:: 9/2012

Branchenspezifische Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen

Frauen verdienen in Baden-Württemberg pro Stunde durchschnittlich 26 % weniger als Männer. Die Höhe des Verdienstes hängt im Allgemeinen von den individuellen Eigenschaften eines Arbeitnehmers ab und von dem Betrieb, in dem er arbeitet. Im Folgenden werden zwei dieser Aspekte näher untersucht: Welchen Einfluss hat der Beschäftigungsumfang und welchen die Branchenzugehörigkeit auf den Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen.

Der unbereinigte Gender Pay Gap

Die Frage nach der unterschiedlichen Bezahlung von Männern und Frauen wäre vermutlich ohne die Existenz entsprechender statistischer Zahlen überhaupt nicht in die öffentliche Wahrnehmung gelangt. Erst repräsentative statistische Daten ermöglichen eine objektive Betrachtungsweise dieses Phänomens. Die Verdienststrukturerhebung, die europaweit einheitlich im 4-jährigen Turnus durchgeführt wird, liefert die notwendige Datengrundlage für die Ermittlung der entsprechenden Kennzahlen. Die letzte Erhebung stammt aus dem Jahr 2010. Die Verdienststrukturerhebung erfasst allerdings nur Betriebe mit zehn und mehr Beschäftigten. Insgesamt waren dort im Berichtsjahr rund 3,5 Mill. Männer und Frauen beschäftigt.

Eine häufig verwendete Maßzahl zur Beschreibung vermeintlicher oder tatsächlicher Lohndiskriminierung ist der sogenannte unbereinigte Gender Pay Gap. Diese Kennzahl beschreibt, um wie viel Frauen im Durchschnitt prozentual weniger verdienen als Männer. Das Statistische Bundesamt ermittelt diese Kenngröße auf der Basis von Bruttostundenverdiensten. Bei der Berechnung des unbereinigten Gender Pay Gap orientiert sich das Statistische Bundesamt aufgrund der Bedeutung von internationalen Vergleichen an den europaweit einheitlichen Vorgaben von Eurostat.1 Da die Bruttostundenverdienste nicht direkt erfragt werden, müssen diese aus den erhobenen Daten über Monatsverdienste und bezahlte Stunden errechnet werden, wobei Sonderzahlungen unberücksichtigt bleiben.

Die Vergleichstabelle zwischen den Bundesländern auf Basis der Verdienststrukturerhebung 2010 zeigt, dass Baden-Württemberg mit rund 27 % den größten Verdienstunterschied im Ländervergleich aufweist. Die geringsten Differenzen sind in den neuen Bundesländern zu beobachten. Die niedrigsten Werte wurden für Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt mit zwischen 3 bzw. 5 % ermittelt. Diese großen Unterschiede beim Gender Pay Gap dürften in erheblichem Maße durch die Wirtschaftsstruktur bedingt sein. In den Bundesländern mit vergleichsweise vielen industriellen Arbeitsplätzen ist der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen relativ groß. Die einheitlich relativ niedrigen Werte in Ostdeutschland und die vergleichsweise hohen Werte im Westen zeigen, dass die Verdienststrukturen auch mehr als 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung immer noch relativ stark voneinander abweichen.

Wichtige Einflussgrößen auf die Höhe des Verdienstes

Gemessen am unbereinigten Gender Pay Gap erfahren Frauen in Baden-Württemberg bundesweit die größte Lohndiskriminierung. Der unbereinigte Gender Pay Gap ist zumindest auf Landesebene als Vergleichsmaßstab ein sehr grobes Messkonzept, um die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen zu beschreiben. So bleibt hierbei die Branchenstruktur oder die Unternehmensgröße ebenso außerhalb der Betrachtung wie individuelle Einflussfaktoren. Unterschiedliche Bezahlungen resultieren bekanntlich auch aus der Qualifikation, dem Beschäftigungsumfang, dem ausgeübten Beruf, der Tätigkeit im Unternehmen, der Dauer der Unternehmenszugehörigkeit und dem Alter. Im Folgenden soll der Beschäftigungsumfang und die Branchenzugehörigkeit genauer untersucht werden. Für die adäquate Beurteilung von geschlechtsspezifischen Lohndifferenzen ist es von Bedeutung, ob die Arbeitnehmer einer Vollzeit-, Teilzeit- oder einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen. Rund 70 % der Mitarbeiter in Betrieben mit zehn und mehr Beschäftigten sind in Baden-Württemberg Vollzeit tätig. In Teilzeit arbeiten 20 % und auf die geringfügige Beschäftigung entfallen rund 10 %. Der Landeswert des Gender Pay Gap hängt nicht unwesentlich vom zeitlichen Umfang der Erwerbsbeteiligung der männlichen und weiblichen Erwachsenenbevölkerung ab. Teilzeitbeschäftigte verdienen nämlich im Durchschnitt 24 % weniger pro Stunde als Vollzeitbeschäftigte. Knapp drei von vier Vollzeitbeschäftigten waren im Jahr 2010 männlichen Geschlechts, während die ganz überwiegende Mehrheit der Frauen in der schlechter bezahlten Teilzeit arbeitete (rund 90 %).

Aber auch bei gleichem Beschäftigungsumfang sind deutliche Verdienstunterschiede zwischen den Geschlechtern feststellbar. Vollzeitbeschäftigte Frauen verdienten 2010 im Durchschnitt pro Stunde rund 23 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Der Lohnunterschied bei Teilzeitbeschäftigung war dagegen mit 15 % deutlich niedriger. Der niedrigste Wert für den Gender Pay Gap errechnete sich mit rund 3 % für Personen, die einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen. Da der Verdienst dieses Personenkreises regelmäßig im Monat 400 Euro nicht überschreitet, ist der Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen auch nicht so ausgeprägt.

Verdienstniveau und Frauenanteil variiert nach Branchen

Zweifellos ist die Branchenzugehörigkeit ein wichtiger Bestimmungsfaktor für die Höhe des Verdienstes. Bestimmte Branchen sind ökonomisch erfolgreicher als andere und deshalb können dort auch höhere Löhne bezahlt werden. Relativ gut verdient wird in einigen Branchen des Verarbeitenden Gewerbes und bei industrienahen Dienstleistungen. Andererseits findet man in der Dienstleistungsbranche Wirtschaftszweige, in denen häufig nur niedrige Stundenverdienste bezahlt werden. Die Verdienstspanne reicht bei Voll- und Teilzeitbeschäftigung von durchschnittlich unter 10 Euro Bruttostundenlohn bis über 30 Euro je nach Wirtschaftzweig. Der Landeswert für den Gender Pay Gap wird damit auch durch den Anteil der Frauen an der Belegschaft in den einzelnen Branchen beeinflusst. Nur wenn die Proportion zwischen den Geschlechtern in Hoch- und Niedriglohnbranchen anteilsmäßig in etwa übereinstimmen würde, wäre dieser Einfluss vernachlässigbar. Interessant ist die Situation in den Wirtschaftszweigen, die viele Menschen beschäftigen. In den zehn Branchen mit den meisten Beschäftigten arbeiten mehr als 50 % der Arbeitnehmer im Land. An der Spitze liegt die Öffentliche Verwaltung gefolgt vom Maschinenbau und dem Wirtschaftszweig »Erziehung und Unterricht«. Bezogen auf den Anteil der Frauen an der Belegschaft zeigt sich das bekannte Schema, dass Frauen in der Erziehung, im Gesundheitswesen, in der Pflege und im Einzelhandel die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten stellen, während Männer in der gewerblichen Wirtschaft und im Großhandel dominieren. Lediglich in der Öffentlichen Verwaltung sind etwa gleich viele Frauen wie Männer beschäftigt.

In den Hochlohnbranchen Automobilindustrie und Maschinenbau liegt der Anteil der weiblichen Beschäftigten deutlich unter 20 %. Dagegen stellen Frauen im Einzelhandel und bei der Heimunterbringung rund drei Viertel aller Beschäftigten. In diesen beiden Branchen wird in der Regel weniger gut bezahlt. In weiteren großen Branchen mit einem Frauenanteil von mehr als 50 % wie der Erbringung von Finanzdienstleitungen oder dem Gesundheitswesen wird dagegen überdurchschnittlich verdient. Allerdings bedeutet dies nicht, dass Frauen in diesen Branchen deshalb gleich viel oder gar mehr verdienen als ihre männlichen Kollegen. Um dies zu beurteilen, muss die Verdienstrelation in der jeweiligen Branche ermittelt werden.

Verdienstunterschiede in Branchen mit mehr als 20 000 Beschäftigten

Für die Beurteilung der Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen in verschiedenen Branchen ist es interessant, den Zusammenhang zwischen dem Gender Pay Gap und dem Anteil der Frauen bzw. dem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst im jeweiligen Wirtschaftszweig zu betrachten. Ein empirischer Zusammenhang gemessen am Korrelationskoeffizienten zwischen dem Gender Pay Gap je Branche und dem Anteil der Frauen an der Belegschaft im gleichen Wirtschaftszweig lässt sich nicht feststellen. Im Unterschied dazu zeigen die ermittelten Branchenwerte für den Gender Pay Gap und den durchschnittlichen Bruttostundenverdienst eine positive Korrelation, auch wenn diese mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,5 nicht allzu stark ausgeprägt ist. In Wirtschaftszweigen mit einem geringeren Verdienstniveau sind die Unterschiede beim Bruttostundenverdienst zwischen den Geschlechtern tendenziell weniger gravierend als in Hochlohnbranchen. Wie aus Tabelle 2 zu ersehen ist, liegen die Bruttostundenverdienste für die Branchen mit einem Gender Pay Gap von unter 10 % zum Teil deutlich unter dem landesweiten Stundenlohn von 18,40 Euro. Der Verdienstunterschied war bei der Vermittlung und Überlassung von Arbeitskräften mit weniger als 4 % am geringsten. Im Sozialwesen lag er mit knapp 5 % nur geringfügig darüber. Die höchsten Branchenwerte für den Gender Pay Gap wurden in den Wirtschaftszweigen »Verwaltung und Führung von Unternehmen und Betrieben; Unternehmensberatung« und »Rechts- und Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung« mit 41 bzw. 37 % berechnet.

Werden auch Wirtschaftszweige mit weniger als 20 000 Beschäftigten in die Betrachtung einbezogen, findet man in der Luftfahrtbranche und bei den Dienstleistungen des Sports, der Unterhaltung und der Erholung sogar noch größere Verdienstunterschiede. Anders als bei den Branchen mit geringen Verdienstunterschieden ergibt sich für die Wirtschaftszweige mit großen Lohnunterschieden kein einheitliches Bild bezüglich der Höhe der Durchschnittsverdienste. Überproportionale Verdienstunterschiede findet man sowohl in Hoch- als auch in Niedriglohnbranchen.

In Wirtschaftszweigen, die dem staatlichen oder teilstaatlichen Sektor zuzurechnen sind, ist der Gender Pay Gap mit Ausnahme des Gesundheitswesens in der Regel niedriger als in der gewerblichen Wirtschaft und in den Dienstleistungsbranchen, in denen gut verdient wird. In vielen Branchen mit relativ geringem Verdienstniveau, die vor allem zum Dienstleistungssektor gehören, ist der Gender Pay Gap häufig nicht so ausgeprägt. Aber auch die für die baden-württembergische Wirtschaft charakteristischen Branchen Maschinenbau und Autoindustrie weisen einen Gender Pay Gap auf, der unterhalb des Landeswertes liegt.

Landeswert seit 2006 rückläufig

Da die Verdienstrukturerhebung nur alle 4 Jahre durchgeführt wird und in den Jahren dazwischen für die Berechnung des Gender Pay Gap lediglich auf fortgeschriebene Durchschnittsverdienste zurückgegriffen werden kann, lassen sich strukturelle Veränderungen korrekt nur durch den direkten Vergleich der Verdienstrukturerhebungen von 2006 und 2010 ermitteln. Der Vergleich des unbereinigten Gender Pay Gap von 2006 und 2010 zeigt, dass der Verdienstunterschied rückläufig ist. Binnen 4 Jahren sank der unbereinigte Gender Pay Gap in Baden-Württemberg2 von rund 28 % um etwas mehr als einen Prozentpunkt auf knapp unter 27 %. Natürlich ist dieser Rückgang auf den ersten Blick nicht allzu spektakulär. Doch ist zu berücksichtigen, dass strukturelle Veränderungen nur sehr allmählich voranschreiten. Für die Masse der Beschäftigten ergibt sich in 4 Jahren keine Veränderung in ihrer beruflichen Situation. Für Veränderungen dürften vor allem die Zu- und Abgänge in den Belegschaften sorgen. Die Abgänge repräsentieren die gesellschaftliche Situation der 1960er- und 1970er-Jahre, während die Zugänge die aktuelle gesellschaftliche Realität abbilden. Im Lichte dieser Überlegungen ist ein Rückgang des unbereinigten Gender Pay Gap auf Landesebene binnen 4 Jahren um über 4 % (bzw. um 1,1 Prozentpunkte) durchaus bemerkenswert. Die Lohndiskriminierung von Frauen ist gemessen am Gender Pay Gap auf Landesebene eindeutig zurückgegangen.

1 Siehe Eurostat (Hrsg.): »Working Group Labour Market Statistics. State of the Play on the SES 2006 and Gender Pay Gap 2007«, Arbeitsunterlage, Luxemburg 2008, S. 4. Die Formel wird nicht nur von Eurostat sowie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Berechnung des geschlechtsspezifischen Verdienstgefälles herangezogen, sondern gilt im Zusammenhang mit der Ermittlung des lohnbezogenen Indikators als allgemein übliche Konvention. Siehe Schmidt, J./Diekmann, L.-C./Schäfer, H.: »Die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen. Indikatoren, Ursachen und Lösungsansätze«, IW-Analysen Nr. 51, Köln 2009, S. 11.

2 Ohne »Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung«.