:: 2/2012

Der typisch ländliche Kreis?

Der Begriff »ländlich« erweckt verschiedenste zutreffende oder nicht zutreffende Assoziationen: Erholungsraum, Idylle, Ruhe, Abgeschiedenheit oder eher strukturschwach, »wenig los« verbunden mit geringeren Perspektiven. Verdichtung und Verstädterung werden dann jeweils als Gegenteil wahrgenommen. Im Landesentwicklungsplan von 2002 werden die Kommunen Baden-Württembergs mit ähnlicher siedlungsstruktureller Situation in Raumkategorien eingeteilt, für deren Entwicklung verschiedene Zielsetzungen gelten. Orientiert an den Kommunen des Landes ergibt sich auf Kreisebene, dass diese entweder ganz, zum Teil oder gar nicht dem Ländlichen Raum angehören. Der folgende Kurzbeitrag soll einen Überblick über diese Zuordnungen geben.

Der Ländliche Raum wird im Rahmen des Landesentwicklungsplans von 2002 (LEP 2002) durch verschiedene Kriterien bestimmt, unter anderem von der vorhandenen Siedlungsstruktur und Flächennutzung, dem Erwerbsverhalten und der Arbeitsplatzsituation oder dem Anteil an landwirtschaftlichen Aktivitäten. Er kann weiter in den Ländlichen Raum im engeren Sinne und in Verdichtungsbereiche im Ländlichen Raum unterteilt werden. In diesem Beitrag wird der Ländliche Raum als Gesamtkategorie zu Grunde gelegt. Weitere Raumkategorien sind die Verdichtungsräume und die Randzonen um die Verdichtungsräume (siehe i-Punkt). Die 1 101 Gemeinden Baden-Württembergs sind diesem System folgendermaßen zugeordnet:

  • 230 Gemeinden, und damit etwa jede Fünfte, gehören dem Verdichtungsraum an
  • 216 Gemeinden sind den Randzonen um die Verdichtungsräume zugeteilt und
  • mit 655 Gemeinden sind 59 % aller Gemeinden dem Ländlichen Raum zugeordnet, 598 Kommunen allein dem Ländlichen Raum im engeren Sinn.

Fast 70 % der Fläche Baden-Württembergs gehört demnach zum Ländlichen Raum. Es lebt aber nur etwa ein Drittel der Baden-Württemberger in den zugehörigen Gemeinden. Die Bevölkerungsdichte Baden-Württembergs ist mit 301 Einwohnern je Quadratkilometer (km²) im Verhältnis der Bundesländer überdurchschnittlich hoch und die Besiedlung des Landes damit deutlich dichter und dezentraler als in den meisten anderen Bundesländern. So haben lediglich knapp 12 % der Gemeinden im Südwesten eine geringere Bevölkerungsdichte als Mecklenburg-Vorpommern (71 Einwohner je km²), das gegenwärtig am dünnsten besiedelte Bundesland. Die Spanne reicht in Baden-Württemberg von 2 925 Einwohnern je km² in der Landeshauptstadt Stuttgart bis hin zur Gemeinde Böllen im Landkreis Lörrach mit 17 Einwohnern je km².

Ein Drittel der Landkreise gehört zum Ländlichen Raum

Da die Zuordnung zu den Raumkategorien des LEP 2002 auf Ebene der Gemeinden erfolgt, stellt sich die Frage welches Bild für die Stadt- und Landkreise entsteht. Welche Kreise des Landes können nach diesem Schema als eher »ländlich« bezeichnet werden? Als Messkriterien kommen hier zwei Größen in Betracht. Die Darstellung der Raumkategorien auf Kreisebene wird wahlweise anhand der Fläche oder der Bevölkerung der zugehörigen Gemeinden vorgenommen. Eindeutig einer Raumkategorie zuordenbar sind Kreise, deren Gemeinden komplett einer der drei eingangs genannten Kategorien zugeordnet sind. So gehören die Stadtkreise bis auf Baden-Baden (Randzone um Verdichtungsräume) den Verdichtungsräumen an. Ein Drittel der Landkreise (12 von 35) zählen aufgrund ihrer Definitionskriterien zum Ländlichen Raum und sind damit »ländliche« Kreise.

Die restlichen 23 Landkreise setzen sich dagegen aus verschiedenen Raumkategorien zusammen. Wird – wie häufig üblich – die Fläche der jeweiligen Gemeinden zugrunde gelegt, so sind es weitere 11 Landkreise, die als »ländlich« bezeichnet werden können, da anhand ihrer Gemeinden mehr als 50 % der Flächen dem Ländlichen Raum zugeordnet sind. Damit wären sogar zwei Drittel der Landkreise Baden-Württembergs als überwiegend »ländlich« einzustufen.

Wird allerdings die Bevölkerung zugrunde gelegt, verschiebt sich das Bild zum Teil deutlich. Insbesondere im Landkreis Reutlingen aber auch im Rems-Murr-Kreis und Landkreis Lörrach ist der Anteil der Menschen, die in den dortigen Verdichtungsräumen leben, deutlich höher als der Anteil der Menschen im Ländlichen Raum. So gehören im Landkreis Reutlingen 70 % der Fläche zum Ländlichen Raum, auf der aber lediglich 20 % der Einwohner des Landkreises leben. Ebenso sind diese Ungleichgewichte im Bodenseekreis und dem Landkreis Emmendingen zu beobachten. Der Landkreis Freudenstadt erlebt dagegen bei Betrachtung der unterschiedlichen Dimensionen kaum Verschiebungen, denn bis auf die Gemeinde Eutingen im Gäu zählen hier alle Gemeinden zum Ländlichen Raum. Wird also die Bevölkerung und nicht die Fläche bei der Aggregation der Gemeinden zu Grunde gelegt, so sind es nur 18 von 35 und damit gut die Hälfte der Landkreise, die überwiegend zum Ländlichen Raum zählen. Gemessen an der Bevölkerung sind es weniger »ländliche« Kreise als anhand der Fläche. Dies trägt der eingangs geführten Erläuterung Rechnung, nach der deutlich mehr Fläche des Landes dem Ländlichen Raum zugeordnet ist als Einwohner.

Geringe Siedlungsdichte korreliert mit preiswertem Bauland

Gibt es nun Ausprägungen, die für alle der identifizierten ländlichen Kreise gelten? Gibt es gar den typischen ländlichen Kreis? Eine Auswahl von Kennziffern gibt hier Aufschluss. Die – aus Sicht der Fläche – 23 eher ländlichen Kreise zeichnen sich durch einen unterdurchschnittlichen Anteil der Siedlungsfläche an der Gesamtfläche aus. Eine Ausnahme stellt der Rems-Murr-Kreis dar, dessen Siedlungsfläche mit einem Anteil von 10,8 % über dem Anteil des Landes von 8,7 % liegt. Gänzlich dem Ländlichen Raum zugehörige Kreise weisen zudem eine geringere Siedlungsdichte als im Landesschnitt auf. Allerdings gehen die beiden Größen Siedlungsfläche und -dichte nicht zwangsläufig miteinander einher, da die Siedlungsfläche von den Einwohnern je nach vorhandenen Strukturen und Entwicklungen unterschiedlich intensiv bewohnt und genutzt wird.

Tendenziell ist der Anteil von Einfamilienhäusern in den ländlichen Kreisen höher. Weniger Menschen haben mehr Raum zur Verfügung. So sind im Schnitt zwei Drittel der Wohngebäude in den Kreisen, die komplett dem Ländlichen Raum angehören, Einfamilienhäuser. Knapp 60 % beträgt dieser Anteil im Schnitt bei den Kreisen, die mehrheitlich oder zum Teil als ländlich eingestuft werden können. Die Auswirkungen auf die Baulandpreise liegen nah, und es zeigt sich daher deutlicher ein Zusammenhang mit der Raumkategorie. Mit abnehmender Einwohnerzahl, die sich auf die vorhandene Siedlungsstruktur verteilt, sinken die Kaufpreise für baureifes Land. Angebot und Nachfrage und damit der Markt unterscheiden sich hier von stark verdichteten Räumen.

Ländliche Kreise: Fast die Hälfte der Beschäftigten sind im Produzierendes Gewerbe tätig

In der Summe der Kreise, die komplett dem Ländlichen Raum angehören, war das Bevölkerungswachstum in den letzten 10 Jahren negativ, während die Stadt- und Landkreise, die den Verdichtungsräumen angehören, an Bevölkerung hinzu gewannen. Diese Entwicklung wird zum einen durch ein zunehmendes Geburtendefizit verursacht, das sich gerade im Ländlichen Raum in den letzten 10 Jahren deutlich negativ entwickelt hat. Zum anderen verlor der Ländliche Raum insgesamt Einwohner durch Abwanderungen. Im Einzelnen betrachtet haben jedoch fünf der zwölf zu 100 % ländlichen Kreise ein Bevölkerungsplus zu verzeichnen, allen voran der Ortenaukreis.

Die Arbeitsplatzdichte, das heißt die Zahl der Erwerbstätigen bezogen auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, lag zuletzt in den Kreisen, die komplett zum Ländlichen Raum gehören, nur gering unter dem Landeswert. In die drei Landkreise Hohenlohekreis, Tuttlingen und Schwarzwald-Baar-Kreis pendelten sogar mehr Menschen zu ihrem Arbeitsplatz ein als aus. Im Landkreis Heidenheim glich sich der Pendlersaldo nahezu aus.

In fünf der dem Ländlichen Raum zugeordneten Kreise waren zuletzt über 50 % und damit die absolute Mehrheit der Beschäftigten im Produzierenden Gewerbe tätig. Landesweit waren es im vergangenen Jahr 38 %. In Kreisen, die dem Verdichtungsräumen angehören, stellte – mit Ausnahme der Landkreise Böblingen und Ludwigsburg – der Dienstleistungssektor den mit Abstand wichtigsten Beschäftigungsbereich dar. Mit zunehmender Siedlungsdichte gewinnt die Beschäftigung in der Dienstleistungsbranche an Bedeutung oder anders gesagt: Das Produzierende Gewerbe spielt im Ländlichen Raum eine bedeutende Rolle.

Den ländlichen Kreis gibt es nicht, aber die ländlichen Kreise

Zwölf Kreise Baden-Württembergs gehören nach den Kriterien des Landesentwicklungsplans in ihrer Gesamtheit zum Ländlichen Raum. Je nachdem ob die Fläche oder Bevölkerung der zugehörigen Gemeinden zu Grunde liegt, kommen weitere elf bzw. sechs Kreise hinzu, die überwiegend »ländlich« sind. Bei der Betrachtung einiger ausgewählter Kennzahlen zeigt sich, dass es nicht unbedingt den ländlichen Kreis gibt, aber einige Merkmale, die charakteristisch für die ländlichen Kreise sind. Dazu gehören die geringe Siedlungsdichte, ein im Landesverhältnis hohen Anteil von Beschäftigten im Produzierenden Gewerbe und niedrigere Kaufpreise für baureifes Land. Letztere stehen im engen Zusammenhang mit der Siedlungsdichte. Im Weiteren zeigen die hier ausgewählten Kenngrößen allerdings keine eindeutigen Zusammenhänge zur Siedlungsdichte, was auch auf Ebene der Kreise die dezentrale Struktur Baden-Württembergs unterstreicht.