:: 7/2009

Berufspendler in Baden-Württemberg

Die Mobilität steigt weiter

Die aktuelle Berufspendlerrechnung ergibt für 2007, dass die Zahl der Erwerbstätigen, die in ihrer Wohngemeinde arbeiten, seit 2005 mit + 0,3 % deutlich schwächer zugenommen hat als die Zahl der Berufspendler (+ 3 %). Die Mobilität der Erwerbstätigen ist demnach weiter gestiegen, obwohl die Preis- und Einkommensentwicklung dies nicht unbedingt erwarten ließ. Insgesamt bezieht sich die Rechnung auf rund 4,94 Mill. Erwerbstätige, das sind 2 % mehr als 2005.

Die Ergebnisse der Pendlerrechnung zeigen auch, dass mehr als jeder 2. Arbeitsplatz im Land durch einen Pendler besetzt ist. Die längsten Arbeitswege legen die Einpendler in die Großstädte zurück. Die durchschnittliche Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort ist hier mit 20,3 Kilometer Luftlinie fast eineinhalb Mal so groß wie im Landesdurchschnitt.

Es ist die Fortsetzung eines langjährigen Trends, die sich in den Ergebnissen der aktuellen Berufspendlerrechnung für Baden-Württemberg abzeichnet: Die Mobilität der Erwerbstätigen steigt und die räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitsort nimmt ebenfalls weiter zu. Vor rund 20 Jahren waren es erst 42 von 100 Erwerbstätigen, die zur Arbeit aus ihrer Wohngemeinde auspendelten. Dies ist das Ergebnis der letzten Vollerhebung des Pendlerverhaltens im Rahmen der Volkszählung 1987. Laut der aktuellen Berufspendlerrechnung ist der Anteil der Pendler an den Erwerbstätigen bis zum Jahr 2007 auf fast 56 % gestiegen. Die Berufspendlerrechnung Baden-Württemberg beruht auf der Auswertung verschiedener Datenquellen zu Arbeits- und Wohnort der Erwerbstätigen (vgl. i-Punkt).

Im Vergleich zu 2005 mehr Pendler und etwas längere Arbeitswege

Mit der aktuellen Ausgabe der Berufspendlerrechnung liegen nun erstmals vergleichbare Daten für die Berichtsjahre 2005 und 2007 vor, sodass sich auch kurzfristige Entwicklungen beobachten lassen. Die Belebung am Arbeitsmarkt zwischen 2005 und 2007 spiegelt sich im Anstieg der erfassten Erwerbstätigen mit Wohnort in Baden-Württemberg um rund 100 000 oder 2 % auf 4,94 Mill. wider. Gleichzeitig deuten die Ergebnisse der Berufspendlerrechnung darauf hin, dass die Mobilität der Erwerbstätigen in diesem Zeitraum weiter gestiegen ist. In erster Linie zeigt sich dies darin, dass die Zahl der Auspendler mit + 3,3 % deutlich stärker gestiegen ist als die Zahl der Erwerbstätigen, die in ihrer Wohngemeinde arbeiten (+ 0,3 %). Darüber hinaus hat sich die durchschnittliche Länge der Pendelwege1 leicht erhöht.

Inwieweit die Veränderung der Beschäftigungslage die Mobilität der Erwerbstätigen beeinflusst, muss mangels einer längeren Zeitreihe offen bleiben. Denkbar sind verschiedene Effekte: Ein verbessertes Arbeitsplatzangebot kann dazu führen, dass Erwerbstätige leichter einen Arbeitsplatz in der Nähe zum Wohnort finden und die Pendelwege sich tendenziell verkürzen. Möglich ist aber auch, dass für neue, besser bezahlte Arbeitsplätze längere Arbeitswege in Kauf genommen werden bzw. eine Annäherung des Wohnorts an den Arbeitsort erst nach längerer Zeit erfolgt. In diesem Fall würde die Mobilität zumindest kurzfristig größer. Auch eine Verbesserung der Infrastruktur oder der Verkehrsanbindung kommt, zumindest regional, als Ursache der gestiegenen Mobilität in Betracht.

Mehr Erwerbstätige = mehr Verkehr auf den Straßen

Der Berufsverkehr ist nach dem Freizeitverkehr der zweitwichtigste Verkehrszweck im Personenverkehr. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnete, dass fast ein Fünftel der fast 1,2 Mrd. Personenkilometer, die 2006 in Deutschland mit dem Auto, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt wurden, auf das Konto der täglichen Wege von und zur Arbeit gingen. Die Zahl der im Berufsverkehr zurückgelegten Personenkilometer stieg 2006 im Vergleich zum Vorjahr um 1,3 %.2

Berufsverkehr ist auch in Baden-Württemberg überwiegend motorisierter Individualverkehr: Rund 63 % der Erwerbstätigen legten 2008 den Weg zur Arbeit mit dem eigenen Auto oder motorisierten Zweirad zurück. Gegenüber 2004, dem Jahr der vorherigen Erhebung3, wählten die Erwerbstätigen allerdings etwas häufiger öffentliche Verkehrsmittel, fuhren mit dem Fahrrad oder gingen zu Fuß. Die Verteilung der Erwerbstätigen nach dem für die längste Strecke zur Arbeitsstätte benutzten Verkehrsmittel zeigte sich 2008 wie folgt (in Klammern: 2004):

Pkw als Selbstfahrer
(inkl. motorisiertes Zweirad):63,2 %(65,9 %),
Pkw als Mitfahrer :3,9 %(3,2 %),
zu Fuß oder mit
dem Fahrrad:20,0 %(19,1 %),
öffentliche Verkehrsmittel:12,9 %(11,8 %)4

Mehr Geld für Mobilität als für Nahrungsmittel

Mobilität ist den Baden-Württembergern »lieb und teuer«. Die Ausgaben der Verbraucher für die Haltung und den Betrieb ihrer Fahrzeuge sowie für Verkehrsdienstleistungen rangieren seit 20035 mit einem Anteil von 14,8 % der privaten Konsumausgaben an 2. Stelle nach den Wohnungsausgaben. Für Nahrungsmittel und Getränke werden im Land dagegen nur 13,5 % der Konsumausgaben privater Haushalte verwendet.

Die Preis- und Einkommensentwicklung der letzten Jahre spricht entgegen der Beobachtung eher gegen einen Anstieg der Mobilität im Land. Der Teilpreisindex Verkehr ist in Baden-Württemberg zwischen 2005 und 2007 mit 6,7 % deutlich stärker gestiegen als die Verbraucherpreise insgesamt. Hier lag das Plus bei 4 %. Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatte die Verteuerung von Energie und Kraftstoffen. Das verfügbare Einkommen der Baden-Württemberger war 2007 um 4,4 % höher als 2005. Unter Berücksichtigung der Preissteigerungen blieb den Verbrauchern von dieser Einkommenssteigerung nur wenig übrig. Wie die oben vorgestellten Daten aus dem Mikrozensus andeuten, reagierten die Erwerbstätigen auf diese Entwicklung möglicherweise mit leichten Anpassungen bei der Wahl der Verkehrsmittel.

Mehr als jeder 2. Arbeitsplatz zieht »Auswärtige« an

Viele Erwerbstätige in Baden-Württemberg nehmen für attraktive Arbeitsplätze längere Arbeitswege in Kauf. Deutlich mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze im Land wird durch Einpendler besetzt. Dies gilt unabhängig von der Größe und Arbeitsplatzdichte der Gemeinden. Der Anteil der Einpendler an den Erwerbstätigen variiert nur leicht zwischen knapp 55 % in Großstädten mit mindestens 100 000 Einwohnern und 58 % in Gemeinden mit 10 000 bis 50 000 Einwohnern. Dabei ist die Arbeitsplatzdichte in Großstädten mit 67 Erwerbstätigen am Arbeitsort je 100 Einwohner deutlich höher als in der Klasse der Gemeinden zwischen 10 000 und 50 000 Einwohnern.

Je größer der Arbeitsort, desto länger der Arbeitsweg

Die Länge des Arbeitsweges der Pendler variiert im Gegensatz zum Einpendleranteil je nach Größe des Arbeitsortes erheblich. Als ungefährer Indikator für die Länge des Arbeitsweges wird hier die Luftlinienentfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort verwendet. Dieser Indikator zeigt, dass der durchschnittliche Arbeitsweg der Einpendler mit der Größe des Arbeitsortes kontinuierlich länger wird. Arbeitswege mit Ziel Großstadt sind danach mit durchschnittlich 20,3 Kilometer fast doppelt so lang wie Arbeitswege in kleine Gemeinden unter 10 000 Einwohner. Welche Entfernungen Erwerbstätige für den Weg zur Arbeit in Kauf nehmen, hängt wesentlich von persönlichen Merkmalen wie Geschlecht, Bildung und Einkommen ab. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass die Qualität der Verkehrsanbindung die Länge des Arbeitsweges beeinflusst.6 Bei der hier gezeigten Parallelität von Größe des Arbeitsortes und Länge des Arbeitsweges spielen diese Faktoren zusammen: Zentren, die viele hoch qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze bieten und gleichzeitig in ein leistungsfähiges Nah- und Fernverkehrsnetz eingebunden sind, haben ein entsprechend großes Einzugsgebiet.

Pendeln war nicht immer »so bequem«

Eindrucksvolles Beispiel für die Entstehung des Phänomens Tagespendler ist die Geschichte der »Rassler«. Sie strömten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Umgebung der Stadt und aus dem Nordschwarzwald nach Pforzheim. Das Klappern ihrer genagelten Schuhe auf dem Pflaster brachte ihnen im Volksmund den Namen »Rassler« ein. Ihr Pendeln milderte den Mangel an Einkommensquellen auf dem Land und deckte den wachsenden Arbeitskräftebedarf der Pforzheimer Schmuckwarenindustrie.

Die Agrarwirtschaft reichte zu jener Zeit der wachsenden Bevölkerung in den Dörfern immer seltener als Existenzgrundlage aus. Viele versuchten der wirtschaftlichen Not durch Auswanderung zu entkommen. Das Pendeln in die Stadt war eine Alternative zur Auswanderung, bei der Grundbesitz und das eigene Häuschen nicht aufgegeben werden mussten. Die Landwirtschaft wurde weiter betrieben und diente vielen Rasslern als Arbeitslosenversicherung: In Zeiten, in denen ihnen die stark konjunkturabhängige Schmuckwarenwirtschaft wenig oder keine Beschäftigung bot, bewirtschafteten sie ihr Land.

Erkauft wurde das Rasslerdasein mit hohen körperlichen Belastungen und entsprechenden Folgen für die Gesundheit. Bis 1870 wurde 11 Stunden am Tag, später 10 Stunden am Tag gearbeitet – auch samstags.7 Dazu kamen Arbeitswege, für die in eine Richtung oft 2 Stunden und mehr zu rechnen waren.8 Zwar wohnten die meisten Rassler nicht mehr als 15 Kilometer von Pforzheim entfernt9 und nach dem Bau der Eisenbahn wurde das Vorwärtskommen leichter. Viele scheuten jedoch die für sie hohen Fahrtkosten und liefen über weite Strecken zu Fuß.

Der Vergleich mit den Einpendlern nach Pforzheim im Jahr 2007 zeigt, das auch heute die meisten Einpendler – 72 % – aus einem Umkreis von 15 Kilometer in die Stadt kommen. Die Arbeitswege werden heute, bei ausgebautem Straßen- und Schienennetz mit dem Auto oder dem öffentlichen Nahverkehr deutlich schneller zurückgelegt. So musste ein Rassler um die Jahrhundertwende für die 16 Kilometer von Schömberg nach Pforzheim gut 2 Stunden rechnen, davon 1 Stunde mühsamen Fußweg zur Bahnstation Höfen. Die gleiche Strecke lässt sich heute mit dem eigenen Auto in gut 20 Minuten oder mit Bus und Bahn in 40 bis 50 Minuten bewältigen.10

1 Als Schätzgröße für die Länge des Arbeitsweges dient bei Pendlern über Gemeindegrenzen die Luftlinienentfernung zwischen Mittelpunkten der Wohn- und der Arbeitsgemeinde, bei Erwerbstätigen, die in der Wohngemeinde arbeiten, der Radius der als Kreis gedachten Gemeindefläche. Die tatsächlich zurückzulegende Weglänge schwankt je nach Verkehrsmittel und topografischen Gegebenheiten. Die Luftlinienentfernung sollte als Schätzgröße daher nur für großräumige Vergleiche herangezogen werden.

2 Verkehr in Zahlen 2008/09, Hrsg.: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, S. 218.

3 Daten zum Verkehrsverhalten der Berufspendler in Baden-Württemberg werden alle 4 Jahre im Rahmen des Mikrozensus erhoben.

4 Erwerbstätige mit Auskunft zum Verkehrsmittel im Mikrozensus 2008 und 2004.

5 Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2003. Aktuellere Werte liegen derzeit nicht vor.

6 Vgl. Winkelmann, Ulrike: »Berufspendler in Baden-Württemberg –Wo sind die Arbeitswege am längsten?«, in: »Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 8/2008«

7 Rudin, Bärbel (Hrsg.): Die Rassler, Zwischen Acker und Werkbrett – Pforzheims ländliche Schmuckwaren arbeiten von einst. J. Esslinger Verlag, Pforzheim 1982, S.11 (Zitierweise: Die Rassler).

8 Die Rassler, zum Beispiel S. 58 und 69.

9 Die Rassler, S.35 und 59.

10 Die Rassler, S. 56, www.map24.de, www.efa-bw.de