatzplus von 0,3 %. Weder von der Nachfrage nach Investitionsgütern noch vom privaten Konsum gingen wesentliche Wachstumsimpulse aus. Die Auftragslage des Verarbeitenden Gewerbes zeigt an, dass sich die inländische Nachfrage eher noch weiter abschwächen dürfte.
  • Es spricht vieles dafür, dass der Aufbau der Beschäftigung seinen Höhepunkt überschritten hat. In den Sommermonaten lag die Zahl der Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe zwar um knapp 30 000 über dem Niveau des Vorjahres. Im August ergab sich gegenüber dem Vormonat aber eine Verlangsamung des Arbeitsplatzaufbaus.
  • Zum Ende des 3. Quartals zeichnete sich hinsichtlich der Preisentwicklung eine leichte Entspannung ab. Über das gesamte Quartal gesehen stiegen die Verbraucherpreise im Land jedoch immer noch um 3,2 %. Die sich abschwächende Weltwirtschaft wird die Preisentwicklung auf den Energie- und Rohstoffmärkten dämpfen.

»Ein außergewöhnlich hohes Maß an Unsicherheit«

Auch im letzten Quartal des Jahres beschäftigen die Schockwellen, die seit über einem Jahr von den Finanzmärkten ausgehen, Politik sowie Unternehmen und Haushalte in aller Welt. Die nahe liegende Frage nach den Folgen für die Realwirtschaft ist leichter gestellt als beantwortet, zumal das gesamte Ausmaß der Finanzmarktkrise noch nicht absehbar ist. Fest steht jedoch, dass die Krise Unternehmen wie Haushalte in ihren Erwartungen pessimistischer stimmt: Der europaweit erhobene Economic Sentiment Indicator (ESI) der Europäischen Kommission zeigte für die Europäische Union im September den niedrigsten Wert seit 1993 an. Für die Eurozone näherte sich der Wert dem bisherigen Tiefstand von 2001 an. Gesunkenes Verbrauchervertrauen manifestiert sich in Konsumzurückhaltung; die Vertrauenskrise auf dem Interbankenmarkt führt zu den in jüngster Zeit zu beobachtenden Liquiditätsengpässen, die zum Teil nur mittels staatlicher Bürgschaften überbrückt werden können. Restriktivere, das heißt teurere Kreditvergabe und Konsumzurückhaltung trüben die konjunkturellen Aussichten zumindest für die nähere Zukunft weiter ein.

Diese Einschätzung teilt auch die Europäische Zentralbank, die am 2. Oktober zwar erwogen hatte, sich aber noch nicht dazu durchringen konnte, den Leitzins zu senken. EZB-Präsident Trichet konstatierte bezüglich der Wirtschaftsentwicklung im Euroraum »ein außergewöhnlich hohes Maß an Unsicherheit«, die alle diesbezüglichen kurz- bis mittelfristigen Einschätzungen erschwerten. Gerade unter diesen Umständen sieht die EZB die Gesamtheit der Risiken für die Preisstabilität als einzige Orientierungsgröße für ihr Handeln. Diese Risiken seien auch aufgrund schwächer werdender Nachfrage geringer geworden, wenngleich nicht verschwunden.

Mittelfristige Preisstabilität zu gewährleisten sieht der EZB-Präsident als Mandat von nicht weniger als »320 Millionen Mitbürgern« an, auf welche wiederholt Bezug genommen wurde. Zu diesem Ziel trage auch eine Fiskalpolitik bei, die die Regel des Stabilitäts- und Wachstumspakts befolge. Die Regierungen der größten europäischen Wirtschaftsnationen gehen allerdings offensichtlich davon aus, von ihrer Wahlbevölkerung ein anderes Mandat erhalten zu haben: Der französische Staatspräsident Sarkozy betonte im Anschluss an den Krisengipfel mit den Regierungschefs Deutschlands, Großbritanniens und Italiens in Anwesenheit auch des EZB-Präsidenten, dass die Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts die außergewöhnlichen Umstände widerspiegeln müsse, in denen man sich befinde. Mit anderen Worten, es müsse gegebenenfalls eine höhere Staatsverschuldung in Kauf genommen werden, auch um die Nachfrage anzuregen. Nur wenige Tage nach dem Gipfeltreffen kam der EZB-Rat zu einer anderen Bewertung und reduzierte den Leitzins binnen weniger Wochen schrittweise um 1 Prozentpunkt.