:: 5/2010

Einkommenssicherung im Alter

Ein Bericht über zwei Tagungen

Im Folgenden wird über zwei Tagungen berichtet zu den Themen »Einkommenssicherung im Alter« und »Gerechtigkeit und Verteilung in der gesetzlichen Rentenversicherung«. Den gesellschaftlichen Hintergrund für die dortigen Diskussionen bilden das Risiko steigender Altersarmut, ein sinkendes Versorgungsniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung und die geringen Anwartschaften bei Langzeitarbeitslosigkeit.

In Baden-Württemberg sind ältere Menschen – gemessen an den Einkommensverhältnissen des Landes – häufiger armutsgefährdet als in Ostdeutschland, hier ebenfalls gemessen an den ostdeutschen Verhältnissen (Schaubild). Als armutsgefährdet gelten Frauen und Männer im Alter von 65 Jahren und älter, wenn sie über ein bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen verfügen, das weniger als 60 % des Median des bedarfsgewichteten Pro-Kopf-Einkommens der Bevölkerung in Privathaushalten beträgt. Danach hatten 2007 im Südwesten 11,9 % der älteren Männer und 16,5 % der älteren Frauen weniger als 60 % des mittleren Einkommens, das für Baden-Württemberg berechnet wurde. In Ostdeutschland sind die mittleren Einkommen niedriger als in Baden-Württemberg. Aber bezogen auf diese ostdeutschen Einkommen war die Armutsgefährdung besonders der älteren Frauen dort mit 6,5 % deutlich seltener. Die der Männer lag bei 3,2 %. Die Armutsgefährdung der Bevölkerung in Deutschland insgesamt lag bei 14,3 %.

Diese Unterschiede verweisen sowohl auf Vergangenes als auch auf Künftiges. Gleichzeitig befinden sich in Deutschland die älteren Menschen in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen an einem Scheitelpunkt, vielleicht dürften sie ihn bereits überschritten haben. Die vergleichsweise niedrige Armutsgefährdung ostdeutscher Frauen und Männer verweist auf zweierlei:

Auf die Bedeutung …

  • eines durchgängigen Erwerbslebens ohne wesentliche zeitliche Unterbrechungen und Einschränkungen etwa durch Arbeitslosigkeit, Teilzeit oder Erziehungszeiten für Kinder,
  • eines zuverlässigen, Existenz sichernden Rentensystems im Anschluss an ein solches Erwerbsleben
  • … für ein Leben im Alter ohne wirtschaftliche Probleme.

Häufiger als die Frauen in Westdeutschland waren Frauen in Ostdeutschland vor allem in Zeiten der DDR ohne größere Unterbrechungen Vollzeit erwerbstätig. Mit der Einheit Deutschlands begannen auch in Ostdeutschland die Zahlungen der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, wie sie zuvor im früheren Bundesgebiet galt. Infolge der durchschnittlich längeren Arbeitszeiten sind die Renten besonders der Frauen in Ostdeutschland auch heute noch im Durchschnitt höher als die Renten der Frauen und Männer in Westdeutschland. So lag 2008 der durchschnittliche Rentenzahlbetrag der Altersrenten in Ostdeutschland bei 1 044 Euro (Männer) und 676 Euro (Frauen) und in Westdeutschland bei 970 Euro (Männer) und 473 Euro (Frauen). In den letzten Jahrzehnten hat sich der ökonomische Wohlstand der älteren Menschen fast stetig verbessert. Im Großen und Ganzen ging es einer großen Zahl von älteren Menschen noch nie so gut wie heute. Doch bereits jetzt ist beobachtbar, dass dies für die jetzigen Neurentner und erst recht für künftige ältere Generationen in diesem Ausmaß wohl nicht mehr gelten wird. Und dies dürfte vor allem für die künftigen älteren Menschen in Ostdeutschland gelten. Möglicherweise kehrt die Altersarmut in einem Maße zurück, wie wir es in den letzten Jahren nicht mehr für möglich hielten. In ihr spiegeln sich brüchige Erwerbsbiografien der heute 40- und 50-Jährigen und ein sinkendes Versorgungsniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung wider.

Steigende Altersarmut

Dass sich unsere Gesellschaft an einem solchen Scheitelpunkt befindet, war der breite, übergreifende Konsens zweier Tagungen zur ökonomischen Situation älterer Menschen. Die Tagungen fanden Ende 2009 und Anfang 2010 in Berlin bei der »Deutschen Rentenversicherung Bund« statt. Die erste Konferenz »Einkommenssicherung im Alter als globale Herausforderung« hatte neben der deutschen auch die europäische und die globale Alterssicherungsdebatte zum Thema.

Im ersten Vortrag beschreibt Heinz-Herbert Noll vom Gesis – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften Mannheim anhand umfangreicher Daten die bisherige Entwicklung von Einkommen und Ausgaben im Rentenalter in Deutschland. Die ökonomische Situation der älteren Menschen ist in Ost- und Westdeutschland nicht einheitlich. Dominieren im Osten vor allem die Zahlungen aus der gesetzlichen Rente, ergänzen im Westen liquides Vermögen, Nutzung eigener Immobilien und betriebliche Renten die wirtschaftliche Situation der älteren Generation wesentlich mit. Hinzu kommen besonders im Westen deutliche Unterschiede zwischen einst sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und Beamtinnen und Beamten.

Um die eigene Situation hier in Deutschland angemessener einschätzen zu können, kann die europäische und die globale Perspektive hilfreich sein. Im erweiterten Europa unterscheiden sich die 27 Staaten sehr im Ausmaß der Altersarmut. Die Spannweite reicht von jedem Zweiten, der in Armut lebt, bis zu jedem Fünfzehnten. Die Altersarmut ist dort am geringsten, wo der Arbeitsmarkt Schritt hält mit der demografischen Alterung der Gesellschaft und/oder wo es ein funktionierendes Rentensystem gibt. Der Arbeitsmarkt ermöglicht eine hohe Erwerbsbeteilung von Frauen und Männern wenigstens bis 65 Jahre, und ein effizientes Rentensystem kann sehr verschieden gestaltet sein. Darauf macht besonders Barbara Riedmüller, Freie Universität Berlin, aufmerksam: Eine private Vorsorge allein kann ein Armutsproblem im Alter nicht lösen. Entscheidend ist ein Arrangement von privater, betrieblicher und staatlicher Vorsorge. Vor allem für Personen, die dauerhaft im Niedriglohnbereich tätig waren, ist die private Sicherung nicht geeignet. Hinzu kommt die Gefahr von politischen Anreizen, die besonders Frauen im Niedriglohnsektor davon abhalten können, einer umfassenden Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Weltweit leben bereits heute 2 von 3 älteren Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern. In drei Jahrzehnten dürften es sogar 4 von 5 älteren Menschen sein. In vielen dieser Staaten existieren keine oder nur rudimentäre staatliche Rentensysteme. Weniger als 5 % der älteren Menschen in den Entwicklungsländern erhalten eine Rente, die Mehrheit der älteren Menschen lebt in absoluter Armut. Hier kann selbst eine kleine Rente, die regelmäßig gezahlt wird, den Lebensstandard der älteren Menschen und ihrer Kinder und Enkelkinder erheblich verbessern. Teile der Rente werden für die Ernährung und Bildung der Enkelkinder verwendet. Die Enkelkinder müssen dann nicht mehr für den Lebensunterhalt der Familie aufkommen, ihre Arbeit wird von der mittleren und älteren Generation übernommen. Die soziale Anerkennung der Älteren steigt. Kurzum: die Förderung der Älteren ist eine Förderung der Großfamilie. Außerdem verdeutlicht die globale Perspektive, dass Schwellenländer mit einem öffentlichen Rentensystem, das regelmäßige Zahlungen garantiert und damit auch Nachfrage und Konsum erzeugt, mit geringeren sozialen Verwerfungen durch wirtschaftliche Krisen kommen als Staaten ohne solche Sicherungssysteme.

Eine Frage, die sich auf dieser Tagung und erst recht auf der zweiten Tagung stellte, war mit Blick auf Deutschland: Was ist zu tun, damit die künftige Rente Armut jenseits einer Grundsicherung vermeidet? Das vorliegende gesetzliche Rentensystem mit seinem Umlageverfahren, nach dem die jetzt sozialversicherungspflichtig Beschäftigten für die heutigen Rentenzahlungen aufkommen, kann nach Gerhard Bäcker von der Universität Duisburg grundlegend nicht gewechselt werden. Stichwort ist: eine Doppelbelastung von »neuen« und »älteren« Rentnerinnen und Rentnern in einem Zeitraum von bis zu 70 Jahren. Vor dem Hintergrund dieser fast unmöglichen Aufgabe bleibt nur eine systemimmanente Beseitigung von Defiziten derzeitiger Strukturen in der gesetzlichen Rentenversicherung und eine Veränderung von externen Faktoren, wie die Einführung von Mindestlöhnen und die bessere Absicherung von Langzeitarbeitslosen. Nach seiner Auffassung kann eine private Altersvorsorge als Pflicht dort nicht funktionieren, wo ein Teil der Bevölkerung bereits überschuldet ist und wo im unteren Einkommensbereich schon bei der sogenannten Riester-Rente die Förderquote des Staates bis zu 90 % der Beiträge ausmacht.

Was ist eine gerechte Rente? Von Gerechtigkeit und Verteilung

Wenn die private Altersvorsorge eine wichtige, aber eben nur eine Ergänzung der staatlich garantierten Rente sein kann, vor welchen Herausforderungen steht dann die gesetzliche Rentenversicherung? Hier Antworten zu finden, stand im Mittelpunkt der zweiten Tagung »Gerechtigkeitskonzepte und Verteilungsströme in der gesetzlichen Alterssicherung«. Vorweggenommen, die Antworten blieben manches schuldig, sie schärften allenfalls die Sicht auf bestehende Probleme.

Unter dem genannten Generalthema stehen zwei Blöcke zur Debatte, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein können: Die Generationengerechtigkeit als eine normative, empirisch nicht begründbare Größe und die Verteilungsströme der eingezahlten Rentenbeiträge als vermeintlich empirisch messbare Größe. Quer zu ihnen liegt das Problem Altersarmut. Letztendlich geht es um nicht weniger, als dass eine Pflichtversicherung – wie die gesetzliche Rentenversicherung – ein Mindestmaß an sozialer Akzeptanz braucht. Nämlich, dass sie sozial gerecht ist. Hier die Beitragssätze der einzahlenden Erwerbstätigen und dort das Versorgungsniveau der Rentnerinnen und Rentner stehen in einem Spannungsverhältnis, wenn die Beiträge steigen und gleichzeitig das Versorgungsniveau der derzeitigen und künftigen Rentnergenerationen sinkt. Das Problem der Altersarmut, ist es ein intergenerationales oder ein intragenerationales Problem, das durch Umverteilung in der jeweiligen Rentnergeneration zu lösen ist?

Die Vorträge zur Gerechtigkeit aus christlicher Perspektive von Karl Gabriel, Universität Münster, und Andreas Kruse, Universität Heidelberg, verdeutlichen, dass es sehr unterschiedliche Konzepte gibt, die eher die Leistungsstabilität oder die Beitragsstabilität im Vordergrund haben. Axel Reimann von der Deutschen Rentenversicherung Bund betont in diesem Spannungsverhältnis den sozialen Ausgleich als Trumpf der gesetzlichen Rentenversicherung, der sie prägt, aber nicht dominiert.

Die Ausführungen der Vortragenden zu den Verteilungsströmungen blieben weitgehend im Grundsätzlichen. Johann Behrens von der Universität Halle verweist am Beispiel der Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen in der Rentenversicherung auf das Problem, dass der Zugang zu medizinischen Diensten durch die Kaufkraft der Rentnerinnen und Rentner und weniger durch den Bedarf bestimmt werde. Markus Lüngen, Institut für Gesundheitsökonomie und klinische Epidemiologie Köln, blickt auf den Zusammenhang von Lebenserwartung und Rentenauszahlungen. Frauen und die oberen sozialen Schichten empfangen länger Rente als Männer und die unteren sozialen Schichten. Und Axel Börsch-Supan vom Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und Demographischer Wandel kritisiert das Aussetzen des Nachhaltigkeitsfaktors in den jüngsten Rentenerhöhungen auf Kosten der künftigen Einkommenssituation der Rentnerinnen und Rentner und jetzigen Beitragszahlerinnen und -zahler. Er plädiert für eine Unabhängigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung ähnlich der der Europäischen Zentralbank. Richard Hauser von der Universität Frankfurt zeigt an verschiedenen Szenarien, dass ein Zurückfahren des staatlichen Alterssicherungssystems und die Einführung privat organisierter Vorsorge die individuellen Risiken im Alter noch ungleichmäßiger verteilen werden. Zum Abschluss weisen Barbara Riedmüller und Markus M. Grabka (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) in ihren Beiträgen auf die Bedeutung der Erwerbsarbeit und des Vermögens für ein ökonomisches Auskommen im Alter hin und auf die gravierenden Probleme, wenn beides nur unzureichend realisiert wurde.

Was bleibt von den beiden Tagungen? Es bleibt die Erkenntnis, dass die Rente und damit wesentlich die Einkommenssituation der älteren Menschen ein Spiegelbild der Erwerbsbiografie sind. Weil es aber keine allgemeingültige, dauerhafte Lösung für die anstehenden Herausforderungen gibt, gilt es, sich laufend damit auseinandersetzen: Wie soll die Welt beschaffen sein, welche Vorstellungen von einem guten Leben, von einer gerechten Rente haben wir? Und wie sieht die Realität aus? Was ist machbar? Ein Grundproblem liegt schon in der Verfügbarkeit, Beschaffenheit und Bewertung von Daten. Selbst die Verteilungsströme sind, wie die Diskussionen zeigten, alles andere als klar messbar.