:: 6/2009

Aspekte der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage

Wesentliche Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung in unserer Wirtschaft ist, dass die produzierten Waren und Dienstleistungen auch ihre Abnehmer finden. Diese Nachfrage mithilfe von Konjunkturprogrammen zu stimulieren ist momentan das Ziel, um die Auswirkungen der Wirtschaftskrise abzufedern. In der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung ergibt sich die Nachfrage aus den Konsumausgaben der privaten Haushalte und des Staates, den Bruttoinvestitionen und den Exporten, die sich abzüglich der Importe zum Außenbeitrag saldieren.

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass das Gewicht dieser Nachfragegrößen an der Gesamtwirtschaft sehr unterschiedlich ist. Auch im regionalen und internationalen Vergleich bestehen zum Teil erhebliche Unterschiede in den Nachfragestrukturen. Eine weitere Fragestellung beschäftigt sich mit dem Einfluss der Nachfragekomponenten auf die Dynamik des Konjunkturverlaufs in Baden-Württemberg.

In den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen werden die Nachfragekomponenten in der sogenannten Verwendungsrechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) dargestellt. Zwischen dem BIP – dem umfassendsten Maß für die in einem Wirtschaftsgebiet produzierten Waren und Dienstleistungen – der inländischen Verwendung und dem Außenbeitrag besteht folgender definitorischer Zusammenhang:

Konsumausgaben der privaten Haushalte1
+Konsumausgaben des Staates
+Bruttoinvestitionen (= Bruttoanlageinvestitionen + Vorratsveränderungen2)
=inländische Verwendung insgesamt
+Außenbeitrag (= Exporte ./. Importe)
=Bruttoinlandsprodukt

Mit diesen Bausteinen werden die Kategorien der Verwendungsmöglichkeiten der produzierten Güter bzw. der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage wiedergegeben, die in der Summe nach Abschluss einer Rechenperiode immer mit dem Bruttoinlandsprodukt identisch sind.

Bei den Konsumausgaben der privaten Haushalte handelt es sich zum Beispiel um die erworbenen Güter des täglichen Bedarfs, um dauerhafte Konsumgüter und auch um Mieten. Die Konsumausgaben des Staates umfassen die Güter, die zum individuellen oder kollektiven Konsum von Bildung, Gesundheit, Sport, Verwaltung oder Sicherheit und Verteidigung bestimmt sind und der Allgemeinheit ohne direktes Entgelt zur Verfügung gestellt werden. Die Bruttoinvestitionen untergliedern sich in Ausrüstungen (einschließlich sonstige Anlagen), Bauten und Vorratsveränderungen. Die Exporte zeigen, wie viele Waren und Dienstleistungen das Ausland im Inland nachgefragt hat. Entsprechend umgekehrt verhält es sich bei den Importen.

Phänomen »Restposten«

Diese Nachfragegrößen stehen auf der nationalen Ebene in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) des Statistischen Bundesamtes vollständig und zeitnah zur Verfügung. Nicht jedoch in den regionalen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, wie sie vom Arbeitskreis »VGR der Länder« erstellt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass wegen der regional eingeschränkten Datenverfügbarkeit insbesondere bei den Konsumausgaben des Staates und den Bruttoanlageinvestitionen für ein bestimmtes Berichtsjahr die komplette Verwendungsrechnung des BIP erst mit einem Zeitverzug von ca. 2 Jahren abgeschlossen ist. Dies erklärt, dass im vorliegenden Beitrag die Betrachtung auf Bundesländerebene nur bis 2006 reicht.

Hinzu kommt die konzeptionelle Besonderheit des Außenbeitrags in den regionalen VGR, der neben den außenwirtschaftlichen Verflechtungen über die nationale Grenze auch die Exporte und Importe zwischen den Bundesländern abbildet. Allerdings liegen zu den Handelsbeziehungen zwischen den Bundesländern keine Informationen vor, sodass auf der regionalen Ebene ein Außenbeitrag statistisch nicht nachgewiesen werden kann.

Deshalb beschränken sich in der regionalen Betrachtung die Nachfrageaggregate auf die Konsumausgaben der privaten Haushalte und des Staates sowie die Bruttoanlageinvestitionen. Ihre rein rechnerische Differenz zum BIP wird als Restposten bezeichnet, der sich in Baden-Württemberg im Hinblick auf die hohe Exportabhängigkeit des Landes in den letzten Jahren wertmäßig größtenteils aus dem regionalen Außenbeitrag gespeist haben dürfte3 (siehe i-Punkt).

Privater Konsum bedeutendste Nachfragekomponente

In Baden-Württemberg belief sich im Jahr 2006 der Anteil der Konsumausgaben der privaten Haushalte am BIP auf 56 %, sodass der private Konsum volumenmäßig die bedeutendste Nachfragekomponente darstellte. Tendenziell ist diese Konsumquote seit 1991 (53,4 %) mit geringen Schwankungen leicht gestiegen, lag aber immer etwas unter dem Durchschnitt der westdeutschen Bundesländer (2006: 57,2 %).

Bemerkenswert ist die sehr hohe Konsumquote in Ostdeutschland. Unmittelbar nach der deutschen Vereinigung betrug sie 1991 gut 90 %, was sich zum einen durch den anfänglich immensen Nachholbedarf der Bevölkerung in den neuen Bundesländern, zum anderen durch den Zerfall der ehemaligen DDR-Wirtschaft und des dadurch vergleichsweise geringen BIP erklären lässt. Mittlerweile hat sich die ostdeutsche Konsumquote auf rund zwei Drittel des BIP eingependelt. Auch die Konsumausgaben des Staates haben in Ostdeutschland einen erheblich größeren Anteil am BIP als in Westdeutschland (Tabelle). Die baden-württembergische Konsumquote des Staates betrug 2006 nur 15,9 %.

Für Investitionszwecke wurden im Jahr 2006 in Baden-Württemberg 18,2 % des BIP verwendet. Im langfristigen Trend fällt auf, dass im Südwesten wie auch im übrigen Bundesgebiet die Investitionsquote seit Beginn der 90er-Jahre deutlich gesunken ist. 1991 ergab sich in Baden-Württemberg noch ein Wert von 22,4 %. Die Ursachen für diesen Rückgang können sehr vielschichtig sein: Sie reichen von zurückgestellten Infrastrukturmaßnahmen und Auslagerungen von Produktionskapazitäten ins Ausland bis hin zum allgemeinen Strukturwandel zugunsten der weniger kapitalintensiven Dienstleistungen. Die enorm hohe Investitionsquote in Ostdeutschland bis weit in die 90er-Jahre war im Wesentlichen auf den damals immensen Sanierungs- und Modernisierungsbedarf von Bauten und Industrieanlagen sowie den Aufholbedarf bei den Infrastruktureinrichtungen für Verkehr und Umweltschutz zurückzuführen.

Summa summarum wurden in Ostdeutschland in dem hier betrachteten Untersuchungszeitraum stets mehr Güter nachgefragt bzw. verwendet als produziert wurden. Dies belegt der negative Restposten, wobei der höhere Güterbedarf über Importe aus Westdeutschland oder dem Ausland befriedigt wurde. Ganz extrem waren die Verhältnisse unmittelbar nach der deutschen Vereinigung, als das in Ostdeutschland erwirtschaftete BIP mit einer Restpostenquote von – 72 % rein rechnerisch nur knapp 60 % des inländischen Güterbedarfs decken konnte. Bis 2006 ist diese Quote kontinuierlich auf knapp – 13 % gesunken. Ein zu geringes BIP bedeutet andererseits, dass das im Produktionsprozess entstehende gesamtwirtschaftliche Einkommen nicht ausreicht, um den inländischen Güterbedarf zu befriedigen. Das Auseinanderklaffen von Verwendung und Produktion von Gütern finanzierte sich in nicht unerheblichem Umfang durch Umverteilungsmaßnahmen im Rahmen des Systems der Sozialversicherung sowie durch Fördermittel der europäischen und nationalen Regionalpolitik zugunsten Ostdeutschlands.

Nachfragestrukturen im internationalen Vergleich

Auch zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union divergieren die Nachfragestrukturen erheblich. Ähnlich dem in Deutschland festzustellenden West-Ost-Muster weisen die noch jungen Mitgliedstaaten Mittel- und Osteuropas vielfach wesentlich höhere Quoten des privaten Konsums und der Investitionen auf als die Länder Westeuropas. So belief sich beispielsweise in Bulgarien die private Konsumquote im Jahr 2006 auf 70,4 %, während es in Frankreich und Spanien nur 56,8 % und 57,4 % waren. Gleichzeitig handelt es sich bei den osteuropäischen Mitgliedstaaten oft um Länder, die mehr Güter verbrauchen oder investieren als im Inland produziert werden, sodass der höhere Bedarf über entsprechende Importe mit der Folge eines negativen Außenbeitrags gedeckt werden muss.

Weit über dem EU-Durchschnitt lag im Jahr 2006 die staatliche Konsumquote in Schweden (26,3 %), gefolgt von Dänemark (25,9 %) und den Niederlanden (25,1 %) – alles Länder, denen noch in besonderer Weise der Ruf eines Wohlfahrtsstaates anhaftet. Hier werden gerade in den Bereichen Bildung und Gesundheit viele Leistungen vom öffentlichen Dienst erbracht, die andernorts mehr oder weniger über den freien Markt zur Verfügung gestellt werden und dann dort in entsprechendem Umfang den privaten Konsum erhöhen.

Erwähnenswert sind auch die Vereinigten Staaten, in denen die Bevölkerung mit einer privaten Konsumquote von zuletzt 69,9 % verglichen mit dem Durchschnitt der EU-27 (2006: 57,9 %) weitaus stärker verbrauchsorientiert ist. Immer mehr übertrifft in der US-Wirtschaft der gesamte inländische Güterbedarf die heimische Produktion, sodass das Defizit im Außenhandel bis 2006 auf fast 6 % des BIP zugenommen hat. Dagegen konnten Deutschland und die EU-27 einen Überschuss von 5,7 % bzw. 0,4 % erzielen.

Investitionen und Außenhandel prägen Konjunkturdynamik

Das baden-württembergische Bruttoinlandsprodukt ist von 1991 bis 2006 preisbereinigt um 23,5 % gewachsen. Etwas schwächer haben sich in diesem Zeitraum die Konsumausgaben der privaten Haushalte und des Staates mit Zuwachsraten von 22,6 % und 20,3 % entwickelt. Erheblich darunter lag das preisbereinigte Plus der Bruttoanlageinvestitionen von 14,3 %. Dagegen konnte der Restposten mit einer Zuwachsrate von 57,8 % weit überdurchschnittlich zulegen, worin sich vor allem die in den letzten Jahren bis zur Finanz- und Wirtschaftskrise von Rekord zu Rekord eilenden Warenexporte des Landes widerspiegeln dürften.

Die Entwicklung der Gesamtwirtschaft zwischen den Eckjahren 1991 und 2006 verlief jedoch keinesfalls kontinuierlich, sondern unterlag beachtlichen Schwankungen. Anhaltspunkte für den Einfluss auf die Wachstumsdynamik bzw. das Ausmaß der Schwankungen der jährlichen Wachstumsraten des BIP liefern die Wachstumsbeiträge der einzelnen Nachfragekomponenten. Aufschlussreich ist vor allem die Spanne der Wachstumsbeiträge. Die Ergebnisse für den vorliegenden Untersuchungszeitraum lassen darauf schließen, dass überwiegend die Bruttoanlageinvestitionen und der Restposten, also die außenwirtschaftliche Komponente, ausschlaggebend für den Konjunkturverlauf waren. Dabei haben sich die Ausrüstungsinvestitionen dynamischer als die Bauinvestitionen verhalten. Dagegen hatte der private Konsum trotz seines starken Gewichts einen weit geringeren Einfluss auf die extremen Plus- oder Minusraten des BIP im Zeitverlauf, sodass er sogar im Rezessionsjahr 1993 nicht zuletzt dank der Sozialleistungen im Fall von Arbeitslosigkeit nahezu als stabilisierender Faktor wirken konnte. Am wenigsten schwankungsanfällig waren die Konsumausgaben des Staates.

1 Einschließlich private Organisationen ohne Erwerbszweck.

2 Einschließlich Nettozugang an Wertsachen.

3 Hinweise dafür liefern die Daten der nationalen VGR, wonach sich zum Beispiel die Komponenten des nationalen Restpostens, und zwar die hier statistisch nachweisbaren Größen Vorratsinvestitionen und Außenbeitrag, 2006 auf – 13,68 Mrd. Euro bzw. 131,52 Mrd. Euro beliefen. Datenquelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18/Reihe 1.4 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Inlandsproduktsberechnung – Detaillierte Jahresergebnisse, Stand August 2008.