:: 1/2009

Finanzpolitik im Umbruch

Die hohe Staatsverschuldung ist kein modernes Phänomen – schon im 18. Jahrhundert hat der Klassiker der Nationalökonomie, Adam Smith (1723–1790) gewarnt: »Überall in Europa haben die Schulden enorm zugenommen, die heute in allen großen Staaten als drückend empfunden und auf die Dauer vermutlich zum Ruin führen werden.«

Gerade zurzeit leiden viele Staaten unter einer hohen Staatsverschuldung, die den finanziellen Handlungsspielraum allein schon wegen der hohen Zinsbelastung bedrohlich einengt. Nicht nur die europäischen Staaten haben dieses Problem. Japan weist mit einem Schuldenstand in Höhe von fast 180 % seines Bruttoinlandsprodukts einen Wert auf, der rund 3-mal so hoch liegt wie die im Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegte Relation von 60 % (Schaubild 1). Der Durchschnitt der 27 EU-Mitgliedstaaten bleibt nur knapp unter dieser Marke, die USA sowie Deutschland und Frankreich als größte Staaten der Eurozone liegen schon leicht darüber. Dies sind die statistisch messbaren Fakten. Die Aufgabe der Politik besteht darin, es nicht zu dem von Adam Smith prophezeiten »Ruin« kommen zu lassen, sondern konsequent und nachhaltig gegenzusteuern.

Dabei stehen wir in Baden-Württemberg noch relativ günstig da: Die Pro-Kopf-Verschuldung lag Ende 2007 mit rund 3 880 Euro je Einwohner hinter Bayern (1 820 Euro je Einwohner) und Sachsen (2 610 Euro je Einwohner) auf dem 3. Platz noch vor Hessen (4 940 Euro je Einwohner). Im Durchschnitt aller Länder waren die Einwohner mit rund 5 860 Euro Schulden pro Kopf belastet. Baden-Württemberg steht hier ohne Frage gut da. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir uns zurücklehnen können. Denn schon mit unserer relativ niedrigen Pro-Kopf-Verschuldung müssen wir, selbst bei dem derzeit niedrigen Zinsniveau, 2008 etwa 2 Mrd. Euro für den Zinsendienst bezahlen. Das sind knapp 5,9 % der bereinigten Gesamtausgaben des Landeshaushalts. Oder noch plastischer: Mit diesen Zinszahlungen könnten wir locker die Ausgaben des Landes für Öffentliche Sicherheit und Ordnung bestreiten, die derzeit 1,8 Mrd. Euro umfassen.

Wie ist es zu diesem Anstieg der Verschuldung gekommen?

Der Schuldenstand ist in allen Ländern und in Deutschland insgesamt stetig angewachsen. Der Schuldenanstieg seit der Gründung von Baden-Württemberg ist da keine Ausnahme (Schaubild 2). Allerdings hat sich der Schuldenstand in den meisten westdeutschen Ländern weit dramatischer entwickelt.

Bis Mitte der 70er-Jahre hat sich die Verschuldung merklich schwächer entwickelt als das Bruttoinlandsprodukt. Bis Anfang der 80er-Jahre ist der Schuldenstand überproportional angestiegen. Gerade in diese Zeit fiel die Ölkrise, in deren Folge es zu einer tiefen Rezession kam. Dadurch sanken die Steuereinnahmen und gleichzeitig stiegen die Ausgaben an. Hinzu kam schon damals der bildungspolitische Schwerpunkt der Landesregierung: Es wurden zu dieser Zeit viele neue Lehrer eingestellt. Seit 2001 lag der Anstieg der Schulden in Baden-Württemberg über dem des Bruttoinlandsprodukts. Diese Entwicklung ergab sich vor allem aus den Steuermindereinnahmen, die teils konjunkturbedingt, teils zur Entlastung von Wirtschaft und Bürgen politisch gewollt waren.

Im Jahre 2006 war das nominale Bruttoinlandsprodukt 31-mal so hoch wie 1953, der Schuldenstand jedoch 39-mal so hoch. Wirtschaftskraft und Schuldenstand sind seither deutlich auseinandergelaufen: Zwischen 2001 und 2006 sind die Schulden mit jährlich 5,7 % mehr als 2 ½-mal so stark angestiegen wie das Bruttoinlandprodukt mit 2,1 %; für den Gesamtzeitraum 1953 bis 2006 sind es 7,1 % im Vergleich zu 6,8 %.

Strenge Schuldenbegrenzung im Land

Schon im Jahr 2007 hat die Politik der Haushaltskonsolidierung Früchte getragen: Der Schuldenstand stieg schwächer an als das Bruttoinlandsprodukt, und 2008 mussten wir erstmals seit 36 Jahren keine neuen Schulden aufnehmen.

Die Landesregierung von Baden-Württemberg ist sogar einen weiteren Schritt in Richtung Schuldenbegrenzung gegangen: Wir haben eine strenge Schuldenbremse in die Landeshaushaltsordnung aufgenommen. Danach darf die Kreditaufnahme künftig den ab 31. Dezember 2007 erreichten Schuldenstand von 41,7 Mrd. Euro dauerhaft nicht überschreiten. Eine Neuverschuldung über diese Grenze hinaus ist nur in besonderen Ausnahmesituationen möglich, beispielsweise bei einem zusätzlichen Finanzbedarf infolge eines starken Rückgangs der Steuereinnahmen oder bei Naturkatastrophen. Jede neue Kreditaufnahme ist jedoch zwingend mit einem Tilgungsplan verknüpft, der verbindlich eine Rückzahlung innerhalb von längstens 7 Jahren vorsieht. Mit dieser Regel zur Verschuldungsbegrenzung hat sich die Landesregierung bewusst selbst Fesseln angelegt und ist insoweit auch bundesweit Vorreiter. Wir wollen also die Entwicklung des Schuldenstands stoppen. Danach soll in überschaubarer Zeit die Entwicklungslinie des Bruttoinlandsprodukts diejenige des Schuldenstands wieder schneiden und dauerhaft übertreffen.

Baden-Württemberg hat damit einen wichtigen Schritt in Richtung einer nachhaltigen Finanzpolitik gemacht. Nachhaltigkeit heißt: Sicherung der Zukunftsfähigkeit; finanzpolitisch geschieht dies durch das Schaffen von Spielräumen für eine auch künftig gestaltende Politik.

Handlungsbedarf durch demografische Entwicklung

Auf die Eingrenzung künftiger Gestaltungsmöglichkeiten allein schon durch den Zinsaufwand für Schulden vergangener Jahre habe ich bereits hingewiesen. Auch durch die demografische Entwicklung ist Handlungsbedarf geboten: Der vom Statistischen Landesamt seit Jahren vorausgesagte Bevölkerungsrückgang und Alterungsprozess der Bevölkerung wird uns mit Sicherheit die nächsten Jahre und Jahrzehnte begleiten. Er wird auch Wirtschaftswachstum, Erwerbstätigkeit und Produktivitätsentwicklung erheblich beeinflussen. Mit Blick auf die Finanzpolitik wird bei geringerem Wirtschaftswachstum die Einnahmensituation der öffentlichen Haushalte schwieriger. Außerdem werden neue, ausgabenwirksame Aufgabenfelder im Bereich der Gesundheits- und Sozialpolitik eröffnet.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Entwicklung der Versorgungsausgaben einschließlich der Beihilfen für die Beamten des Landes zu erwähnen. Die Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre im großen Umfang eingestellten Lehrer und Polizisten kommen ins Pensionsalter. Dadurch steigen die Ausgaben von derzeit 3,3 Mrd. Euro dramatisch an. Im Jahre 2020 werden sie nach heutigen Berechnungen bei 5,9 Mrd. Euro liegen.

Um über diese Entwicklung differenziertere und aktuellere Informationen auf der Basis neuester demografischer Entwicklungen sowie der aktuellen Rahmenbedingungen wie Stellenabbauprogramm und Änderungen des Versorgungsrechts zu erhalten, habe ich das Statistische Landesamt um eine genauere Analyse und Prognose gebeten. Die hieraus abgeleiteten Erkenntnisse werden in den ersten eigenen Versorgungsbericht des Landes Baden-Württemberg einfließen, der voraussichtlich im 2. Quartal 2009 vorliegen wird.

Das Problem ist für uns nicht neu, daher hat das Land Baden-Württemberg bereits 1998 eine Versorgungsrücklage zur Vorsorge für Pensionsverpflichtungen gebildet (Schaubild 3). Hier fließen jährlich 0,2 Prozentpunkte der Besoldungserhöhungen ein. Bisher haben wir so 720 Mill. Euro zurückgelegt. Bis zum Jahre 2018 werden es rund 4 Mrd. Euro sein. Ab diesem Jahr wird erstmals ein Beitrag zu den Pensionszahlungen aus dieser Rücklage entnommen.

Zusätzlich hat das Land Baden-Württemberg im Jahre 2007 einen Versorgungsfonds aufgelegt und ihn mit einem Teil der Steuermehreinnahmen in Höhe von 500 Mill. Euro ausgestattet. Ab 2009 werden dem Fonds für jeden neu eingestellten Beamten 6 000 Euro pro Jahr zugeführt, das sind dann rd. 30 Mill. Euro pro Jahr. Im Jahre 2020 werden aus diesem Fonds ca. 3,3 Mrd. Euro bereit stehen.

Allerdings ist das Problem dadurch noch lange nicht gelöst. Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, dass allein 2020, also in einem einzigen Jahr, Ausgaben für Pensionsverpflichtungen (einschließlich Beihilfe) in Höhe von 5,9 Mrd. Euro erforderlich werden. Berechnungen haben ergeben: Wenn wir im Sinne einer vollen Kapitaldeckung künftig die Pensionen vollständig aus diesem Fonds zahlen wollten, müssten wir ab sofort je neu eingestelltem Beamten pro Jahr etwa 13 600 Euro zurücklegen. Eine dermaßen hohe Summe wäre aber ohne Mehrbelastung der heutigen Steuerzahler kaum aufzubringen und insoweit auch nicht generationengerecht, weil dann die heutigen Steuerzahler für die aktuellen und die künftigen Pensionen aufkommen müssten. Insoweit werden die Pensionsverpflichtungen auch künftig in großem Umfang aus dem laufenden Landeshaushalt finanziert werden müssen.

Diese wenigen Ausführungen zu aktuellen Fragen der Haushaltspolitik zeigen: Das Finanzministerium ist auf zuverlässige Daten und Analysen, Modellrechnungen und Prognosen angewiesen. Ich bin froh, hierzu mit dem Statistischen Landesamt auf eine herausragende Informationsquelle in unserem Land zurückgreifen zu können.