:: 3/2009

»Kurs halten!« – Steuerungsinstrumente für den Weg zur Familienfreundlichen Kommune

Kinder- und Familienfreundlichkeit steht heute verstärkt im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion und ist in vielen Gemeinden und Städten ein zentrales Thema der Kommunalentwicklung. Kinder- und familienfreundliche Zielsetzungen halten zunehmend Einzug in kommunalpolitische Beschlüsse, umfassende Aktionsprogramme und längerfristigere kommunale Leitbilder. Sie werden damit die zukünftige Entwicklung der Kommunen wesentlich mitprägen. Um geeignete kinder- und familienfreundliche Leitziele für eine Kommune zu entwickeln und entsprechende Maßnahmen umzusetzen, steht eine Vielzahl von bewährten Instrumenten zur Verfügung. Je nach Ausgangslage in der Kommune kann der familienfreundliche Entwicklungsprozess durch Instrumente wie die »Handreichung Familienfreundliche Kommune«, eine kontinuierliche Familienberichterstattung, die Gründung eines »Lokalen Bündnisses für Familien« oder die Durchführung von »Zukunftswerkstätten Familienfreundliche Kommune« vorangebracht werden. Durch einen geeigneten Instrumentenmix kann eine familienfreundliche Kommunalentwicklung als nachhaltiger kontinuierlicher Optimierungsprozess angelegt werden.

Die »Handreichung Familienfreundliche Kommune« erleichtert die Bestandsaufnahme

Zu Beginn des Entwicklungsprozesses zur Familienfreundlichen Kommune empfiehlt sich eine Bestandsaufnahme der familienfreundlichen Leistungen und Angebote:

  • Was bieten Kommune, Unternehmen, Kirchen, freie Träger und Vereine für Familien, Jung und Alt?
  • Werden die Zielgruppen tatsächlich erreicht und was fehlt noch?
  • Welche guten Praxisbeispiele und Lösungen gibt es in anderen Kommunen gleicher Größenordnung?

Zur ersten Bestandsaufnahme eignet sich die »Handreichung Familienfreundliche Kommune«, eine Checkliste, die von baden-württembergischen Bündnissen für Familie, dem Netzwerk Familie Baden-Württemberg, dem Kommunalverband für Jugend und Soziales und der FamilienForschung Baden-Württemberg erarbeitet worden ist. Die Handreichung enthält derzeit 56 Fragen zu 7 Handlungsfeldern kommunaler Familienpolitik. Sie liefert ein Bild von der Ausgangssituation zur Familienfreundlichkeit in der Kommune und bietet Anregungen zur Formulierung von künftigen Entwicklungszielen. Zusammen mit der Arbeitshilfe »100 Praxisbeispiele aus den Kommunen Baden-Württembergs« dient diese Checkliste vielen Gemeinden und Städten als Einstieg in den Entwicklungsprozess zur Familienfreundlichen Kommune. In Baden-Württemberg arbeiten derzeit rund 150 Kommunen mit diesem Instrument. Der Gemeindetag, der Städtetag und der Landkreistag Baden-Württemberg haben eine Empfehlung dazu abgegeben.

Familien-Wegweiser bündeln die Angebote

Die Bestandsaufnahme aller familienbezogenen Angebote und Leistungen in der Kommune zeigt oftmals, dass viele Einrichtungen und Angebote für Familien nicht ausreichend gut bekannt sind. Oftmals gibt es noch keine Anlaufstelle für Familien und kein Medium, das alle Informationen bündelt. Als erste Maßnahme gehen dann viele Kommunen daran, die verschiedenen Ämter, Einrichtungen und Angebote für Familien in einem zentralen »Wegweiser für Familien« zu bündeln, etwa in Form von Willkommensbroschüren, Begrüßungspaketen oder entsprechenden Internetangeboten, oder auch durch die Benennung eines zentralen Ansprechpartners für Familien, bei dem die gebündelten Informationen abrufbar sind.

Einen Zusatznutzen haben solche Informationsangebote, wenn sie nach Familienphasen und Lebenslagen differenziert sind und sich lebensnah an den jeweiligen Fragen der Eltern orientieren. Auf diese Weise lässt sich ein lokales Familienhandbuch entwickeln, das die Eltern über Gesundheits- und Erziehungsfragen, finanzielle Hilfen und Vergünstigungen, Kinderbetreuung, Bildungs- und Beratungsangebote und anderes mehr informiert (zum Beispiel Familien-Wegweiser Heidenheim, Ravensburger Familienlotse, Familien-Ratgeber Pforzheim).

Familienberichte schaffen eine fundierte fachliche Basis

Will man nicht beim Erreichten stehen bleiben und die familienfreundliche Infrastruktur kontinuierlich weiter verbessern, braucht man Zielsetzungen, die an der konkreten Lebenssituation der Familien vor Ort ansetzen. Eine gute Ausgangsbasis für die Entwicklung kinder- und familienfreundlicher Leitziele kann die Erstellung eines Familienberichts sein (zum Beispiel Familienbericht Ulm, Familienbericht Ravensburg). Ein Familienbericht beschreibt die Lebenssituation der Familien vor Ort, er macht eine Bestandsaufnahme der familienbezogenen Leistungen und analysiert den weiteren Bedarf. Damit schafft der Familienbericht eine fundierte fachliche Grundlage für die Entwicklung von längerfristigen Leitzielen und Prioritäten für mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit.

Die regelmäßige Fortschreibung des Familienberichts ermöglicht darüber hinaus, Bedarf, Nutzen und Kosten von familienbezogenen Leistungen im weiteren zeitlichen Verlauf zu beurteilen. Neue Problemlagen können frühzeitig erkannt und zuverlässig erfasst werden. Maßnahmen zur Familienfreundlichkeit lassen sich auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen und weiter verbessern.

Zu einer fundierten Datengrundlage für die Familienberichterstattung können auch die Angebote des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg herangezogen werden, die zum großen Teil online abrufbar sind unter www.statistik-bw.de. Der Demografie-Spiegel beispielsweise liefert für jede Kommune Grafiken, Tabellen und Karten rund um das Thema »Demografischer Wandel und Familienfreundlichkeit«. Jede Kommune kann hier ihr demografisches Profil abrufen. Weitere nützliche Daten und Kennzahlen zur Bevölkerungsentwicklung, Geburtenzahlen, Schülerzahlen etc. bietet die Regional- und Strukturdatenbank, die ebenfalls online abrufbar ist.

Die »Lokalen Bündnisse« fördern die Zusammenarbeit

Um Familienfreundlichkeit als Querschnittsthema angehen und auf allen Handlungsfeldern wirksame Maßnahmen ergreifen zu können, brauchen die Gemeinden und Städte vor Ort auch starke Bündnispartner. Die von der Bundesregierung initiierten »Lokalen Bündnisse für Familie« fördern die Zusammenarbeit von familienpolitisch Aktiven, Kommunen, Kirchen, Verbänden und der Wirtschaft mit dem Ziel, die familienbezogenen Angebote und Leistungen stärker miteinander zu vernetzen und die örtlichen Rahmenbedingungen für Familien weiter zu verbessern. Die Belange von Familien und Kindern sollen von den Bündnispartnern in allen gesellschaftlichen Bereichen dauerhaft verankert werden.

Grundidee der Zusammenarbeit ist die Einsicht, dass die »strukturellen Rücksichtslosigkeiten« gegenüber Familien und Kindern und die Herausforderungen an das Betreuungs- und Bildungssystem ein breit angelegtes Handeln von Politik, Wirtschaft und gesellschaftlichen Gruppen erforderlich machen. Eine Verbesserung der Kinderbetreuung beispielsweise reicht allein nicht aus, wenn die Arbeitswelt oder andere gesellschaftliche Bereiche auf Familien und Kinder kaum Rücksicht nehmen.

Unterstützt und gefördert werden die Lokalen Bündnisse für Familie durch das gleichnamige Servicebüro des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das mit seinen Angeboten unter www.lokale-buendnisse-fuer-familie.de erreichbar ist.

Die »Zukunftswerkstätten Familienfreundliche Kommune« beteiligen die Bürger vor Ort

Neben den örtlichen Fachleuten sollten die Familien vor Ort zu Wort kommen, um sicherzugehen, dass die Ziele und Maßnahmen am konkreten Bedarf der Eltern und Kinder ansetzen. Mit einer »Zukunftswerkstatt Familienfreundliche Kommune« als Auftaktveranstaltung und Initialzündung lässt sich vor Ort mit Beteiligung der Familien und der örtlichen Fachleute ein schlüssiges, praxistaugliches Handlungskonzept entwickeln, das dem Bedarf vor Ort gerecht wird und das von allen Beteiligten mitgetragen und umgesetzt werden kann. Die »Zukunftswerkstätten Familienfreundliche Kommune« sind Teil der Initiative »Kinderland Baden-Württemberg« und werden von der FamilienForschung Baden-Württemberg zusammen mit dem Kommunalverband für Jugend und Soziales durchgeführt (Vgl. auch i-Punkt).

Das Beteiligungsverfahren verläuft in drei Schritten: Zunächst liefert die eintägige Zukunftswerkstatt als Auftaktveranstaltung Ideen, Ziele und konkrete Maßnahmenvorschläge mit Beteiligung aller relevanten Kräfte vor Ort (Bürger/-innen, Familien, Alt und Jung, Vertreter/-innen der Kommune, der lokalen Einrichtungen, Betriebe, Kirchen, Vereine und Verbände und andere). Diese werden im zweiten Schritt dokumentiert, gemeinsam beraten und im Gemeinderat präsentiert. Nach der Beschlussfassung steht dann die Umsetzung der Vorschläge an: Kommune, Bündnispartner und Bürgerschaft arbeiten dabei eng zusammen.

Bislang arbeiten in Baden-Württemberg rund 30 Zukunftswerkstätten mit über 2 000 Beteiligten. Die Ergebnisse der Zukunftswerkstätten beziehen sich – je nach örtlichem Bedarf – auf das ganze Spektrum kommunaler Familienpolitik. Bisherige Umsetzungsfortschritte sind zum Beispiel: die Einrichtung von Betreuungsangeboten für unter 3-Jährige; die Ausweitung der Betreuungszeiten in Kindergarten und Grundschule; Ferienbetreuung für Schulkinder; pädagogische Konzepte für die Tagesbetreuung verschiedener Altersgruppen; Konzeption von »Lokalen Bildungslandschaften«; Konzeption für Familientreffs/Mehrgenerationenhäuser, Helferbörsen »Alt hilft Jung, Jung hilft Alt« mit Notfallbetreuung, Fahrdiensten, Haushaltshilfen; Förderverein für Kinder- und Jugendbildung; Überprüfung der Verkehrssicherheit, Entschärfung von Gefahrenpunkten, Verbesserung der Barrierefreiheit; Anlaufstellen und Informationsangebote für Familien; Leitbild »Familienfreundliche Gemeinde« für künftige kommunalpolitische Beschlüsse und anderes mehr.

Mitbau-Aktionen mobilisieren die Bürgerschaft

Auch bei der Umsetzung familienfreundlicher Maßnahmen sollte die Bürgerschaft vor Ort aktiv mitwirken können. Bei Planungs- und Bauprojekten gibt es sehr vielfältige und wirkungsvolle Möglichkeiten, Familien, Jung und Alt unmittelbar zu beteiligen. Besonders eignen sich Vorhaben, die Eltern, Kinder und Jugendliche direkt betreffen, wie zum Beispiel die Neugestaltung von Spielplätzen oder Schulhöfen, der Bau einer Skateranlage, eines Jugendtreffs oder die Aufwertung des Wohnumfeldes (zum Beispiel Mitmach-Aktionen in Berghaupten, Mötzingen, Untergruppenbach).

Je nach Anlass und Zielgruppe sind verschiedene Beteiligungsformen sinnvoll, zum Beispiel

  • Stadtteilspaziergänge, bei denen Bewohnerinnen und Bewohner die guten und die schlechten Seiten des Stadtteils zeigen,
  • Spielplatzbesuche, freies Spielen, Mal- und Modellieraktionen mit Kindern, um zu erfahren, was ihnen beim Spielen gefällt,
  • Zukunftswerkstätten mit Jugendlichen, die Raum geben für Kritik, Fantasie und kreative Lösungen,
  • Planungs-Workshops mit Arbeit an Bauplänen und Modellen,
  • Mitbau-Aktionen bei der Neugestaltung von Spielplätzen, Schulhöfen u. a.

Die direkte Beteiligung von Familien, Kindern und Jugendlichen ermöglicht, dass die Bauvorhaben ihren Bedürfnissen stärker gerecht werden und mehr Akzeptanz finden. Mit dem gemeinsam Gestalteten wird tendenziell auch sorgsamer umgegangen. Erfolgreiche Beteiligungsaktionen motivieren zu weiterem bürgerschaftlichen Engagement: Aus gemeinsamen Bau-Aktionen können sich Patenschaften zur Spielplatzpflege ergeben, oder es finden Elterngruppen zusammen, die nun gegenseitig ihre Kinder auf dem Spielplatz betreuen.

Bilanz-Workshops sichern die Nachhaltigkeit

Um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der familienfreundlichen Kommunalentwicklung sicherzustellen, sind Erfolgskontrollen und Selbstevaluation unerlässlich. Sind die Ziele, die sich die Kommune oder die Zukunftswerkstatt gesteckt hat, auch tatsächlich erreicht worden? Haben die Maßnahmen die Lebenssituation von Familien in der gewünschter Weise verbessert? Wo ist es noch nicht vorangegangen, wo gibt es neuen Handlungsbedarf?

Wichtig für eine wirksame Erfolgskontrolle ist die Rückkoppelung mit den Familien und anderen Beteiligten. Dies kann in Form von gemeinsamen Bilanz-Workshops geschehen, wie sie Kommunen im Rahmen der »Zukunftswerkstätten Familienfreundliche Kommune« durchführen können. Um ein bis zwei Jahre nach der Auftaktveranstaltung die erzielten Umsetzungsfortschritte festzustellen und die Kinder- und Familienfreundlichkeit weiter voranzubringen, werden die beteiligten Bürger/-innen und Bündnispartner zu einem halbtägigen »Bilanz-Workshop« eingeladen. Zur Sicherung der Nachhaltigkeit werden gemeinsam weiterführende Ziele und Maßnahmen erarbeitet im Sinne eines kontinuierlichen familienfreundlichen Verbesserungsprozesses. Mit den Bilanz-Workshops werden nicht zuletzt auch die besonderen Leistungen aller beteiligten Bürger/-innen und Bündnispartner in angemessener Weise gewürdigt.

Der Weg zur Familienfreundlichen Kommune kann demnach auch als kontinuierliches Verbesserungssystem verstanden werden, ein Regelkreis mit den Steuerungsphasen: Bestandsaufnahme (mittels Handreichung) – Öffentlichkeit mobilisieren und Partner gewinnen – Ziele und Maßnahmen entwickeln (mittels Zukunftswerkstatt) – Umsetzung mit Bürgerschaft und Bündnispartnern – Bilanz ziehen und neue Ziele setzen. In diesem Sinne bedeutet »Familienfreundliche Kommune«, einen nachhaltigen kontinuierlichen Optimierungsprozess für und mit Familien in Gang zu setzen.

Die FamilienForschung Baden-Württemberg hat dieses Verfahren zu dem »Audit Familienfreundliche Kommune« weiterentwickelt. Nach der Bilanzierung und Begutachtung der Umsetzungsfortschritte soll den beteiligten Gemeinden und Städten erstmals die Möglichkeit gegeben werden, ihren Optimierungsprozess mit dem »Zertifikat Familienfreundliche Kommune« auszeichnen zu lassen. Das Zertifikat soll die Leistungen der Kommune und aller haupt- und ehrenamtlich Beteiligten in besonderer Weise herausstellen und würdigen. Die ersten Bilanz-Workshops beginnen in diesem Jahr.