:: 10/2012

FamilienForschung Baden-Württemberg im Statistischen Landesamt

Von der Projektgruppe zur anerkannten und festen Einrichtung der familienwissenschaftlichen Forschung

Vor 30 Jahren richtete der damalige Präsident des Statistischen Landesamtes, Prof. Dr. Max Wingen, die Familienwissenschaftliche Forschungsstelle (FaFo) ein. Mit dieser Projektgruppe stellte er den bereits bestehenden wirtschaftswissenschaftlichen Analysen eine stärker sozialwissenschaftlich ausgerichtete Komponente zur Seite. Seitdem sind statistisch fundierte Informationen und Beratung zu familienpolitikrelevanten Themen ein Markenzeichen der FaFo, das von den Akteuren auf Landes-, kommunaler und betrieblicher Ebene als Grundlage für Entscheidungen in ihrem Verantwortungsbereich genutzt wird. Rückblickend zeigt sich, dass aus der Projektgruppe längst eine feste Einrichtung der familienwissenschaftlichen Forschung geworden ist, deren Wertschätzung über die Landesgrenze hinausgeht.

Die Rahmenbedingungen vor 30 Jahren

Im Übergang zu den 1980er-Jahren trugen Landesregierung und Öffentlichkeit verstärkt Erwartungen an das Statistische Landesamt heran, die zunehmend in die Aufgabenbereiche der themenbezogenen Analyse und Informationsbereitstellung hineinreichten. So hatte der Ministerrat im Juni 1981 dem Statistischen Landesamt die Möglichkeit eingeräumt, über die herkömmlichen Aufgaben der Erhebung, Aufbereitung und Analyse statistischer Daten hinaus der Landesregierung datenorientierte Analysen zu Themen vorzulegen, die im Vordergrund aktueller politischer Diskussionen standen. Damit wurde die im Hause langjährig bestehende Tradition, Datenproduktion mit weiterführenden Auswertungen zu verbinden, ergänzt und als Aufgabe der Landesstatistik gestärkt1.

Nachdem die wirtschaftspolitikrelevanten Analysen schon in den 1970er-Jahren ausgebaut worden waren, gewannen danach sozialpolitische Fragestellungen zusätzlich an Gewicht. Vor allem die sich verändernden Familienstrukturen und die damit zusammenhängenden demografischen und sozioökonomischen Hintergründe schoben sich mehr und mehr in das Blickfeld der politischen und wissenschaftlichen Diskussion. Damit wuchs der Bedarf an verlässlichen, fachlich kommentierten Informationen.

Im wissenschaftlichen Bereich wurde besonders die Diskussion um die Ursachen des drastischen Geburtenrückgangs, seine Auswirkungen auf die Bevölkerungsentwicklung und die weiteren Folgen der demografischen Alterung auf die einzelnen Gesellschaftsbereiche intensiv geführt. Die Amtliche Statistik in Bund und Ländern lieferte wesentliche datengestützte Beiträge dazu. Jedoch erreichten die Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Forschung und den statistischen Analysen nicht diejenigen, die in Politik und Gesellschaft Entscheidungen hätten treffen können, um die zumindest dem Trend nach damals erkennbaren und als problematisch bewerteten Auswirkungen abzufedern. Als ein wesentlicher Grund dafür lassen sich auch »Kommunikationsschwierigkeiten« ausmachen. »Wo Wissenschaft und Forschung zur praktischen Politikberatung herangezogen werden, entsteht ein Geflecht von Kommunikationsbeziehungen, bei denen auch mit Kommunikationsschwierigkeiten gerechnet werden muss (…) Besonders wichtig für eine fruchtbare Wechselbeziehung im Hinblick auf das Geschäft der wissenschaftlichen Politikberatung erscheint, dass gegenseitig die jeweiligen spezifischen Handlungsbedingungen und Anforderungen gesehen und verstanden werden.«2

Der Anfang

Daraus entstand die Idee: Um Ergebnisse von Forschungsarbeiten zu den sich wandelnden Familienstrukturen, den damit zusammenhängenden Ursachen und Auswirkungen des bereits Anfang der 1980er-Jahre erkennbaren demografischen Wandels für politisch Handelnde und andere Entscheidungsträger besser nutzbar zu machen, bedarf es einer »Übersetzerfunktion«. Eines »Scharniers« zwischen Forschung und Politik, das die wissenschaftlichen Erkenntnisse methodisch, thematisch und sprachlich so aufbereitet, wie es dem Informationsbedarf der jeweiligen Adressaten entspricht.

Ein zweiter Aspekt lag im Themenfeld »Familie« selbst. Die wissenschaftliche Befassung mit Familienstrukturen, den vielfältigen Lebenssituationen von Familien und ihren Wechselbeziehungen zu gesellschaftlichen Entwicklungen wurde nach längerer Pause erst im Laufe der 1970er-Jahre wieder aufgenommen3. Häufig lagen ihr eher konzeptionelle Ansätze zu Grunde als empirische, auf breiter Datenbasis fundierte Untersuchungen. Hierfür spielte sicherlich auch eine Rolle, dass es eine einheitliche Definition von »Familie« nicht gibt. Jedenfalls wurde die Amtliche Haushalts- und Familienstatistik (Mikrozensus) selten so tief in Anspruch genommen, wie es ihrem Informationsgehalt entsprochen hätte. Sie weist zum Beispiel den Vorteil auf, dass durch ihr Erhebungskonzept nicht »die Familie«, sondern einzeln abgrenzbare Familientypen als Formen des Zusammenlebens empirisch erfassbar sind.

Auf diesen beiden Eckpfeilern beruhte der Handlungsansatz von Prof. Dr. Max Wingen, den er mit Unterstützung der baden-württembergischen Landesregierung kurz nach seinem Amtsantritt 1981 als Präsident des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg in die Tat umsetzte. Mit einer systematischen und bundesweit beachteten Auswertung der baden-württembergischen Zusatzerhebung zum Mikrozensus 1981 über die Lebenssituation der ausländischen Haushalte im Land wurde 1982 die Familienwissenschaftliche Forschungsstelle (FaFo) als Projektgruppe im Statistischen Landesamt auf den Weg gebracht. Die Intensivierung der Forschungsarbeiten über die Projektgruppe war auch im Hinblick auf die vielfältigen und regelmäßig anfallenden Datenbestände der Amtlichen Statistik zweckmäßig und sinnvoll, weil vermehrte Analysen eine kostengünstige Ausschöpfung der mit beträchtlichen Erhebungskosten gewonnenen Daten gewährleisten.

Die Finanzierung der Forschungsstelle erfolgte in der Anfangsphase ausschließlich über Forschungsaufträge von Landesministerien, die auch den Personalbedarf in Form von Zeitverträgen für wissenschaftliche Angestellte abdeckten. Gleichwohl sah das Forschungskonzept vor, dass auch Analysen aus dem fachstatistischen Bereich des Landesamtes in die Arbeiten der Forschungsstelle einfließen konnten. Zugleich war die Arbeit der heutigen FamilienForschung Baden-Württemberg (FaFo) auf einen interdisziplinären Forschungsansatz hin ausgelegt. Dieser Ansatz ist auch deshalb dringend geboten, weil das Themenfeld »Familie« ein Querschnittsthema ist, dessen wissenschaftliche Behandlung mit eindimensionalen Sichtweisen nur unzureichend wäre.

Die Themen

Von Beginn an wurden hauptsächlich Themen aufgegriffen und empirisch untersucht, die jeweils auf der aktuellen Tagesordnung der Politik standen. An dieser Stelle können nur zusammengefasst einige Themenbereiche und ausgewählte Projekte angesprochen werden, die – ohne die vielen anderen in ihrer Bedeutung hintenan zu stellen – thematisch oder von der zeitgeschichtlichen Aktualität besondere Bedeutung hatten.

Die Datenerhebung und Analysen zur Lebenssituation ausländischer Haushalte gab das baden-württembergische Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung als Zusatzerhebung zum Mikrozensus 1981 zu einer Zeit in Auftrag, als beispielsweise intensiv über Konzepte zur Integration der im Lande lebenden Ausländer und ihrer Familien diskutiert wurde. Dafür bot die datengestützte Bestandsaufnahme zu Verweildauer, Rückkehrplänen, Familiennachzug und zur sozialen und ökonomischen Integration eine wertvolle Informationsbasis.

Angesichts der schwierigen Arbeitsmarktsituation zu Beginn der 1980er-Jahre und dem absehbaren Hineinrücken geburtenstarker Jahrgänge ins Erwerbsleben waren die Berufschancen der jungen Generation ein Topthema der Landespolitik. Hierzu lieferte nicht nur eine umfassende Analyse der seinerzeitigen Arbeitsmarktsituation für junge Menschen eine statistisch fundierte Diskussionsgrundlage, sondern auch der durch Modellrechnungen gestützte Ausblick auf die Berufschancen in den darauffolgenden 10 bis 15 Jahren.

Durch die bisherigen 3 Jahrzehnte der Forschungsarbeiten zog sich immer wieder auch das weite Themenfeld der ökonomischen Lebenslagen von Familien. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten – vom Gesamtblick über die materiellen Lebenssituationen von Familien bis hin zu spezifischen Aspekten wie etwa Niedrigeinkommen – wurden auf diese Weise differenzierte statistische Informationen bereitgestellt, die stets die Vielfalt familiärer Strukturen und Lebenslagen offen gelegt haben.

Im Spektrum der Analysen zur wirtschaftlichen Lage der Familien war die nur in Baden-Württemberg durchgeführte Zusatzerhebung zur Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1983 über die Aufwendungen der Familien für ihre minderjährigen Kinder auch von bundesweiter Relevanz. Mit der Auswertung dieser Datenbasis für das baden-württembergische Sozialministerium lagen erstmalig empirisch fundierte, auf aktuellen Verbrauchsstrukturen beruhende »Kinderkosten« vor. Indem diese Ergebnisse eine quantitative Vorstellung darüber boten, was Familien materiell für Kinder unterschiedlichen Alters aufwendeten, waren sie zugleich eine Orientierungshilfe für die Höhe einer politisch gewollten Entlastung der Familien im Rahmen des Familienlastenausgleichs über einkommensteuerliche Regelungen und direkte Transferleistungen. Das galt auch für andere Bereiche, etwa dort, wo es um Fragen des Unterhaltsrechts oder der damaligen Sozialhilfeleistungen ging.

Bereits Mitte und Ende der 1980er-Jahre beschäftigte sich die FaFo in umfangreicheren Studien mit dem heute nach wie vor hoch aktuellen Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zum einen wurden auf Basis einer landesinternen Zusatzerhebung des Mikrozensus 1982 die Erwerbstätigkeit von Müttern und die Betreuungssituation ihrer Kinder untersucht. Schwerpunkte lagen hier nicht nur in der Bestandsaufnahme zum Umfang der Erwerbsbeteiligung, sondern auch auf familienbedingten Unterbrechungen und der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit sowie den Rückkehrabsichten nicht erwerbstätiger Mütter ins Erwerbsleben. Zum anderen erstellte die FaFo anlässlich des Internationalen Fachkongresses »Mütter und Väter zwischen Erwerbsarbeit und Familie« im März 1990 für das baden-württembergische Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Familie und Frauen ein Handbuch mit Beispielen aus der betrieblichen Praxis und der öffentlichen Verwaltung, welche Regelungen dort zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingeführt worden waren. Diese Thematik hat auch heute noch mit dem Kompetenzzentrum Beruf & Familie einen besonders hohen Stellenwert im Arbeitsprogramm der FaFo.

Vielbeachtete Meilensteine stellen die beiden Familienberichte 1998 und 2004 dar, die im Auftrag des Sozialministeriums Baden-Württemberg erarbeitet wurden. Hier erfolgten jeweils umfassende Analysen zu den vielfältigen Strukturen und Lebenssituationen der Familien und eine Bestandsaufnahme der familienpolitischen Leistungen des Landes. Ein gesonderter Teil des Berichts 2004 befasste sich ausführlich mit der Lebenssituation von Migrantenfamilien in Baden-Württemberg. Diese Berichte gingen zurück auf Empfehlungen der Enquete-Kommission des baden-württembergischen Landtags »Kinder in Baden-Württemberg« aus dem Jahr 1994, die eine kontinuierliche Familienberichterstattung vorgeschlagen hatte. Die Umsetzung dieser Empfehlung wird bis in die Gegenwart fortgesetzt, indem im Sinne einer fortlaufenden Familienberichterstattung viermal im Jahr Themenhefte erscheinen, die sich jeweils mit aktuellen Fragen der politikrelevanten Familienforschung beschäftigen.

In die beiden Familienberichte 1998 und 2004 fand auch ein Analysekonzept Eingang, das Mitte der 1980er-Jahre im Rahmen eines vom Bundesfamilienministerium geförderten Projektes entwickelt und empirisch ausgefüllt worden war. Auf dessen Basis lassen sich die differenzierten Lebensverhältnisse von Familien in unterschiedlichen Phasen des Familienzyklus untersuchen. Im Laufe des Familienzyklus verändern sich Familienkonstellationen, familiale Aufgaben und auch ihre wirtschaftliche Situation. Dementsprechend stehen Familien in diesen unterschiedlichen Phasen vor ganz verschiedenen Anforderungen und Ansprüchen. Mit der Einbindung in die Familienberichte konnte dieses Analysekonzept einen wichtigen Beitrag zur Politikberatung leisten.

Mit der verstärkten Diskussion um die absehbaren Auswirkungen des demografischen Wandels auf kommunaler Ebene hat sich das Thema »Familienfreundliche Kommune« im Arbeitsfeld der FaFo fest etabliert. Seit 2005 werden mit Kooperationspartnern auf Landes- und kommunaler Ebene Informationen über den demografischen Wandel, seine absehbaren Auswirkungen und mögliche Schlussfolgerungen für Handlungsalternativen vermittelt. Dies geschieht beispielsweise über die »Zukunftswerkstatt Familienfreundliche Kommune« – ein in der Praxis erprobtes und bewährtes Verfahren, wenn eine Kommune mit Beteiligung ihrer Bürgerschaft neue Ideen und Vorschläge zur Familienfreundlichkeit aufgreifen und umsetzen will.

Eine Zwischenbilanz nach 30 Jahren

Im Verlaufe der vergangenen 30 Jahre haben die Arbeiten der FamilienForschung – unter den jeweiligen Rahmenbedingungen – ein anerkannt hohes und für politische Entscheidungen im Bereich Familie auch erforderliches Qualitätsniveau erreicht und gehalten. Dies wäre ohne eine Mindestausstattung an personellen Führungs- und Forschungskapazitäten und die Arbeitsumgebung des Statistischen Landesamtes nicht realisierbar gewesen. Hinzu kommt, dass sich die Aufgabenerfüllung – die Arbeitsinhalte, die Arbeitsweise und die Art der Informationsvermittlung – stets mit den sich wandelnden Anforderungen der »Kundschaft« weiterentwickelt hat. Impulse dafür entstanden besonders auch durch das hohe Interesse von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Verbänden in Baden-Württemberg an dem gesellschaftspolitisch zentralen Bereich von Familie und Familienpolitik. Angesichts der absehbaren Herausforderungen, die die Veränderungen von Familien- und Bevölkerungsstrukturen künftig in allen Handlungsfeldern mit sich bringen, wird es für Entscheidungsträger, die in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich über Maßnahmen zur Bewältigung dieser Herausforderungen zu entscheiden haben, hilfreich sein, wenn Kapazität und Kompetenz der FamilienForschung Baden-Württemberg auch weiterhin zur Verfügung stehen.

1 Das im April 1991 in Kraft getretene Landesstatistikgesetz beschreibt in neun Punkten die Aufgaben des Statistischen Landesamtes. Es nennt in § 3, Abs. 2, Nr. 5 unter anderem als eine Aufgabe wissenschaftliche Analysen, Prognosen und Modellrechnungen auf der Grundlage statistischer Daten. In der Begründung dazu werden als Beispiel politikbegleitender Untersuchungen die sozial- und familienpolitikrelevanten Untersuchungen der Familienwissenschaftlichen Forschungsstelle aufgeführt. Vergleiche Gesetzblatt für Baden-Württemberg, Nr. 10, 17. Mai 1991, S. 216 und Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 10/4430, S. 26/27.

2 Wingen, Max, Statistik und Politik, Anmerkungen zur Standortbestimmung der amtlichen statistischen Information, in: Wingen, Max (Hrsg.), Statistische Information – Probleme und Leistungen (Klaus Szameitat zum 70. Geburtstag), Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart, 1984, S. 197.

3 Nave-Herz, Rosemarie, Gegenstandsbereich und historische Entwicklung der Familienforschung, in: Nave-Herz, Rosemarie/Markefka, Manfred: Handbuch der Familien- und Jugendforschung, Band I: Familienforschung, Neuwied, Frankfurt am Main, 1989, S. 15.