:: 7/2009

»Der Weg hat sich gelohnt«

Erste Bilanz der Zukunftswerkstätten Familienfreundliche Kommune

»Wir sind auf dem Weg – die Zukunftswerkstatt hat sich gelohnt«, so lautet das Fazit von Bürgermeisterin Gerlinde Kleis beim Bilanz-Workshop »Kurs halten! – Erfolgreich steuern auf dem Weg zur Familienfreundlichen Kommune« am 22. April 2009 in Offenburg. Bürgermeisterin Kleis hat in ihrer Gemeinde Meißenheim im Juni 2005 die erste Zukunftswerkstatt zum Thema Familienfreundliche Kommune durchgeführt. Über 30 weitere Gemeinden und Städte sind dem Beispiel gefolgt und haben ihre Bürgerinnen und Bürger zu Zukunftswerkstätten eingeladen, um neue Ideen und Aktive für mehr Familienfreundlichkeit zu gewinnen. Bis 2010 werden es voraussichtlich über 40 Zukunftswerkstätten mit mehr als 4 000 Beteiligten sein.

Diese Zukunftswerkstätten werden nach dem Konzept der FamilienForschung Baden-Württemberg, im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Soziales und in Zusammenarbeit mit dem Kommunalverband für Jugend und Soziales, dem Ortenauer Bündnis für Familien und dem Familienbündnis Breisgau-Hochschwarzwald durchgeführt. Beim Bilanz-Workshop in Offenburg kamen am 22. April 2009 zahlreiche Oberbürgermeister, Bürgermeister und Projektverantwortliche zusammen, um eine erste Bilanz der Zukunftswerkstätten Familienfreundliche Kommune zu ziehen.

Bereits 100 familienfreundliche Maßnahmen aus den ersten 20 Zukunftswerkstätten

Die familienfreundlichen Maßnahmen nach Zukunftswerkstätten sind ebenso substanziell wie vielfältig: eine neue Betreuungsgruppe für unter 3-Jährige, eine neue Ganztagesgruppe im Kindergarten, ein neues Bildungshaus, eine verbesserte Ferienbetreuung für Schulkinder, Paten für Jugendliche zum Berufseinstieg, ein neues Familienzentrum, eine Helferbörse »Jung hilft Alt, Alt hilft Jung«, ein neuer Wasserspielplatz, ein Familienbüro, ein Baukindergeld für junge Familien und vieles andere mehr.

Im Vorfeld des Bilanz-Workshops wurden die ersten 20 Zukunftswerkstätten nach ihren Umsetzungsfortschritten befragt und die Ergebnisse auf der Veranstaltung am 22. April 2009 präsentiert. Bereits rund 100 Maßnahmen zur Familienfreundlichkeit sind in Folge der ersten 20 Zukunftswerkstätten umgesetzt oder beschlossen worden. Weitere 47 Maßnahmen sind nach Angaben der Kommunen für die kommenden 12 Monate geplant. Im Durchschnitt ist also nach jeder Zukunftswerkstatt mit 5 bis 7 Maßnahmen zur Familienfreundlichkeit zu rechnen.

Die Maßnahmen erstrecken sich auf nahezu alle kommunalen Handlungsfelder: angefangen von Kinderbetreuung und Bildung, Freizeit, Kultur, Sport bis hin zu Wohnen, Nahversorgung und Verkehr. Die Zukunftswerkstätten gehen also das Thema Familienfreundlichkeit als kommunales Querschnittsthema durchaus breit an. Handlungsschwerpunkte zeigen sich in den Bereichen »Vereinbarkeit von Familie und Beruf/Kindertagesbetreuung« sowie »Bildungschancen für Kinder und Jugendliche«. Diese Schwerpunktsetzung ist sicher auch durch den Nachholbedarf in der Kinderbetreuung und die bundesgesetzlichen Vorgaben (Tagesbetreuungsausbaugesetz, Ganztagesschule u.a.) mit beeinflusst. Maßnahmen zur Förderung älterer Menschen und des Miteinanders von Alt und Jung – in den Zukunftswerkstätten intensiv diskutiert – wurden bislang noch nicht in großem Umfang umgesetzt. In Anbetracht des fortschreitenden demografischen Wandels birgt das Handlungsfeld »Alt und Jung« noch ein großes Potenzial zur Verbesserung der Familienfreundlichkeit in den Kommunen.

Ein vielfach bewährtes Beteiligungsverfahren – bis 2010 in über 40 Kommunen

Der Ablauf einer »Zukunftswerkstatt Familienfreundliche Kommune« folgt einem klar strukturierten Fahrplan (vgl. i-Punkt): Der Gemeinderat gibt den Auftrag für das Beteiligungsverfahren. Eingeladen zur Zukunftswerkstatt sind alle Bürgerinnen und Bürger, örtlichen Bündnispartner und Fachleute. Durchgeführt wird die Zukunftswerkstatt von der FamilienForschung Baden-Württemberg und dem Kommunalverband für Jugend und Soziales, die auch die Ergebnisse präsentieren und die weitere Umsetzung begleiten. Das letzte Wort hat der Gemeinderat: Er berät über die Ergebnisse und beauftragt die Verwaltung mit der Umsetzung geeigneter Maßnahmen.

Die Zukunftswerkstätten haben sich in kleinen Gemeinden ebenso bewährt wie in größeren Städten. Die Einwohnerzahlen der teilnehmenden Kommunen liegen zwischen 2 400 und 120 000 Einwohnern. Je nach Gemeindegröße und je nach Werbemaßnahmen konnten in den Auftaktveranstaltungen bislang zwischen 40 und 140 Personen begrüßt werden. Bis 2010 werden voraussichtlich über 40 Gemeinden und Städte mit weit über 4 000 Beteiligten das Beteiligungsverfahren durchlaufen haben.

Neue Ideen, neue Impulse, neue Aktive

Die Wirkungsweise einer Zukunftswerkstatt kann sehr vielfältig sein: In erster Linie ist die Zukunftswerkstatt ein Ideengeber. Die Mehrzahl der später beschlossenen und umgesetzten Maßnahmen wurden nach Einschätzung der Kommunen durch die Zukunftswerkstätten neu formuliert. In vielen Fällen ist die Zukunftswerkstatt auch ein Ideenverbreiter und Impulsgeber. Die Projektidee wurde dann von der Zukunftswerkstatt aufgegriffen, weiterentwickelt und dann zur Umsetzung gebracht.

Die Zukunftswerkstätten konnten zudem viele neue Aktive und neue Unterstützer für Familienfreundlichkeit mobilisieren, die bislang in der Kommune noch nicht in Erscheinung getreten sind. Besonders auch Neubürger, die nicht in Vereinen und im Gemeindeleben eingebunden sind, fühlen sich durch die Zukunftswerkstätten angesprochen. In der Hälfte der Kommunen ist es gelungen, die neu hinzugekommenen Aktiven längerfristig zu binden und für die Umsetzung von familienfreundlichen Projekten zu gewinnen.

Nachhaltige Wirkungen zur Familienfreundlichkeit

Darüber hinaus haben die Zukunftswerkstätten auch mittelbare Nachwirkungen, die das Klima für kommunalpolitische Themen von Kindern, Jugendlichen, Familien, Alt und Jung nachhaltig fördern:

  • In allen teilnehmenden Kommunen hat die Presse über die Zukunftswerkstatt berichtet, meistens auch in ausführlichen Berichten und über den ganzen Zeitraum hinweg.
  • Ebenfalls in allen Kommunen wurden die Ergebnisse im Gemeinderat präsentiert und die Verwaltung mit der Umsetzung von Maßnahmen beauftragt. In den meisten Fällen fand auch eine ausführliche Diskussion zum Thema statt, zum Teil haben sich Gemeinderäte in außerordentlichen Klausursitzungen mit den Ergebnissen der Zukunftswerkstatt befasst.
  • Beides hat sicherlich auch dazu geführt, dass aus Sicht vieler Verwaltungen der Stellenwert des Themas Familienfreundlichkeit im Gemeinderat weiter gestiegen ist und es leichter geworden ist, entsprechende Maßnahmen umzusetzen.
  • In über der Hälfte der Fälle hat die Zukunftswerkstatt die Zusammenarbeit mit den örtlichen Kooperationspartnern (Kindergärten, Schulen, Betrieben, Kirchen, Vereinen usw.) weiter verbessert.
  • Jede 4. Kommune hat sich nach der Zukunftswerkstatt dazu entschieden, die Zuständigkeiten in der Verwaltung für das Thema Familienfreundlichkeit zu verändern, also beispielsweise Zuständigkeiten in einer Anlaufstelle oder in einem Familienbüro zu bündeln.

Bürgermeister ziehen persönlich Bilanz

Neben den Befragungsergebnissen stand bei der Veranstaltung in Offenburg die persönliche Bilanz der anwesenden Bürgermeister und Projektverantwortlichen im Vordergrund. Rund 70 Teilnehmer, darunter knapp 40 Bürgermeister, waren zusammengekommen, um ihre Veränderungsprozesse zu mehr Familienfreundlichkeit zu bilanzieren. Bürgermeisterin Gerlinde Kleis aus Meißenheim und ihre Kollegen Oberbürgermeister Klaus Muttach aus Achern, Oberbürgermeister Jürgen Oswald aus Weinstadt und Bürgermeister Thomas Schäuble aus Lauchringen berichteten über ihre Fortschritte und Erfahrungen. Weitere Kollegen, die sich auf den Weg zu mehr Familienfreundlichkeit gemacht haben, haben sich in die Diskussion eingeschaltet und von ihren Erfahrungen berichtet. Auf diese Weise entstand eine sehr persönliche Erfolgs- und Erfahrungsbilanz zur Familienfreundlichkeit, die weit über die Befragungsergebnisse hinausgeht.

Meißenheim startete als erste Kommune und schaffte wichtige Angebote für Jung und Alt

»Als ich vor 5 Jahren mit dem Thema Familienfreundlichkeit begonnen habe, bin ich von meinen Kollegen noch belächelt worden«, berichtet Bürgermeisterin Kleis aus Meißenheim (3 700 Einwohner, Ortenaukreis). Schon bei der Gründung gehörte sie dem Ortenauer Bündnis für Familien an und ist auch Botschafterin dieses kreisweiten Zusammenschlusses zur Familienfreundlichkeit. Mittlerweile sind dem Bündnis 33 Kommunen und 16 regionale Partner angeschlossen.

Bürgermeisterin Kleis hat auch die erste Zukunftswerkstatt Familienfreundliche Kommune durchgeführt, in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt des Ortenaukreises und der FamilienForschung Baden-Württemberg. Über 40 Bürgerinnen und Bürger sind am 25. Juni 2005 ins Rathaus gekommen, das waren 4-mal so viele, wie ihre Gemeinde Mitarbeiter hat. »Das ganze Rathaus war an dem Tag in Beschlag genommen. Im Garten haben wir gemeinsam zu Mittag gegessen. Es war eine tolle Aufbruchstimmung zu spüren«, so Kleis.

Die gute Stimmung konnte mit in den folgenden Arbeitsprozess genommen werden. Mehrere Arbeitsgruppen mit ehrenamtlich tätigen Bürgern haben sich zusammengefunden und ihre Ideen weiterentwickelt. Die Arbeitsgruppe »Familien und Senioren« kommt heute noch zusammen und organisiert ein breites Begegnungs- und Freizeitangebot für Alt und Jung. Weitere Arbeitsschwerpunkte nach der Zukunftswerkstatt waren die Kinderbetreuung und die Jugendarbeit:

  • Die Kindertagesbetreuung in Meißenheim wurde ausgebaut, insbesondere für unter 3-Jährige wurden neue Plätze geschaffen.
  • Die Nachmittags- und Hausaufgabenbetreuung an der Grundschule sind ausgeweitet worden. Nun gibt es auch die Möglichkeit zum Mittagessen.
  • Für Grundschulkinder hat man eine Ferienbetreuung geschaffen, verlässlich von 8:00 bis 13:00 Uhr während der Schulferien.
  • In beiden Ortsteilen Meißenheims wurden Jugendtreffs eröffnet, die der neue örtliche Jugendarbeiter betreut.

»Familienfreundlichkeit wird bei uns auch immer wieder zum Thema im Gemeindeleben gemacht«, so Bürgermeisterin Kleis. Es finden immer wieder Aktionstage für Familien statt.

Ein bisschen Stolz schwingt mit, als Kleis über die jüngst beschlossene Maßnahme zur Familienfreundlichkeit berichtet: Seit Jahresbeginn werden Familien auch beim Erwerb von Wohneigentum gefördert. Sie erhalten beim Kauf eines Bauplatzes einen Nachlass von 2 000 Euro pro Kind. »Man sollte nicht nur frühzeitig starten, man braucht auch einen langen Atem«, so Kleis.

Weinstadt wirbt um junge Familien mit Neubürgerbegrüßung, Bildungshaus und Baukindergeld

Dass eine Zukunftswerkstatt auch in einer Großen Kreisstadt Erfolg haben kann, zeigt Jürgen Oswald, Oberbürgermeister der Stadt Weinstadt (26 400 Einwohner, Rems-Murr-Kreis). »Weinstadt als Wohlfühlstadt für Familien weiter zu entwickeln, das ist unser Ziel«, so Oberbürgermeister Oswald. Dafür hat er sich viel vorgenommen und kann auf eine positive Bilanz zur Familienfreundlichkeit verweisen:

  • Als erste Maßnahme nach der Zukunftswerkstatt veröffentlichte Weinstadt einen »Familienkompass«, der sowohl lokale als auch landkreisweite Angebote für Familien in einer zentralen Broschüre und Internetpräsentation bündelt.
  • Neugeborene und neu zuziehende Kinder werden von der Stadt besonders begrüßt: Für Neugeborene gibt es den »Weinstadt-Latz«. Neu zuziehende Kinder erhalten die Gutscheine »Weinstadt-Aktiv« für Bildungsangebote der Volkshochschule, Musikschule usw. sowie für Schnuppermitgliedschaften in Vereinen.
  • Für den Erwerb von Grundstücken im Neubaugebiet Benzach IV zahlt Weinstadt Familien ein Baukindergeld in Höhe von 1 500 Euro pro Kind.
  • Der Kindergarten in der Schulstraße und die benachbarte Silchergrundschule wurden zu einem »Bildungshaus« zusammengefasst. Im neuen Bildungshaus sollen Kindergarten und Grundschule wesentliche Teile ihres Bildungsangebots gemeinschaftlich veranstalten und so für die Kinder bruchlose und durchlässige Bildungswege ermöglichen.
  • In den Kindertageseinrichtungen und Schulen wurden zahlreiche weitere Projekte aufgegriffen und angestoßen, um die Bildungsqualität zu fördern (»Schulreifes Kind«, »Gesundes Boot«, »Technolino«, »Forschertage«, »Mathe intensiv«, Kinderakademie für Grundschüler u.a.).
  • Für ausländische Frauen wurde ein zusätzliches Sprachcafé eingerichtet. Kurse wie »Rund ums Kleinkind«, »Rund um die Schule« informieren über praktische Fragen des Lebensalltags.
  • Die Angebote zur Ferienbetreuung für Kinder und Jugendliche wurden deutlich ausgeweitet.
  • Derzeit wird in Weinstadt auf Anregung der Zukunftswerkstatt ein neuer Abenteuerspielplatz geplant. Dort sollen Kinder und Jugendliche auch pädagogisch betreut werden. Eine Arbeitsgruppe mit Ehrenamtlichen unter Federführung des Stadtjugendrings ist an der Planung beteiligt.

Weitere Vorschläge aus der Zukunftswerkstatt, wie etwa die Einführung einer Ganztagesgrundschule und der Aufbau eines Netzwerkes zur Kinderbetreuung in Notfällen stehen kurz vor der Umsetzung.

»Wir sind auf Kurs und bleiben dran an dem Thema, kommen Sie zu uns und ziehen Sie nach Weinstadt«, so das augenzwinkernde Resü­mee von Oberbürgermeister Oswald.

Lokale Bildungslandschaft, Familienzentren, frühe Hilfen – Kommunen gehen wichtige Meilensteine an

Ein wichtiges Zukunftsthema hat sich die Stadt Philippsburg vorgenommen (12 600 Einwohner, Landkreis Karlsruhe): Auf Initiative der Zukunftswerkstatt wird ein Konzept für eine »Lokale Bildungslandschaft Philippsburg« erarbeitet. Gemeinsames Ziel ist es, Kindergärten, Schulen, Jugendarbeit und alle weiteren Bildungseinrichtungen besser zu vernetzen, die Bildungswege der Kinder besser zu begleiten und die Übergänge durchlässiger zu gestalten.

Angesichts des hohen Schüleranteils mit Migrationshintergrund geht es dabei insbesondere auch um die Verbesserung der Bildungschancen von Migranten. So wurden bereits die Sprachförderung in den Kindergärten und die Alphabetisierungskurse für Migrantenfamilien aufgestockt. An den Schulen kümmert sich zu-künftig eine Sozialpädagogin um den Übergang der Jugendlichen in den Beruf.

In der Stadt Pforzheim (119 400 Einwohner) leisten die Familienzentren einen wichtigen Beitrag zur Begegnung und Integration der Generationen und Kulturen. Die Einrichtung von Familienzentren in allen großen Stadtteilen Pforzheims war ein wesentliches Ziel der Zukunftswerkstatt im April 2006. Ausgehend vom bereits existierenden Familienzentrum Au wurden bis heute 5 weitere Familienzentren eröffnet, vorwiegend in Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil.

Ein weiteres wichtiges Anliegen der Zukunftswerkstatt konnte umgesetzt werden: frühe zugehende Hilfen für junge Familien in Belastungs- und Notsituationen. Mit Unterstützung der Stadt wurde das Modellprojekt »Familienhebammen« gestartet. Speziell ausgebildete Familienhebammen begleiten die Familien in den ersten 3 Lebensjahren des Kindes.

Ebenfalls modellhaft ist das Familieninfozentrum (FiZ) in der Pforzheimer Innenstadt: Dort steht den Familien ein umfangreiches Informationsangebot und ein persönlicher Ansprechpartner zur Verfügung. Das Familieninfozentrum bietet zudem eine stundenweise Kinderbetreuung. Eltern können so Einkäufe, Behördengänge oder Ähnliches erledigen und ihr Kind in guten Händen wissen.

BürgerNetzWerk, Patenschaften, Walking Bus – Bürger packen selbst mit an

Es können nicht immer nur große Modellprojekte sein: Auch viele kleine Schritte bringen die Familienfreundlichkeit in den Kommunen voran. Gerade für die vielen kleinen Gemeinden in Baden-Württemberg ist dabei das Engagement der Bürgerschaft besonders wichtig.

In Mauer beispielsweise (3 900 Einwohner, Rhein-Neckar-Kreis) klagten die Bürger in der Zukunftswerkstatt über die gefährliche Verkehrssituation morgens vor der Schule, wenn die Eltern ihre Kinder mit dem Auto bringen. Mit dem neuen »Walking Bus« hat sich die Situation entspannt: Ehrenamtliche holen die Kinder von den Haltestellen im Ort ab und bringen sie zu Fuß zur Schule.

In Simmozheim (2 800 Einwohner, Landkreis Calw) ist aus der Zukunftswerkstatt das Projekt »ABS – Aktive Bürger Simmozheim« hervorgegangen. Die »Aktiven Bürger« entwickeln Begegnungs- und Freizeitangebote für Alt und Jung, um die Bedürfnisse der Senioren vor Ort besser aufzugreifen und die Generationen wieder mehr zusammenzubringen.

In Simmozheim ist es ebenfalls gelungen, Kindergärten, Schule und Elternvertreter an einen »Runden Tisch Bildung« zusammen zu bringen. Auch hier haben sich aktive Bürger eingebracht, um Hauptschülern als Paten zur Seite zu stehen und den Berufseinstieg zu erleichtern.

In Igersheim (5 600 Einwohner, Main-Tauber-Kreis) hat sich nach der Zukunftswerkstatt ein »BürgerNetzWerk« zusammengefunden und fördert die Hilfe zwischen Jung und Alt: Die Tauschbörse und die Notfall-Hotline vermitteln schnelle und günstige Hilfen, wenn die Einkäufe nicht mehr alleine erledigt werden können, wenn der Bügelberg immer größer wird oder das Kind einmal kurzfristig betreut werden muss. Das nötige Geld für solche Projekte haben ebenfalls Igersheimer Bürger bereitgestellt: Rund 150 000 Euro sind bislang dazu in eine Bürgerstiftung eingezahlt worden.

In Berghaupten (2 400 Einwohner, Ortenaukreis) sind die Bürger mit der Schaufel angerückt: Unter Mithilfe von Eltern und örtlichen Firmen ist ein attraktiver Wasserspielplatz entstanden.

Ebenfalls eine Mitmach-Aktion in Meißenheim: Für alle neugeborenen Babys werden mit den Familien zusammen Bäume gepflanzt – ein schönes Willkommen auf dieser Welt.

Erfolgsfaktoren für eine Familienfreundliche Kommune

Was macht den Erfolg der Kommunen aus, die einen nachhaltigen Veränderungsprozess zu mehr Familienfreundlichkeit begonnen haben? Welche Empfehlungen lassen sich geben? Die Erfahrungsberichte von Bürgermeistern beim Bilanz-Workshop sind hierzu ebenfalls aufschlussreich.

»Mir ist der Wert einer klassischen Familie sehr bewusst. Wenn wir in den heutigen Zeiten Familien gesund erhalten wollen, muss unser Gemeinwesen den Familien zur Seite stehen«, so die persönliche Überzeugung von Bürgermeister Thomas Schäuble aus Lauchringen (7 500 Einwohner, Landkreis Waldshut). »Deswegen haben wir uns das Leitziel Familienfreundliche Gemeinde gegeben und arbeiten dafür, die Familien wo immer möglich zu unterstützen«, so Schäuble.

Darin sind sich alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen einig: »Familienfreundlichkeit muss Chefsache sein«, so Oberbürgermeister Jürgen Oswald. Die Chefin oder der Chef persönlich muss den Veränderungsprozess wollen und dies innerhalb und außerhalb der Verwaltung deutlich machen. »Dabei kann der Chef nicht immer Zeit haben, aber er muss die Richtung aufzeigen und führen und Familienfreundlichkeit zum Schwerpunktthema machen«, so Oswald.

»Bürgermeister müssen gute Netzwerker sein, die auch zuhören und moderieren können«

Bürgermeister und Gemeinderäte sollten beim Thema Familienfreundlichkeit »das Ohr nah an den Bürgern« haben. Der örtliche Bedarf lässt sich nur im Dialog mit den Familien erkunden. »Da habe ich mich wirklich gewundert. Ich dachte, ich weiß, was die Leute denken. Ich habe dann aber in der Zukunftswerkstatt noch ganz neue Aspekte gehört«, erzählt Bürgermeister Jürgen Schäfer aus Berghaupten. »Die Zukunftswerkstatt ist für alle Kommunen eine Chance, nah an die Menschen ranzukommen«, so auch die Erfahrung von Klaus Muttach, Oberbürgermeister der Stadt Achern (25 000 Einwohner).

Dabei schätzen es die Teilnehmer der Zukunftswerkstatt, den Bürgermeister und die Gemeinderäte einmal in der Zuhörerrolle zu erleben, wie Bürgermeister Schäfer berichtet. »Wir werden ja ernst genommen und wirklich angehört, waren die Reaktionen von Teilnehmern.« Erfreulich sei auch, wenn sich die Eltern mit einem Schreiben für das Zuhören und die Arbeit der Gemeinde bedanken. »Das gibt einem auch die Motivation weiter an dem Thema zu arbeiten«, so Schäfer.

Um den Veränderungsprozess zur Familienfreundlichkeit erfolgreich voranzutreiben, braucht die Verwaltungsspitze gute Netzwerker-Qualitäten. »Man muss immer die Augen aufhalten, wo habe ich ein kommunalpolitisches Ziel, und wo gibt es eine Möglichkeit, um Mitstreiter zu finden«, so Bürgermeister Schäuble. Und gibt ein praktisches Beispiel: »Bei uns in der Gegend wollten 30 Frauen ein Familienzentrum gründen und suchten nach Räumlichkeiten. Ich habe das in der Zeitung gelesen und bin dann auf die Frauen zugegangen«, so Schäuble. Die Gemeinde Lauchringen hat ein Haus gefunden und dem Familienzentrum mietfrei zur Verfügung gestellt. Die Miete zahlt jetzt zur Hälfte die Gemeinde und zur Hälfte eine örtliche Firma. »Die Frauen suchten ein Haus. Und ich wollte ein Familienzentrum haben, ich hatte das in Rheinfelden gesehen. Das ist dann eine große Bereicherung, quasi eine Win-win-Situation für beide«, so Schäubles Fazit.

»Die Aktiven kommen nicht von alleine, wir müssen sie abholen«

Aktive Frauen, Männer, Mütter, Väter, ältere Menschen mit guten Ideen für mehr Familienfreundlichkeit gibt es vielerorts. Entscheidend ist, dass die Kommune auch auf sie zugeht und um ihr Vertrauen wirbt. »Sie können nicht einfach den Schalter umlegen: Jetzt machen wir Ehrenamt«, erläutert Oberbürgermeister Oswald. »Sie müssen sich erst ein Klima des Ehrenamtes und ein Klima der Wertschätzung erarbeiten. Dann werden die Menschen in der Stadt auch das Gefühl haben, wenn ich mich einbringe und meine Meinung sage, dann wird das auch geschätzt«, so Oswalds Erfahrung. In kultur. »Mal ist es ein Gutscheinpaket für eine Frau, die ehrenamtlich Blumenkästen gießt, mal die Einladung zu einer gemeinsamen Vesper mit dem Schultes«, so Oswald.

Wenn das Klima der Wertschätzung stimmt, kann man um bürgerschaftliches Engagement auch aktiv werben. Bürgermeister Schäuble lädt regelmäßig zu Neubürger-Gesprächen ein. »Ich frage die Leute auch nach ihren Neigungen und ob sie sich für die Gemeinschaft einbringen wollen. Ich finde meist bei jedem Gespräch ein bis zwei neue Aktive.«

Bürgermeister Michael Schlecht aus Lenningen (8 700 Einwohner, Landkreis Esslingen) spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen »Abholstruktur«, die nötig ist. Er setzt dabei auch auf wichtige Persönlichkeiten in der Gemeinde. »Wir brauchen in allen Bereichen Multiplikatoren, die anerkannt und respektiert sind aufgrund ihrer Lebensleistung. Und wenn die dann Personen ansprechen, dann kommen die Leute eher und bringen sich ein«, so Schlecht.

Teil der »Abholstruktur« in Lenningen ist auch eine direkte Ansprechpartnerin in der Verwaltung zum Bürgerschaftliches Engagement, die Kontakt hält zu den Multiplikatoren, neue Aktive gewinnen und alle Aktivitäten bündeln soll. »Ehrenamt muss durch Hauptamt unterstützt werden«, davon ist Schlecht überzeugt, »damit sich Ehrenamtliche nicht noch mit Bürokratie herumschlagen müssen«. Und auch jedes einzelne Projekt brauche einen Kümmerer, einen verlässlichen Manager, der das Projekt vorantreibt und die Beteiligten koordiniert.

»Nur wenn der Gemeinderat mitzieht, dann gewinnen wir die Menschen«

Eine ganz wichtige Rolle in der örtlichen Beteiligungskultur spielt der Gemeinderat. Ehrenamt und Bürgerbeteiligung muss als Anregung und Bereicherung wahrgenommen werden. »Nur wenn der Gemeinderat mitzieht und signalisiert, eure Arbeit ist etwas wert, wir setzen es auch um, dann gewinnen wir diese Menschen«, so Bürgermeister Michael Schlecht. Eine rege Mitmach-Kultur gibt es in Lenningen derzeit bei der Gestaltung von Spielplätzen und Freiflächen. »Der Gemeinderat stellt dafür die Finanzmittel zur Verfügung. Und dann laden wir die Bürger ein und es kommt ein gemeinsamer Prozess in Gang, eine unglaublich kreative Dynamik«, so Schlecht. »Und wenn man dann den Spielplatz eröffnet, dann freuen sich alle, die mitgemacht haben: Es ist ihr Spielplatz für ihre Kinder.«

Bürgermeister Jörg Albrecht aus Mauer (3 900 Einwohner, Rhein-Neckar-Kreis) geht bei der Beteiligung des Gemeinderats noch einen Schritt weiter: »Wir haben drei Gemeinderäte, die selbst familienfreundliche Projekte mit umsetzen.« Auch andernorts haben sich die Gemeinderäte die Zuständigkeiten aufgeteilt und sind in bestimmten Projekten tätig. Bei der Gründung des »BürgerNetzWerks« in Igersheim beispielsweise waren ebenfalls mehrere Gemeinderäte beteiligt.

»Neue Ideen – das nutzt mir am meisten«

Oftmals ist es auch einfach nur eine Idee, die begeistert und die sich ohne großes Engagement umsetzen lässt. »Als ich von der Weihnachtsaktion für Kinder aus armen Familien in Ettlingen gehört habe, habe ich das direkt übernommen. Das ist sehr gut angekommen. 40 Wunschzettel hingen am Weihnachtsbaum, über 70 Bürger waren da und haben die Wünsche der Kleinen erfüllt, für alle ein tolles Erlebnis«, schwärmt Bürgermeister Schäuble. Die nächste Idee aus der Gemeinde Mauer hat er schon im Kopf: Auch der »Walking Bus« lässt sich leicht übertragen.

Bei allen Ideen und Aktivitäten kommt es letztlich darauf an, dass sich die Lebenssituation der Familien vor Ort tatsächlich verbessert. Diesen Eindruck jedenfalls hat Thomas Schäuble, wenn er mit den türkischen Familien im Ort Kontakt hat. »Auch ein Landsmann und guter Vertrauter der Familien berichtet mir, dass es in den letzten Jahren in den Familien deutlich ruhiger zugeht. Wenn man zum Beispiel Jugendlichen hilft, in einen Lehrberuf zu kommen, gibt es nachher in den Familien weniger Probleme«, so Schäuble. »Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg.«