:: 3/2009

Perspektiven der Geburtenentwicklung

Es schien früher ganz einfach zu sein. Dem Denken von Thomas Mann entsprach die Auffassung: »Kinder hat man zu haben«. Adenauer wird im Zusammenhang mit der Konzeption der gesetzlichen Rentenversicherung in den 50er-Jahren als Umlagesystem (Drei-Generationen-Verbund) zitiert: »Kinder haben die Leute immer«. Was aber geschah? Nach dem Babyboom begann in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre ein rasanter Rückgang der Geborenenzahlen, in dessen Verlauf 1978 der Tiefpunkt mit nur fast halb so vielen Geborenen wie 1965 erreicht wurde. Dies war hauptsächlich das Ergebnis eines im Generationenvergleich geänderten generativen Verhaltens. Die Folgen sehen wir heute. Wer in den 70er-Jahren nicht geboren wurde, konnte in den 90er-Jahren – und auch heute nicht – Mutter oder Vater werden. Die langfristige Geburtenentwicklung weist relativ große Wellenbewegungen auf. Ihre Ausschläge nach oben und unten sind jedoch in jüngerer Zeit kleiner geworden. Welche Perspektiven ergeben sich für die kommenden Jahre?

Trendwende in der Geburtenentwicklung 2007?

2007 lag die Zahl der Lebendgeborenen um 868 Kinder höher als ein Jahr zuvor. An diesem Ergebnis ist nicht so sehr das Ausmaß des Anstiegs ausschlaggebend, sondern dass nach 9 Jahren eines kontinuierlichen Rückgangs der Geborenenzahlen erstmals ein Plus in der Entwicklung auftritt. Auf welche Umstände ist dieses zurückzuführen? Hier sind folgende Befunde wichtig:

  • Während die Zahl der Lebendgeborenen von verheirateten Müttern 2007 auch im zehnten aufeinanderfolgenden Jahr rückläufig war, hat die Anzahl der nicht ehelich Geborenen weiter zugenommen. Rechnerisch ist der Geburtenanstieg 2007 vollständig auf die Entwicklung der von nicht verheirateten Müttern geborenen Kinder zurückzuführen.
  • Soweit es die ehelich zur Welt gekommenen Kinder betrifft, hat erstmals seit 1998 die Zahl der als zweite Kinder Geborenen zugenommen. Demgegenüber ist die Zahl der Erstgeborenen wiederum gesunken ebenso wie die Zahl von dritten und weiteren Kindern.
  • Abgenommen hat die Zahl der Geborenen von ausländischen Ehepaaren, während bei deutschen Ehepartnern 2007 etwa ebenso viele Kinder zur Welt kamen wie 2006. Mehr Kinder wurden geboren von deutsch/ausländischen Ehepaaren sowie von nicht verheirateten deutschen und ausländischen Frauen.
  • Mit Blick auf das Alter der Mütter sind es die 26-Jährigen und Älteren, die 2007 mehr Kinder zur Welt gebracht haben als im Jahr zuvor. Nicht deshalb, weil es mehr Frauen in diesem Altersbereich gab, sondern weil hier – je Frau gerechnet – mehr Kinderwünsche realisiert wurden. Umgekehrt verhält es sich bei den jüngeren Frauen. Dort hat sich die Zahl der bis 25-Jährigen gegenüber 2006 kaum verändert, allerdings wurden deutlich weniger Kinderwünsche realisiert.
  • Zusammengenommen hat eine Änderung im generativen Verhalten den Anstieg der Geborenenzahlen 2007 bewirkt, während die sich verändernden Altersbesetzungen der Frauen – insgesamt weniger Frauen zwischen 15 und 45 Jahren bei gleichzeitigen Verschiebungen zwischen den einzelnen Altersjahren – eine gegenteilige Auswirkung haben.

Selbst wenn sich für 2008 ein erneuter leichter Anstieg der Geborenenzahlen einstellen sollte, so ist es auch angesichts seines voraussichtlich geringen Ausmaßes für eine fundierte Bewertung dieser Entwicklung noch zu früh. Möglicherweise handelt es sich um eine kurzfristige Unterbrechung eines auf längere Sicht rückläufigen Trends wie etwa in den Jahren 1996 und 1997. Ob demgegenüber 2007 und 2008 eine Trendwende in der Entwicklung der Geborenenzahlen einleiten, erweist sich erst in den kommenden Jahren.

Langfristige Wellen der Geburtenentwicklung

Um aus heutiger Sicht die Perspektiven der künftigen Geburtenentwicklung beurteilen zu können, ist ein kurzer Rückblick hilfreich. Die langfristige Entwicklung der Geborenenzahlen weist ausgeprägte Wellenbewegungen auf. Diese resultieren aus den Veränderungen in den beiden Komponenten, die statistisch gesehen die jährliche Zahl der Geborenen bestimmen: die Zahl der Frauen im »gebärfähigen Alter« – die Altersphase von 15 bis 44 oder 49 Jahre – und das »generative Verhalten« der Paare, das wiederum von vielfältigen individuellen und gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst wird (vgl. i-Punkt). Sehr deutlich spiegeln sich beispielsweise die Einflüsse der beiden Weltkriege wider ebenso wie die maßgeblich durch ein verändertes generatives Verhalten bedingten Anstiege der Geborenenzahlen in der zweiten Hälfte der 30er-Jahre und in den 50/60er-Jahren (»Babyboom«).

Zugleich fällt auf, dass die Entwicklung der durchschnittlichen Kinderzahl je Frau – als Indikator für das generative Verhalten der Paare – bis Anfang der 80er-Jahre weitgehend parallel zur Entwicklung der Geborenenzahlen verlaufen ist, danach jedoch nicht mehr. Das heißt, die im Übergang zu den 90er-Jahren ansteigenden Geborenenzahlen beruhten – bei einem im Großen und Ganzen unveränderten generativen Verhalten – rechnerisch hauptsächlich auf der wachsenden Zahl von Frauen in der üblichen Altersphase der Familienbildung. Mit umgekehrten Vorzeichen gilt dies auch für die Jahre nach 1994. Die in dieser Zeit allmählich rückläufige Zahl der 15- bis 44-jährigen Frauen begründet maßgeblich die Abnahme der jährlichen Geborenenzahlen – in einigen Jahren sogar verstärkt von einer leicht sinkenden Neigung der Paare, Kinderwünsche zu realisieren.

Die zwischen 1959 und 1969 recht hohen Geborenenzahlen (jährlich in einer Größenordnung von 140 000 bis 160 000) hätten eine Generation später (etwa 25 bis 27 Jahre) zu wiederum vielen Geburten führen können, wenn diese Kindergeneration der 60er-Jahre das generative Verhalten ihrer Elterngeneration übernommen hätte. Dies war nicht der Fall. Die durchschnittliche Kinderzahl der »Geburtenboomer« von Mitte der 60er-Jahre lag mit knapp 1,6 Kindern je Frau um gut ein Viertel niedriger als die ihrer Elterngeneration, den in der zweiten Hälfte der 30er-Jahre Geborenen mit fast 2,2 Kindern je Frau. Damit fiel der Echoeffekt des Geburtenbooms relativ gering aus, sodass sich die Ausschläge der langfristigen Wellenbewegung nunmehr deutlich reduziert haben.

Zahl der 15- bis 44-jährigen Frauen nimmt weiter ab

Aus der vergangenen Geburtenentwicklung wird deutlich, dass die künftigen Besetzungsstärken der einzelnen Frauenjahrgänge schwächer sein werden als bislang. In mancher Hinsicht ist die demografische Logik einfach und klar: Wer in den Zeiten des rapiden Geburtenrückgangs in den 70er-Jahren nicht geboren wurde, konnte in den 90er-Jahren nicht Mutter oder Vater werden und wird 2020/25 auch nicht Großmutter oder Großvater. Zu Zeiten des Geburtenbooms lebten in Baden-Württemberg etwa 1,76 Mill. Frauen im Alter von 15 bis 44 Jahren. Ihre Zahl stieg bis 1978 – dem Jahr mit der bislang niedrigsten Geborenenzahl im Lande nach dem Zweiten Weltkrieg – auf nahezu 2 Mill. an. Um 1993/94 waren es mit rund 2,2 Mill. so viele Frauen in dieser Altersphase wie nie zuvor und wohl auch in Zukunft nicht wieder. Nach diesem Höchststand, der auch durch die seinerzeit starke Zuwanderung mit bedingt war, begann ihre Zahl allmählich zu sinken. Ende 2007 befanden sich etwa 2,13 Mill. Frauen im Alter von 15 bis 44 Jahren. Aus heutiger Sicht wird ihre Zahl bis 2020 auf knapp 1,88 Mill. weiter sinken.

Mit Blick auf die Perspektiven der Geburtenentwicklung kommt es jedoch nicht allein auf die Gesamtzahl der Frauen in der Altersphase an, in der üblicherweise Kinder geboren werden. Hier spielen die Besetzungsstärken der einzelnen Altersjahre eine wichtige Rolle. So waren beispielsweise 1990 die Altersjahre zwischen 22 und 30 Jahren am stärksten besetzt (Schaubild 2). Darunter waren es die 26- bis 30-jährigen Frauen, die zusammen mit ihren Partnern am relativ häufigsten Kinderwünsche realisiert haben. Rund 11 bis 12 % der Frauen dieser Altersjahre wurden 1990 Mutter. Zusammen brachten sie seinerzeit rund 40 % aller in diesem Jahr geborenen Kinder zur Welt.

Diese Altersjahre wachsen zum Jahresende 2007 allmählich aus der üblichen Familienbildungsphase hinaus und deutlich schwächer besetzte Jahrgänge wachsen nach. Der Altersbereich mit den im Jahr 2007 höchsten Geburtenhäufigkeiten, die 29- bis 33-jährigen Frauen, ist um gut ein Viertel schwächer besetzt als die vergleichbare Altersgruppe von 1990. Zugleich lagen die Geburtenhäufigkeiten 2007 niedriger. Damit wurden von den Altersjahrgängen mit den höchsten Geburtenhäufigkeiten 2007 nur noch rund ein Drittel aller Geborenen zur Welt gebracht.

Perspektiven bis 2020

Aus heutiger Sicht leben im Jahr 2020 mit rund 1,88 Mill. Frauen im Alter von 15 bis 44 Jahren rund 12 % weniger in Baden-Württemberg als Ende 2007. Der Blick auf die einzelnen Altersjahrgänge zeigt, dass es dann weniger unter 28-Jährige und deutlich weniger 35-Jährige und Ältere als heute geben wird. Im dazwischenliegenden Altersbereich weisen die 28- bis 34-jährigen Frauen nur etwas höhere Besetzungsstärken als 2007 auf. Für die künftige Geburtenentwicklung ist damit offensichtlich, dass ein Aufwärtstrend der jährlichen Geborenenzahlen nicht von der Zahl potenzieller Mütter (und Väter) getragen werden kann. Entscheidend wird sein, wie sich das Geburtenverhalten der Paare im Hinblick auf die Zahl der realisierten Kinderwünsche und ihren Zeitpunkt (Altersphase) entwickeln wird.

Der Anspruch, künftiges generatives Verhalten zutreffend einzuschätzen und in statistische Rechengrößen umzusetzen, liegt außerhalb einer seriösen Behandlung dieser Thematik. Gleichwohl ist eine Hypothesen- und Annahmenformulierung zulässig, die – als solche kenntlich gemacht – Grunddaten für Modellrechnungen liefert. Orientierungen dazu lassen sich grundsätzlich aus bisherigen empirischen Entwicklungen ableiten, aus Zielvorstellungen oder aus einer Kombination beider Denkansätze. Hierzu werden im Folgenden Modellrechnungen in vier Varianten vorgestellt.

Variante 1: Anstieg der durchschnittlichen Kinderzahl auf 2,1 Kinder je Frau

Ausgangspunkt ist die Überlegung, es gelänge unserer Gesellschaft, Lebensbedingungen für Familien zu schaffen, die zusammen mit den individuellen Präferenzen der Paare einen kontinuierlichen Anstieg der durchschnittlichen Kinderzahl je Frau auf 2,1 Kinder bis zum Jahr 2020 zu bewirken. Unter dieser Annahme würde die Geborenenzahl über rund 104 000 (2010) auf 121 000 (2015) und 139 000 (2020) ansteigen. Sie läge damit im Jahr 2020 um fast die Hälfte höher als 2007. Zahlenmäßig wäre diese Entwicklung vergleichbar mit den 50er-Jahren – allerdings mit dem Unterschied, dass seinerzeit eine steigende Geburtenrate zusammentraf mit zunehmenden Jahrgangsstärken von Frauen im Alter von 15 bis 44 Jahren.

Variante 2: Konstante durchschnittliche Kinderzahl von 1,36 Kindern je Frau

Das Geburtenniveau hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten relativ konstant in dem engen Korridor von 1,3 bis 1,5 Kindern je Frau bewegt. Die gleichzeitig deutlich ausgebauten Leistungen der Familienförderung haben zu keiner nachhaltigen Veränderung im generativen Verhalten in Richtung auf größere Kinderzahlen in den Familien geführt. Diese Erfahrung begründet die Annahme, dass auch in Zukunft keine durchgreifende Änderung eintreten wird. Dies ist zugleich eine grundlegende Annahme der derzeit aktuellen Bevölkerungsvorausrechnungen für Baden-Württemberg, die im Landesdurchschnitt eine künftig konstante Geburtenrate von 1,36 Kindern je Frau zugrunde legt. Daraus ergibt sich ein bis 2020 verhaltener Rückgang der Geborenenzahlen von heute knapp 93 000 über fast 90 000 im Jahr 2010 auf rund 89 000 im Jahre 2020. Hier wirken sich die insgesamt abnehmende Zahl von Frauen im Alter von 15 bis 44 Jahren und die Verschiebungen in ihrer Altersstruktur aus.

Variante 3: Rückgang der durchschnittlichen Kinderzahl auf 1,2 Kinder je Frau

Eine eher pessimistische Annahme geht davon aus, dass die Paare im Lande ihre Kinderzahl in den kommenden Jahren noch weiter begrenzen werden. Mit einem Absinken der Geburtenrate auf 1,2 Kinder je Frau wäre 2020 ein historischer Tiefststand erreicht, der selbst in den bisherigen tief greifenden Krisenzeiten (insbesondere den Kriegen) noch nicht eingetreten war. Die Geborenenzahlen würden sich dann bis 2010 auf rund 86 000 Kinder verringern und über knapp 83 000 (2015) auf gut 79 000 im Jahre 2020 absinken – ein Minus von fast 15 % gegenüber heute.

Variante 4: Fortschreitende Verschiebung von Geburten auf ein späteres Alter

Ein wesentliches Merkmal der bisherigen Geburtenentwicklung besteht in der Verlagerung von Erstgeburten, aber auch weiteren Kindern auf ein späteres Alter der Mutter (»späte Mutterschaft«). Schreibt man hier beispielsweise die zwischen1995 und 2007 eingetretenen Verschiebungen in den altersspezifischen Geburtenhäufigkeiten bis zum Jahr 2020 fort, so würde die Zahl der Geborenen über rund 96 000 im Jahr 2015 auf etwa 100 000 im Jahr 2020 ansteigen. Diese Entwicklung ergibt sich hauptsächlich daraus, dass dann die Geburtenhäufigkeiten bei den über 30-jährigen Frauen deutlich zunehmen und hier zugleich die relativ am stärksten besetzten Altersjahrgänge vorhanden sind. Mit dieser Entwicklung würde die durchschnittliche Kinderzahl bis 2020 auf etwa 1,5 Kinder je Frau steigen. Dieser Effekt beruht darauf, dass durch die Fortschreibung der bisherigen Altersverschiebungen der Anstieg der Geburtenhäufigkeiten bei den über 30-jährigen Frauen den Rückgang bei den jüngeren deutlich überkompensiert.

Schlussfolgerungen

Aus diesen vier Rechenvarianten ergibt sich ein recht weit gespannter Bogen der Entwicklungsperspektiven und eine Variante mag sich später so unrealistisch erweisen wie die andere. Relativ sicher ist nur die Erkenntnis, dass die Zahl der »potenziellen Mütter« (und »potenziellen Väter«) in den nächsten Jahren kleiner wird und sich in ihrer Altersstruktur gegenüber heute verändern wird. Als »Stellschraube« für eine geplante Veränderung der Geburtenentwicklung kommt daher dem generativen Verhalten eine besonders große Bedeutung zu. Für Maßnahmen der Geburtenförderung greifen Überlegungen zu kurz, die sich allein auf ökonomische und materielle Aspekte beziehen. Darüber hinaus – und auch über das weite Feld hinaus, Bedingungen für junge Paare zu schaffen, damit sie Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren können – geht es auch um die Wertschätzung von Kindern, um das Bewusstsein, dass Kinder ein »Reichtumsfaktor« sind und kein »Armutsfaktor«.

Eine Anmerkung zu den Vorausrechnungen und ihrer Bewertung erscheint zu guter Letzt noch wichtig: Die hier vorgestellten Modellrechnungen dürfen nicht zu dem Eindruck führen, es sei angesichts der Erkenntnisunsicherheiten zur Entwicklung des generativen Verhaltens zu spekulativ, überhaupt derartige Rechnungen anzustellen. Vielmehr haben sie den Zweck zu zeigen, unter welchen Bedingungen bestimmte Entwicklungen und Größenordnungen der Geborenenzahlen entstehen. Diese Einsichten dienen der Information, »was wäre, wenn …« und je dichter die Informationen vorliegen, desto besser lässt sich der Korridor künftiger Entwicklungen eingrenzen. Jedoch Vorhersagen wollen und können sie nicht sein.